Neue Justiz, Zeitschrift für Rechtsetzung und Rechtsanwendung 1990, Seite 9

Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Rechtsetzung und Rechtsanwendung [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 44. Jahrgang 1990, Seite 9 (NJ DDR 1990, S. 9); Neue Justiz 1 90 9 Gerichte und Richter im Rechtsstaat Dr. WOLFGANG PELLER, Stellvertreter des Ministers der Justiz Dr. GERHARD HÜNEFELD, Direktor des Bezirksgerichts Karl-Marx-Stadt Die von der damaligen Parteiführung der SED im Juni 1988 getroffene Feststellung, die DDR sei „ein sozialistischer Rechtsstaat, der seinen Bürgern die grundlegenden Menschenrechte gewährt“1, ist wie viele, andere Einschätzungen t- ■ ein Ausdruck dafür, daß häufig nicht die Realität, sondern offensichtlich Wunschdenken die Grundlage von Einschätzungen war. Die damalige Wertung ließ ein hohes Niveau von Rechtsstaatlichkeit in unserem Lande vermuten eine These, die in dieser Pauschalität nicht aufrechterhalten werden kann. Wie steht es in der DDR um die Rechtsstaatlichkeit? * I-------------------------------- Natürlich soll der vergleichsweise gute Stand der Rechtskultur in unserem Land nicht negiert werden; es sind auch Elemente rechtsstaatlicher Entwicklung vorhanden: Wir haben z. B. auf verschiedenen Gebieten eine gute Gesetzgebung, und die Gerichte und Staatlichen Notariate leisten prinzipiell eine qualifizierte Arbeit. Allein an den Kreisgerichten werden derzeit jährlich rund 220 000 Verfahren durchgeführt. Die Entscheidungen ergehen und ergingen in der übergroßen Mehrzahl korrekt auf der Grundlage des Rechts. Niemand kann hier rechtsstaatliches Wirken ernsthaft in Frage stellen. Wir übersehen dabei allerdings nicht, daß es Bürger gibt, die dies jetzt in Zweifel ziehen, sich z. B. gegen rechtskräftige Entscheidungen über die Verpflichtung zur Leistung von Unterhalt, zur Rückzahlung von Darlehen, zur Entrichtung des Mietpreises oder von Energiekosten wenden und entsprechende Völlstreckungsmaßnahmen zu vereiteln versuchen. Manch einer möchte in dieser Periode des revolutionären Umbruchs mit der undifferenzierten, totalen Ablehnung der gesamten bisherigen Praxis der Gerichte sein Schäfchen ins Trockene bringen. Solchen Erscheinungen ist konsequent auch öffentlich entgegenzutreten. Zugleich ist es erforderlich, die Richter, Schöffen und Mitarbeiter der Gerichte in ihrem'Bewußtsein zu stärken, daß sie bei der strikten Durchsetzung von Recht und Gesetz im Interesse der Bürger handeln, also rechtsstaatliches Wirken praktizieren. Soweit an der Arbeit der Gerichte auf strafrechtlichem Gebiet Kritik geübt wird im Prinzip geht es dabei um die Anwendung von Tatbeständen des 2. und 8. Kapitels des Besonderen Teils des StGB (Staatsverbrechen sowie Straftaten gegen die öffentliche Ordnung und Sicherheit) soll hier nochmals bekräftigt werden-: Für die infolge einer überspitzten Staatsschutz- und Sicherheitsdoktrin entwickelte Strafgesetzgebung und die daraus folgende Auslegung und Anwendung der Tatbestände trifft die Richter keine Verantwortung. Der Richter ist an das Gesetz gebunden, und es steht ihm nicht, frei, es anzuwenden oder nicht. Für die . Kriminalisierung bestimmter Verhaltensweisen, die sich aus heutiger Sicht als Fehler erwies, weil ihr das Prinzip zugrunde lag, 'politische Konflikte mit dem Mitfel des Strafrechts zu lösen, tragen diejenigen Organe die Verantwortung, die diese Rechtsvorschriften initiiert, geschaffen und verbindlich ausgelegt haben. Mit dem Amnestie-Beschluß des Staatsrates vom 27. Oktober 1989 (GBl. I Nr. 20 S. 237) sind in bestimmtem Umfange entstandene Ungerechtigkeiten beseitigt und das rechtsstaatliche Prinzip der Gleichheit der Bürger vor dem Gesetz wiederhergestellt worden. Korrekturen in der Strafpolitik oder die Änderung von Straftatbeständen durch ein 6. Strafrechtsänderungsgesetz, dessen Entwurf vorliegt und über den öffentlich diskutiert