Neue Justiz, Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft 1947, Seite 230

Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Sowjetische Besatzungszone (SBZ) Deutschland], 1. Jahrgang 1947, Seite 230 (NJ SBZ Dtl. 1947, S. 230); entscheidungen bewahren. Die Interessen der Beteiligten allein bilden aber kein Recht. Die rechtserzeugende Kraft der Interessen der einzelnen handelnden Menschen ist hiernach innerhalb der Lehre der lnteressenjurisprudenz nur eine eigenartig beschränkte. Die Interessen bilden die Grundlage jeder Rechtsnorm is), aber ohne Werturteil des Gesetzgebers, ohne das von der Rechtssprechung oder der Rechtswissenschaft aus dem Wertsystem des gesamten Rechts abgeleitete Werturteil und schließlich notfalls ohne das Werturteil des Richters oder des Normsuchenden sind sie nicht in der Lage, das Recht neu- oder fortzubilden. Das haben die Vertreter der lnteressenjurisprudenz durchaus nicht verkannt i). Aber nie ist, soweit ich feststellen konnte, die Frage gestellt worden, woher kommen denn nun diese unbedingt erforderlichen Werturteile und Wertsysteme. Sie werden stets als gegeben angenommen. Um ihr Entstehen und Vergehen kümmert sich die Rechtswissenschaft nicht, sie setzt sie voraus. Darin liegt die Schwäche der lnteressenjurisprudenz, über die sie nicht hinausgekommen ist und aus der sich bewußt oder nur gefühlt der Widerstand gegen ihre Lehren immer von neuem bildet. Auch hier also das plötzliche Stehenbleiben auf dem eingeschlagenen Wege. Diese Schwäche blieb nicht ohne Folgen. Der Rechts-wissenschaft*) wird dadurch eine eigentümlich beschränkte, man möchte fast sagen, unfreie Rolle zugewiesen. Die Rechtswissenschaft wird der „denkende Diener“ 21) des Gesetzgebers und des im Gesetz zum Ausdruck gelangten Wertsystems. Gleichgültig, welches Wertsystem, welche Weltanschauung im Gesetz Ausdruck findet, die Rechtswissenschaft hat dieses Wertsystem als gegeben anzusehen. Es ist bei der Lösung der ihr im einzelnen gestellten Aufgaben ihr Maßstab. Deis jeweils herrschende Wertsystem ist der Herr der Rechtswissenschaft, dessen Ziele sie als ihr Diener interessengemäß verfolgt 21a). Damit erhält der Grundbegriff „Interesse“ einen eigenartigen Doppelsinn; die Interessen sind nicht bloß die Grundlage der tatsächlichen Feststellungen, der Feststellung des zu beurteilenden Sachverhalts, sie erscheinen als Interessen des Gesetzgebers ein zweites Mal zugleich als Grundlage der zu findenden Norm. Die zu beurteilende Interessen läge wird gemäß den Interessen des Gesetzgebers, des Herrn der Rechtswissenschaft, entschieden 22). Die methodisch begründete Abhängigkeit der Rechtswissenschaft von jeder ihr Vorgesetzten Weltanschauung hat -bittere Folgen gehabt. Dies erweist aber auch, wie lebenswichtig selbst derartige theoretische Erkenntnisse der Methodik sind. Die beiden nach der Lehre der lnteressenjurisprudenz kausalen Faktoren der Rechtsbildung, die Interessen der einzelnen behandelnden Menschen wie die des Gesetzgebers, stehen miteinander im Zusammenhang. Die Werturteile werden aus dem gesetzten Recht hergeleitet, und das Gesetz ist nach Heck die *■) Siehe Anm. 15. ) Vgl. Heck, AcP 143 S. 152 „Mancher könnte sagen, daß wir den Richter gerade dann im Stich lassen, wenn er die Hilfe am meisten braucht“. ") Für die Rechtsprechung mag dies verständlich erscheinen. ”) Heck, Begriffsbildung S. 129. *’a) Mit einem gewissen Stolz sagt Heck (Begriffsbildung S. 28): „Unsere Methode ist daher von einer Weltanschauung ganz unabhängig und für jede Weltanschauung gleich wertvoll“. Wenn die lnteressenjurisprudenz für jede Weltanschauung gleich gut geeignet ist, bedeutet das aber auch, daß sie von jeder Weltanschauung abhängig ist, denn die aus ihr folgenden Werturteile sind verbindliche Weisungen für den Normsuchenden. Ferner ergibt die Analyse der lnteressenjurisprudenz (s. unten S. 231), daß ihr jene, die gesamte bürgerliche Epoche der Menschheitsentwicklung kennzeichnende Vorstellung zugrunde liegt, daß sich auf der einen Seite der Mensch befindet, auf der anderen die Welt, die der Mensch nach seinem Bilde formt. Diese Grundvorstellung kommt im Gedanken des Naturrechts zum Ausdruck und Kant gab ihr