Neue Justiz, Zeitschrift für Rechtsetzung und Rechtsanwendung 1990, Seite 481

Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Rechtsetzung und Rechtsanwendung [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 44. Jahrgang 1990, Seite 481 (NJ DDR 1990, S. 481); Neue Justiz 11/90 481 Was DDR-Juristen in gesamtdeutsche Reformdiskussionen einbringen könnten Dr. h.c. RUDOLF WASSERMANN, Goslar, Präsident des Oberlandesgerichts a.D. Als Juristen aus der früheren DDR auf einer Fortbildungstagung in Westdeutschland gefragt wurden, was sie am Rechtssystem, in dem sie ausgebildet waren, besonders bemerkens- und erhaltenswert fänden, meinten sie, die einfachere, verständlichere Sprache etwa im DDR-Zivilgesetzbuch sei ein Vorzug gegenüber der in den bundesdeutschen Gesetzbüchern gepflegten Sprache. Daran ist etwas Wahres. Die Gesetzessprache ist in der Bundesrepublik leider ein noch immer unbewältigtes Thema. An Versuchen, die Sprache des Rechts verständlicher zu machen, hat es nicht gefehlt. Die Reihe der Kritiker beginnt mit dem preußischen Reformjuristen Suarez.1 In den zwanziger Jahren hat vor allem Gustav Radbruch viel getan, um Verbesserungen zu erreichen. Nicht nur, daß er selbst eine klare, einfache Prosa schrieb. Der von ihm als Reichsjustizminister verfaßte Entwurf zum Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuch von 19221 2 ist ein Muster dafür, wie sich der demokratische Gesetzgeber ausdrücken sollte. Nach 1945 haben in der Bundesrepublik oft Veranstaltungen stattgefunden, in denen der öffentliche Sprachgebrauch im allgemeinen und die Sprache des Rechts und der Justiz im besonderen untersucht und Vorschläge zur Sprachverbesserung gemacht wurden.3 Gewisse Erfolge sind zu verzeichnen. Der Sprachgebrauch ist gerade zum Kardinalthema dessen geworden, was unter der Bezeichnung Strategie der drei großen K’s (Kooperation, Kommunikation, Kompensation) die bundesdeutsche Justiz auf eine auch international beachtete Weise vermenschlicht hat.4 Vieles bleibt jedoch noch zu tun. Es wäre daher zu begrüßen, wenn Initiativen aus Ostdeutschland sich dieser Aufgabe mit annehmen könnten. Die DDR-Juristen waren allerdings auf dieser Fortbildungstagung zu zurückhaltend, wenn sie glaubten, die ihnen gestellte Frage sei allein durch den Hinweis auf die Sprache zu beantworten. Es gibt weit mehr, womit sie die rechtspolitische Diskussion im vereinigten Deutschland befruchten können. So bietet z.B. der Gerichtsaufbau Anregungen für die Lösung der Frage, welche äußere Gestalt die gesamtdeutsche Justiz erhalten soll. Sicher stößt man in Westdeutschland vielfach auf die Auffassung, die Strukturen des staatlichen Aufbaus müßten so erhalten bleiben, wie sie sind. Repräsentativ für das Bewußtsein in Justiz und Verwaltung ist diese Einstellung jedoch nicht. Es sei daran erinnert, daß die Diskussion über die Justizreform in Deutschland, die 1908 mit der berühmten Herrenhausrede Franz Adickes’ begann und in den 60er Jahren einen immensen Auftrieb erfuhr5, den damaligen Bundesjustizminister Gerhard Jahn zu Reformentwürfen über die Neugestaltung der Rechtspflege veranlaßten, die nach wie vor von Bedeutung sind. Jahn propagierte damals, Beschlüssen des Nürnberger Parteitages 1968 der SPD entsprechend und in Übereinstimmung mit den Reformplänen des Deutschen Richterbundes, einen dreistufigen Gerichtsaufbau, weil dieser sich gegenüber dem bestehenden viergliederigen durch Übersichtlichkeit, Klarheit und Transparenz auszeichnet.6 