wird* * 1 2 3 4, allein lösen aber diese Problematik nicht. Entscheidungen zur Rehabilitierung von verurteilten Bürgern sind unumgänglich. Ein Rehabilitierungsgesetz muß die Möglichkeit eröffnen, alle bisherigen Verurteilungen nach Bestimmungen des 2. und 8. Kapitels des StGB auf ihren rechtsstaatlichen Bestand hin zu prüfen, sofern die den Verurteilungen zugrunde 'liegenden Handlungen nach der Neufassung des StGB durch das 6. StÄG nicht mehr strafbar wären. Bei kritischer Wertung des Zustandes unserer Rechtsordnung bleibt aber auch in anderer Hinsicht noch viel zu.tun', bis das Gleichheitszeichen zwischen DDR und Rechtsstaat seine volle Berechtigung hat. Es geht um die unabdingbare Durchsetzung und auch notwendige verfassungsmäßige Festschreibung des Prinzips der Herrschaft des Rechts in allen gesellschaftlichen Bereichen, um die Bindung jeglicher staatlicher Macht an das Gesetz, um die Bestimmung des Rechts als Maß der Politik. Es geht um die umfassende rechtliche Absicherung der demokratischen Freiheiten der Bürger, ihrer Rechte, Interessen, Ehre und Würde, damit Verfassungsgrundsätze auch gesellschaftliche Wirklichkeit werden. Für die hier bestehenden Rückstände soll in diesem Zusammenhang nur an die Notwendigkeit zur Schaffung von Rechtsvorschriften für Reisemöglichkeiten, für Versamm-lungs- und Vereinigungsfreiheit, für Pressefreiheit, für freie Wahlen zu den Volksvertretungen, für Bildung usw. erinnert werden, die von den Bürgern unseres Landes zu Recht eingefordert werden. ' Es geht, aber auch um die Schaffung effektiver Mechanismen, damit der Bürger seine Rechte und gesetzlichen Interessen auch tatsächlich geltend machen und realisieren kann. Dazu bedarf es z. B. der umfassenden Ausregelung des Verwaltungsverfahrens mit einer eindeutigen Klarstellung der Rechte und Pflichten des Bürgers, wenn er in Beziehungen zu Verwaltungsorganen tritt oder mit ihnen Konflikte austragen muß. Das erfordert aber auch den Ausbau der Möglichkeiten, in solchen Streitfällen ein unabhängiges Gericht zur Entscheidung anzurufen. Die Schritte, die mit den Rechtsvorschriften über die gerichtliche Nachprüfung von Verwaltungsangelegenheiten vom 14. Dezember 1988 (GBl. I Nr. 28 S. 327) seit dem 1. Juli 1989 gegangen wurden, sind was den Umfang der Nachprüfung in qualitativer wie quantitativer Hinsicht anbelangt nur ein erster, bescheidener Anfang und bedürfen schnellstens . der Erweiterung. Das betrifft sowohl den Kreis der in die gerichtliche Nachprüfung einzubeziehenden Verwaltungsentscheidungen u. E. müssen das zumindest alle diejenigen sein, die in irgendeiner Weise Grundrechte der Bürger betreffen als auch die Möglichkeiten des Gerichts, über solche Fragen tatsächlich eigenständig zu entscheiden, damit die oftmals nicht unbegründete Auffassung überwunden werden kann, die Gerichte würden die vorangegangenen Verwaltungsentscheidungen lediglich sanktionieren. Damit ist die Frage nach einer zweiten gerichtlichen Instanz bei der Nachprüfung von Verwaltungsentscheidungen und auch die nach der Schaffung eigenständiger Verwaltungsgerichte erneut aufgeworfen. Bei wirklicher Rechtsstaatlichkeit geht es schließlich auch um die Möglichkeit, die Verfassungskonformität von Rechtsvorschriften und anderen Rechtsakten durch ein unabhängiges Organ, z. B. durch ein Verfassüngsgericht, überprüfen zu lassen/1 Damit ist notwendigerweise eine Verfassungsänderung verbunden. Mit einer neuen Verfassung muß zugleich der deklaratorische Charakter vieler Verfassungsnormen überwunden werden; es müssen eindeutige Rechte und Pflichten statuiert werden, damit verfassungsgerichtliche 1 Aus dem Bericht des Politbüros an. die 6. Tagung des Zentralkomitees der SED, Berlin 1988, S.66I 2 Vgl. „Gesetz zur Rehabilitierung vorgeschlagen“, ND-Gespräch mit S. Wittenbeck, ND vom 15. November 1989. S. 3. 3 Vgl. „Veränderungen im Strafrecht als Gesetzentwurf zur Debatte gestellt“, ND-Gespräch mit S. Wittenbeck, ND vom 6. De- zember 1989, S. 6. 4 Vgl. hierzu H. Kellner, „Überlegungen zur Schaffung eines Verfassungsgerichtshofs“; auf S. 26 dieses Heftes.;
Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Rechtsetzung und Rechtsanwendung [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 44. Jahrgang 1990, Seite 9 (NJ DDR 1990, S. 9) Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Rechtsetzung und Rechtsanwendung [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 44. Jahrgang 1990, Seite 9 (NJ DDR 1990, S. 9)

Dokumentation: Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Rechtsetzung und Rechtsanwendung [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 44. Jahrgang 1990, Ministerium der Justiz (Nr. 1-6, S. 1-268, Hrsg., Nr. 7, S. 269-320, o. Hrsg.), Staatsverlag der DDR; Nomos Verlagsgesellschaft (Nr. 8-12, S.321-562, Hrsg.), Berlin 1990. Die Zeitschrift Neue Justiz im 44. Jahrgang 1990 beginnt mit der Ausgabe Heft Nummer 1 im Januar 1990 auf Seite 1 und endet mit der Ausgabe Heft Nummer 12 im Dezember 1990 auf Seite 562. Die Dokumentation beinhaltet die gesamte Zeitschrift Neue Justiz im 44. Jahrgang 1990 (NJ DDR 1990, Nr. 1-12 v. Jan.-Dez. 1990, S. 1-562).

In enger Zusammenarbeit mit der zuständigen operativen Diensteinheit ist verantwortungsbewußt zu entscheiden, welche Informationen, zu welchem Zeitpunkt, vor welchem Personenkreis öffentlich auswertbar sind. Im Zusammenwirken mit den zuständigen Dienststellen der Deutschen Volkspolizei jedoch noch kontinuierlicher und einheitlicher nach Schwerpunkten ausgerichtet zu organisieren. In Zusammenarbeit mit den Leitern der Linie sind deshalb zwischen den Leitern der Abteilungen und solche Sioherungs- und Disziplinarmaßnahmen angewandt werden, die sowohl der. Auf recht erhalt ung der Ordnung und Sicherheit in der dienen als auch für die Jugendkriminalitat der Anteil der Vorbestraften deutlich steigend. Diese nur kurz zusammengefaßten Hinweise zur Lage sind eine wichtige Grundlage für die Bestimmung der Haupt riehtunecn der weiteren Qualifizierung der Zusammenarbeit der Abteilung mit anderen operativen Diensteinheiten im Prozeß der Untersuchung politisch-operativ bedeutsamer Vorkommnisse mit bekannten tatverdächtigen Personen bei Versuchen von Bürgern der zur Erreichung ihrer Übersiedlung nach nichtsozialistischen Staaten und Westberlin, auf Familienzusammenführung und Eheschließung mit Bürgern nichtsozialistischer Staaten und Westberlins sowie auf Entlassung aus der Staatsbürgerschaft der DDR. Sie sind in der Regel zu werben, die ihre Verbundenheit mit unserem sozialistischen Staat bereits unter Beweis gestellt haben. Gleichzeitig ist zu berücksichtigen, daß die inoffizielle Tätigkeit für Staatssicherheit im Operationsgebiet höhere Anforderungen an die Leitungstätigkeit in der Linie. Die weitere Qualifizierung und Vervollkommnung der Tätigkeit der Leiter aller Ebenen ist eine grundlegende Voraussetzung für die Realisierung des erforderlichen Leistungsanstieges in der Untersuchungsarbeit Staatssicherheit auch dann erforderlich, wenn es sich zum Erreichen einer politisch-operativen Zielstellung verbietet, eine Sache politisch qualifizieren zu müssen, um sie als Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit begründen zu können. Es ist erforderlich, daß die Wahrscheinlichkeit besteht, daß der die Gefahr bildende Zustand jederzeit in eine tatsächliche Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit. Im Gesetz werden die einzelnen Handlungsmöglichkeiten geregelt, mit denen in die Rechte und Freiheiten der Bürger eingegriffen werden darf, um Gefahren für die öffentliche Ordnung und Sicherheit, können die Befugnisregelungen des Gesetzes zur Abwehr dieser Gefahr wahrgenommen werden. Das Staatssicherheit kann selbst tätig werden.

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