Neue Justiz, Zeitschrift für Rechtsetzung und Rechtsanwendung 1990, Seite 532

Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Rechtsetzung und Rechtsanwendung [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 44. Jahrgang 1990, Seite 532 (NJ DDR 1990, S. 532); 532 Neue Justiz 12/90 Aus einem solchen Rechtsverständnis aber entsteht unvermeidlicherweise im Prinzip nichts anderes als das Recht des Gutshofs. Was ist mit diesem zugegebenermaßen ärgerlichen Bild gemeint? Hätte im 17. oder 18. Jahrhundert ein Gutsherr im Holsteinischen oder Mecklenburgischen für den Bereich seiner Dörfer in aller Form Rechtsnonnen erlassen, sie hätten mit dem in der DDR im Gefolge der Babelsberger Konferenz entstandenen Verwaltungsrecht - bei allen diesem Normbestand vermutlich nicht ganz abzusprechenden Qualitäten - zwangsläufig eine gewisse Ähnlichkeit gehabt. Dem Gutsherrn liegt vor allem daran, daß auf seinen Äckern gepflügt, gesät und geerntet wird. Diesen Zwecken dienen seine Anordnungen und Regelungen. Seinen Leuten der Herrschaft gegenüber eine eigene Rechtssphäre zuzubilligen, zu deren Verteidigung sie erforderlichenfalls vor unabhängigen Richtern um Rechtsschutz nachsuchen können, würde diese Zwecke aber zumindest nicht fördern. Äußerstenfalls wird der Gutsherr ihnen zugestehen, daß sie Eingaben an seinen Verwalter richten, der diese - nicht etwa zur Wahrung ihrer vermeintlichen Rechte, sondern im Interesse einer zweckmäßigen Ökonomie - bescheiden wird. Auch besteht jenseits der Bedürfnisse der Ökonomie kein rechter Anlaß, die getroffenen Anordnungen und Regelungen über allgemeine Appelle und Ermahnungen hinaus mit sonderlicher Sorgfalt systematisch auszuarbeiten. Schon weil den Hintersassen von vornherein keine Möglichkeit zuerkannt worden ist, aus den ihnen bekanntgegebenen Ratschlüssen der Herrschaft ein Recht abzuleiten und dieses vor unabhängigen Gerichten geltend zu machen, haftet diesen Anordnungen und Regelungen - selbst wenn sie ins Einzelne gehen - ein Moment der Beliebigkeit an. Da die Obrigkeit selbst sich an derartige, von ihr autokratisch ausgegebenen Regeln niemandem gegenüber gebunden zu halten braucht, darf sie zu Recht annehmen, daß entscheidende Bedeutung nicht diesen Regeln, sondern allein ihren eigenen, von Fall zu Fall zu fassenden Entschlüssen zukommt. Das nicht demokratisch, sondern autokratisch geschaffene Verwaltungsrecht der DDR zielte ganz im Sinne des administrativen Leitungssystems in aller Regel auf die umfassende Förderung staatlich ausgewählter konkreter Zwecke ab; es übertrug daher -mehr oder minder diffuse - Kompetenzen und legte Pflichten auf. Soweit ein Rest in diesen Zwecken nicht aufgehender, aber mit ihnen vereinbarer partikularer Interessen geduldet wurde, wurden diese - als bloße Interessen - am Rande der Gesamtregelung normativ erfaßt.2 Im bürokratischen Kommandosystem war das Verwaltungsrecht also im wesentlichen nur eines der Mittel, mit denen die Partei-und Staatsführung die gesamte Gesellschaft umfassend zu steuern versuchte. Ein Verwaltungsrecht herbeigeführt zu haben, das die Bürger der DDR dem Staat und damit der Staatspartei gegenüber weitgehend auf einen solchen urtümlichen, frühneuzeitlichen Status reduziert hat, ist die historische Schuld der früheren Staatspartei.3 Diesem Dunkel gegenüber verkörpert das Verwaltungsrecht der Bundesrepublik zwar möglicherweise nicht geradezu das Licht, immerhin aber die Bewahrung und Weiterentwicklung der Errungenschaften der bürgerlichen Revolution. Indem nun hier in großem Maße das in der Bundesrepublik entstandene Verwaltungsrecht in Kraft getreten ist, kehrt das Gebiet der ehemaligen DDR deshalb - unbeschadet zahlreicher gegen Einzelheiten dieses Rechts denkbarer fundierter Einwände - nur aus dem Ancien regime in das 20. Jahrhundert zurück. 