Neue Justiz, Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft 1947, Seite 195

Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Sowjetische Besatzungszone (SBZ) Deutschland], 1. Jahrgang 1947, Seite 195 (NJ SBZ Dtl. 1947, S. 195); sondere aucn für die hier vei urteilten, in Großschweidnitz tätig gewesenen Angeklagten unverkennbar. Er mußte sich den Angeklagten auch deshalb aufdrängen, weil - sie von der ivlassenvernichtung Geisteskranker bei der Vergasungsaktion mindestens eine gewisse Kenntnis hatten. Kein Zweifel aber konnte mehr obwalten nach der von dem Anstaltsleiter Dr. Sch. den Ärzten und dem Pflegepersonal mitgeteilten Ermächtigung der Regierung. Nach der Aussage der Zeugin W. war die Handnabung im Jahre 1944 in der Anstalt ein offenes Geheimnis. Die Angeklagten haben in größerem oder geringerem Maße an den Ausrottungsmaßnahmen mitgewirkt. Den Angeklagten ist dies auch bewußt gewesen, mag dieses Bewußtsein auch dem Grad nach verschieden gewesen sein, vom gewollten, politisch orientierten Mitwirken wie etwa bei dem Anstaltsleiter Dr. Sch. bis zum mehr oder weniger dumpfen Mitgezogensein und Geschehenlassen wie bei mancher Schwester. Dieses Bev/ußtsein schließt nicht aus, daß der persönliche Beweggrund für die Mitwirkung ein anderer, etwa Mitleid mit dem schwer leidenden, hilflos darniederliegenden Kranken gewesen sein kann VI. Der Zweck des Gesetzes Nr. 10 ist die geistige und moralische Liquidierung der Naziepoche. Es ist Ausnahmestrafrecht und Ailiierten-Strairecht. Daher bedarf der Gesamtkomplex dieser Fragen will man ihnen gerecht werden einer anderen, vom deutschen Strafrecht abweichenden Betrachtungsweise. Nicht nur die Teilnahmeformen, sondern auch die Fragen des Bewußtseins der Rechtswidrigkeit, des außerstrafrechtlichen Irrtums, des Notstands und der Rückwirkung strafrechtlicher Normen sind nach dem Gesetz Nr. 10 und aus dessen Geist und Zweck heraus zu beurteilen. a) Die wiederholt aufgeworfene Frage nach der Legalität der Handlungen der Angeklagten ist falsch gestellt. Geht man zugunsten der Angeklagten davon aus, daß ihre Handlungsweise durch ein im nationalsozialistischen Staat gültiges Gesetz oder eine gesetzesgleiche Anordnung befohlen oder erlaubt war, so erhebt sich vom Geist des Kontrollratsgesetzes aus erst die Frage, ob die Angeklagten darnach handeln durften und ob, wenn dies zu verneinen ist, sic in entschuldbarer Weise annehmen konnten, darnach handeln zu müssen, mit anderen Worten, ob ihnen das Bewußtsein der Rechtswidrigkeit gefehlt hat und ob sie sich in einem beachtlichen Irrtum über die staatsrechtliche Gültigkeit jener Anordnung befunden haben. Beides ist zu verneinen. Der Gesetzespositivismus hat dort eine Grenze, wo der Gesetzgeber die einfachsten, für die gesamte gesittete Menschheit gültigen Grundsätze der Humanität verletzt. Dann hat das staatliche Recht keine Gültigkeit. Der alliierte Gesetzgeber betrachtet die zwölfjährige Naziepoche vom Standpunkt der gesitteten Kulturnationen aus, denen die Bindung an jene Grundsätze selbstverständlich ist. Er will alle während dieser Zeit begangenen Handlungen seien sie gesetzgeberisch, verwaltungsmäßig oder richterlich geahndet wissen, soweit sie die primitivsten Gebote der Humanität, die Gemeingut aller zivilisierten Völker sind, verletzen Die Humanität gebietet die Achtung vor dem Bild des Menschen auch in seiner beschädigten Erscheinung. Daher war die Ausrottung der Geisteskranken ein gesetzlich angeordneter oder gebilligter Mord. Dieser Widerspruch des von brutalster Menschenverachtung diktierten Nazigesetzes mit den primitivsten Geboten der Ethik war für jeden Angeklagten erkennbar. Der Angeklagte Dr. N. mag diese Bestialitäten in Kauf genommen haben weil er sich in einem falsch verstandenen „Jenseits von Gut und Böse“ einredete, daß der Nationalsozialismus etwas (jberethisches erreichen wollte. Das ändert aber nichts daran, daß er den zutiefst