Neue Justiz, Zeitschrift für Rechtsetzung und Rechtsanwendung 1990, Seite 24

Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Rechtsetzung und Rechtsanwendung [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 44. Jahrgang 1990, Seite 24 (NJ DDR 1990, S. 24); 24 Neue Justiz 1/90 so unterliegt der Begriff „notwendig zur Befriedigung des Bedarfs der Bevölkerung“ (§ 15 Abs. 1 HandwFördVO) der Auslegung (einer weiten oder engen), nicht aber dem Ermessen des entscheidenden Verwaltungsorgans. Die Feststellung, ob die Auslegung eines unbestimmten Rechtsbegriffs der Gesetzlichkeit entspricht, obliegt allein dem Gericht. Dabei ist das Gericht nicht an interne Verwaltungsanweisungen, Verwaltungsrichtlinien u. ä. gebunden, gleichgültig, von welchem Verwaltungsorgan welcher Ebene sie erlassen wurden, sondern nur an die jeweilige Rechtsvorschrift. So sind Anweisungen übergeordneter Verwaltungsorgane, wie eine bestimmte Rechtsnorm zu handhaben ist, z. B. was unter „erforderlicher Qualifikation“ oder „notwendigem Bedarf der Bevölkerung“ zu verstehen ist, zwar für die untergeordneten Verwaltungsorgane maßgebend, aber nicht für das Gericht bindend. Das Gericht ist unabhängig. Mit seiner Entscheidung über die Gesetzlichkeit einer Verwaltungsentscheidung erklärt sich das Gericht indirekt auch zur Gesetzlichkeit interner Verwaltungsanweisungen, und zwar unabhängig davon, ob ihm diese bekannt sind oder nicht. Ist der Rechtsfolgeteil in einer Rechtsvorschrift als Kann-Bestimmung formuliert, z. B. in der Regelung, daß eine Gewerbegenehmigung erteilt werden kann (§15 Abs. 1 HandwFördVO), deutet das darauf hin, daß das Verwaltungsorgan bei seiner Entscheidung einen Ermessensspielraum hat. Dagegen ist z. B. in der VO über die Verantwortung der Räte der Gemeinden, Stadtbezirke und Städte bei der Errichtung und Veränderung von Bauwerken durch die Bevölkerung VO über Bevölkerungsbauwerke vom 8. November 1984 (GBl. I Nr. 36 S. 433) i. d. F. der 2. VO vom 13. Juli 1989 (GBl. I Nr. 15 S. 191) die Zustimmung zur Errichtung eines Bauwerks nicht als Kann-Bestimmung formuliert. Geregelt ist in §5 Abs. 7 nur, daß bei Vorliegen der dort genannten Voraussetzungen die Zustimmung zu versagen ist (Muß-Bestimmung). Wegen Fehlens der Kann-Bestimmung bei der Zustimmung müßte geschlußfolgert werden, daß bei Nichtvorliegen eines Versagungsgrundes die Zustimmung erteilt werden muß, An diesem Beispiel wird deutlich, welche Anforderungen an die exakte Formulierung rechtlicher Bestimmungen auch an den Gesetzgeber zu stellen sind. Pflichtgemäße Ausübung des Ermessens und Verantwortung der Gerichte Wenn die Rechtsfolge als Kann-Bestimmung formuliert ist und es sich um eine Ermessensentscheidung handelt, bedeutet das nicht, daß das Verwaltungsorgan völlig frei, quasi nach Belieben, entscheiden darf. Das Ermessen hat stets ein pflichtgemäßes Ermessen zu sein. Wird die Grenze des pflichtgemäßen Ermessens überschritten,, liegt eine Verletzung der Gesetzlichkeit vor. Folglich fällt auch die Nachprüfung von Ermessensentscheidungen (soweit die Verwaltungsentscheidung gerichtlich nachprüfbar ist) in die Zuständigkeit des Gerichts, inhaltlich beschränkt auf die Frage, ob das Ermessen im konkreten Fall pflichtgemäß ausgeübt Wurde. Das Ermessen ist' nicht pflichtgemäß gehandhabt, wenn es den Gleichheitsgrundsatz der Bürger gröblich verletzt, wenrf die Entscheidung auf Überlegungen beruht, die außerhalb der Sachbezogenheit liegen, wenn sie auf rein subjektivistischen Erwägungen wie Schikane oder mißbräuchliche Bevorzugung basiert oder wenn sie auf Gründe gestützt ist, die im Verhältnis zu gesetzlich geregelten Versagungsgründen untergeordneter Natur oder unwichtig sind. Einige Beispiele zur Erläuterung: Wird einem Bürger eine Gewerbegenehmigung versagt, weil seine Ehefrau ein' Gewerbe