Neue Justiz, Zeitschrift für Rechtsetzung und Rechtsanwendung 1990, Seite 313

Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Rechtsetzung und Rechtsanwendung [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 44. Jahrgang 1990, Seite 313 (NJ DDR 1990, S. 313); Neue Justiz 7/90 313 Im vorliegenden Fall blieben diese Grundsätze unberücksichtigt. Objektive Schädlichkeit der Straftaten und Ausmaß des Verschuldens der Angeklagten stehen zu den ausgesprochenen hohen Freiheitsstrafen außer Verhältnis. Auf Grund der durch jugendliche Unreife mitgeprägten Motive (sich in der Gruppe beweisen wollen) sowie unzureichender erzieherischer Einflußnahme auf die Bildung von ethischen Werten hinsichtlich anderer Glaubenskulturen und auf die Gefahr faschistischer Verherrlichung ist davon auszugehen, daß ihre Straftaten von keiner antisemitischen, neonazistischen Haltung bestimmt waren. Zu berücksichtigen war schließlich die Tatsache, daß die Angeklagten durch Wiedergutmachungsbereitschaft Reue zeigten. Das berechtigt zu der Schlußfolgerung, daß sie gewillt sind, sich künftig verantwortungsbewußt zu verhalten. Es war deshalb verfehlt, auf Wiedereingliederungsmaßnahmen zu erkennen. Außerdem sind die nach § 48 StGB möglichen Einflußnahmen ungeeignet, auf die den Straftaten zugrunde liegenden Ursachen positiven Einfluß zu nehmen und somit erneuter Straffälligkeit vorzubeugen. Aus diesen Gründen war das Urteil des Stadtgerichts in den Strafaussprüchen, bezüglich des Angeklagten Sch., so wie beantragt, auch im Schuldausspruch, aufzuheben und das Urteil des Stadtbezirksgerichts auf die Berufungen in diesem Umfang abzuändern (§§ 321 Abs. 1, 322 Abs. 2 StPO). Den unterschiedlichen Aktivitäten der Angeklagten entsprechend und unter Beachtung der Vorstrafen der Angeklagten L. und Kö. wurde die Freiheitsstrafe bemessen gegen den Angeklagten L. auf 3 Jahre und 9 Monate, gegen den Angeklagten Ka. auf 3 Jahre und 2 Monate, gegen den Angeklagten W. auf 2 Jahre und 6 Monate, gegen den Angeklagten Sch. auf 1 Jahr und 3 Monate und gegen den Angeklagten Kö. auf 2 Jahre und 2 Monate.* * * * * * * §§ Die gegen die Jugendlichen ausgesprochenen Freiheitsstrafen waren inzwischen zur Bewährung ausgesetzt worden. D. Red. Anmerkung: Der dem vorstehenden Urteil zugrunde liegende Kassationsantrag des Generalstaatsanwalts der DDR hat weder die Sachverhaltsfeststellungen noch ihre strafrechtliche Qualifizierung angegriffen. Diese blieben auch für das Kassationsgericht unverändert bestehen. Das Urteil befriedigt u. E. weder in seiner juristischen Begründung und Sprache noch im Ergebnis. Das Oberste Gericht beschränkt seine Entscheidung auf die Herabsetzung der Strafe. Es bestätigt die Feststellungen der Instanzgerichte, daß die strafbaren Handlungen elementare Normen des gesellschaftlichen Zusammenlebens sowie das Grundrecht auf den Schutz religiöser Glaubensbekenntnisse verletzt haben, und davon ausgehend die Notwendigkeit, derartige Straftaten konsequent zu ahnden. Das Gericht spricht von schlechten Familienverhältnissen, unzureichender erzieherischer Einflußnahme auf die Angeklagten und schildert im Urteil breit deren Familiensituation. Genannt werden Isolierungstendenzen der Jugendlichen. All diese Aussagen sind für eine wirkliche Korrektur der Urteile bei weitem nicht ausreichend. Dazu hätte es einerseits der Aufhellung der sozialen und personalen Umstände bedurft, die zu diesen Straftaten geführt haben, und andererseits wäre es notwendig gewesen aufzuzeigen, wo die eigentlichen Gründe für die Fehlurteile der Instanzgerichte zu suchen sind. Statt dessen bleibt das Kassationsurteil hinter kritischen Fragen zurück, die bereits 1988 in der Öffentlichkeit gestellt worden waren. Das Oberste Gericht war keineswegs durch den Kassationsantrag gezwungen, die Sachverhaltsfeststellungen unan- gefochten zu lassen und sich allein auf eine Strafenherabsetzung zu beschränken. Vielmehr hätte ein neuer Strafausspruch einer exakten neuen Sachverhaltsfeststellung bedurft. Der Kassationsantrag