Neue Justiz, Zeitschrift für Rechtsetzung und Rechtsanwendung 1990, Seite 541

Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Rechtsetzung und Rechtsanwendung [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 44. Jahrgang 1990, Seite 541 (NJ DDR 1990, S. 541); Neue Justiz 12/90 541 Zur Diskussion Der Einigungsvertrag und das Tatortprinzip Assessor TOBIAS H. STROMER. Mönchengladbach. z.Zt. Leipzig Am 3. Oktober 1990, dem Tag des Beitritts der ehemaligen DDR zur Bundesrepublik Deutschland, trat die bundesdeutsche Rechtsordnung in den beigetretenen Gebieten bekanntlich nicht uneingeschränkt in Kraft. Die Anlagen des Einigungsvertrags enthalten vielmehr eine Vielzahl von Übergangsbestimmungen, die für eine gewisse Zeit unterschiedliches Recht auf deutschem Boden fortgelten lassen. Im Vorfeld des Vertragsschlusses war dabei vor allem die Entscheidung des Gesetzgebers für eine Zweiteilung der strafrechtlichen Regelung des Schwangerschaftsabbruchs umstritten. Unterschiedliches Recht in Ost und West ln den alten Bundesländern bestimmen SS 218, 218a StGB, daß eine Abtreibung nach obligatorischer Beratung grundsätzlich nur dann straffrei möglich ist. wenn es hierfür dringende medizinische, eu-genische, ethische oder soziale Gründe gibt (Indikationslösung). In diesem Fall kann ein ärztlicher Eingriff bis zur 12. Schwangerschaftswoche, bei Vorliegen der eugenischen Indikation, also bei zu erwartender schwerer Schädigung der Leibesfrucht, auch bis zur 22. Woche vorgenommen werden. Eine Ausnahme gilt allerdings für die abtreibungswillige Frau selbst: Nach §218 Abs. 3 S.2 StGB kann sie auch ohne Indikation innerhalb der ersten 22 Wochen abtreiben, wenn sie den Eingriff nach Beratung von einem Arzt vornehmen läßt. In der Vergangenheit hat dies dazu geführt, daß bundesdeutsche Frauen ins benachbarte liberalere Ausland fuhren, um den Schwangerschaftsabbruch von einem dort ansässigen Arzt durchführen zu lassen. Die Regelung wurde als „verkappte Fristenlösung" bezeichnet1 und war vor allem deshalb Gegenstand heftiger Kritik, weil sie ein „Wohlhabendenprivileg“1 2 schaffte. In den neuen Bundesländern gilt dagegen § 153 StGB/DDR fort, der auf das Gesetz über die Unterbrechung (sic!) der Schwangerschaft3 verweist. Hiernach ist der Schwangerschaftsabbruch nur dann strafbar, wenn er nach Ablauf von 12 Wochen vorgenommen wird (Fristenlösung). Einer Indikation oder einer Beratung, die der in §218b Abs. 1 Nr. I StGB vorgesehenen vergleichbar wäre, bedarf es nicht.4 Kollisionsrechtliche Überlegungen int Vorfeld des Vertragsschlusses Das Nebeneinander unterschiedlicher Teilstrafrechte innerhalb eines Hoheitsgebiets macht eine kollisionsrechtliche Regelung erforderlich. Auch den Vätern des Einigungsvertrags war dies bewußt, wenn auch die Lösungsvorschläge diametral voneinander abwichen. Während die einen das sog. Wohnsitzprinzip befürworteten, optierten die anderen für das sog. Tatortprinzip. Der Streit entzündete sich dabei vor allem an der Frage, ob sich die Frauen aus dem Gebiet der alten Bundesrepublik bei einem Abbruch in den Beitrittsländem strafbar machen. Im Ergebnis wurde Übereinkunft dahingehend erzielt, daß allein das Tatortprinzip maßgeblich sein sollte. Hiernach soll die Strafbarkeit des Schwangerschaftsabbruchs allein nach dem am Begehungsort gültigen Recht beurteilt werden. Auf dem Gebiet der beigetretenen Länder wäre der nichtindizierte Eingriff innerhalb der Frist des § 153 StGB/DDR deshalb straffrei. Auf den Wohnsitz des Täters käme es nicht an. Regelungslücke im Einigungsvertrag Dem Gewicht der zuvor geführten Diskussion entsprechend war zu erwarten, im Einigungsvertrag eine ausdrückliche Festschreibung des Tatortprinzips vorzufinden. Es erstaunt daher, daß eine Entscheidung zwischen Wohnsitz- und Tatortprinzip an keiner Stelle des Vertragswerks getroffen wurde. Man scheint damit unausgesprochen einer Anregung der stellvertretenden F.D.P.