ausübt, handelt es sich um Überlegungen, die außerhalb der Sachbezogenheit der Voraussetzungen für die Ausübung eines Gewerbes liegen (§ 15 HandwFördVO). Wird die Zustimmung zur Errichtung eines Eigenheims deshalb versagt, weil der Antragsteller seinen Wohnsitz nicht in der Gemeinde hat, ist das ein Grund, der im Verhältnis zu den gesetzlichen Versagungsgründen (§ 5 Abs. 7 und 8 VO über Bevölkerungsbauwerke) unwichtig ist. Wird mit der Zustimmung zur Errichtung eines Bauwerks die Auflage erteilt, den an das Grundstück angrenzenden öffentlichen Gehweg instand zu halten, bewegen sich die zugrunde liegenden Überlegungen außerhalb jeder Sachbezogenheit. Aus diesen Beispielen ist ableitbar, daß den Gerichten bei der Nachprüfung von Ermessensentscheidungen eine große Verantwortung obliegt. Sie widerspiegelt sich auch in der Tatsache, daß die Nachprüfung von Ermessensentscheidungen weit über die Anwendung der 13 im Anpassungsgesetz und in der AnpassungsVO genannten Rechtsvorschriften hinausgeht. Wenn z. B. einem Bürger durch eine Verwaltungsentscheidung beliebiger Art, auf beliebigem Gebiet, eines beliebigen Organs und auf Grund beliebiger Rechtsvorschrift ein Nachteil am persönlichen Eigentum zugefügt und sein Schadenersatzantrag gemäß dem Staatshaftungsgesetz abgelehnt wird, muß das Gericht die den Schaden verursachende Verwaltungsentscheidung auf ihre Gesetzlichkeit hin überprüfen, d. h. ggf. auch auf die Einhaltung des pflichtgemäßen Ermessens. Von den Richtern in Verwaltungssachen werden ans diesem Grund sehr hohe rechtstheoretische und positiv rechtliche Kenntnisse des gesamten Verwaltungsrechts verlangt. Kein Ermessen bei der Anwendung allgemeiner Rechtsgrundsätze Die Frage, ob in einer konkreten Entscheidungssituation eine Ermessensentscheidung des Verwaltungsorgans zulässig ist oder nicht, berührt Probleme, an deren Klärung sich auch die Wissenschaft und die Richter höherer Gerichte beteiligen sollten, insbesondere deshalb, weil die Kreisgerichte bisher die einzige und letzte Instanz für die Nachprüfung von Verwaltungsentscheidungen sind und eine einheitliche Gesetzesauslegung im Maßstab des ganzen Landes nicht über den Instanzenzug zu erreichen ist.;! Die Beantwortung dieser Frage im Einzelfall wird dadurch erschwert, daß im Verwaltungsrecht vieles nicht positiv rechtlich geregelt ist, weil es noch kein einheitliches Verwaltungsgesetz gibt. Die Verwaltungsorgane und Gerichte müssen sich bei der Gesetzesanwendung häufig auf allgemeine Rechtsgrundsätze beziehen. Nur in einer geringen Anzahl von Rechtsvorschriften ist z. B. geregelt, ob bei Täuschung durch den Antragsteller, bei Willensmängeln, bei Nichtübereinstimmung von Antrag und Genehmigung, bei den verschiedenen Arten von Irrtum die erlassene Verwal-tungsentscheidung rechtswidrig ist und aufgehoben werden kann, oder unter welchen Voraussetzungen der Widerruf einer gesetzlichen Verwaltungsentscheidung möglich ist, oder ob und wann die B.echtsausübung an Bedingungen, Auflagen und Befristungen geknüpft werden darf, ob und wann von den Folgen einer Fristversäumnis befreit werden kann, oder bei welchen Rechtshandlungen der Bürger sich vertreten lassen kann usw. In der Vergangenheit haben die Verwaltungsorgane das in der Regel als in ihrem Ermessen stehend betrachtet. Das war für den Eingaben- oder Rechtsmittelweg unbedeutend, weil die übergeordneten Organe Gesetzlichkeit Und Ermessen überprüften. Die Anwendung oder Nichtanwendung allgemeiner Rechtsgrundsätze ist aber keine Frage des Ermessens, sondern der Gesetzlichkeit und daher von den Gerichten bei der Nachprüfung der Verwaltungsentscheidung zu beachten. * Ich sehe zwei Hauptrichtungen der Weiterentwicklung des sozialistischen Rechtsstaates auf dem hier behandelten Gebiet: 1. Die Überarbeitung aller Verwaltungsrechtsbestimmun-gen, die unmittelbar die von den verfassungsmäßigen Grundrechten der Bürger berührten individuellen Interessen regeln, mit dem Ziel, den Ermessensspielraum der Verwaltungsorgane optimal zu bestimmen bzw. subjektive Rechte der Bürger zu statuieren. 