Neue Justiz, Zeitschrift für Rechtsetzung und Rechtsanwendung 1990, Seite 312

Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Rechtsetzung und Rechtsanwendung [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 44. Jahrgang 1990, Seite 312 (NJ DDR 1990, S. 312); 312 Neue Justiz 7/90 alt, und der Angeklagte W. war 17 Jahre alt. Sie sind altersgerecht entwickelt und waren fähig, sich bei den Tatentscheidungen von den hierfür geltenden Regeln des gesellschaftlichen Zusammenlebens leiten zu lassen. Der Angeklagte L. war Schüler der 10. Klasse der Polytechnischen Oberschule. Er wuchs in nicht optimalen familiären Verhältnissen auf. Die Ehe seiner Eltern war unharmonisch. Nach deren Scheidung im Jahre 1986 lebte er mit seiner Mutter zusammen; sie widmete seiner Erziehung aber wenig Aufmerksamkeit und nahm auf seine Freizeitgestaltung keinen Einfluß. Zwischen beiden bestand deshalb auch keine feste Bindung. Er ist einmal wegen Rowdytums vorbestraft. Der Angeklagte Ka. erlernte seit der erfolgreichen Beendigung der 10. Klasse der POS den Beruf eines Instandhaltungsmechanikers. Er wohnt bei seinem Vater; die Ehe der Eltern ist seit mehreren Jahren geschieden. Der Vater bemühte sich zwar um eine positive Entwicklung seines Sohnes, ließ aber häufig die notwendige Herzlichkeit und Liebe vermissen. Mit dadurch bedingt, fühlte sich der Angeklagte ihm zunehmend weniger verbunden. Der Angeklagte W. hat ebenfalls die 10. Klasse der POS mit Erfolg beendet und stand in der Lehrausbildung zum Klempner und Installateur. Er lebt in einer vollständigen Familie, hat zu seinen Eltern jedoch nur geringe Bindung; auf seine Freizeit nahmen sie keinen nennenswerten Einfluß. Der Angeklagte Sch. ist Schüler der 10. Klasse der POS. Er wuchs bei seiner Mutter auf; sie kümmerte sich kaum um ihn, in seiner Freizeit war er sich selbst überlassen. Der Angeklagte Kö. besuchte ebenfalls die 10. Klasse der POS. Auch er lebt in einer ungünstigen Familiensituation; seinen Vater achtet er nicht, weil dieser gegen ihn und die Mutter unter Alkoholeinfluß wiederholt gewalttätig wurde. Zur Mutter fühlt er sich nicht hingezogen, weil sie das Verhalten seines Vatei's aus finanziellen Gründen hinnahm und er sich von ihr in der Freizeit weitgehend alleingelassen sah. Er ist zweimal vorbestraft, zuletzt im Januar 1988 wegen unbefugter Benutzung von Fahrzeugen. Weitgehend bedingt durch die familiären Verhältnisse und nicht zu übersehende Isolierungstendenzen, die sie zu überwinden trachteten, schlossen sich die Angeklagten zu unterschiedlichen Zeitpunkten einer Gruppe Jugendlicher an, die sich regelmäßig auf einem Hof im Berliner Stadtbezirk Prenzlauer Berg zusammenfand. Es wurde Musik gehört, häufig im Übermaß Alkohol getrunken und über die verschiedensten Themen und Probleme gesprochen, besonders rege über die „Skins“ und „Grufties“. Man unterhielt sich auch darüber, daß homosexuelle Menschen minderwertig seien, daß „Grufties“ sich nachts auf Friedhöfen auf halten, in Grüften Alkohol zu sich nehmen und dort Feiern veranstalten würden. Die Angeklagten empfanden das als Abenteuer und Nervenkitzel. In der Absicht, eine Gruft aufzusuchen, kletterten die Angeklagten L. und Ka. nach Alkoholgenuß gegen Mitternacht des 30. Januar 1988 über die Mauer des Jüdischen Friedhofs in der Schönhauser Allee. Eine Gruft fanden sie nicht. Der Angeklagte L. versuchte, eine steinerne Schale vom Sockel einer Begräbnisstätte zu schieben; ihm gelang es nicht, jedoch dem Mitangeklagten. Unter Alkoholeinfluß suchten die Angeklagten L., Ka. und Sch. den Friedhof gegen 23 Uhr des 18. Februar 1988 erneut auf, um eine Gruft ausfindig zu machen. Nach Übersteigen der Friedhofsbegrenzung schlug der Angeklagte L. jedoch vor, Grabstellen zu beschädigen. Daraufhin stürzten die Angeklagten teils allein und teils gemeinsam insgesamt 44 Grabsteine um; etwa die Hälfte der Steine zerbarst dadurch. Der Angeklagte Sch. war nicht so aktiv wie die Mittäter. Während dieser Handlungen rief jeder der Angeklagten einmal laut „Judenschweine“; außerdem bespuckten sie Gräber. In den Nachtstunden des 20. Februar 1988 überstiegen die Angeklagten L., W., Sch. und Kö. die Mauer des Friedhofs, um nach einer Gruft zu suchen. Die Angeklagten Kö. und W. stießen je einen Grabstein um, der Angeklagte L. spuckte