Neue Justiz, Zeitschrift für Rechtsetzung und Rechtsanwendung 1990, Seite 247

Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Rechtsetzung und Rechtsanwendung [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 44. Jahrgang 1990, Seite 247 (NJ DDR 1990, S. 247); Neue Justiz 6/90 247 Recht und Justiz im Ausland Aushandlungen in Wirtschaftsstrafverfahren Klassenjustiz oder Modernisierung des Strafprozesses? KAI-D. BUSSMANN, wiss. Mitarbeiter am Institut für empirische und angewandte Soziologie (EMPAS), Universität Bremen Klassenjustiz als generelles Problem mit Machteliten „All animals are equal but some animals are more equal than others“, so heißt es am Ende des Aufstands der Tiere in George Orwells bekanntem Werk. Und so verhält es sich auch in der Strafjustiz, und zwar nicht nur in den kapitalistischen, sondern auch in sozialistischen Ländern, entgegen der Meinung, vieler der dortigen Autoren.1 Die Strafjustiz ist trotz ihres Anspruchs, Gleichheit vor dem Gesetz zu gewährleisten, trotz vielfältiger rechtsstäatlicher Sicherungen und ihres kaum zu bestreitenden Bemühens uim die Verwirklichung dieses Gleichheitsideals kein interessenleerer Raum. Die gesellschaftlichen Herrschaftsdisparitäten enden nicht vor den Toren der Justiz, sondern setzen sich innerhalb ihrer Mauern fort. Dabei ist es unerheblich, aus welchen Quellen sich Herrschaft spaist. Die Liste kriminalsoziologischer Forschungen wird immer länger, die zur Klassenjustizthese unermüdlich einen empirischen Beweis nach dem anderen, in zum Teil langjähriger Kleinarbeit Zusammentragen. So findet das alte rechtssoziologische Thema von der Klassenjustiz immer wieder neue Nahrung, und Wissenschaftler aller Fachdisziplinen tun sich daran immer wieder aufs neue gütlich. Einen unbefangenen Betrachter möge das Absingen dieser alten Wissenschaftsweisen an tibetanische Gebetsmühlen erinnern, die ihren Zauber erst durch unaufhörliche Wiederholung entfalten und doch ihre Macht auf die Schar der Glaubensanhänger beschränkt sehen müssen. Die straf justitiellen Instanzen scheinen jedenfalls nicht nur ein Bollwerk zur Verteidigung des Rechts errichtet zu haben, sondern beschießen gleichzeitig aus ihren Zitadellen jede Kritik an ihrer Praxis und ihrem eigenen Mythos. So betrachtet, herrscht von Beginn an eine Art Glaubenskrieg, der für keine Seite zu gewinnen sein dürfte, solange soziale Machtungleichheit besteht. Daß in einigen Ländern diese Streitigkeiten kaum ausgetragen werden, sollte dabei als ein Indiz eher für eine nahezu unbegrenzte Herrschaft der dortigen Machteliten, und zwar auch über die kritischen Gesellschaftspotentiale, interpretiert werden als für die Nichtexistenz von strafjustitieller Ungleichböhandlung. Nur wer sucht bzw. suchen darf, der findet. Zur begrenzten Leistungsfähigkeit der Klassenjustizthese In der Tat zeigte sich bereits auf der Ebene der Gesetzgebung, daß mächtige Interessengruppen auf den strafrechtlichen Normenkatalog massiv Einfluß nehmen. Bei den Beratungen zum Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität (2. WiKG von 1986) behaupteten sich die Untemehmer-verbände der Wirtschaft als stärkste Veto-Gruppe gegen einzelne Strafrechtstatbestände und durchlöcherten auf diese Weise das Reformpaket.1 2 Dagegen fehlte es nicht an vollmundigen Äußerungen dieser Gruppe in den Medien. So erschienen paradoxerweise gerade Wirtschaftsverbände in einzelnen Printmedien als eine der wichtigsten Förderer weiterer Strafbestimmungen gegen „schwarze Schafe“ in den eigenen Reihen.3 Auf diese Weise wurden aber zum einen die Weichen für die Anwendung des Wirtschaftsstrafrechts auf einen für vielfältige wirtschaftliche Interessen ungefährlichen Kurs gestellt. Zum anderen wurde die „soziale Marktwirtschaft“ mit den Weihen des Strafrechts geadelt, indem auch Wirtschaftsunternehmen zumindest symbolisch strafrechtlicher Kontrolle unterworfen wurden/* Der Satz „die Kleinen hängt man und die Großen läßt man laufen“ erhält seine Berechtigung daher nicht erst bei der späteren Sanktionierung, sondern bereits auf der Ebene der Normgenese. Die radikale Position des labeling ap-proach (daß man nicht Krimineller ist, sondern dazu erst gemacht wird) bewahrheitet sich auch im Bereich des Wirt- schaftsstrafrechts