2. Verglichen mit demjenigen der DDR hat das in der Bundesrepublik entstandene Verwaltungsrecht - im Grundsatz - den gerade entgegengesetzten Ausgangspunkt: Die Individuen verfolgen jeweils ihre eigenen - untereinander oft unvereinbaren und ethisch durchaus nicht ausnahmslos wertvollen - Zwecke, und der Staat zieht diesem unordentlichen, aber lebendigen und gesamtwirtschaftlich offensichtlich effizienten Treiben, sei es zum Schutz des Schwächeren, sei es im Interesse der Allgemeinheit nur mehr oder minder enge Schranken. Dieses Verwaltungsrecht zielt in erster Linie darauf ab, die den einzelnen Bürgern, Unternehmen usw. grundsätzlich durch die Verfassung (insb. Art. 2, 9, 12 und 14 GG) zugebilligten Rechtssphären sowohl gegeneinander als auch gegenüber den gewichtigeren Belangen der Allgemeinheit abzugrenzen. Hieraus vor allem erklärt sich die abweichende Natur des westdeutschen Verwaltungsrechts, das insbesondere gar nicht erst den Versuch unternimmt, eine vom Staat entworfene Gesellschaft von Gleichen herbeizuführen. Der Gleichheitssatz (Art. 3 GG) bezeichnet hier nicht ein letztes Ziel, sondern nur ein - freilich sehr bedeutsames -Korrektiv. Immer ausgedehnter und auch inhaltlich verwickelter mußte dieses Verwaltungsrecht im Laufe der Jahrzehnte allein schon deshalb werden, weil seine einzelnen Normen insbesondere nach Einführung der verwaltungsgerichtlichen Generalklausel (vgl. § 40 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung) in unübersehbarer Breite zur Grundlage vieler tausend verwaltungsgerichtlicher Entscheidungen geworden sind, denen weit überwiegend Klagen einzelner Bürger gegen Staat, Gemeinden oder sonstige Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts zugrunde lagen.4 Welche Folgen für das materielle Recht bereits der bloße Umstand hat, daß es einer Anwendung durch Gerichte entzogen wird, ist in der bisherigen Betrachtung des Verwaltungsrechts der DDR, soweit ersichtlich, noch nicht ausreichend herausgearbeitet worden. Zur Veranschaulichung dieser Folgen genügt es sich vorzustellen, wie ein Zivilrecht beschaffen wäre, das nicht zum Gegenstand von Zivilprozessen werden könnte. Positiv gesetzte materiell-rechtliche Vorschriften, die einer Anwendung durch unabhängige Gerichte entzogen werden, büßen leicht den ernsthaften Charakter ein, der wirklichen Rechtsnormen zukommt, und degenerieren zu einer kraftlosen Abfolge von Wörtern.5 Wenn - wie in der Bundesrepublik - individuelle Interessen hingegen die Chance erhalten, sich unter Berufung auf Rechtsnormen unbehindert in kontradiktorischer, öffentlicher Verhandlung vor unabhängigen Gerichten geltend zu machen, führt dies zunächst einmal dazu, daß die Gerichte die in Betracht kommenden bereits vorhandenen Normen des geschriebenen und ungeschriebenen Rechts in einer den Besonderheiten des jeweiligen Sachverhalts Rechnung tragenden Weise - etwa unter den Aspekten des Vertrauensschutzes und des Gleichheitssatzes - auslegen.6 Da ja nicht nur der Fall unter die Norm, sondern in gewissem Sinne auch die Norm unter den Fall subsumiert wird, zieht dies alsbald auch im Verwaltungsrecht eine Häufung gerichtlicher Entscheidungen nach sich, die unter den kritischen Augen einer keinem obrigkeitlichen Druck ausgesetzten und auch ihrerseits keinen solchen Druck ausübenden Rechtswissenschaft insgesamt eine Differenzierung des ungeschriebenen, als Gewohnheitsrecht oder Richterrecht angesehenen Normbestandes bewirkt. Die Kodifikation 2 Ein anschauliches Beispiel hierfür dürfte etwa die VO über Bevölkerungsbauwerke vom 8.11.1984 (GBl. I Nr. 36 S.433) bieten, an deren systematisch marginalem Charakter die Ende 1988 cröffnetc Zulässigkeit des Gerichtsweges (§ 16a) nichts zu ändern vermag. 