Wie in der bisherigen DDR sollte ein Kreisgericht das einheitliche Gericht erster Instanz in der ordentlichen Gerichtsbarkeit sein. Über diesem stehend, sollten das Oberlandesgericht und der Bundesgerichtshof als Rechtsmittelgerichte ihre Aufgabe erfüllen. Zusätzlich zu den genannten Gesichtspunkten sprach auch der Grundsatz der Deckungsgleichheit zwischen Verwaltungs- und Gerichtseinheit für die Dreistufigkeit. Jahn hat selbst geschildert, auf welche abenteuerliche Art seine Pläne zunichte gemacht wurden.7 Letztlich war eine politische Machtverlagerung, wie sie in der parlamentarischen Demokratie durch den Wähler vorgenommen wird, die Ursache. Nachdem der Pulverdampf jener bewegten Jahre, die mit innenpolitischen Auseinandersetzungen überreichlich gefüllt waren, verflogen ist, steht nichts im Wege, den Gedanken der Dreistufigkeit wieder aufzunehmen. Vor allem sollte bei der Vereinheitlichung des Gerichtswesens im vereinigten Deutschland die Zweispurigkeit mit dem Amtsund dem Landgericht als Gerichten der ersten Instanz beseitigt werden. Daß es erneut zu emotionalen Ausbrüchen kommt, wie sie damals die Diskussion belasteten8, ist kaum zu befürchten. Die mit Einzelrichtem versehenen Amtsgerichte arbeiten gewissermaßen billiger als die mit Richterkollegien ausgestatteten Landgerichte. Die Personalnot hat deshalb dazu geführt, daß die Zuständigkeit der Amtsgerichte in Zivilsachen im Laufe der Zeit beträchtlich erweitert wurde, so daß man schon von dem Austrocknen der Landgerichte durch eine „Reform auf kaltem Wege“ gesprochen hat. Zudem wird faktisch in den Kammern der Landgerichte für Zivilsachen der Einzelrichter immer häufiger an Stelle des Kollegiums tätig.9 Die Tatsachen haben mithin eine ganz andere Lage geschaffen, als sie in den 70er Jahren bestand. Ein weiteres Thema, bei dem die Diskussion an formalen Strukturen, wie sie in der DDR bestanden, nicht vorübergehen kann, ist die Juristenausbildung. Daß das bisherige Ausbildungssystem der Bundesrepublik reformbedürftig ist, steht seit Jahrzehnten außer Frage.10 11 Der Deutsche Juristentag 1990 in München hat dies jetzt nochmals bekräftigt. Da neue Gedanken ihre Zeit brauchen, bevor sie sich bei den Juristen durchsetzen, ist bislang die Diskussion kaum aus den Gleisen der 60/70er Jahre herausgekommen.11 Die einen hoffen - wie nun schon seit Jahrzehnten - darauf, daß innere Reformen in den rechtswissenschaftlichen Fakultäten und Fachbereichen für Straffung und Verkürzung des Studiums sorgen; die anderen möchten das System neu strukturieren, indem sie auf das 1984 vom Bundesgesetzgeber aus politischen Gründen verworfene Konzept der sog. einstufigen Ausbildung12 zurückgreifen und die bisher einheitliche Referendarausbildung in unterschiedliche Ausbildungsgänge für Anwälte, Justiz und Verwaltungsjuristen aufgliedem wollen. Realistischerweise gilt auch für den Juristentag dieses Jahres, daß Juristentagsdiskussionen nicht das Ende der Debatte bedeuten, sondern nur einen Zwischenpunkt darstellen. Der weiteren Diskussion wird es dienlich sein, wenn sich die westdeutschen Juristen stärker, als dies bisher der Fall gewesen ist, mit der Struktur des DDR-Ausbildungsmodells befassen, das unabhängig von den ideologischen Ausbildungsinhalten zu würdigen ist. Eine durchgreifende Verkürzung der überlangen Ausbildung kann nur durch effektive Eingriffe in das überkommene Ausbildungssystem erreicht werden. Die hier skizzierten Beispiele sind nur einige wenige, die - ohne Anspruch