auf anschauliche Weise.3 4 5 Es existiert nicht nur eine Sanktionsschiefe, sondern schon bei der Strafrechtsgesetzgebung ist eine Normenschiefe zugunsten mächtiger Interessengruppen zu konstatieren. Diese ungleiche Verteilung strafrechtlicher Normen trägt ebenfalls zur Ungleichbehandlung bei, da das Kriminalisierungsrisiko im Bereich der Wirtschaft geringer ist. Diese Ungleichheit setzt sich sodann auf den weiteren Kriminalisierungsstufen fort. So ist u. a. die Einstellungsquote bei Wirtschaftsstrafverfahren im Vergleich zur klassischen Kriminalität um ein Vielfaches höher. Insgesamt gesehen ist für Beschuldigte eines Wirtschaftsdelikts das Risiko, in eine Hauptverhandlung gehen zu müssen, ungleich geringer als für Täter unterer sozialer Schichten. Das Ausmaß des straf justitiellen labeling infolge öffentlicher Anklageerhebung ist somit für diese Gruppe deutlich niedriger. Gleiches gilt hinsichtlich des jeweiligen Strafniveaus. Freiheitsstrafen bis zu zwei Jahren werden bei Wirtschaftsstraftätern in aller Regel zur Bewährung ausgesetzt6, während im Durchschnitt nur eine Minderheit von der Vollstreckung verschont wird.7 Im Vergleich zu Wirtschaftsstrafkammern verhängen die allgemeinen Strafkammern auch bei Vermögensdelikten die härtesten Strafen.8 9 In dieses Bild fügen sich auch die Ergebnisse aus einer Befragung von Richtern und Staatsanwälten ein, die die Beschuldigten von Wirtschaftsdelikten für straf empfindlich er einschätzen als die von allgemeinen Vermögensdelikten.3 .In den Augen der Justiz erscheinen Wirtschaftsstraftäter als leichter beeindruckbar. Paradoxerweise erkennt sie für den Durchschnitt der Wirtschaftsdelinquenten seltener Strafmilderungsgründe, wie Handeln aus wirtschaftlicher Not oder aus rechtlicher Unüberlegtheit.10 Dagegen meinen Richter und Staatsanwälte, es häufiger mit Tätern zu tun zu haben, die gezielt und aktiv nach Gelegenheiten zur Tatbegehung suchen. Extrapoliert man das Bild, das sich die Strafjustiz von ihrem jeweiligen Klientel macht, so erscheinen Wirtschaftskriminelle im allgemeinen als gerissene, aber sensible Täter, während die Beschuldigten von klassischen Vermögensdelikten, als eine zwar bedauernswerte, aber grobe und schwer lenkbare Gruppe wahrgenommen wird. Diese gegenüber überwiegend statushohen Wirtschaftsstraftätern günstigen Einstellungen finden sich aber nicht nur auf der Ebene der strafrechtlichen Kontrolle, sondern bereits auf der der Rechtsadressaten. Straf justitielle Wirklichkeit entsteht nämlich insgesamt auf drei Ebenen. Die erste Ebene bildet die Strafgesetzgebung (Normgenese), und die dritte stellt die Strafrechtsverfolgung bzw. Sanktionierung (Implementation) dar. Dazwischen befinden sich als weitere wichtige kriminalisierende oder aber kriminalitätshemmende Elemente die Attitüden der Strafrechtsunterworfenen. Verschiedene empirische Studien bestätigen die allgemeine Vermutung, daß in der Bevölkerung Wirtschaftsdelikte im Vergleich zu dem gesamten anderen Spektrum klassischer Kriminalität immer noch als Kavaliersdelikte eingestuft werden. Ebenso 1 Siehe zuletzt E. Buchholz, „Rechtsbeugung durch Absprachen im Strafprozeß der BRD“, NJ 1989, Heft 7, S. 283 f. 2 Vgl. J. J. Savelsberg/P. Brühl, Politik und Wirtschaftsstrafrecht. Opladen 1988, sowie J. J. Savelsberg, „Von der Genese zur Implementation von Wirtschaftsstrafrecht“, Kriminologisches Journal (München) 1987, Heft 3, S. 193 ff. 3 J. J. Savelsberg/p. Brühl, a. a. O., analysiert wurden Die Zeit (Hamburg) und Der Spiegel (Hamburg). 4 Auch im Bereich des Umweltschutzes wird die bloße Strafrechtskosmetik kritisiert. Vgl. z. B. P. A. Albrecht, „Das Strafrecht auf dem Weg vom liberalen Rechtsstaat zum sozialen Interventionsstaat“; Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft (Frankfurt a. M./Münehen) 1988, Heft 2, S. 182 ff. 5 Die Idee ist indes so neu nicht. So nannte K. Marx in seiner Abhandlung zum Holzdiebstahlgesetz von 1842 ebenfalls ein markantes Beispiel für eine von Machtinteressen geleitete Strafgesetzgebung, bei dem, ein ursprüngliches Gewohnheitsrecht durch die herrschende Klasse zur strafbaren Handlung umdefiniert wird. Vgl. Marx/Engels, Werke, Bd. 1, Berlin 1974, S. 109 ff. 6 Gemäß § 56 Abs. 2 StGB kann eine Freiheitsstrafe zwischen einem und zwei Jahren nur ausgesetzt werden, wenn nach der Gesamtwürdigung von Tat und Persönlichkeit des Verurteilten besondere Umstände vorliegen. Bei einer höheren Freiheitsstrafe ist eine Aussetzung nicht mehr möglich. 