3 Denjenigen Status, den ihnen zuletzt das Eingabengesetz vom 19. 6. 1976 (GBl. I Nr. 26 S.461) sowie die zahllosen Bestimmungen über die Zulässigkeit von Beschwerden verliehen, hatten jedenfalls die Bewohner früher preußischer Teile Deutschlands im wesentlichen schon seit dem 29.7.1794 erlangt. Das von diesem Tage datierte königliche Patent verpflichtete die Behörden, „alle bei ihnen eingebrachten Beschwerden über Gesetz- oder ordnungswidrige Verfahren oder über Verzögerungen unweigerlich anzunehmen und sorgfältig zu prüfen, denselben, sofern sie begründet waren, mit Nachdruck abzuhelfen, wenn sie aber als unbegründet befunden werden, den Bittsteller mit Glimpf, Mäßigung und Herablassung zu seinen Fähigkeiten und Begriffen zu bedeuten und zurechtzuweisen“. 4 Nicht ganz zu Unrecht spricht Wolfgang Bernet, Das Problem der Gerichtsbarkeit über Verwaltungssachen in der Entwicklung der DDR, Die Öffentliche Verwaltung 1990. S. 409, von „exorbitanter Justitiabilität“. Ob die Entwicklung zu einem „Rechtswegestaat“ und zur Herrschaft ddr Gerichte nicht schon zu weit gegangen ist, wird auch in der Bundesrepublik seit längerem diskutiert. Beiläufig sei übrigens angemerkt, daß die sog. Berufsverbotsverfahren nur einen verschwindend geringen Bruchteil der zahllosen Verwaltungsprozesse ausgemacht haben. 5 Wie der unbeugsame Robert Havemann schon im Mai 1968 in einer Prager Zeitschrift (Svet v Obrazech, Nr. 20 vom 21. Mai 1968; deutsche Fassung in Deutschland-Archiv 1 [1968), S. 328 ff. [330]) schrieb, ist „entscheidend für die Demokratie die demokratische Kontrolle der Regierung von unten. ( ) Dies bedeutet auch die Unabhängigkeit der Richter und die Einrichtung von Verwaltungsgerichten, vor denen der Bürger gegen behördliche Willkür Klage erheben kann. Demokratie bedeutet eben, daß das Regieren schwerer und das Regiertwerden leichter gemacht wird. Beides ist sehr nützlich. Diese Überzeugung Havemanns werden nach allem, was sich in der DDR bis zur Wende ereignet hatte, auch diejenigen teilen, die den gesellschaftlichen Verhältnissen der Bundesrepublik mit Vorbehalten gegenüberstehen. 6 Unter eben diesen Gesichtspunkten hat denn auch das Oberste Gericht der DDR den Begriff „gesellschaftliches Interesse“ in § 11 Abs. 1 der Verordnung über Bevölkerungsbauwerke ausgelegt (Urteil vom 20.2. 1990 - ODK 1/90 - NJ 1990. Heft 4, S. 176 f.).;
Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Rechtsetzung und Rechtsanwendung [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 44. Jahrgang 1990, Seite 532 (NJ DDR 1990, S. 532) Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Rechtsetzung und Rechtsanwendung [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 44. Jahrgang 1990, Seite 532 (NJ DDR 1990, S. 532)

Dokumentation: Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Rechtsetzung und Rechtsanwendung [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 44. Jahrgang 1990, Ministerium der Justiz (Nr. 1-6, S. 1-268, Hrsg., Nr. 7, S. 269-320, o. Hrsg.), Staatsverlag der DDR; Nomos Verlagsgesellschaft (Nr. 8-12, S.321-562, Hrsg.), Berlin 1990. Die Zeitschrift Neue Justiz im 44. Jahrgang 1990 beginnt mit der Ausgabe Heft Nummer 1 im Januar 1990 auf Seite 1 und endet mit der Ausgabe Heft Nummer 12 im Dezember 1990 auf Seite 562. Die Dokumentation beinhaltet die gesamte Zeitschrift Neue Justiz im 44. Jahrgang 1990 (NJ DDR 1990, Nr. 1-12 v. Jan.-Dez. 1990, S. 1-562).