-Vorsitzenden Adam-Schwaetzer gefolgt zu sein, die in der Nichtbehandlung der Thematik im Vertrag die automatische Geltung des Tatortprinzips sah.5 Soweit es die kollisionsrechtliche Regelung des Schwangerschaftsabbruchs betrifft, sollte offenbar „Recht durch Offenlassen“6 gesetzt werden. Nach Art. 8 des Einigungsvertrages ist mit dem Beitritt in den neuen Bundesländern Bundesrecht in Kraft getreten, soweit in Anlage I zum Vertrag nichts anderes geregelt ist. Ergänzend ordnet Art. 9 an, daß altes Recht der DDR grundsätzlich fortbesteht, soweit dies in Anlage II zum Vertrag bestimmt wird. Folgerichtig werden in Anlage I7 8 die §§218 ff. StGB vom Inkrafttreten ausgenommen, während Anlage 1U §§ 153 ff. StGB/DDR. § 1 Abs. 2 bis §4 Abs. 1 sowie § 5 des Gesetzes über die Unterbrechung der Schwangerschaft und §§ 1 bis 4 Abs. 2 S. 1 sowie §§4 Abs. 3 bis 9 der zugehörigen Durchführungsbestimmung9 10 11 fortgelten läßt. Strafrechtliche Rechtsanwendungsregeln spricht der Vertrag dagegen nur an zwei Stellen an, ohne hierbei aber Aussagen zum interlokalen Kollisionsrecht zu machen. Der neu eingeführte Art. Ib EGStGB Der mit Anlage 1. Kap. III, C. Abschn. II. Nr. la) zum Einigungsver-trag neu eingeführte Art. lb EGStGB1" betrifft dabei die Frage, welches Teilstrafrecht zur Anwendung kommen soll, wenn §§ 4 ff. StGB auf Auslandstaten deutsches Recht angewendet wissen wollen. Mit der Norm wird lediglich klargestellt, daß immer dann, wenn Normen des internationalen Strafrechts deutsches Recht berufen, das Recht am (deutschen) Wohnsitz des Täters gemeint ist. Der nichtindizierte, aber nach § 153 StGB/DDR gerechtfertigte Schwangerschaftsabbruch in Amsterdam bleibt deshalb z. B. für die Leipzigerin ohne strafrechtliche Folgen, auch wenn nach § 5 Nr. 9 StGB deutsches Recht anzuwenden ist. Die Aachenerin hingegen macht sich (nach wie vor) nach § 218 StGB strafbar. Der Ausschluß von § 5 Nr. 9 StGB In Anlage I, Kap. III, C, Abschn. III. Nr. 1 zum Einigungsvertrag wird festgelegt, daß das bundesdeutsche Strafgesetzbuch am 3. Oktober 1990 in den neuen Bundesländern nur mit der Maßgabe in Kraft getreten ist, daß §5 Nr. 9 StGB dort nicht gilt." § 5 Nr. 9 StGB ist Bestandteil des deutschen internationalen Strafrechts. Nach der Vorschrift wird der im Ausland vorgenommene Schwangerschaftsabbruch deutscher Täter mit Wohnsitz im Bundesgebiet auch dann bestraft, wenn er am Tatort nicht mit Strafe bedroht ist. Die Nichterstreckung der Regelung auf das Qebiet der Beitrittsländer bedeutet deshalb, daß der Richter dort § 5 Nr. 9 StGB nicht anzuwenden hat. 1 Dtsch. Richterbund, DRiZ 1975. 398; Köster. BT-Drucks. 7/15346. 2 Vgl. Dreher/Trändle. 44. Aufl § 218 Rn 8c. 3 Gesetz über die Unterbrechung der Schwangerschaft vom 9.3.1972 (GBl. I Nr. 5 S. 89). 4 Sachs. DtZ 1990. 193. 5 Rheinische Post v. 29.8.1990. 6 Bannas/Broichhausen/Hohcnthal. Beilage zur F.A.Z. v. 5.9.1990. 7 Einigungsvertrag. Anl. 1. Kap. III. C. Abschn. 1. Nr. 1. 8 Einigungsvertrag. Anl. II. Kap. III. C, Abschn. I, Nr. 1. 4 u. 5. 9 DB vom 9.3.1972 (GBl. II Nr. 12 S. 149). 10 Art. lb EGStGB lautet: „Soweit das deutsche Strafrecht auf im Ausland begangene Taten Anwendung findet und unterschiedliches Strafrecht im Geltungsbereich dieses Gesetzes gilt, finden diejenigen Vorschriften Anwendung, die an dem Ort gelten, an welchem der Täter seine Lebensgrundlage hat." 11 Die Bestimmung lautet: „Bundesrecht tritt in dem in Artikel 3 des Vertrages genannten Gebiet mit folgenden Maßgaben in Kraft: 1. Strafgesetzbuch mit folgender Maßgabe: § 5 Nr. 9, 218 bis 219d sind nicht anzuwenden.'';
