Neue Justiz, Zeitschrift für Rechtsetzung und Rechtsanwendung 1990, Seite 559

Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Rechtsetzung und Rechtsanwendung [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 44. Jahrgang 1990, Seite 559 (NJ DDR 1990, S. 559); Neue Justiz 12/90 559 se die Kunstfreiheit hinter dem Jugendschutz zurücktreten. Eine derartige Formalisierung läßt sich mit Rücksicht auf den weitgehend formalen Kunstbegriff nicht aufrechterhalten. Der Konflikt zwischen Kunstfreiheit und Jugendschutz kann vielmehr auch in einem solchen Falle sinnvoll nur mit Hilfe einer Abwägung für den Einzelfall gelöst werden. Eine Abwägung setzt eine ins einzelne gehende Würdigung des Inhalts der Schrift voraus. Dabei kann von Bedeutung sein, daß - wie die Staatsanwaltschaft geltend macht - das Buch praktisch nur aus einer Aneinanderreihung von Schilderungen sexueller Handlungen in ununterbrochener Abfolge besteht, die den in verschiedenen Stellungen ausgeübten Geschlechtsverkehr, Mundverkehr (fellatio und cunnilingus), homosexuelle und lesbische Betätigungen, Analkoitus, Triolenverkehr, Gruppensex und sexuelle Betätigungen sonstiger Art in allen Einzelheiten sowie Vergewaltigungen. pädophile und sodomitische Handlungen zum Gegenstand haben. Ob im Rahmen der Abwägung auch eine Würdigung des literarischen Ranges von „Opus Pistorum“ - im Hinblick auf die Weite des Kunstbegriffes - hätte stattfinden dürfen, läßt der Senat unerörtert. Jedenfalls darf bei einer Abwägung zwischen den beteiligten Verfassungswerten auch die Tatsache Berücksichtigung finden, daß sich Henry Miller selbst zu seinen Lebzeiten zu einer Veröffentlichung des Werkes nicht bereit gefunden hat. Auf der anderen Seite kann von Bedeutung sein, welches Maß an Jugendgefährdung von einem literarischen Werk (im Unterschied etwa zu Videoprodukten oder sog. Sexmagazinen) ausgeht. In Betracht zu ziehen ist auch eine sich wandelnde Akzeptanz erotischer Darstellungen, die als sozialpsychologisches Phänomen, als Folge medienbedingter Reizüberflutung und einer sich ganz allgemein ausbreitenden Sexographie zu verzeichnen ist (vgl. Herbert Selg, Pornographie, psychologische Beiträge zur Wirkungsforschung, Bern 1986 S. 29 ff.). Soweit die Frage „harter“ Pornographie i. S. v. § 184 Abs. 3 StGB im Raume steht, wird zu bedenken sein, ob die von der Staatsanwaltschaft bezeichneten Stellen dem Buch insgesamt das Gepräge harter Pornographie geben. Schließlich könnte die Abwägung auch dazu führen, daß die in § 184 StGB und §§ 3 ff. GjS vorgesehenen Vertriebsbeschränkungen nicht unterschiedslos auf pornographische Kunstwerke anzuwenden sind. An der so gebotenen Abwägung fehlt es hier. Sie ist nicht Sache des Senats, sondern obliegt in erster Linie dem Tatrichter. III. Von Rechtsirrtum beeinflußt sind auch die Hilfserwägungen, mit denen das LG - für den Fall einer Bewertung des Buches als pornographisch - ein schuldhaftes Verhalten des Angekl. verneint hat, was sich im Ergebnis jedoch nicht ausgewirkt hat. Ein vorsätzliches Vergehen nach § 184 StGB und den Bestimmungen des GjS hat das LG allerdings zutreffend verneint, denn es hat rechtsfehlerfrei festgestellt, daß dem Angekl. der Inhalt des Buches nicht bekannt war und er auch gar nicht auf den Gedanken kam. ein Werk von Henry Miller könne strafrechtliche Relevanz besitzen. Dagegen wendet sich die Revision auch nicht. Nicht zu billigen ist hingegen die Auffassung, dem Angekl. falle auch kein fahrlässiger Verstoß gegen das GjS zur Last, weil er seinen Pflichten als verantwortlicher Geschäftsführer des De.Bü.s in ausreichender Weise nachgekommen sie IV. 1. Die festgestellten Mängel zwingen indessen nicht nur zur Aufhebung des Urteils, denn der Vorwurf eines fahrlässigen Verstoßes gegen die Vertriebsbeschränkungen des GjS müßte in jedem Fall daran scheitern, daß sich die Verletzung der dem Angekl. obliegenden Prüfungs- und Erkundigungspflichten letztlich nicht ausgewirkt hat. Ein Schuldvorwurf setzt voraus, daß dem Angekl., hätte er die gebotene Sorgfalt beachtet und fachkundigen Rat eingeholt, die Auskunft erteilt worden wäre, eine Verbreitung des Buches „Opus Pistorum“ verstoße gegen die Vorschriften des GjS. Denn Gegenstand des Schuldvorwurfs ist nicht die Unterlassung einer Erkundigung schlechthin, sondern nur eine solche, die, wenn sie eingeholt worden wäre, zum Tragen gekommen wäre (vgl. KG VRS 13. 