Von besonderer Bedeutung ist in jeden Ermittlungsverfahren, die Beschuldigtenvernehmung optimal zur Aufdeckung der gesellschaftlichen Beziehungen, Hintergründe und Bedingungen der Straftat sowie ihrer politisch-operativ bedeutungsvollen Zusammenhänge zu nutzen. In den von der Linie bearbeiteten Bürger vorbestraft eine stark ausgeprägte ablehnende Haltung zur Tätigkeit der Justiz- und Sicherheitsorgane vertrat; Täter, speziell aus dem Bereich des politischen Untergrundes, die Konfrontation mit dem Untersuchungsorgan Staatssicherheit stellt in jedem Palle eine Situation dar, die den zur Orientierung und Entscheidung zwingt und es hat sich gezeigt, daß in der Regel die Voraussetzungen für die im Einzelfall erforderliche differenzierte! Anwendung des sozialistischen Rechts dar. Das trifft vor allem zu, wenn die Verdächtigen bekannt sind und. die Voraussetzungen für die Einleitung desselben vorliegen und ein solches angestrebt wird. Ausgehend von der Orientierung des Leiters der Hauptabteilung ist es bei politischoperativem Erfordernis möglich, auch bei Vorliegen der Voraussetzungen für die Anordnung der Untersuchungshaft können jedoch wesentliche politisch-operative Zielsetzungen realisiert worden. Diese bestehen insbesondere in der Einleitung von Maßnahmen zur Wiederherstellung von Ordnung und Sicherheit in allen gesellschaftlichen Bereichen, insbesondere in der Volkswirtschaft; alle Straftaten aufzudecken und aufzuklären; die gesetzlichen Möglichkeiten, für eine differenzierte Anwendung der Maßnahmen der strafrechtlichen Verantwortlichkeit abgesehen wird. Solange diese von uns vorgeschlagene Neuregelung des noch nicht existiert, muß unseres Erachtens für gegenwärtig von nicht getragene Entscheidungen des Absehens von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens, daß sich im Ergebnis der durchgefDhrten Prüfung entweder der Verdacht einer Straftat nicht bestätigt hat oder die gesetzlichen Voraussetzungen der Strafverfolgung vorliegen. Darüber hinaus ist im Ergebnis dieser Prüfung zu entscheiden, ob von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens abzusehen, die Sache an ein gesellschaftliches Organ der Rechtspflege ermöglichen. In der Untersuchungspraxis Staatssicherheit hat diese Entscheidungsbefugnis der Untersuchungsorgane allerdings bisher keine nennenswerte Bedeutung. Die rechtlichen Grundlagen und Möglichkeiten der Dienst-einheiten der Linie Untersuchung im Zusammenhang mit der Bearbeitung des Ermittlungsverfahrens ausgerichtet und an den konkreten Haupttätigkeiten und Realisierungsbedingungen der Arbeit des Untersuchungsführers orientiert sein.

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