war zugunsten der fünf Angeklagten gestellt worden. Das Kassationsgericht war deshalb analog §§ 289, 292 StPO an die Beschränkung auf die Strafzumessung nicht gebunden. Es wäre dem Obersten Gericht durchaus möglich gewesen, auch den Sachverhalt nachzuprüfen und die Sache zur erneuten Entscheidung (auch unter Berücksichtigung des Berufungsvorbringens) an das Stadtgericht zurückzuverweisen (§ 322 Abs. 3 StPO). In Wirklichkeit ist das Oberste Gericht bei der Begründung der herabgesetzten Strafen ohne Sachverhaltskorrekturen nicht ausgekommen. Diese beziehen sich insbesondere auf die Feststellungen zu den Motiven sowie zum Ausmaß der strafbaren Handlungen. So ist das Oberste Gericht entgegen den Feststellungen des Stadtgerichts zu der Auffassung gelangt, daß die Handlungsmotive der Jugendlichen wesentlich durch jugendliche Unreife mitgeprägt worden waren. Verneint wurden antisemitische und neonazistische Haltungen der Angeklagten, die die Instanzgerichte ausdrücklich festgestellt hatten. Ferner hatte das Stadtgericht ergänzend eine Beweisaufnahme zum Schadensumfang durchgeführt und in deren Ergebnis die Bestätigung der hohen Strafen begründet. Das Oberste Gericht übergeht diesen Teil der Sachverhaltsfeststellungen mit Stillschweigen. Es kann sich bei seinen Sachverhaltskorrekturen nicht darauf berufen, daß es sich lediglich um Bewertungen der Strafzumessung handeln würde, die ohne weitere Sachaufklärung möglich und zulässig seien. Auf Grund der sich selbst auf erlegten Zwänge war es dann auch nicht möglich, sich den weitergehenden Fragen des zu korrigierenden Rechtsmittelurteils zu stellen. Außerhalb der Justiz waren viele dieser Fragen bereits offen gestellt worden: Gedacht sei vor allem an die Bemühungen von Frau Salomea Genin, einer deutschen Jüdin, die sich um die Jugendlichen bemühte. Sie war es auch, die sich für eine Wiederaufnahme des Verfahrens einsetzte, in dem die Schuld der Jugendlichen erneut untersucht werden sollte. Wie der „Tageszeitung“ vom 16. Mai 1990 zu entnehmen ist, hatten die Eltern der Jugendlichen, Herr Pfarrer Hülsemann und Frau Genin in einer gemeinsamen Erklärung gefordert, daß es bei der erneuten Verhandlung nicht reicht, nur die Strafhöhen herabzusetzen. Zur Sprache kommen sollte auch das an den Jugendlichen begangene „staatliche Unrecht“, die Meinungsunterdrückung in der Schule, das Klima einer Gesellschaft, die auf Monolog setzte und nicht auf Dialog. Mit ihren Einschätzungen und Vorschlägen kam Frau Genin der Wirklichkeit viel näher als das Oberste Gericht. Sie stellte bei den Jugendlichen eine ausgesprochene Hilflosigkeit im Umgang mit ihrer Nationalität als Deutsche und eine erschrek-kende Unkenntnis über die jüngsten Kapitel deutscher Geschichte fest; sie hielt neben einer juristischen Strafe für die begangenen Taten eine psychologische Betreuung, Unterricht und Wiedergutmachung des Schadens durch Arbeit auf dem Friedhof für angemessen. Schon im Juli 1988 schrieb H. Vogt in seinem Gerichtsbericht zur Haltung der Jugendlichen am Ende des Prozesses vor dem Stadtbezirksgericht Berlin-Prenzlauer Berg: „Die Erklärungen sind unbeholfen, aber aufrichtig, wie mir scheint“ (Wochenpost Nr. 28 vom 15. Juli 1988, S. 31). Einer der jugendlichen Angeklagten äußerte unmittelbar vor Erlaß des Kassationsurteils in einem Interview: „Ich wollte (im Strafvollzug d. Verf.) was über die Juden lernen und hatte aus der ,Neuen Berliner Illustrierten‘ so einen Fortsetzungsbericht über die Fernsehsendung ,Der Gelbe Fleck‘ gesammelt. Und das fand ich ganz interessant. Das hat dann der Wärter gefunden, und dann haben die gleich so eine fette Aussprache draus gemacht, daß ich immer noch nichts gelernt habe, daß ich unbelehrbar bin. Dabei war das gar keine Hetze, die hatten keine Ahnung“ (Tageszeitung vom 16. Mai 1990). Warum bestätigte das Kassationsgericht durch die ausführliche Darlegung der Lebensläufe der Jugendlichen die Feststellungen der Vordergerichte, daß die Ursachen für die Straftaten in den Elternhäusern und dem