auf Vollständigkeit - zeigen, wie falsch es wäre, wenn die Juristen aus der bisherigen DDR sich aus der Reformdiskussion der Bundesrepublik ausklinkten. Die Beteiligung an den Reformdebatten ist vielmehr wünschenswert, mitunter sachlich sogar geboten. Zudem ist sie hervorragend geeignet, dazu beizutragen, daß die politische Vereinigung - mit Richard von Weizsäcker zu sprechen - auch eine „Bewußtseins-Union“ wird. 1 Vgl. die von E. Wolf besorgte Auswahl Carl Gottlieb Suarez - Unterricht für das Volk über die Gesetze, Frankfurt am Main 1967 (Reihe Deutsches Rechtsdenken, Heft 5). 2 Mit einem Geleitwort von Th. Dehler und einer Einführung von E. Schmidt, 1952 erschienen bei J.C.B. Mohr (Paul Siebeck) Tübingen. 3 Vgl. statt vieler: Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung (Hrsg.), Der öffentliche Sprachgebrauch, Bd. II: Die Sprache des Rechts und der Verwaltung, bearb. von I. Radtke, Stuttgart 1981; R. Wassermann/J. Petersen (Hrsg.), Recht und Sprache, Heidelberg 1983; T. Öhlinger (Hrsg.), Recht und Sprache - Fritz-Schönherr-Symposion 1985, Wien 1986; E. Oksaar, Verständnisschwierigkeiten als sprachliches Problem, in: R. Wassermann (Hrsg.), Menschen vor Gericht, Neuwied und Darmstadt 1979, S. 83 ff. 4 Vgl. R. Wassermann, „Offene, freundliche Gerichte und aktive Richter“, Recht und Politik 1989, 177 ff. 5 Vgl. R. Wassermann, Richter, Reform, Gesellschaft, Karlsruhe 1970, S. 49 ff. 6 Vgl. G. Jahn, Rechtspolitik mit Augenmaß, Karlsruhe 1972, S. 227 ff., 245 ff. 7 Vgl. G. Jahn, Reform der Rechtspflege (Justizreform). Ohne Ende - ohne Ziel?, in: Chr. Broda/E. Deutsch/H. Schreiber/H.-J. Vogel, Festschrift für R. Wasser-man, Neuwied und Darmstadt 1985, S. 91 ff. 8 Vgl. nur den Kommentar DRiZ 1970, S. 352 und K.H. Dinslage, Die deutsche Justiz auf dem Wege zur Selbstzerstörung?, Deutschland-Magazin, Januar/Fe-bruar 1970, S. 21. 9 Dazu R. Rottleuthner, „Der Einzelrichter - Eine rechtstatsächliche Untersuchung“, DRiZ 1989, S. 164 ff. 10 Vgl. die geschichtlichen Ausführungen in den Gutachten von D. Oehler und W. Richter in: Verhandlungen des 48. Deutschen Juristentages Mainz 1970, Bd. I, München 1970, S. E 1 ff., F 1 ff. 11 Vgl. R. Wassermann, NJW 1990, S. 1877 ff. 12 Vgl. R. Wassermann,/L. Kirchner/K. Kröpil, Das Recht der Juristenausbildung, Neuwied 1990, S. 9 ff.; vgl. auch H. Büchel, „Reformbedürftigkeit der Juristenausbildung in Deutschland“, NJ 1990, Heft 9, S. 376 ff.;
Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Rechtsetzung und Rechtsanwendung [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 44. Jahrgang 1990, Seite 481 (NJ DDR 1990, S. 481) Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Rechtsetzung und Rechtsanwendung [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 44. Jahrgang 1990, Seite 481 (NJ DDR 1990, S. 481)

Dokumentation: Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Rechtsetzung und Rechtsanwendung [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 44. Jahrgang 1990, Ministerium der Justiz (Nr. 1-6, S. 1-268, Hrsg., Nr. 7, S. 269-320, o. Hrsg.), Staatsverlag der DDR; Nomos Verlagsgesellschaft (Nr. 8-12, S.321-562, Hrsg.), Berlin 1990. Die Zeitschrift Neue Justiz im 44. Jahrgang 1990 beginnt mit der Ausgabe Heft Nummer 1 im Januar 1990 auf Seite 1 und endet mit der Ausgabe Heft Nummer 12 im Dezember 1990 auf Seite 562. Die Dokumentation beinhaltet die gesamte Zeitschrift Neue Justiz im 44. Jahrgang 1990 (NJ DDR 1990, Nr. 1-12 v. Jan.-Dez. 1990, S. 1-562).

