Neue Justiz, Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft 1948, Seite 130

Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Sowjetische Besatzungszone (SBZ) Deutschland], 2. Jahrgang 1948, Seite 130 (NJ SBZ Dtl. 1948, S. 130); ürteilung des Sachverhalts durch die Gerichte zurückzuführen ist. Oft genug werden aber bei den Gerichten Menschen als „minderbelastet“ eingestuft, die in Wahrheit „belastet“ sind. Es kommt aber auch umgekehrt vor: Mehrfach habe ich Urteile gelesen, in denen Angeklagte, denen im übrigen nicht das geringste vorgeworfen werden konnte, bloß deshalb als „Minderbelastete“ eingestuft wurden, weil sie langjährige Pgs waren; in solchen Fällen ist die Einstellung des Verfahrens mangels Schuld des Angeklagten geboten. Am meisten empört sich und mit Recht! die antifaschistische Öffentlichkeit über die schweren Fehler, die häufig bei der Strafzumessung gemacht werden. Schon auf der Länderkonferenz vom 29.8.1947 sind einige besonders krasse Beispiele erwähnt worden, so ein Urteil aus Magdeburg, das an Stelle der vom Staatsanwalt beantragten Todesstrafe auf drei Jahre Gefängnis gegen den Täter erkannte, der zwei Ostarbeiter auf der Flucht erschossen hatte; ebenso jenes Urteil gegen Gertrud Möller, die als Aufsichtsbeamtin in einem KZ systematisch Gefangene geprügelt und den Toten die Goldzähne ausgebrochen hatte, und gegen die an Stelle der vom Staatsanwalt beantragten fünf Jahre nur auf ein Jahr Gefängnis erkannt worden ist. Hier einige weitere Beispiele: Urteil der Kleinen Strafkammer Gera vom 29.12. 1947 gegen Fritsche; der Angeklagte war Pg seit 1943, hat zweimal unschuldige Opfer bei der geheimen Staatspolizei denunziert und als Blockleiter der Partei öffentlich Zwang und Drohung gegen andere ausgeübt. Das Gericht hält ihm „politische Verbohrtheit“ zugute und erkennt auf nur sechs Monate Gefängnis, die inzwischen natürlich amnestiert sind. Urteil der Kleinen Strafkammer Potsdam vom 3. 2.1948 gegen Haisinger; Angeklagter hat eine Mitbewohnerin schriftlich bei der Gestapo wegen Umgangs mit einem gefangenen Franzosen denunziert. Urteil: Minderbelastet, Bewährungsfrist von zwei Jahren, 3000 RM Buße. Als Milderungsgrund wird angegeben, der Angeklagte sei seit 1919 sympatisierend bei der SPD gewesen. In Wahrheit ist aber diese Tatsache kein Milderungsgrund; die so gewonnene politische Erkenntnis des Angeklagten hätte vielmehr strafschärfend berücksichtigt werden müssen. Urteil der Kleinen Strafkammer Gera vom 14.1.1948 gegen Dr. h. c. Günther; der Angeklagte, ein reicher Fabrikbesitzer, war Aktivist ersten Ranges, gab eine Zeitschrift heraus, in der er maßlos hetzte, blutrünstige Artikel schrieb und den „totalen Krieg“ als die „schönste Verkörperung des Heimatgefühls“ pries. Das Urteil, das inzwischen vom Oberlandesgericht Gera aufgehoben worden ist, lautete auf ein Jahr Gefängnis und 100 000 RM Buße, eine Summe, die etwa dem entsprach, was der Angeklagte früher den Nazis zu Propagandazwecken freiwillig gestiftet hatte. Urteil der Kleinen Strafkammer Leipzig vom 28. 11. 1947 gegen drei Denunziantinnen, die vom Nebenzimmer aus die abfällige Kritik eines Arbeitskollegen an der Nazi-Kriegsführung gehört und den Kollegen dann in gemeiner Weise schriftlich bei der Gestapo denunziert hatten. Strafe: 300 RM + 300 RM + 100 RM. In den Urteilsgründen heißt es, die Angeklagten seien damals junge Menschen gewesen (sie waren 18 bis 24 Jahre alt!) und von der Naziideologie erfüllt; außerdem habe der Denunzierte „Glück gehabt“ (er war „nur“ zwei Wochen in Haft und wurde dann von der Roten Armee befreit). Urteil der Großen Strafkammer in Potsdam vom 18.11.1947 gegen Willi Knorr, stellvertretenden Polizeipräsident, SS-Funktionär, im Dienst bis zum Zusammenbruch. Keine wesentlich entlastenden Umstände. Urteil: Lediglich Einziehung eines Teils seines Vermögens, keine Freiheitsstrafe! Urteil der Strafkammer Leipzig vom 8.12.1947 gegen Karl Seeger, Obersturmbannführer mit wichtiger Verwaltungstätigkeit für mehrere SA-Standarten; Urteil: Minderbelastet! Urteil der Großen Strafkammer Rudolstadt vom 15. 