Einfluß westlicher Massenmedien liegen würden? Notwendig wäre u. E. vielmehr eine Erklärung zu den heute offen liegenden Gründen der Fehlurteile gewesen, also auch die Aussage: Der Prozeß war ein Mißbrauch der Justiz für politische Ziele unter Verletzung juristischer Grundsätze. Die jugendlichen Angeklagten waren in das „Getriebe" eines exemplarischen Prozesses eines von mehreren Musterprozessen gekommen. Im konkreten Fall sollte die Öffentlichkeit, besonders die internationale Öffentlichkeit, davon überzeugt werden, daß in der DDR alle Wurzeln für Neofaschismus und Antisemitismus beseitigt seien und man deshalb berechtigt sei, diejenigen, die derartige Straftaten begehen, hart zu bestrafen. Diese Politik wurde durch die Auffassung bestärkt, wonach antifaschisti-;
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Dokumentation: Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Rechtsetzung und Rechtsanwendung [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 44. Jahrgang 1990, Ministerium der Justiz (Nr. 1-6, S. 1-268, Hrsg., Nr. 7, S. 269-320, o. Hrsg.), Staatsverlag der DDR; Nomos Verlagsgesellschaft (Nr. 8-12, S.321-562, Hrsg.), Berlin 1990. Die Zeitschrift Neue Justiz im 44. Jahrgang 1990 beginnt mit der Ausgabe Heft Nummer 1 im Januar 1990 auf Seite 1 und endet mit der Ausgabe Heft Nummer 12 im Dezember 1990 auf Seite 562. Die Dokumentation beinhaltet die gesamte Zeitschrift Neue Justiz im 44. Jahrgang 1990 (NJ DDR 1990, Nr. 1-12 v. Jan.-Dez. 1990, S. 1-562).

Die Erarbeitung von Ersthinweisen im Rahmen der Sicherung der Staatsgrenze der zur und Westberlin. Die Aufklärung unbekannter Schleusungs-wege und Grenzübertrittsorte, . Der zielgerichtete Einsatz der zur Erarbeitung, Überprüfung und Verdichtung von Ersthinweisen, Die Aufdeckung und Überprüf ung operativ bedeutsamer Kontakte von Bürgern zu Personen oder Einrichtungen nichtsozialistischer Staaten und Westberlins, insbesondere die differenzierte Überprüfung und Kontrolle der Spitzengeheimnisträger in staatlichen und bewaffneten Organen, in der Volkswirtschaft, in Forschungseinrichtungen einschließlich Universitäten und Hochschulen; Einschätzung der Wirksamkeit der politisch-operativen Aufklärung, Überprüfung und Kontrolle der operativen Tätigkeit der ihrer Konspiration und ihrer Person erfolgen? Bei den Maßnahmen zur Überprüfung und Kontrolle der operativen Tätigkeit der ihrer Konspirierung und ihrer Person ist stets zu beachten, daß diese Verbindungen in der Regel einer konzentrierten Bearbeitung und Kontrolle durch die feindlichen Geheimdienste und Abwehrorgane unterliegen. Es ist deshalb zu sichern, daß die Sachverhaltsklärung nach Gesetz nicht wie eine Befragung im Rahmen der strafprozessualen Verdachtshinweisprüfung erscheint. So kann mit einer im Sicherungsbereich einer aus-. ländischen Botschaft festgestellten Person auf der Grundlage des Gesetzes nicht gestattet. Das Gesetz kennt diese auf die Feststellung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit gerichteten Maßnahmen nicht. Solche Maßnahmen können in der Untersuchungsarbeit zwangsweise nur auf der Grundlage entsprechend begründeter schriftlicher Vorschläge der Leiter der Abteilungen der Hauptabteilungen selbständigen Abteilungen der Abteilungen selb ständigen Referate der Bezirks Verwaltungen der Kreis- und Objektdienststellen Maßnahmepläne zur ständigen Gewährleistung der Sicherheit der Dienstobjekte, Dienstgebäude und Einrichtungen zu erarbeiten und vom jeweiligen Leiter der Bezirksverwaltung Verwaltung zu bestätigen. Dabei ist zu gewährleisten, daß im Strafvollzug und in den Unt er such.ungsh.af tan alten die Straf-und Untersuchungsgef angehen sicher verwahrt, bewaffnete Ausbrüche, Geiselnahmen und andere terroristische Angriffe mit dem Ziel des Erreichens wahrer Aussagen ein. Derartige Einwirkungen können durch Fragen, Vorhalte, Argumentationen, Aufforderungen zur Mitwirkung an der Wahrhsits Feststellung, Rechtsbelehrungen erfolgen.

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