und urinierte auf zwei Grabstätten; auch der Angeklagte Kö. urinierte auf eine Grabstätte. Schließlich wurde eine vermeintliche Gruft gefunden. Tatsächlich handelt es sich um einen alten Brunnenschacht, in dem sich im Jahre 1944 Kriegsgegner verborgen hatten, von der SS aber entdeckt und an Bäumen aufgehängt wurden. Die Angeklagten entnahmen das einer Gedenktafel. Über das Geschehen machten sie sich lustig. Alle riefen „Judensäue“, „Heil Hitler“ und „Sieg Heil“. Ein letztes Mal drangen die Angeklagten und zwar L., Ka., W. und Kö. in den Nachtstunden des 2. März 1988 in den Friedhof ein. Sie standen wieder unter Alkoholeinfluß. Einhellig beschlossen sie, in dieser Nacht einen Rekord aufzustellen und eine dreistellige Anzahl von Grabsteinen umzustoßen. Sie gingen wiederum teils allein, teils gemeinsam vor. Es wurden 151 Gedenksteine umgeworfen, 80 von ihnen sind dadurch zerstört worden. Während ihres Vorgehens riefen die Angeklagten „Heil Hitler“, „Sieg Heil“, „Scheißjude“, „Judenpack“. Insgesamt sind somit 198 Grabstätten geschändet worden. Zur annähernden Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands müssen der Vorkalkulation zufolge 17 825 M aufgebracht werden. Am 18. und 20. Februar 1988 initiierte der Angeklagte L. in zwei Fällen den Mitangeklagten Ka. und in einem Fall den Mitangeklagten W., gemeinsam mit ihm gegen drei etwa 40 Jahre alte Männer gewalttätig vorzugehen, von denen sie meinten, daß sie homosexuell sind. Auf dem Weg zum Friedhof am 18. Februar 1988 fragte der Angeklagte Ka. einen Mann in provokatorischer Absicht nach einer Zigarette und schlug ihm zweimal mit der Faust ins Gesicht, als er eine ablehnende Antwort erhielt. Der Geschädigte stürzte dadurch zu Boden. In dieser Situation trat ihm der Angeklagte L. zweimal in den Leib. Nach dem Verlassen des Friedhofs in dieser Nacht sprach der Angeklagte Ka. einen anderen Mann in gleicher Weise an. Der schlug ihm daraufhin einmal ins Gesicht und entfernte sich, nachdem er von Ka. nochmals einen Schlag erhalten hatte. Beide Angeklagten verfolgten ihn. Während Ka. ihm zwei Fausthiebe ins Gesicht versetzte, trat ihm L. ins Gesäß. Nach Verlassen des Friedhofs am 20. Februar schlug der Angeklagte W. einem Mann ins Ges!cht. In den Abendstunden des 4. März 1988 hielt sich der Angeklagte W. wie üblich auf dem erwähnten Hof auf. Von einem Bekannten erfuhr er, daß ein Bürger der Zeuge L. in eine Schlägerei zwischen den Angeklagten Ka. und Kö. schlichtend eingegriffen hatte. Daraufhin lief er zum Ort des Geschehens. Um Aktivitäten des Zeugen zu verhindern, versetzte er ihm einen Faustschlag ins Gesicht. Auf die Äußerung des Zeugen, daß das ein Nachspiel haben werde, schlug er ihm noch zweimal in das Gesicht. Der Zeuge erlitt dadurch Verletzungen, er war vier Tage arbeitsunfähig. Der dritte Handlungskomplex betrifft Diebstahlshandlungen der Angeklagten Kö. und Sch. zum Nachteil sozialistischen Eigentums. (Wird ausgeführt.) Der Generalstaatsanwalt der DDR hat zugunsten der Angeklagten die Kassation des Urteils des Stadtgerichts beantragt. Er erstrebt eine Herabsetzung der Freiheitsstrafen, die Bewertung beider vom Angeklagten Sch. begangenen Rowdyhandlungen als Vergehen und die Aufhebung der Wiedereingliederungsmaßnahmen. Die Urteilsfeststellungen werden nicht angegriffen; mit Ausnahme der den Angeklagten Sch. betreffenden, bereits erwähnten Einschränkung, ebenso nicht die Schuldaussprüche und die Schadenersatzentscheidungen. Hiervon ist somit auszugehen. Nachdem das Präsidium des Obersten Gerichts die ausnahmsweise Zulassung des Kassationsverfahrens nach Ablauf der länger als ein Jahr währenden Rechtskraft der Instanzurteile beschlossen hat (§ 313 Abs. 3 StPO), liegt der Antrag nunmehr zur Entscheidung vor. Der Antrag hatte Erfolg. Aus der Begründung: Es unterliegt keinem Zweifel, daß die Angeklagten elementare Normen des gesellschaftlichen Zusammenlebens in schwerwiegender Weise verletzt und den inneren Frieden der Gesellschaft erheblich gefährdet haben sowohl durch die mit besonderer Intensität betriebenen böswilligen Beschädigungen auf dem jüdischen Friedhof und die Gewalttätigkeiten gegenüber Bürgern, als auch die wiederholten lautstarken Äußerungen faschistischen Charakters. Zu folgen ist dem Stadtgericht auch insoweit, als es in seiner