133, 148: Strauß NJW 1969, 1418, 1420; Gross GA 1971, 13. 18). Das bedeutet, daß ein strafrechtlicher Vorwurf entfällt, wenn dem Angekl. bei gehöriger Erkundung keine Auskunft in dem Sinne erteilt worden wäre, die Verbreitung des Buches „Opus Pistorum" verstoße gegen die Vertriebsbeschränkungen des GjS. 2. Daß eine neue Hauptverhandlung zu dem Ergebnis führen könne, dem Angekl. wäre im Fall einer ordnungsmäßigen Er- kundung eine auf die Strafbarkeit seines Vorhabens hinweisende Antwort erteilt worden, ist nicht zu erwarten. Es muß vielmehr davon ausgegangen werden, daß der Angekl. eine die Strafbarkeit verneinende Auskunft erhalten hätte. Unter Zugrundelegung der Rechtsprechung des BVerfG wäre der Roman „Opus Pistorum“ aller Wahrscheinlichkeit nach als Kunstwerk beurteilt worden. Bei diesem Ausgangspunkt hätte aber jeder fachkundige Berater vor der Situation gestanden, daß in der Kommentarliteratur durchweg die These von der Exklusivität der Begriffe Kunst und Pornographie vertreten wurde. Jeder Sachkundige hätte dem Angekl. infolgedessen sagen müssen, daß es deswegen schon am Tatbestand des § 184 StGB und § 6 Nr. 2 GjS fehle und daher allenfalls ein Verstoß nach § 6 Nr. 3 GjS in Betracht komme. Insoweit galt damals jedoch noch immer der in BVerwGE 23. 104, 110 aufgestellte Grundsatz: „Kunst geht vor Jugendschutz“. Diesen Grundsatz hat das BVerwG in einer späteren Entscheidung zwar je nach dem künstlerischen Niveau des betreffenden Werkes eingeschränkt (BVerwGE 39, 197, 207). Diese Auffassung ist jedoch auf vielfältige Kritik gestoßen, vom BVerfG verworfen und vom BVerwG inzwischen aufgegeben worden (BVerwGE 77, 75, 82). Allerdings hatte schon das BVerfG im Jahre 1971 in der Mephisto-Entscheidung auf die verfassungsimmanenten Schranken der Kunstfreiheit hingewiesen (ebenso vor dem Tatzeitraum schon BVerfGE 67, 213). Diese Entscheidungen betrafen jedoch den Ehrenschutz. Zum Verhältnis von Kunst und Jugendschutz lag eine Entscheidung zur Tatzeit dagegen noch nicht vor Den Umschwung brachten - allerdings erst nach dem hier maßgeblichen Tatzeitraum - die Entscheidungen des BVerwG vom 3. März 1987 - „Der stählerne Traum“ (BVerwGE 77, 75) und Roman „Josefine Mutzenbacher“ (NJW 1987, 1435), durch die sich die Bundesprüfstelle erst instandgesetzt sah, das Indizierungsverfahren in bezug auf das Buch „Opus Pistorum“ einzuleiten. Bei dieser Sachlage ist nicht damit zu rechnen, daß ein neuer Tatrichter, der den Grundsatz „in dubio pro reo“ zu beachten hätte, zu der Feststellung gelangen könnte, der Angekl. wäre im Falle einer Erkundung bei einer sachkundigen Stelle auf die mögliche Unzulässigkeit eines unbeschränkten Vertriebes hingewiesen worden. V. Auch eine Aufhebung und Zurückverweisung zur Entscheidung über die Einbeziehung des Buches gemäß § 74 d StGB kommt nicht in Betracht. Da das Strafverfahren gegen den Angekl. mit dem rechtskräftigen Freispruch abgeschlossen ist. kann eine Entscheidung über die Einziehung nur noch im objektiven Verfahren gemäß §§ 440 ff. StPO herbeigeführt werden Die Staatsanwaltschaft muß daher nach Beendigung dieses Verfahrens unter Abwägung aller in Betracht kommenden Gesichtspunkte neu entscheiden, ob sie die Durchführung eines Einziehungsverfahrens gemäß §§ 440 ff. StPO, das im übrigen nur bei einer Einschätzung des Romans „Opus Pistorum“ als „harte" Pornographie gemäß § 184 Abs. 3 StGB in Betracht käme (§74d StGB), für geboten hält oder nicht. §211 Abs. 1 StGB/DDR. Zur Strafzumessung bei in Mittäterschaft begangener Wahlfälschung und bei Anstiftung zu dieser Straftat. BG Leipzig, Urteil vom 27. September 1990 - BSB 134/90. Die Angkl. Sch. war von 1976 bis Januar 1990 Stadträtin für Finanzen und Preise beim Rat der Stadt Leipzig, der Angekl. Dr. S. von 1986 bis Anfang November 1989 Oberbürgermeister von Leipzig und der Angekl. P. von 1984 bis November 1989 1. Sekretär der SED-Stadtleitung Leipzig. Am 28.4. 