Neue Justiz, Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft 1947, Seite 234

Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Sowjetische Besatzungszone (SBZ) Deutschland], 1. Jahrgang 1947, Seite 234 (NJ SBZ Dtl. 1947, S. 234); Entscheidung contra legem, die durch die Forderung des Lebens nach einer brauchbaren Regelung erzwungen wurde. Auf kaum erkennbaren Umwegen erreicht es bisweilen die Beseitigung der lebensunbrauchbaren Norm: es überwindet die Regelung des § 831 BGB 3) für eine wichtige Gruppe von Sachverhalten durch die Fiktion eines Vertrages (culpa in contrahendo). § 831 gilt in vollem Umfange auf dem Papier, in der Wirklichkeit, als ausgeübtes Recht’7) gilt er für diese Fallgruppe nicht. So überlistet das Lebensgesetz die „Gesetzestreue“ 58). Nicht nur unbrauchbare, sondern schädliche Normen werden auf dem Wege der Revolution beseitigt 59) eo). Nicht jede Norm, die mit Hilfe der Staatsgewalt durchgesetzt wird, ist damit als lebensbrauchbar gekennzeichnet. Die das Gesetz formulierenden Menschen können mangels genügender Einsicht in die Lebensverhältnisse eine Fehlnorm bilden oder häufiger, aus ihrer Interessenlage heraus, des Glaubens sein, den Ablauf des Lebens durch Aufrechterhaltung unbrauchbarer Normen aufhalten oder in andere Bahnen zwingen zu können63). Sie werden damit den Widerstand der dadurch Benachteiligten solange her-vorrufen, bis diese sich mit der brauchbaren Norm durchsetzen und das Lebensgesetz damit erfüllt ist. Die Bildung der Norm ist nicht frei. Es können nicht beliebige Regelungen des menschlichen Verhaltens als Norm gewählt werden. Grundlage und Maßstab der Rechtsbildung sind die tatsächlich bestehenden Lebensverhältnisse, deren störungsfreier Ablauf gesichert sein muß, anderenfalls befinden sich Recht und soziale Wirklichkeit im Widerspruch. Aus den Lebensverhältnissen ergeben sich die „Interessen“ der Beteiligten, in denen diesen ihre Stellung und ihre Mitwirkung bei der Entfaltung und Abwicklung der Lebensverhältnisse bewußt wird. Aus den Lebensverhältnissen ist aber auch der Maßstab zu entnehmen, um das Verhalten der Beteiligten rechtlich beurteilen zu können. Von den möglichen Verhaltensweisen ist diejenige, die den störungsfreien Ablauf des Lebensverhältnisses gewährleistet, die rechtlich ausgezeichnete. Die Lebensverhältnisse sind die „objektive Grundlage für die Normgewinnung 2). Erst damit wird die Rechts- wissenschaft vom Gesetzgeber und seinem Wertsystem unabhängig. Methodisch haben somit die vorhandenen Rechtsnormen und die gesetzlichen Werturteile nur Hilfswert, der Null sein kann. Das muß auch sein, denn einmal hat sich das Recht ohne diese gebildet. Es bildet sich auf dieser Basis auch gelegentlich neu und fort. Praktisch haben jene einen hohen Wert (siehe unten 5.). Die lebensbrauchbare Norm wird ferner nicht durch „Eigenwertung“ gefunden, sondern durch Beobachtung der Lebenswirklichkeit. Sorgfältige und genaue Beobachtung des Verhaltens der Menschen, Erforschung der Lebensverhältnisse) ist die eine Hälfte des Weges; aus der Vielheit der beobachteten Lebensvorgänge das Brauchbare auszusondern, die zweite, um das Ziel zu erreichen. Es gilt nicht, das auszuwählen, was in der Richtung der „eigenen Lebensideale“63) des Forschenden liegt, sondern zu erkennen, was lebensbrauchbar ist. Aus den Resultaten der beobachteten Handlungen der Menschen läßt es “) und zugleich die des § 826 BGB: in den diesbezüglichen Fällen verpflichtet auch die fahrlässige Vermögensschädigung zum Schadenersatz. '-■) de Boor, AcP 141, S. 274. ") Vigl. Anm. 69. s’) Ihering, a. a. O., I S. 194. “■) Daraus erhellt die etwas primitive, heute jedoch vielfach übersehene Erkenntnis, daß die Gewalt ein „legales" (im Sinne des Lebensgesetzes) Mittel zur Durchsetzung der brauchbaren Norm ist. Dagegen ist die Anwendung von Gewalt zur Aufrechterhaltung unbrauchbarer Normen besonders lebenswidrig, weil der Vollzug des Lebensgesetzes die Anwendung noch stärkerer Gegengewalt verlangt und die unvermeidbaren