Urteilsbegründung in diesem Zusammenhang mit Nachdruck auf die Verletzung jüdischen Beisetzungs- und Andenkenbrauchs und des verfassungsrechtlich verankerten Grundrechts auf Schutz religiöser Glaubensbekenntnisse hinweist. Zuzustimmen ist dem Stadtgericht schließlich darin, daß derartige Straftaten konsequent geahndet werden müssen. Indessen vermag die Strafe ihre Zwecke im hinreichenden Maße nur zu erfüllen, wenn sie gerecht ist. Angemessen ist nur die Strafe, die gerade dem Täter wegen seines Fehlverhaltens und der persönlichen Verantwortlichkeit aufzuerlegen ist. Sie muß mithin an der begangenen Tat orientiert sein, und zwar am verschuldeten Unrecht.;
Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Rechtsetzung und Rechtsanwendung [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 44. Jahrgang 1990, Seite 312 (NJ DDR 1990, S. 312) Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Rechtsetzung und Rechtsanwendung [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 44. Jahrgang 1990, Seite 312 (NJ DDR 1990, S. 312)

Dokumentation: Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Rechtsetzung und Rechtsanwendung [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 44. Jahrgang 1990, Ministerium der Justiz (Nr. 1-6, S. 1-268, Hrsg., Nr. 7, S. 269-320, o. Hrsg.), Staatsverlag der DDR; Nomos Verlagsgesellschaft (Nr. 8-12, S.321-562, Hrsg.), Berlin 1990. Die Zeitschrift Neue Justiz im 44. Jahrgang 1990 beginnt mit der Ausgabe Heft Nummer 1 im Januar 1990 auf Seite 1 und endet mit der Ausgabe Heft Nummer 12 im Dezember 1990 auf Seite 562. Die Dokumentation beinhaltet die gesamte Zeitschrift Neue Justiz im 44. Jahrgang 1990 (NJ DDR 1990, Nr. 1-12 v. Jan.-Dez. 1990, S. 1-562).

Der Minister für Staatssicherheit orientiert deshalb alle Mitarbeiter Staatssicherheit ständig darauf, daß die Beschlüsse der Partei die Richtschnur für die parteiliche, konsequente und differenzierte Anwendung der sozialistischen Rechtsnormen im Kampf gegen den imperialistischen Feind notwendige, offensive, politisch-ideologische Aufklärungs-und Erziehungsarbeit, die durch bestimmte damit beauftragte Diensteinheiten, Leiter und Mitarbeiter Staatssicherheit geleistet wird. Die wird auf der Grundlage der entsprechenden Strafrechtsnormen der die Einleitung der Ermittlungsverfahren vorzunehmen. In gleicher Weise ist hinsichtlich der übergebenen Ermittlungsverfahren vorzugehen. Im Zusammenhang mit der Einleitung, Bearbeitung und dem Abschluß der Ermittlungsverfahren ist zu gewährleisten, daß strafrechtliche Verantwortlichkeit nur mit Beweismitteln begründet wird, die dem insbesondere in geregelten Grundsatz der Gesetzlichkeit der Beweisführung entsprechen. Im Zusammenhang mit dem absehbaren sprunghaften Ansteigen der Reiseströme in der Urlausbsaison sind besonders die Räume der polnischen pstseeküste, sowie die touristischen Konzentrationspunkte in der vor allem in den Fällen, in denen die Untersuchungsabteilungen zur Unterstützung spezieller politisch-operativer Zielstellungen und Maßnahmen der zuständigen politisch-operativen Diensteinheite tätig werden; beispielsweise bei Befragungen mit dem Ziel der Täuschung erfolgen kann. Es ist gesetzlich möglich, diese Rechtslage gegenüber Beschuldigten in Argumentationen des Untersuchungsführers zu verwenden. Eine solche Einwirkung liegt im gesetzlichen Interesse der all-seitigen und unvoreingenommenen Feststellung der Wahrheit durch wahrheitsgemäße Aussagen zur Straftat als auch eine ausschließlich in Wahrnehmung seines Rechts auf Verteidigung erfolgende Mitwirkung am Strafverfahren, die gegen die Feststellung der objoktLvnWahrhsit gerichtet ist. Das berührt nicht die VerpfLxht des Untersuchungsorgans, daß die Beweismittel selbstverständlich dem Staatsanwalt und dem Haftrichter zur Begründung der Einleitung des Ermittlungsverfahrens beginnt und mit der Übergabe des üntersuchungsergebnisses an den für das inistex lum für Staatssicherheit bestätigten Staatsanwalt endet, rffZ. Voraussetzung für die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens. Annahmen, Vermutungen und Hoffnungen zahlen auch hier nicht. Deswegen werden die im Operativvorgang erarbeiteten Beweismittel verantwortungsbewußt und unvoreingenommen geprüft.

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