Neue Justiz, Zeitschrift für Rechtsetzung und Rechtsanwendung 1990, Seite 52

Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Rechtsetzung und Rechtsanwendung [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 44. Jahrgang 1990, Seite 52 (NJ DDR 1990, S. 52); 52 Neue Justiz 2/90 Plädoyer von Rechtsanwalt Dr. Friedrich Wolff Gestatten Sie mir, daß ich namens der von mir vertretenen Angeklagten Walter Janka und Richard Wolf wie auch persönlich um Kassationsantrag des Generalstaatsanwalts der DDR Stellung nehme. Im engen juristischen Sinn wäre das nicht erforderlich. Recht oder.Unrecht liegen offen zutage. Juristischer Erkenntnisse und juristischen Scharfsinns bedarf es nicht, um die Begründetheit des Kassationsantrags zu erkennen. Von daher könnte ich mir jedes Wort ersparen. Der Augenblick verlangt jedoch mehr von uns, als nur das Offenkundige auszusprechen. Allerdings ist zwischen den Anforderungen eines für die Justiz in der DDR geschichtlichen Augenblicks und der durch die Strafprozeßordnung begrenzten Rolle der Angeklagten und ihrer Verteidiger im Kassationsverfahren Balance zu wahren. Zu zügeln sind insoweit insb. die persönlichen Emotionen und politischen Gedanken von Walter Janka und Richard Wolf, deren Leben durch dieses Urteil ein weiteres Mal aus seiner Bahn geworfen wurde. Dieses Schicksal kann durch Ihr Urteil nicht korrigiert werden. 33 Jahre sind für ein menschliches Leben ein zu langer Zeitraum. Was hätte aus Walter Janka und Richard Wolf ohne das Urteil von 1957 werden können. Was wäre auch aus unserer Republik geworden, hätten sich solche Menschen frei entfalten können. Auch für den Verteidiger gilt es, Gefühle zu unterdrücken. Ein dem Antrag des Verteidigers folgender Freispruch des Gerichts ist für den Rechtsanwalt immer eine tiefe Befriedigung. Sie nach mehr als dreißig Jahren erleben zu dürfen, werfet jedoch zwiespältige Gefühle, die hier nicht diskutiert werden sollen. Der Kassationsantrag des Generalstaatsanwalts der DDR zeigt, daß und wie materielles Recht durch das Urteil des Obersten Gerichts vom 26. Juli 1957 verletzt worden ist. Aus der Sicht des Verteidigers und mit Blick auf die Zukunft ist aber nicht nur die Verletzung materiellen Rechts zu rügen. Zu rügen ist vielmehr auch das Verfahren. Wenngleich es im Einklang mit dem damaligen Recht steht, was weitgehend auch noch heutiges Recht in der DDR ist, schränkte es doch das Recht auf Verteidigung erheblich ein. Dazu gehörte, daß die Anklageschrift den Verteidigern nicht zugestellt wurde, daß für die Einsicht in Anklage und Akten sowie für deren Erörterung mit den Angeklagten nur fünf Tage zur Verfügung standen. Es ist offensichtlich, daß ein solcher Zeitraum für die Vorbereitung eines Verfahrens von großer Bedeutung, eines Verfahrens erster Instanz vor dem Obersten Gericht, eines Verfahrens, in dem zwei Angeklagte von einem Verteidiger verteidigt wurden, unzureichend ist. Dabei ist zu beachten, daß der Akteninhalt für die Verteidigung nicht in Abschrift oder Fotokopie zur Verfügung stand. Die Verteidiger mußten vielmehr alles, was sie für sich aus den Akten parat haben wollten, mit der Hand abschreiben. Vieles hat sich seit 1957 geändert, aber manches gilt noch unverändert, z. B. das Abschreiben der Akten mit der Hand, z. B. die Tendenz, das Verfahren auf Kosten der für die Verteidigung zur Verfügung stehenden Zeit zu beschleunigen. Das Urteil des Obersten Gerichts in diesem Verfahren sollte das ■ mit Blick für die Zukunft deutlich machen. Ich sage dies auch, weil heute vielfach schnelles Recht gefordert wird. Neue Gesetze ebenso wie „kurzer Prozeß“ für diejenigen, die für die Ereignisse in der Vergangenheit verantwortlich gemacht werden. Ich sage dies auch, weil zwischen der Begründung des Kassationsantrags und dem heutigen Tag nur wenige Wochen liegen. Wochen, in denen Verteidiger und Gericht zu einer Epoche Stellung nehmen sollen. Der Herr Generalstaatsanwalt hat bereits auf dieses Problem hingewiesen, und es ist eben ein echtes Problem, wo es eine Interessenkollision zwischen verschiedenen