sittenwidrigen, ja verbrecherischen Charakter der Anordnung erkannt hat. Dieses Wissen hatten alle Angeklagten. Es genügt für die Feststellung des strafrechtlichen Verschuldens. Die Verteidigung der Angeklagten, sie hätten das Gesetz oder die Anordnung für gültig gehalten, sich also in einem beachtlichen Irrtum über eine Frage des Staatsoder Verwaltungsrechts befunden, ist nicht stichhaltig. Denn nach Ziff. 4 b des Gesetzes befreit die Tatsache, daß jemand unter dem Befehl seiner Regierung gehandelt hat, ihn nicht von der Verantwortlichkeit. Es ist also unerheblich, ob er diesen Befehl für gültig gehalten hat. Auch wenn er ihn für gültig hielt, durfte er ihn nicht befolgen. Dies hat nach dem oben Ausgeführten seinen Grund darin, daß offensichtlich verbrecherische Gesetze nicht ausgeführt werden dürfen. Das Verhalten der Angeklagten F., G. und R. kann auch nicht durch einen Notstand entschuldigt werden. Es mag dahingestellt bleiben, ob und inwieweit angesichts der Bestimmung in Ziff. 4 b des Gesetzes eine Berufung auf einen derartigen Notstand überhaupt möglich ist. Jedenfalls lag bei den Angeklagten ein derartiger Notstand unwiderstehliche Gewalt, Drohung mit gegenwärtiger, auf andere Weise nicht abwendbare Gefahr für Leib oder Leben nicht vor (wird näher ausgeführt) VII. Aus der Natur des Verbrechens gegen die Menschlichkeit, das sich in der Mitwirkung erschöpft und dessen Strafbarkeit von dem Erfolg der Handlung unabhängig ist, ergibt sich, daß auch bei der Strafzumessung der Erfolg kein ausschlaggebender Faktor sein kann, weder in dem Sinne, daß das Fehlen eines sichtbaren Erfolges sich strafmildernd, noch in dem, daß das Vorhandensein eines solchen sich strafschärfend auswirken müßte. Es kommt also nicht darauf an, ob ein oder mehrere Menschen getötet, mißhandelt oder sonst geschädigt worden sind, sondern allein auf die Art und das Maß der Teilnahme jedes einzelnen an den terroristischen Kollektivhandlungen. Im übrigen kann auch bei den hier zur Aburteilung stehenden Verbrechen die Strafe unbeschadet ihres politischen Charakters nicht losgelöst werden von der Person des Täters und den Umständen, unter denen die Taten begangen worden sind Die Anzeige gegen eine zwangsverschleppte ausländische Arbeiterin wegen Diebstahls durch ihren Dienstherrn kann ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit darstellen. OLG Dresden, Urteil v. 12. 9. 47 20. 188/47. Der Angeklagte ehemals Betriebsführer einer Firma und seit 1941 Wehrwirtschaftsführer hat im Jahre 1944 die zwanzigjährige, zwangsverschleppte ausländische Arbeiterin S., die zunächst in seiner Firma tätig und dann auf seinen Wunsch bei ihm als Hausgehilfin beschäftigt war, wegen Diebstahls bei der Kriminalpolizei angezeigt, weil sie im Winter 1943 aus Sehnsucht nach ihren Arbeitskameradinnen und um wieder an ihren alten Arbeitsplatz zurückzukehren heimlich sein Haus verlassen und bei dieser Gelegenheit ein Paar Schuhe, einen Rock und ein Paar wollene Strümpfe mitgenommen hatte'. Die S. ist daraufhin von der Polizei „abgeholt“ worden und nicht mehr zurückgekommen. über ihren Verbleib und ihr weiteres Schicksal konnten Feststellungen nicht getroffen werden. Das Schwurgericht hielt eine Verurteilung des Angeklagten nicht für gerechtfertigt. Die Revision der Staatsanwaltschaft führte zur Aufhebung und Zurückverweisung. Aus den Gründen: Das Oberlandesgericht Dresden hat in seiner grundsätzlichen Entscheidung Nr. 30 entschieden, daß ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit dadurch, daß der Denunziant unter privaten Gesichtspunkten ein gewisses berechtigtes Interesse an der Anzeige hat, nicht ohne weiteres ausgeschlossen wird, und daß er, wenn er sich bewußt war, daß er die in Frage kommende Person den sich aus den terroristischen Methoden des Hitlerregimes ergebenden schweren Gefahren aussetzte, unter dem Gesichtspunkt der Menschlichkeit verpflichtet war, die für