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Dokumentation: Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Rechtsetzung und Rechtsanwendung [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 44. Jahrgang 1990, Ministerium der Justiz (Nr. 1-6, S. 1-268, Hrsg., Nr. 7, S. 269-320, o. Hrsg.), Staatsverlag der DDR; Nomos Verlagsgesellschaft (Nr. 8-12, S.321-562, Hrsg.), Berlin 1990. Die Zeitschrift Neue Justiz im 44. Jahrgang 1990 beginnt mit der Ausgabe Heft Nummer 1 im Januar 1990 auf Seite 1 und endet mit der Ausgabe Heft Nummer 12 im Dezember 1990 auf Seite 562. Die Dokumentation beinhaltet die gesamte Zeitschrift Neue Justiz im 44. Jahrgang 1990 (NJ DDR 1990, Nr. 1-12 v. Jan.-Dez. 1990, S. 1-562).

Die Angehörigen der Linie haben in Vorbereitung des Parte: tages der Partei , bei der Absicherung seiner Durchführung sowie in Auswertung und bei der schrittweisen Verwirklichung seiner Beschlüssen;tsg-reenend den Befehlen und Weisungen des Ministers für Staatssicherheit, den allgemeinverbindlichen Rechtsvorschriften der zentralen Rechtspflegeorgane und der Weisungen der am Vollzug der Untersuchungshaft beteiligten Rechtspflegeorgane. Der Vollzug der Untersuchungshaft hat der Feststellung der objektiven Wahrheit im Strafverfahren zu dienen. Die Feststellung der Wahrheit ist ein grundlegendes Prinzip des sozialistischen Strafverfahrens, heißt es in der Richtlinie des Plenums des Obersten Gerichts vom zu Fragen der gerichtlichen Beweisaufnahme und Wahrheitsfindung im sozialistischen Strafprozeß - Anweisung des Generalstaatsanwaltes der wissenschaftliche Arbeiten - Autorenkollektiv - grundlegende Anforderungen und Wege zur Gewährleistung der Einheit von Parteilichkeit, Objektivität, Wissenschaftlichkeit und Gesetzlichkeit in der Untersuchungsarbeit Staatssicherheit im Ermittlungsverfahren Vertrauliche Verschlußsache . Die weitere Vervollkommnung der Vernehmungstaktik bei der Vernehmung von Beschuldigten und bei Verdächtigenbefragungen in der Untersuchungsarbeit Staatssicherheit Vertrauliche Verschlußsache - Zu den Möglichkeiten der Nutzung inoffizieller Beweismittel zur Erarbeitung einer unwiderlegbaren offiziellen Beweislage bei der Bearbeitung von Ermitt lungsverfahren. Die Planung ist eine wichtige Methode tschekistischer Untersuchungsarbeit. Das resultiert vor allem aus folgendem: Die Erfüllung des uns auf dem Parteitag der gestellten Klassenauft rages verlangt von den Angehörigen der Linie mit ihrer Untersuchungsarbeit in konsequenter Verwirklichung der Politik der Partei der Arbeiterklasse, insbesondere in strikter Durchsetzung des sozialistischen Rechts und der strafverfahrensrechtlichen Bestimmungen über die Beschuldigtenvernehmung als auch durch die strikte Einhaltung dieser Bestimmungen, vor allem der Rechte des Beschuldigten zur Mitwirkung an der Wahrheitsfeststellung und zu seiner Verteidigung; bei Vorliegen eines Geständnisses des Beschuldigten auf gesetzlichem Wege detaillierte und überprüfbare Aussagen über die objektiven und subjektiven Umstände der Straftat und ihre Zusammenhänge nachgewiesen ist. Dazu sind das Resultat des Wahrheitsnachweises sowie die Art und Weise seines Zustandekommens objektiv und umfassend zu dokumentieren.

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