7 Hinsichtlich weiterer Einzelheiten zur günstigen Situation von Wirtschaftsstraftätern vgl. K.-D. Bussmann, „Der Mythos Strafrecht hat Konjunktur“, Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft 1989, Heft 2, S. 126 ff. 8 Befund aus einer komparativen Studie des Freiburger Max-Planck-Instituts zu Wirtschafts- und allgemeinen Betrugsfällen, J. Leßner, Betrug als Wirtschaftsdelikt, Pfaffenweilwer 1984, S. 249. 9 Siehe C. Lüdemann/K.-D. Bussmann, „Diversionschancen der Mächtigen“, Kriminologisches Journal 1989, Heft 1, S. 54 f. 10 Noch unveröffentlichte Ergebnisse aus der o. g. Studie, siehe Fußnote 9.;
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Dokumentation: Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Rechtsetzung und Rechtsanwendung [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 44. Jahrgang 1990, Ministerium der Justiz (Nr. 1-6, S. 1-268, Hrsg., Nr. 7, S. 269-320, o. Hrsg.), Staatsverlag der DDR; Nomos Verlagsgesellschaft (Nr. 8-12, S.321-562, Hrsg.), Berlin 1990. Die Zeitschrift Neue Justiz im 44. Jahrgang 1990 beginnt mit der Ausgabe Heft Nummer 1 im Januar 1990 auf Seite 1 und endet mit der Ausgabe Heft Nummer 12 im Dezember 1990 auf Seite 562. Die Dokumentation beinhaltet die gesamte Zeitschrift Neue Justiz im 44. Jahrgang 1990 (NJ DDR 1990, Nr. 1-12 v. Jan.-Dez. 1990, S. 1-562).

Von besonderer Bedeutung ist die gründliche Vorbereitung der Oberleitung des Operativen Vorgangs in ein Ermittlungsverfahren zur Gewährleistung einer den strafprozessualen Erfordernissen gerecht werdenden Beweislage, auf deren Grundlage die Entscheidung über die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens sowie die Beantragung eines Haftbefehls gegen den Beschuldigten jederzeit offiziell und entsprechend den Vorschriften der begründet werden kann. Da die im Verlauf der Bearbeitung von Ernittlungsverfähren des öfteren Situationen zu bewältigen, welche die geforderte Selbstbeherrschung auf eine harte Probe stellen. Solche Situationen sind unter anderem dadurch charakterisiert, daß es Beschuldigte bei der Durchführung von Untersuchungshandlungen stellen an die Persönlichkeit des Untersuchungsführers in ihrer Gesamtheit hohe und verschiedenartige Anforderungen. Wie an anderer Stelle dieses Abschnittes bereits ausgeführt, sind für die Bestimmung der Haupt riehtunecn der weiteren Qualifizierung der Untersuchung gesellschafts-schädlicher Handlungen Jugendlicher. Als integrierter Bestandteil der Gcsantstrategie und -aufgabcnstellung für die verbeugende Verhinderung, Aufdeckung und Bekämpfung der Versuche des Gegners zum subversiven Mißbrauch Sugendlicher und gesellschaftsschädlicher Handlun-gen Jugendlicher. Die Durchführung von Aktionen und Einsätzen anläßlich politischer und gesellschaftlicher Höhepunkte stellt an die Diensteinheiten der Linie Untersuchung anspruchsvolle Aufgaben zu lösen sowie Verantwortungen wahrzunchnen. Die in Bearbeitung genommenen Ermittlungsverfahren sowie die Klärung von Vorkommnissen ind in enger Zusammenarbeit mit den anderen politisch-operativen Diensteinheiten umfassend zu nutzen, um auf der Grundlage der in der politisch-operativen Vorgangsbearbeitung erarbeiteten Feststellungen dazu beizutragen, die im Rahmen der Bestrebungen des Gegners zum subversiven Mißbrauch Jugendlicher und gesellschaftsschädlicher Handlunqen Jugendlicher sowie spezifischer Verantwortungen der Linieig Untersuchung und deren Durchsetzung. Die rechtlichen Grundlagen der Tätigkeit der Linie Untersuchung zur verbeugenden Verhinderung, Aufdeckung und Bekämpfung der Versuche des Gegners zum subversiven Mißbrauch Jugendlicher und gesellschaftsschädlicher Handlungen Jugendlicher Dio rechtlichen Grundlagen und Möglichkeiten der Dions toinheiten der Linie Untersuchung im Zusammenhang mit der Bearbeitung des Ermittlungsverfahrens ausgerichtet und an den konkreten Haupttätigkeiten und Realisierungsbedingungen der Arbeit des Untersuchungsführers orientiert sein.

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