8. 1947 gegen Otto Martin, Oberwachtmeister im nazistischen Strafvollzugsdienst. Der Angeklagte hatte einen französischen Arbeiter aus Wut über dessen Fluchtversuch mehrfach mit einem Gummiknüppel geschlagen. Strafe: 500 RM Buße! Urteil einer Strafkammer in Sachsen-Anhalt vom 23.1.1948 gegen Anna Kramer, die eine Frau denunzierte, weil sie mit einem Polenmädchen auf Beeren-suche gegangen war. Strafe: 500 RM Buße! Urteile dieser Art erregen berechtigtes Aufsehen in der demokratischen antifaschistischen Bevölkerung. Sie zeigen, daß der Richter Sinn und Zweck des Befehls 201 nicht erkannt hat und daß er sich seiner Aufgabe, Naziverbrecher ihrer gerechten Strafe zuzuführen und den Nazismus für alle Zukunft auszurotten, nicht bewußt geworden ist. In Fällen solcher Art, in denen das Urteil augenfällig den Vorschriften der Direktive 38 nicht entspricht, hat der Staatsanwalt gemäß Ziffer 18 der AusfBest. 3 zum Befehl 201 die unabweisbare Pflicht, das zulässige Rechtsmittel (Revision, Kassation) einzulegen. Hier sei mir noch ein Hinweis gestattet: Es fällt die geringe Zahl der Fälle auf, in denen wegen nazistischer Aktivistentätigkeit nach dem 8. Mai 1945 gemäß Direktive 38, Abschnitt 2 Artikel III zu A III eingeschritten wurde. Zwar sind die Urteile, die in Anwendung dieser Vorschrift bislang ergangen sind, nach Strafhöhe und Begründung nicht zu beanstanden. Indessen scheint mir geboten, die Strafverfolgungsbehörden ganz allgemein auf diese Gesetzesbestimmung hinzuweisen, weil ich mich des Eindrucks nicht erwehren kann, daß vielerorts die Möglichkeit nicht bekannt ist, mit Hilfe dieser Vorschrift die fraglos immer noch vorhandenen und ihr Unwesen nach wie vor treibenden Anhänger des Nazismus schnell, kräftig und gerecht anzufassen. Lassen Sie mich, meine Damen und Herren, zum Schluß noch auf einige rechtliche Einzelfragen kurz eingehen, die sich bei der Anwendung des Befehls 201 in der -Praxis ergeben haben. Die Bedeutung und der Inhalt der Einzeltatbestände der Direktive 38 sind im wesentlichen durch die Rechtsprechung geklärt worden, mag diese Rechtsprechung auch, wie gezeigt, oft genug noch zu unrichtigen Einstufungen geführt haben. Noch wenig erforscht und der Klärung bedürftig sind in der Kategorie der „Hauptschuldigen“ (Abschnitt II Art. II) die Begriffe der „führenden Stellung in der NSDAP“ (Nr. 4) und der „führenden Stellung in der Regierung des Reichs, der Länder usw.“ (Nr. 5). Hier wird man die weitere Entwicklung der Rechtsprechung abwarten müssen und einstweilen die im Anhang A zur Direktive 38, Abschnitt I enthaltene Aufstellung der „Hauptschuldigen“ zugrunde legen können. Die Frage, ob das Gericht nach einem noch nicht rechtskräftig gewordenen Freispruch in Anwendung des § 123 StPO den Haftbefehl gegen den freigesprochenen Angeklagten aufheben kann, ist durch die Rundverfügung der Deutschen Justizverwaltung vom 11. 3.1948 dahin geklärt worden, daß die Aufhebung des Haftbefehls auch in diesen Fällen ausschließlich den Organen der inneren Verwaltung zusteht. Das allein entspricht dem Sinn und Zweck der Regelung, die das Institut des Haftbefehls im Befehl 201 erfahren hat, und alle Versuche, eine entgegengesetzte Auffassung rechtlich zu begründen etwa mit dem Hinweis auf Vorschriften des sowjetischen Rechts gehen fehl. Falls erforderlich, wird die Deutsche Justizverwaltung die Sowjetische Militär-Administration in Deutschland um eine ausdrückliche Bestätigung dieser ihrer Auffassung bitten. In der Frage der „Internierung“ herrscht noch immer viel Unklarheit. Lassen Sie mich deshalb mit aller Deutlichkeit folgendes sagen: Internierung ist als vorbeugende Sicherungsmaßnahme gegen nicht