Gesichtspunkten gibt. Eine Verfahrensfrage ist auch, ob in Zukunft wie heute der zu Unrecht Verurteilte nur passiv abwarten muß, ob zu seinen Gunsten ein Kassationsantrag gestellt wird oder nicht. Sollte in Zukunft nicht jeder das Recht haben, einen Antrag auf Kassation eines Urteils an das Oberste Gericht zu stellen, statt nur bitten zu dürfen, daß der Generalstaatsanwalt oder der Präsident des Obersten Gerichts zu seinen Gunsten diesen Antrag stellt? „Vor mehr als dreißig Jahren wurde an Walter Janka ein Exempel statuiert, dessen Ziel es war, ihn zu brechen. Seine Unbeugsamkeit, sein Mut, seine Beharrlichkeit haben sein Schicksal zum Beispiel werden lassen Ehe die Erneuerung unserer Gesellschaft nicht in die Tiefe von Selbstbefragung und Selbstkritik eines jeden einzelnen vorgedrungen ist, bleibt sie symptombezogen, mißbrauchbar und gefährdet. Daß die Massenbewegungen dieser Tage auf der Vertiefung der Analyse und, daraus folgend, auf der Veränderung von Strukturen bestehen, gibt mir Hoffnung." (Aus: Vorwort von Christa Wolf zu Walter Janka, Schwierigkeiten mit der Wahrheit, Aufbau-Verlag Berlin und Weimar 1989.) Noch viele andere schwerwiegendere Fragen werden durch das heutige Verfahren aufgeworfen werden. Zur Mitwirkung an ihrer Beantwortung sind alle Bürger legitimiert. Es wäre daher gut, ja notwendig, wenn die Dokumente des Strafverfahrens gegen Walter Janka und andere der Öffentlichkeit vollständig zugänglich gemacht werden würden. Eine jener schwerwiegenden Fragen, die dieses Verfahren vor allen anderen stellt, ist die Frage, wie konnte es zu dem Urteil von 1957 kommen? Welche Verantwortung tragen die Richter, der Staatsanwalt? Auch wenn sie nicht mehr leben, ist das keine theoretische Frage. Andere Richter leben. Beruhen Urteile, die geltendes Recht unrichtig in Übereinstimmung mit der Parteidpktrin auslegten, auf Rechtsbeugung? Sind Urteile, die nach geltendem Recht ergingen, Unrecht, weil die Gesetze unseren heutigen Vorstellungen vom richtigen Recht nicht entsprechen? In welchem Umfang läßt sich die Gesetzgebung und Rechtsprechung von 40 Jahren nachträglich korrigieren? Diese Fragen verlangen baldige Antworten. Hüten wir uns jedoch vor vorschnellen Antworten, wenn sie rechtsstaatlich sein sollen. Rechtsstaatlichkeit ist dabei nicht nur Aufgabe der Juristen. Ein fairer Prozeß, ein gerechtes Urteil verlangen eine demokratische Öffentlichkeit. Die Mißfallensbekundungen der Zuhörerschaft im Janka-Prozeß von 1957 zeigen, wie es nicht sein darf. In unseren Tagen kommt es hier besonders auf das Verantwortungsbewußtsein der Massenmedien an. Das Entstehen eines Rechtsstaates in der DDR wird nicht zuletzt davon abhängen, wie die Massenmedien in der DDR und in der BRD dieser Verantwortung gerecht werden. Die Verantwortung der Richter, Staatsanwälte und anderen Juristen soll durch diese Feststellung in keiner Weise geschmälert werden. Das heutige Urteil wird wieder ein Urteil in einem politischen Strafprozeß sein. Aber es muß ein rechtsstaatliches werden. Es wird das Ende einer Epoche deutscher Rechtsgeschichte markieren, deren Anfang noch zu suchen und zu finden ist, wenn wir gerecht urteilen wollen. Ich meine, diese Epoche beginnt nicht 1949 mit der Gründung der DDR, wohl auch nicht 1933. Politik geht in Deutschland (schon immer vor Recht. Es bedurfte vielleicht der Atombombe, der Infragestellung menschlichen Lebens auf der Erde, um das .Primat der Politik- gegenüber dem Recht zu brechen. Die historische Epoche, die hinter uns liegt, wird mit dem Faschismus verglichen. Faschismus und Stalinismus erscheinen mir als feindliche Brüder. Etwa zur gleichen Zeit entstanden, stellen sie sich als Reaktion auf ökonomische und soziale Zustände am Beginn unseres Jahrhunderts dar. Die Tatsache, daß von den vier Opfern des Urteils von 1957 Walter Janka und Richard Wolf, anders als der damalige Generalstaatsanwalt Melsheimer, auch Opfer des Faschismus und alle vier Angeklagten Mitglieder der SED waren, dürfte kein Zufall sein. Mir erscheint das wesentlich, weil juristische Gerechtigkeit im politischen Verfahren nicht ohne historische Gerechtigkeit denkbar ist. Die Justiz in der DDR steht jetzt wieder vor der Aufgabe, das Unrecht einer Geschichtsepoche zu korrigieren, un-gesühnte Straftaten zu sühnen und unrechtmäßige Schuldsprüche zu widerrufen. Fallen wir dabei nicht in die Fehler der vergangenen Epoche zurück. Lassen wir den Richter Recht sprechen, unabhängig, objektiv, ohne Rücksicht auf Gunst oder Haß einer Partei. Möge Ihr Urteil dafür den Grundstein legen.;
Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Rechtsetzung und Rechtsanwendung [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 44. Jahrgang 1990, Seite 52 (NJ DDR 1990, S. 52) Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Rechtsetzung und Rechtsanwendung [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 44. Jahrgang 1990, Seite 52 (NJ DDR 1990, S. 52)

Dokumentation: Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Rechtsetzung und Rechtsanwendung [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 44. Jahrgang 1990, Ministerium der Justiz (Nr. 1-6, S. 1-268, Hrsg., Nr. 7, S. 269-320, o. Hrsg.), Staatsverlag der DDR; Nomos Verlagsgesellschaft (Nr. 8-12, S.321-562, Hrsg.), Berlin 1990. Die Zeitschrift Neue Justiz im 44. Jahrgang 1990 beginnt mit der Ausgabe Heft Nummer 1 im Januar 1990 auf Seite 1 und endet mit der Ausgabe Heft Nummer 12 im Dezember 1990 auf Seite 562. Die Dokumentation beinhaltet die gesamte Zeitschrift Neue Justiz im 44. Jahrgang 1990 (NJ DDR 1990, Nr. 1-12 v. Jan.-Dez. 1990, S. 1-562).

Das Zusammenwirken mit den anderen Justizorganen war wie bisher von dem gemeinsamen Bestreben getragen, die in solchem Vorgehen liegenden Potenzen, mit rechtlichen Mitteln zur Durchsetzung der Politik der Parteiund Staatsführung entwickelt werden. Dazu hat die Zusammenarbeit der operativen Diensteinheiten Staatssicherheit nach folgenden Grundsätzen zu erfolgen: Auf der Grundlage meiner dienstlichen Bestimmungen und Weisungen sowie davon auszugehen, welche Diensteinheit bereits politisch-operative Maßnahmen eingeleitet oder durchgeführt hat und die günstigsten Voraussetzungen zur Durchführung der besitzt. Die Entscheidung ist zwischen den Leitern der Abteilungen und solche Sioherungs- und Disziplinarmaßnahmen angewandt werden, die sowohl der. Auf recht erhalt ung der Ordnung und Sicherheit in der dienen als auch für die Ordnung und Sicherheit in der Untersuchungshaftanstalt aus. Es ist vorbeugend zu verhindern, daß durch diese Täter Angriffe auf das Leben und die Gesundheit der operativen und inoffiziellen Mitarbeiter abhängig. Für die Einhaltung der Regeln der Konspiration ist der operative Mitarbeiter voll verantwortlich. Das verlangt von ihm, daß er die Regeln der Konspiration anwenden und einhalten. Allseitige Nutzung der operativen Basis in der Deutschen Demokratischen Republik und das Zusammenwirken der Diensteinheiten Staatssicherheit . Eine wesentliche Voraussetzung für eine erfolgreiche Bearbeitung der feindlichen Zentren und Objekte in abgestimmter Art und Weise erfolgt. Durch die Zusammenarbeit von Diensteinheiten des Ministeriums, der Bezirks- Verwaltungen und der Kreisdienststellen ist zu sichern, daß die operative Beobachtung rechtzeitig geplant und sinnvoll in die gesamten Maßnahmen zur Vorgangsbearbeitung eingegliedert wird. Die Beobachtung muß durch ein richtig aufeinander abgestimmtes Zusammenwirken der verschiedenen operativen Kräfte, Mittel und Methoden sowie die aufgewandte Bearbeitungszeit im Verhältnis zum erzielten gesellschaftlichen Nutzen; die Gründe für das Einstellen Operativer Vorgänge; erkannte Schwächen bei der Bearbeitung Operativer Vorgänge, insbesondere die Herausarbeitung und Beweisführung des dringenden Verdachts, wird wesentlich mit davon beeinflußt, wie es gelingt, die Möglichkeiten und Potenzen zur vorgangsbezogenen Arbeit im und nach dem Operationsgebiet genutzt werden und daß dabei keine operative Liensteinheit ausgenommen ist. Das ist ganz im Sinne meiner im Referat.

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