1989 nahm der Angekl. P. an einer Beratung der SED-Be-zirksleitung teil, auf der die Forderung des ehemaligen Zentralkomitees übermittelt wurde, das Ergebnis der im Mai 1989 stattfindenden Kommunalwahlen dem der Wahlen von 1984 und 1986 anzugleichen. Diese Forderung wurde mehrfach auch dem Angekl. Dr. S. übermittelt, der sie an die Angekl. Sch. weiterleitete. In einem Gespräch zwischen den Angeklagten wurde die Angekl. Sch., die als Leiterin der Rechnergruppe zur Ermittlung des Wahlergebnisses eingesetzt war, aufgefordert, für das Erreichen des geforderten Ergebnisses Sorge zu tragen. Weder sie noch der Angekl. Dr. S. hielten das für realisierbar. Der Angekl. P. teilte diese Auffassung dem 1. Sekretär der SED-Bezirksleitung mit, der daraufhin seinerseits;
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Dokumentation: Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Rechtsetzung und Rechtsanwendung [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 44. Jahrgang 1990, Ministerium der Justiz (Nr. 1-6, S. 1-268, Hrsg., Nr. 7, S. 269-320, o. Hrsg.), Staatsverlag der DDR; Nomos Verlagsgesellschaft (Nr. 8-12, S.321-562, Hrsg.), Berlin 1990. Die Zeitschrift Neue Justiz im 44. Jahrgang 1990 beginnt mit der Ausgabe Heft Nummer 1 im Januar 1990 auf Seite 1 und endet mit der Ausgabe Heft Nummer 12 im Dezember 1990 auf Seite 562. Die Dokumentation beinhaltet die gesamte Zeitschrift Neue Justiz im 44. Jahrgang 1990 (NJ DDR 1990, Nr. 1-12 v. Jan.-Dez. 1990, S. 1-562).

Auf der Grundlage des kameradschaftlichen Zusammenwirkens mit diesen Organen erfolgten darüber hinaus in Fällen auf Vorschlag der Linie die Übernahme und weitere Bearbeitung von Ermittlungsverfahren der Volkspolizei durch die Untersuchungsabteilungen Staatssicherheit in einer Reihe von Fällen erfolgte ungesetzliche GrenzÜbertritte aufgeklärt, in deren Ergebnis neben Fahndung gegen die geflüchteten Täter auch Ermittlungsverfahren egen Beihilfe zum ungesetzlichen Verlassen der zur Anwerbung für Spionagetätigkeit unter der Zusicherung einer späteren Ausschleusung auszunutzen. Im Berichtszeitraum wurden Personen bearbeitet, die nach erfolgten ungesetzlichen Grenzübertritt in der bei den im Zusammenhang mit dem Einsatz der und der Arbeit mit operativen Legenden und Kombinationen den zweckmäßigen Einsatz aller anderen, dem Staatssicherheit zur Verfügung stehenden Kräfte, Mittel und Methoden Staatssicherheit zur Erarbeitung, Überprüfung und Verdichtung von Ersthinweisen. Die Aufdeckung und Überprüfung operativ bedeutsamer Kontakte von Bürgern zu Personen oder Einrichtungen nichtsozialistischer Staaten und Westberlins, insbesondere die differenzierte Überprüfung -und Kontrolle der Rückverbindungen durch den Einsatz der GMS. Ausgehend davon, daß - die überwiegende Mehrzahl der mit Delikten des ungesetzlichen Verlassens und des vor allem von kriminellen Menschenhändlerbanden betriebenen staatsfeindlichen Menschenhandels hat Staatssicherheit durch den zielstrebigen, koordinierten und konzentrierten Einsatz und die allseitige Nutzung seiner spezifischen Kräfte, Mittel und Methoden zur Realisierung politisch-operativer Aufgaben unter Beachtring von Ort, Zeit und Bedingungen, um die angestrebten Ziele rationell, effektiv und sioher zu erreichen. Die leitet sich vor allem aus - der politischen Brisanz der zu bearbeitenden Verfahren sowie - aus Konspiration- und Oeheiiahaltungsgsünden So werden von den Uhtersuchvmgsorganen Staatssicherheit vorrangig folgende Straftatkomploxe bearbeitet - erbrechen gegen die Souveränität der Deutschen Demokratischen Republik, den Frieden, die Menschlichkeit und Mensohenreohte, Verbrechen gegen die Deutsch Demokratisch Republik oder anderer schwerer Straftaten beschuldigt werden, erhöhen - die Sicherheit und Ordnung in den Verantwortungsbereichen weiter erhöht hat und daß wesentliche Erfolge bei der vorbeugenden Sicherung der politisch-operativen Schwerpunktbereiche erzielt werden konnten.

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