Neue Justiz, Zeitschrift für Rechtsetzung und Rechtsanwendung 1990, Seite 311

Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Rechtsetzung und Rechtsanwendung [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 44. Jahrgang 1990, Seite 311 (NJ DDR 1990, S. 311); Neue Justiz 7/90 311 Rechtsprechung Strafrecht Art. 9 der Verfassung der DDR vom 7. Oktober 1949; § 19 StEG vom 11. Dezember 1957. Der Tatbestand der staatsgefährdenden Hetze gemäß § 19 StEG ist weder in objektiver noch in subjektiver Hinsicht erfüllt, wenn ein Bürger im Rahmen des Grundrechts der freien Meinungsäußerung auf einer Schuiungsveranstaltung Hemmnisse und Probleme der gesellschaftlichen Entwicklung benennt, um sie zur Diskussion zu stellen. OG, Urteil des Präsidiums vom 6. Juni 1990 Pr OSK 8 90. Das Bezirksgericht Neubrandenburg verurteilte Udo Gern-b a 11 a * am 3. November 1958 wegen staatsgefährdender Hetze gemäß § 19 StEG zu einer Gefängnisstrafe von einem Jahr und sechs Monaten. Die dagegen eingelegte Berufung wurde vom Obersten Gericht als offensichtlich unbegründet zurückgewiesen. Die Entscheidungen der Instanzgerichte beruhen auf folgenden wesentlichen Feststellungen: Der damalige Angeklagte war bis zu seiner Inhaftierung Richter am Kreisgericht T. Da er in der Landwirtschaft aufgewachsen war, brachte er der Umgestaltung auf dem Lande und damit verbundenen rechtlichen Problemen großes Interesse entgegen. Anläßlich einer Schulung Ende 1956 hielt er vor 10 bis 12 Angehörigen des Rates des Kreises T. eine Lektion zum Thema „Die Bedeutung der Rolle des Rechts und der Gesetzlichkeit bei der Festigung unseres Arbeiter-und-Bauern-Staates“. Hierzu hatte er eine schriftliche Rededisposition angefertigt. Bei seinem Vortrag verzichtete er auf allgemeine rechtstheoretische Erörterungen und widmete sich ausführlich den Hemmnissen und Problemen bei der Umgestaltung der Landwirtschaft. In diesem Zusammenhang trug er in Verbindung mit Beispielen aus der Landwirtschaft u. a. vor, daß viele Staatsfunktionäre sich noch oft über die Rechtsnormen hinwegsetzten und so dem Sozialismus einen ungeheuren Schaden zufügten; diese Funktionäre zwar konsequent auf die Erfüllung der den Bürgern auferlegten Verpflichtungen achteten, sie jedoch bei der Durchsetzung ihrer Rechte nur zurückhaltend unterstützten; hierzu führte er Beispiele aus dem eigenen Lebensbereich an; viele Gesetze dem Staatsfunktionär große Ermessensfreiheit gäben, die dann mißbraucht werde. Beispielsweise würden bei Untersuchungsverfahren des MfS die Angehörigen eines Verhafteten über diese Tatsache erst nach einem Vierteljahr und später benachrichtigt, weil angeblich ansonsten der Zweck der Untersuchung gefährdet sei. Dies habe dem RIAS viele Agenten verschafft, weil die Angehörigen Verbindungen zum „Untersudlungsausschuß freiheitlicher Juristen“ auf genommen hätten; die Bevölkerung nicht das Gefühl haben dürfe, der Staatsmacht auf Gedeih und Verderb ausgeliefert zu sein; Parteilichkeit nicht Verletzung des Grundsatzes der Gleichheit der Bürger vor dem Gesetz bedeuten könne. Nach seinen Erfahrungen würden sich viele Funktionäre beeinflussen und sich noch zu sehr vom Gefühl, weniger vom Verstand leiten lassen. Der Präsident des Obersten Gerichts hat mit der Rüge fehlerhafter Anwendung des § 19 StEG die Kassation der Entscheidungen der Instanzgerichte mit dem Ziel beantragt, Udo Gemballa freizusprechen. Das Präsidium des Obersten Gerichts hat gemäß § 313 Abs. 3 StPO das Kassationsverfahren nach Ablauf der einjährigen Kassationsfrist für zulässig erklärt. Der Kassationsantrag ist begründet. Begründung: Die Auffassung des Bezirksgerichts, die Äußerungen von Herrn Gemballa würden sich bei zusammenhängender Betrachtungsweise insgesamt als staatsgefährdende Propaganda und Hetze darstellen, hält einer rechtlichen Prüfung nicht stand, und zwar weder nach § 19 Strafrechtsergänzungsgesetz (StEG) vom 11. Dezember 1957 noch nach Art. 6 der Verfassung der DDR vom 7. Oktober 1949. Die Äußerungen vor den Staatsfunktionären des Rates des Kreises T. haben objektiv nicht den vom Gesetz vorausge- setzten hetzerischen Inhalt. Vielmehr stellen sie sich als Diskussionsangebote in einer Schulungsveranstaltung dar, die durch das Grundrecht der freien Meinungsäußerung nach Art. 9 der Verfassung vom 7. Oktober 1949 garantiert waren. Demzufolge ist auch die in subjektiver Hinsicht vom Tatbestand vorausgesetzte hetzerische Zielstellung nicht gegeben. Das erstinstanzliche Gericht hat das Vorliegen dieser Zielstellung aus der persönlichen Entwicklung von Herrn Gemballa unterstellt. Ein solches Vorgehen ist mit rechtsstaatlichen Grundsätzen unvereinbar. Auch die mit der Einleitung des Ermittlungsverfahrens bzw. mit dem Erlaß des Haftbefehls Herrn Gemballa zur Last gelegte Rechtsbeugung, auf die auch in der Urteilsbegründung eingegangen wird, ist unbegründet. Der Rechtsmittelsenat durfte aus diesen Gründen die Berufung nicht als offensichtlich unbegründet verwerfen, sondern hätte das Urteil erster Instanz abändem und freisprechen müssen. Dies hatte nunmehr aus den dargelegten Gründen durch das Präsidium des Obersten Gerichts in Übereinstimmung mit der Auffassung des Vertreters des Generalstaatsanwalts der DDR zu geschehen. Auf die Auseinandersetzung mit den fehlerhaften Rechtsauffassungen der Instanzgerichte (Anwendung von § 19 Abs. 1 oder 2 StEG; Vorliegen eines Vergehens oder Verbrechens; Auseinandersetzung darüber, welches Strafgesetz zum Zeitpunkt der Urteilsfindung das mildere war) konnte deshalb verzichtet werden. Über die Umstände des damaligen Strafverfahrens gegen U. Gemballa berichtete die „Neue Justiz“ in dem Beitrag „Als Richter politisch nicht tragbar" (NJ 1990, Heft 4, S. 145 f.). §§ 215 Abs. 1, 216 Abs. 1 Ziff. 1, 220 Abs. 3 StGB. Zur Strafzumessung bei Rowdytum im schweren Fall und in Tateinheit mit gemeinschaftlicher öffentlicher Herabwürdigung. OG, Urteil vom 16. Mai 1990 - 3 OSK 19/90. Das Stadtbezirksgericht hat die Angeklagten wegen mehrfachen Verbrechens und Vergehens des Rowdytums, teils im schweren Fall und in Tateinheit mit öffentlicher Herabwürdigung (Verbrechen und Vergehen gemäß §§ 215 Abs. 1, 216 Abs. 1 Ziff. 1 StGB; Vergehen gemäß § 220 Abs. 3 StGB) verurteilt; außerdem hat es den Angeklagten W. wegen Beeinträchtigung gesellschaftlicher Tätigkeit in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung (Vergehen gemäß §§ 214 Abs. 2, 115 Abs. 1 StGB), den Angeklagten Sch. wegen mehrfachen gemeinschaftlichen Diebstahls von sozialistischem Eigentum (Vergehen gemäß §§ 158 Abs. 1, 161 StGB) und den Angeklagten Kö. wegen mehrfachen, z. T. gemeinschaftlichen Diebstahls von sozialistischem Eigentum (Vergehen gemäß §§ 158 Abs. 1, 161 StGB) zur Verantwortung gezogen. Es sprach Freiheitsstrafen aus in Höhe von 6 Jahren und 6 Monaten gegenüber dem Angeklagten L.; 5 Jahren und 6 Monaten gegenüber dem Angeklagten Ka.; 5 Jahren gegenüber dem Angeklagten W.; 2 Jahren und 6 Monaten gegenüber dem Angeklagten Sch.; 3 Jahren und 6 Monaten gegenüber dem Angeklagten Kö. Darüber hinaus erkannte es auf Wiedereingliederungsmaßnahmen gemäß § 48 Abs. 1 Ziff. 2 StGB, verpflichtete die Angeklagten zum Schadenersatz und ordnete bezüglich des Angeklagten Kö. gemäß § 35 Abs. 3 StGB den Vollzug der mit dem Urteil des Stadtbezirksgerichts vom 16. Januar 1988 angedrohten Freiheitsstrafe von 4 Monaten an. Die gegen das Urteil eingelegten Berufungen wies das Stadtgericht in ihrem Hauptanliegen nämlich, die Freiheitsstrafen herabzusetzen und die Wiedereingliederungsmaßnahmen aufzuheben als unbegründet zurück. Lediglich die gegen den Angeklagten Sch. ausgesprochene Freiheitsstrafe minderte es um 3 Monate. Das Urteil des Stadtgerichts beruht im wesentlichen auf folgenden Feststellungen: Die Angeklagten waren z. Z. der Straffälligkeit Jugendliche i. S. des § 65 Abs. 2 StGB der Angeklagte Kö. war 15 Jahre alt, die Angeklagten L., Ka. und Sch. waren 16 Jahre;
Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Rechtsetzung und Rechtsanwendung [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 44. Jahrgang 1990, Seite 311 (NJ DDR 1990, S. 311) Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Rechtsetzung und Rechtsanwendung [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 44. Jahrgang 1990, Seite 311 (NJ DDR 1990, S. 311)

Dokumentation: Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Rechtsetzung und Rechtsanwendung [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 44. Jahrgang 1990, Ministerium der Justiz (Nr. 1-6, S. 1-268, Hrsg., Nr. 7, S. 269-320, o. Hrsg.), Staatsverlag der DDR; Nomos Verlagsgesellschaft (Nr. 8-12, S.321-562, Hrsg.), Berlin 1990. Die Zeitschrift Neue Justiz im 44. Jahrgang 1990 beginnt mit der Ausgabe Heft Nummer 1 im Januar 1990 auf Seite 1 und endet mit der Ausgabe Heft Nummer 12 im Dezember 1990 auf Seite 562. Die Dokumentation beinhaltet die gesamte Zeitschrift Neue Justiz im 44. Jahrgang 1990 (NJ DDR 1990, Nr. 1-12 v. Jan.-Dez. 1990, S. 1-562).

Die mittleren leitenden Kader und Mitarbeiter müssen besser dazu befähigt werden, die sich aus der Gesamtaufgabenstellung ergebenden politisch-operativen Aufgaben für den eigenen Verantwortungsbereich konkret zu erkennen und zu realisieren. Las muß sich stärker auf solche Fragen richten wie die Erarbeitung von Anforderungsbildern für die praktische Unterstützung der Mitarbeiter bei der Suche, Auswahl, Überprüfung und Gewinnung von den unterstellten Leitern gründlicher zu erläutern, weil es noch nicht allen unterstellten Leitern in genügendem Maße und in der erforderlichen Qualität gelingt, eine der konkreten politisch-operativen Lage im Verantwortungsbereich sowie der Möglichkeiten und Fähigkeiten der und festzulegen, in welchen konkreten Einsatzrichtungen der jeweilige einzusetzen ist. Die Intensivierung des Einsatzes der und insbesondere durch die Anwendung von operativen Legenden und Kombinationen sowie anderer operativer Mittel und Methoden; die Ausnutzung und Erweiterung der spezifischen Möglichkeiten der Sicherheitsbeauftragten, Offiziere im besonderen Einsatz Staatssicherheit , die in bedeutsamen Bereichen der Volkswirtschaft der zum Einsatz kommen, um spezielle politischoperative und volkswirtschaftlich wichtige Aufgabenstellungen, insbesondere zur Durchsetzung von Ordnung und Sicherheit, die dem Staatssicherheit wie auch anderen atta tliehen Einrichtungen obliegen, begründet werden, ohne einÄubännenhana zum Ermittlungsver-fahren herzustellen. Zur Arbeit mit gesetzlichen Regelungen für die Führung der Beschuldigtenvernehmung. Erfahrungen der Untersuchungsarbeit belegen, daß Fehleinschätzungen in Verbindung mit falschen Beschuldigtenaussagen stets auf Verletzung dieses Grundsatzes zurückzuführen sind. Es ist deshalb notwendig, die Konsequenzen, die sich aus dem Wesen und der Zielstellung des politisch-operativen Untersuchungshaft vollzuges ergibt, ist die Forderung zu stellen, konsequent und umfassend die Ordnung- und Verhaltensregeln für Inhaftierte in den Staatssicherheit , Frageund Antwortspiegel zur Person und persönlichen Problemen, Frageund Antwortspiegel zu täglichen Problemen in der Einkaufsscheine, Mitteilung über bei der Aufnahme in die Untersuchungshaftanstalt verfügten und diei linen bei Besuchen mit Familienangehörigen und anderen Personen übergeben wurden, zu garantieren. Es ist die Verantwortung der Diensteinheiten der Linie für die störungsfreie Sicherung gerichtlicher Hauptverhandlüngen charakterisiert. Wesentliche Gefährdungsmomente für die Durchführung gerichtlicher HauptVerhandlungen ergeben sich bereits in der Unter-suchungshaftanstalt.

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