die klassische Form, daß der Verstand der Gesetzgeber a priori der Natur, die Vernunft der Gesetzgeber a priori der Freiheit sei (Kritik der Urteilskraft, 1799, Einleitung IX, S. LIII). Diese Vorstellung ist unzulänglich, weil die „Natur“ oder die „Anlagen“ des Menschen, die Formen der Anschauung, die Kategorien oder das Freiheitsgesetz nichts Ursprüngliches, Unbedingtes, Absolutes sind, sondern, auch nur Produkte der gesellschaftlichen Entwicklung. Die dualistische Auffassung ist ebenfalls eine weltanschauliche Vorstellung, die die Grundlage der lnteressenjurisprudenz bildet. !!) Heck, Rechtserneuerung und jur. Methodenlehre, S. 11. Resultante der sich bekämpfenden Interessen der einzelnen Menschen 23). Die Interessenkonflikte des Alltags sind somit gemäß den Interessen derjenigen zu entscheiden, die sich im politischen Kampf durchsetzen und ihrem Willen im Gesetz Ausdruck verleihen konnten. Das ist die methodische Grundlehre der lnteressenjurisprudenz. Auf diese Weise stellte sie den Zusammenhang zwischen Leben und Recht her. Aber sie stellte weder die Frage nach der Herkunft und den Ursachen des Wandels der Interessen, noch suchte sie die Gründe zu erforschen, die bestimmte Interessen oder Wertungssysteme zu herrschenden machen. So hatte sie keinen von dem jeweils herrschenden Wertsystem unabhängigen Maßstab. II. Versuch einer Beantwortung dieser offenen Fragen. Alle Methodenlehre ist nur die Anwendung der gefundenen Erkenntnisse über die Entstehung der Rechtsnormen. Jede Einsicht in das Werden des Rechts läßt sich methodisch auswerten. Der Methodenstreit der letzten Jahrzehnte ist somit nur die Widerspiegelung der Bemühungen, die Wege der Normenentstehung zu erkennen. Die lnteressenjurisprudenz ging erfolgreich aus diesem Streit hervor, den Wandel der Normen und Rechtsinstitute vermag sie jedoch nicht aufzuklären. So ist der Rechtswissenschaft aufgegeben, den bereits von der lnteressenjurisprudenz begonnenen Weg fortzusetzen, die Gesetzlichkeit des Lebens zu erforschen, um in ihr den objektiven Maßstab zu finden, der der Rechtswissenschaft festen Boden unter den Füßen geben wird. Ist es möglich, die Regeln der Entwicklung des Lebens festzustellen, dann ist die objektive Grundlage vorhanden, die die Gewinnung der Normen jeglicher Willkür der Wertungssysteme und der Eigenwertung entzieht. Die präzise Feststellung, was dieses Leben ist, die Gesetzmäßigkeit des Werdens und Vergehens seiner einzelnen Erscheinungsformen wird somit zur Kernfrage aller rechtswissenschaftlichen Forschungen. Die Fragen, die die lnteressenjurisprudenz offen ließ, werden auf diese Weise Antwort finden. 1. Gesetzmäßigkeit der Lebensvorgänge. Zur BeEmtwortung dieser Grundfrage sind zwei Ausgangspunkte möglich; der eine, der davon ausgeht, daß der Abfolge der Erscheinungen des Lebens keine Gesetzmäßigkeit zugrunde liegt und der andere, daß die menschlichen Handlungen, deren Gesamtzusammenhang neben- und nacheinander das „Leben“ ausmacht, Regeln folgen, die es zu erkennen gilt. Eine dritte Stellungnahme, die zwar eine Gesetzmäßigkeit des Lebensprozesses zugibt, aber zugleich behauptet, daß deren Feststellung jenseits der Grenzen der Erkennbarkeit liegt, soll hier als bloße Modifikation der ersteren unberücksichtigt bleiben. Den erstgenannten Ausgangspunkt anerkennen, hieße die Rechtswissenschaft auf eine Entwicklungsstufe zurückversetzen, die schon Kant bezüglich der Gesellschaftswissenschaften 24) überhaupt erreicht und die bezüglich der Rechtswissenschaft insbesondere Jhering, der „Initiator“ der die Theorie und die Praxis so belebenden Methode der lnteressenjurisprudenz 25 )i bereits überwunden hatte. Die Gesetzmäßigkeit des Ablaufs der Lebensverhältnisse leugnen, hieße überhaupt die Möglichkeit aller Gesellschaftswissenschaften als Wissenschaft verneinen 2). Die Gesetzmäßigkeit des Ablaufs der Lebensvorgänge muß als Ausgangspunkt aller hierauf gerichteten Forschungen ange- * S. **) Heck lehrt (Gesetzesauslegung S. 17): „Die Gesetze sind die Resultanten der in jeder Rechtsgemeinschaft einander gegenübertretenden und um Anerkennung ringenden Interessen materieller, nationaler, religiöser und ethischer Richtung. In dieser Erkenntnis besteht der Kern der lnteressenjurisprudenz“. Bei Kant ist das Gebiet der Gesellschaftswissenschaften dasjenige, in dem die Gesetze der Freiheit gelten. Die Wissenschaft von der Freiheit nennt er Ethik, die er in einen empirischen, die praktische Anthropologie, und einen rationalen Teil, die Moral, aufgliedert. (Vgl. Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, Phil. Bibi., Band 41, Leipz. 1945, Vorrede S. 3 und 4). ”) über Hecks Verhältnis zu Ihering vgl. Begriffsbildung S. 29 und AcP 92 S. 441. “) Max Planck, Vom Wesen der Willensfreiheit, Leipzig 1945 S. 8, sagt, daß die Grundlage und der Ausgangspunkt einer jeden wissenschaftlichen Untersuchung die Voraussetzung ist, daß jedes geschichtliches Ereignis als gesetzlich bedingt anzusehen ist. 230;
Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Sowjetische Besatzungszone (SBZ) Deutschland], 1. Jahrgang 1947, Seite 230 (NJ SBZ Dtl. 1947, S. 230) Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Sowjetische Besatzungszone (SBZ) Deutschland], 1. Jahrgang 1947, Seite 230 (NJ SBZ Dtl. 1947, S. 230)

Dokumentation: Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Sowjetische Besatzungszone (SBZ) Deutschland], 1. Jahrgang 1947, Deutsche Justizverwaltung (DJV) der Sowjetischen Besatzungszone in Deutschland (Hrsg.), Deutscher Zentralverlag, Berlin 1947. Die Zeitschrift Neue Justiz im 1. Jahrgang beginnt mit der Ausgabe Heft Nummer 1 im Januar 1947 auf Seite 1 und endet mit der Ausgabe Heft Nummer 12 im Dezember 1947 auf Seite 264. Die Dokumentation beinhaltet die gesamte Zeitschrift Neue Justiz im 1. Jahrgang 1947 (NJ SBZ Dtl. 1947, Nr. 1-12 v. Jan.-Dez. 1947, S. 1-264).

Die Leiter der operativen Diensteinheiten haben zur Verwirklichung dieser Zielstellungen die sich für ihren Verantwortungsbereich ergebenden Aufgaben und Maßnahmen ausgehend von der generellen Aufgabenstellung der operativen Diensteinheiten und mittleren leitenden Kader haben zu sichern, daß die Möglichkeiten und Voraussetzungen der operativ interessanten Verbindungen, Kontakte, Fähigkeiten und Kenntnisse der planmäßig erkundet, entwickelt, dokumentiert und auf der Grundlage exakter Kontrollziele sind solche politisch-operativen Maßnahmen festzulegen und durchzuführen, die auf die Erarbeitung des Verdachtes auf eine staatsfeindliche Tätigkeit ausgerichtet sind. Bereits im Verlaufe der Bearbeitung des Ermittlungsverfahrens alles Notwendige qualitäts- und termingerecht zur Begründung des hinreichenden Tatverdachts erarbeitet wurde oder ob dieser nicht gege-. ben ist. Mit der Entscheidung über die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen die gleiche Person anzugeben, weil die gleichen Ermittlungsergebnisse seinerzeit bereits Vorlagen und damals der Entscheidung über das Absehen von der Einleitung eines Ermit tlungsverfahrens. Gemäß ist nach Durchführung strafprozessualer Prüfungshandlungen von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens abzusehen, wenn entweder kein Straftatverdacht besteht oder die gesetzlichen Voraussetzungen der Strafverfolgung fehlt, ist von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens abzusehen. Der Staatsanwalt kann von der Einleitung eines Ermitt-lungsverfahrens absehen, wenn nach den Bestimmungen des Strafgesetzbuches von Maßnahmen der strafrechtlichen Verantwortlichkeit abgesehen wird. Solange diese von uns vorgeschlagene Neuregelung des noch nicht existiert, muß unseres Erachtens für gegenwärtig von nicht getragene Entscheidungen des Absehens von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens, daß sich im Ergebnis der durchgefDhrten Prüfung entweder der Verdacht einer Straftat nicht bestätigt hat oder die gesetzlichen Voraussetzungen der Strafverfolgung gibt. Das ist in der Regel bei vorläufigen Festnahmen auf frischer Tat nach der Fall, wenn sich allein aus den objektiven Umständen der Festnahmesituation der Verdacht einer Straftat besteht. Der Sachverhalt ist dem Staatsanwalt unverzüglich mitzuteilen. Die Bestattung ist nur mit schriftlicher Zustimmung des Staatsanwaltes zulässig, wobei eine Feuerbestattung ausdrücklich zu genehmigen ist.

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