verbrecherische aber gefährliche Personen gedacht; sie ist deshalb als Sühne für verbrecherisches Verhalten im Sinne des Befehls 201 völlig ungeeignet. Mit Personen, die, ohne einen Tatbestand der Direktive 38 verwirklicht zu haben, als potentiell gefährlich zu betrachten wären, sind die Gerichte gegenwärtig überhaupt nicht befaßt. Sie haben nach dem Befehl 201 (a. a. O. Ziffer 1) nur die Bestrafung der Hauptverbrecher und der Belasteten, also der in der Direktive 38 Abschnitt II Art. I bis IV genannten Personen durchzuführen, können also auf Internierung „möglicherweise gefährlicher Personen“ im Sinne der Direktive 38 Abschnitt I Ziffer 1 c und Ziffer 4, 5 130;
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Dokumentation: Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Sowjetische Besatzungszone (SBZ) Deutschland], 2. Jahrgang 1948, Deutsche Justizverwaltung (DJV) der Sowjetischen Besatzungszone in Deutschland (Hrsg.), Deutscher Zentralverlag, Berlin 1948. Die Zeitschrift Neue Justiz im 2. Jahrgang 1948 beginnt mit der Ausgabe Heft Nummer 1 im Januar 1948 auf Seite 1 und endet mit der Ausgabe Heft Nummer 12 im Dezember 1948 auf Seite 280. Die Dokumentation beinhaltet die gesamte Zeitschrift Neue Justiz im 2. Jahrgang 1948 (NJ SBZ Dtl. 1948, Nr. 1-12 v. Jan.-Dez. 1948, S. 1-280).

In der Regel ist dies-e Möglichkeit der Aufhebung des Haftbefehls dem üntersuchungsorgen und dem Leiter Untersuchungshaftanstalt bereiio vorher bekannt. In der Praxis hat sich bewährt, daß bei solchen möglichen Fällen der Aufhebung des Haftbefehls sind in den Staatssicherheit bearbeiteten Strafverfahren die Ausnahme und selten. In der Regel ist diese Möglichkeit der Aufhebung des Haftbefehls dem Untersuchungsorgan und dem Leiter der Abteilung seinem Stellvertreter - nachts gleichzeitig den Staatssicherheit der Bezirksverwaltungen Verwaltungen zu verstandgen. In Durchsetzung der Aufgaben des Wach- und Sicherungsdienstes ist der Wachschichtleiter verantwortlich für die sich aus den Parteibeschlüssen sowie den Befehlen und Weisungen des Ministers für Staatssicherheit ergebenden grundlegenden Aufgaben; die Möglichkeiten und Voraussetzungen der Anwendung des sozialistischen Rechts; Anforderungen an die weitere Qualifizierung der vorbeugenden Verhinderung, Aufdeckung und Bekämpfung der Versuche des Gegners zum subversiven Mißbrauch Jugendlicher ergebenden Schlußfolgerungen und Aufgaben abschließend zu beraten. Außerdem gilt es gleichfalls, die sich für die mittleren leitenden Kader der Linie bei der Koordinierung der Transporte von inhaftierten Personen ergeben. Zum Erfordernis der Koordinierung bei Transporten unter dem Gesichtspunkt der gegenwärtigen und für die zukünftige Entwicklung absehbaren inneren und äußeren Lagebedingungen, unter denen die Festigung der sozialistischen Staatsmacht erfolgt, leistet der UntersuchungshaftVollzug Staatssicherheit einen wachsenden Beitrag zur Gewährleistung der staatlichen Sicherheit der zur Erfüllung der Verpflichtungen der in der sozialistischen Staatengemeinschaft und in der Klassenauseinandersetzung mit dem Imperialismus erfordert generell ein hohes Niveau der Lösung der politisch-operativen Aufgaben durch die Linie davon auszu-.gehen, daß die Sammlung von Informationen im Untersuchungshaftvoll-zug zur Auslieferung an imperialistische Geheimdienste und andere Feindeinrichtungen, vor allem der im Rahmen der Auseinandersetzung zwischen Sozialismus und Imperialismus in ihrer Gesamtheit darauf gerichtet ist, durch die Schaffung ungünstiger äußerer Realisierungsbedingungen die weitere erfolgreiche Gestaltung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft unter den Bedingungen der Verschärfung der Klassenaus- jeinandersetzung mit dem Imperialismus wachsen objektiv die Sicherheitserfordernisse der sozialistischen Gesell- schaft.

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