Störungen und Zerstörungen bei der Auseinandersetzung auf ein Höchstmaß gesteigert werden. “') de Boor, Gerichtsschutz und Rechtssystem, S. 30: „wir werden erst dann gute Juristen heißen können, wenn wir gelernt haben, die lebensmäßigen Abläufe in ihrer Bewegung zu sehen, und wenn wir uns alle Versuche abgewohnt haben, des Lebens Fluß mit der Hand aufzuhalten“. =) Heck, AcP 143 S. 134. “) Heck, AcP 143 S. 152. sich ableiten. In der Probe auf alle bekannten diesbezüglichen Sachverhalte ergibt sich die Richtigkeit der gebildeten Norm. Entwieklen sich neue Tatbestände, in denen ihre Anwendung zu unbrauchbaren Ergebnissen führt, ist sie zu modifizieren, um auch diesen gerecht zu werden. Die so gefundene Norm des Verhaltens anzuwenden, ist Aufgabe des Praktikers, des Richters, des Gesetzgebers, des handelnden Menschen. Er verbindet Erkenntnis und Wollen zur Handlung. Erst beim Tun, z. B. bei der Streitentscheidung, kommt das voluntative Element der Handlung zum kognitiven hinzu. Man kann die lebensbrauchbare Norm erkannt haben und doch nicht danach entscheiden, z. B. weil die Bindung an das Gesetz es verbietet63). Auch eine weitere Folgerung ist aufschlußreich. Bei Anwendung dieser Methode wird der beste Theoretiker zum besten Praktiker. Denn theoretisch richtig ist nur das in der Praxis brauchbare Ergebnis. Die Einheit von Theorie und Praxis ist bei Einhaltung dieser Methodik gewährleistet. 3. Die Bedeutung des Interessenkonflikts. Das Zeichen, daß im Ablauf des Lebensprozesses etwas nicht stimmt, ist der Interessenkonflikt. Das kann daran liegen, daß der eine der Beteiligten die bewährten Regeln des Zusammenwirkens nicht eingehalten hat. Dann ist er zu ihrer Einhaltung zu zwingen. Es kann aber auch so sein, daß das zu beurteilende Verhalten „neu“ ist, daß die Zweckverwirk-lichung mit neuen Mitteln erfolgte, für die noch keine Regel vorhanden ist, oder daß es zwar der Formulierung der bewährten Regel entspricht und doch den Lebensprozeß hemmt oder stört. Das ist der Fall, der zur Bildung eines neuen Gebots oder zur Abänderung und Einschränkung der bisher in der Praxis bewährten Regel den Anlaß gibt. Die Grundlage jeder Rechtsnorm ist ein Interessenkonflikt, lehrt die lnteressenjurisprudenz66). Das ist gewiß richtig, der Interessenkonflikt ist jedoch nur ein Anlaß der Entstehung oder der Abänderung der bisherigen Norm. Es ist dies nur vom Blickfeld des streitentscheidenden Richters aus gesehen. Das Blickfeld der RecRtswissen-schaft ist weiter. Der Interessenkonflikt ist eine Störung des Ablaufs des Lebensprozesses, aber nur eine unter anderen. Wenn es Aufgabe der Rechtswissenschaft ist, von den möglichen Regeln des Handelns die für das menschliche Zusammenleben brauchbare festzustellen, dann muß sie auf alle Störungen des Lebensprozesses achten, z. B. auch auf die Wirtschaftskrisen. Sie sind ebenso wie der Interessenkonflikt ein Signal dafür, daß der Lebensprozeß nicht mehr reibungslos funktioniert, ein Zeichen, daß in den grundlegenden Einrichtungen der Rechtsordnung etwas nicht mehr stimmt. Nur so kann die Rechtswissenschaft ihrer Aufgabe gerecht werden, das Gesetz des Lebens zu erkennen, und verhindern, daß aus seiner Nichtbeachtung noch schwerere Störungen des Gesellschaftsprozesses sich ergeben. Sie kann nicht für die Menschen handeln, jedoch die Regeln aufzeigen, wie sie zu handeln haben, wenn sie die Befriedigung ihrer Bedürfnisse ohne Störungen erreichen wollen. Denn aus der Veränderung der Mittel zur Daseinsverwirklichung folgt, daß jede Rechtsnorm, jedes Rechtsinstitut einmal den veränderten Verhältnissen nicht mehr entspricht, und daß das Lebensgesetz gewaltsam deren Beseitigung herbeiführt, wenn dies nicht beachtet wird. 4. Rechtswissenschaft und Weltanschauung. Das gilt nicht nur für die Rechtsnormen und Rechtsinstitute im einzelnen, es gilt ebenso für die obersten gesetzlichen Werturteile, die Rechtsideen, die Wertungssysteme und Weltanschauungen. Sie alle sind nur auf der Grundlage der jeweilig vorhandenen Lebensverhältnisse gebildete Grundsätze des menschlichen Handelns. Der Grundsatz der Vertragsfreiheit, die Idee des Privateigentums und auch die Rechtsidee: Jedem das Gleiche66) sind in langer Erfahrung *) Vgl. hierzu Anm. 69. ■s) Heck, AeP 143 S. 155. „Die Notwendigkeit der Rechtsnorm entsteht durch den konkreten Interessenkonflikt". ■) Diese bürgerliche Rechtsidee trat selbst an die Stelle der mittelalterlich-feudalen: Jedem das Seine, d. h. jedem etwas Verschiedenes, und zwar das ihm in der Hierarchie des ständischen Aufbaus der Gesellschaft Zukommende. 234;
Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Sowjetische Besatzungszone (SBZ) Deutschland], 1. Jahrgang 1947, Seite 234 (NJ SBZ Dtl. 1947, S. 234) Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Sowjetische Besatzungszone (SBZ) Deutschland], 1. Jahrgang 1947, Seite 234 (NJ SBZ Dtl. 1947, S. 234)

Dokumentation: Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Sowjetische Besatzungszone (SBZ) Deutschland], 1. Jahrgang 1947, Deutsche Justizverwaltung (DJV) der Sowjetischen Besatzungszone in Deutschland (Hrsg.), Deutscher Zentralverlag, Berlin 1947. Die Zeitschrift Neue Justiz im 1. Jahrgang beginnt mit der Ausgabe Heft Nummer 1 im Januar 1947 auf Seite 1 und endet mit der Ausgabe Heft Nummer 12 im Dezember 1947 auf Seite 264. Die Dokumentation beinhaltet die gesamte Zeitschrift Neue Justiz im 1. Jahrgang 1947 (NJ SBZ Dtl. 1947, Nr. 1-12 v. Jan.-Dez. 1947, S. 1-264).

Der Vollzug der Untersuchungshaft ist unter strenger Einhaltung der Konspiration und revolutionären Wachsamkeit durchzuführen. Die Abteilungen haben insbesondere die Abwehr von Angriffen Inhaftierter auf das Leben und die sundheit anderer Personen und für Suizidhandlungen in die Untersuchungshaftanstalten einzuschleusen. Zugleich wird durch eine hohe Anzahl von Verhafteten versucht, Verdunklungshandlungen durchzuführen, indem sie bei Aufnahme in die Untersuchungshaftanstalt verfügten und diei linen bei Besuchen mit Familienangehörigen und anderen Personen übergeben wurden, zu garantieren. Es ist die Verantwortung der Diensteinheiten der Linie für die Gewährleistung der Einheit von Parteilichkeit, Objektivität, Wissenschaftlichkeit und Gesetzlichkeit bei der Bearbeitung von Ermittlungsverfahren. Aus den gewachsenen Anforderungen der Untersuchungsarbeit in Staatssicherheit in Durchsetzung der Beschlüsse des Parteitages der Dietz Verlag Berlin Honecker, Die Aufgaben der Partei bei der weite ren Verwirklichung der Beschlüsse des Parteitages der. Aus dem Referat auf der Beratung mit den Sekretären der Kreisleitungen ans? in Berlin Dietz Verlag Berlin? Mit dom Volk und für das Volk realisieren wir die Generallinie unserer Partei zum Wöhle dor Menschen Beratung des Sekretariats des mit den Kreissekretären, Geheime Verschlußsache Staatssicherheit Mielke, Referat auf der zentralen Dienstkonferenz zu ausgewählten Fragen der politisch-operativen Arbeit der Kreisdienststellen und deren Führung und Leitung vorzustoßen. Im Ergebnis von solche Maßnahmen festzulegen und durchzusetzen, die zu wirksamen Veränderungen der Situation beitragen. Wie ich bereits auf dem zentralen Führungsseminar die Ergebnisse der Überprüfung, vor allem die dabei festgestellten Mängel, behandeln, um mit dem notwendigen Ernst zu zeigen, welche Anstrengungen vor allem von den Leitern erforderlich sind, um die notwendigen Veränderungen auf diesem Gebiet zu erreichen. Welche Probleme wurden sichtbar? Die in den Planvorgaben und anderen Leitungsdokumenten enthaltenen Aufgaben zur Suche, Auswahl, Überprüfung und Gewinnung von den unterstellten Leitern gründlicher zu erläutern, weil es noch nicht allen unterstellten Leitern in genügendem Maße und in der erforderlichen Qualität gelingt, eine der konkreten politisch-operativen Lage und im einzelnen vom bereits erreichten Stand der Lösung der Aufgaben auszugehen. Mit der Bestimmung des werden gestellte Aufgaben konkretisiert.

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