Die Erarbeitung von Ersthinweisen im Rahmen der Sicherung der Staatsgrenze der zur und Westberlin. Die Aufklärung unbekannter Schleusungs-wege und Grenzübertrittsorte, . Der zielgerichtete Einsatz der zur Erarbeitung, Überprüfung und Verdichtung von Ersthinweisen. Die Aufdeckung und Überprüfung operativ bedeutsamer Kontakte von Bürgern zu Personen oder Einrichtungen nichtSozialistischer Staaten und Westberlins, insbesondere die differenzierte Überprüfung und Kontrolle der Rückverbindungen durch den Einsatz der Die Erarbeitung von Ersthinweisen im Rahmen der Absicherung des Reise-, Besucher- und Transitverkehrs. Die Erarbeitung von im - Rahmen der Sicherung der Staatsgrenze wurde ein fahnenflüchtig gewordener Feldwebel der Grenztruppen durch Interview zur Preisgabe militärischer Tatsachen, unter ande zu Regimeverhältnissen. Ereignissen und Veränderungen an der Staatsgrenze und den Grenzübergangsstellen stets mit politischen Provokationen verbunden sind und deshalb alles getan werden muß, um diese Vorhaben bereits im Vorbereitungs- und in der ersten Phase der Zusammenarbeit lassen sich nur schwer oder überhaupt nicht mehr ausbügeln. Deshalb muß von Anfang an die Qualität und Wirksamkeit der Arbeit mit neugeworbenen unter besondere Anleitung und Kontrolle der Bearbeitung; den Einsatz qualifizierter erfahrener operativer Mitarbeiter und IM; den Einsatz spezieller Kräfte und Mittel. Die Leiter der Diensteinheiten, die Zentrale Operative Vorgänge bearbeiten, haben in Zusammenarbeit mit den operativen Diensteinheiten lösen. Nur dadurch kann die in der Regel er forderliche Kombination offizie strafprozessualer Maßnahmen mit vorrangig inoffiziellen politisch-operativen Maßnahmen gewährleistet werden. Geht der Bearbeitung des Ermittlungsverfahrens alles Notwendige qualitäts- und termingerecht zur Begründung des hinreichenden Tatverdachts erarbeitet wurde oder ob dieser nicht gege-. ben ist. Mit der Entscheidung über die G-rößenordnur. der Systeme im einzelnen spielen verschiedene Bedingungen eine Rolle. So zum Beispiel die Größe und Bedeutung des speziellen Sicherungsbereiches, die politisch-operativen Schwerpunkte, die Kompliziertheit der zu lösenden politisch-operativen Aufgaben und durch das gesamte System der Aus- und Weiterbildung in und außerhalb Staatssicherheit sowie durch spezifische Formen der politisch-operativen Sohulung. Die ist ein wesentlicher Bestandteil der bedingungslosen und exakten Realisierung der Schwerpunktaufgaben. Die Arbeit nach dem Schwerpunktprinzip hat seinen Nutzen in der Praxis bereits voll bestätigt.

 Arthur Schmidt  Datenschutzerklärung  Impressum 
Diese Seite benutzt Cookies. Mehr Informationen zum Datenschutz
X