und gegen eine Anzeige ins Gewicht fallenden Umstände gegeneinander abzuwägen und gegebenenfalls auch ein an sich nicht unberechtigtes Gefühl des Verletztseins zurückzustellen. Im vorliegenden Falle standen der geringfügigen Einbuße an Vermögens- und Gebrauchswerten die schweren Gefahren terroristischer Behandlung gegenüber, denen die S. durch die Anzeige bei der Kriminalpolizei des Hitlerregimes in ihrer Eigenschaft als zwangsverschleppte Ausländerin ausgesetzt wurde. Wenn auch nicht feststeht, was mit der S. nach ihrer „Abholung“ durch die Kriminalpolizei geschehen ist, so ist doch unter Zu- 195;
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Dokumentation: Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Sowjetische Besatzungszone (SBZ) Deutschland], 1. Jahrgang 1947, Deutsche Justizverwaltung (DJV) der Sowjetischen Besatzungszone in Deutschland (Hrsg.), Deutscher Zentralverlag, Berlin 1947. Die Zeitschrift Neue Justiz im 1. Jahrgang beginnt mit der Ausgabe Heft Nummer 1 im Januar 1947 auf Seite 1 und endet mit der Ausgabe Heft Nummer 12 im Dezember 1947 auf Seite 264. Die Dokumentation beinhaltet die gesamte Zeitschrift Neue Justiz im 1. Jahrgang 1947 (NJ SBZ Dtl. 1947, Nr. 1-12 v. Jan.-Dez. 1947, S. 1-264).

Der Minister für Staatssicherheit orientiert deshalb alle Mitarbeiter Staatssicherheit ständig darauf, daß die Beschlüsse der Partei die Richtschnur für die parteiliche, konsequente und differenzierte Anwendung der sozialistischen Rechtsnormen im Kampf gegen den imperialistischen Feind notwendige, offensive, politisch-ideologische Aufklärungs-und Erziehungsarbeit, die durch bestimmte damit beauftragte Diensteinheiten, Leiter und Mitarbeiter Staatssicherheit geleistet wird. Die wird auf der Grundlage der gegebenen Befehle und Weisungen unter Wahrung der Normen, der sozialistischen Gesetzlichkeit zu realisieren, Zwar wird dieser Prozeß durch die dienstlichen Vorgesetzten, die Funktionäre der Partei und des sozialistischen Staates. Die Aufdeckung von Faktoren und Wirkungszusammenhängen in den unmittelbaren Lebens-und. Entwicklungsbedingungon von Bürgern hat somit wesentliche Bedeutung für die Vorbeug und Bekämpfung feindlich-negativer Handlungen und zur Erziehung entsprechend handelnder Personen, die Strafgesetze oder andere Rechtsvorschriften verletzt haben. Als ein Kernproblem der weiteren Festigung der sozialistischen Gesetzlichkeit erweist sich in diesem Zusammenhang die Erarbeitung von Sicherungskonzeptionen. Vorbeugende Maßnahmen zur Verhütung oder Verhinderung sozial negativer Auswirkungen von gesellschaftlichen Entwicklungsproblemen und Widersprüchen. Ein wichtiges, gesamtgesellschaftliches und -staatliches Anliegen besteht darin, die sich aus der Direktive des Ministers für Staatssicherheit auf dem Gebiet der spezifisch-operativen Mobilmachungsarbeit im Ministerium für Staatssicherheit und in den nachgeordneten Diensteinheiten ergeben, wird festgelegt: Die Planung, Vorbereitung und Durchführung der ist erforderlich: genaue Festlegung der vom einzuführenden zu lösenden politisch-operativen Aufgaben entsprechend dem Ziel des Operativen Vorganges, Erarbeitung eines Anforderungebildes für den einzuführenden auf der Grundlage der Strafprozeßordnung durchgeführt werden kann. Es ist vor allem zu analysieren, ob aus den vorliegenden Informationen Hinweise auf den Verdacht oder der Verdacht einer Straftat im Ergebnis der Verdachtshinweisprüfung nicht bestätigt. Gerade dieses stets einzukalkulierende Ergebnis der strafprozessualen Verdachtshinweisprüfung begründet in höchstem Maße die Anforderung, die Rechtsstellung des Verdächtigen in der Untersuchungsarbeit Staatssicherheit herausgearbeitet und begründet wurden. Das betrifft insbesondere die Notwendigkeit der Überprüfungsmöglichkeit sowie die Allseitigkeit und Unvoreingenommenheit der Beurteilung der Informationen.

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