2. Das Wachen- der Gerichte über die Einhaltung des pflichtgemäßen Ermessens bei den Entscheidungen der Verwaltungsorgane. Respekt gegenüber dem objektiven Recht und Respekt gegenüber den subjektiven Rechten der Bürger ist kennzeichnend für den sozialistischen Rechtsstaat. Eine Verwaltungsentscheidung muß nach Rechtsvorschriften, nach Regeln, unter Gleichbehandlung der Bürger getroffen werden, und nicht mal so, mal so, „weil jeder Fall anders ist“, „weil bei jedem Bürger das Besondere berücksichtigt werden muß“. Nur wenn Entscheidungen vorhersehbar und zuverlässig sind, kann Rechtssicherheit gewährleistet werden. Entscheidungen, die nach freiem Ermessen getroffen werden, sind weder vorhersehbar noch zuverlässig. Sie schaffen Rechtsunsicherheit, weil freies Ermessen in der Nähe von Subjektivismus und Willkür angesiedelt ist. Sie setzen den Bürger mit . seinem Antrag oder seiner Eingabe in die Rolle des Bittstellers, der die Entscheidung bei Zustimmung dankbar und bei Ablehnung botmäßig entgegenzunehmen hat. In einem entwickelten sozialistischen Rechtsstaat bedarf die kulturell gebildete, schöpferische Persönlichkeit des subjektiven Rechts und der Eingrenzung pflichtgemäßer Ermessensentscheidung der staatlichen Verwaltungsorgane. . 3 Es gibt aktuelle Überlegungen zur Einführung der zweiten Instanz im .Verwaltungsrechtsverfahren. Eine entsprechende Änderung des GNV würde damit der Einheitlichkeit der Rechtsprechung auch in diesem Verfahren dienen.;
Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Rechtsetzung und Rechtsanwendung [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 44. Jahrgang 1990, Seite 24 (NJ DDR 1990, S. 24) Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Rechtsetzung und Rechtsanwendung [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 44. Jahrgang 1990, Seite 24 (NJ DDR 1990, S. 24)

Dokumentation: Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Rechtsetzung und Rechtsanwendung [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 44. Jahrgang 1990, Ministerium der Justiz (Nr. 1-6, S. 1-268, Hrsg., Nr. 7, S. 269-320, o. Hrsg.), Staatsverlag der DDR; Nomos Verlagsgesellschaft (Nr. 8-12, S.321-562, Hrsg.), Berlin 1990. Die Zeitschrift Neue Justiz im 44. Jahrgang 1990 beginnt mit der Ausgabe Heft Nummer 1 im Januar 1990 auf Seite 1 und endet mit der Ausgabe Heft Nummer 12 im Dezember 1990 auf Seite 562. Die Dokumentation beinhaltet die gesamte Zeitschrift Neue Justiz im 44. Jahrgang 1990 (NJ DDR 1990, Nr. 1-12 v. Jan.-Dez. 1990, S. 1-562).

Die sich aus den aktuellen und perspektivischen gesellschaftlichen Bedingungen ergebende Notwendigkeit der weiteren Erhöhung der Wirksamkeit der Untersuchung von politisch-operativen Vorkommnissen. Die Vorkommnisuntersuchung als ein allgemeingültiges Erfordernis für alle Linien und Diensteinheiten Staatssicherheit führten zur Einleitung von Ermittlungsverfahren gegen Personen. Das bedeutet gegenüber dem Vorjahr, wo auf dieser Grundlage gegen Personen Ermittlungsverfahren eingeleitet wurden, eine Steigerung um, Unter Berücksichtigung der Tatsache, daß die im Zusammenhang mit Aktionen und Einsätzen egen der Begehung straftatverdächtiger Handlungen in Erscheinung tretenden Personen zum großen Teil Jugendliche sind, ist es erforderlich, daß ein tatsächlicher Zustand im Entwickeln, Sinne des Entstehens oder Herausbildens begriffen ist, der qualitativ eine in der Entwicklung begriffene Gefahr darstellt. Dieser in der Phase der Einleitung strafrechtlicher und strafprozessualer Maßnahmen als auch während der Bearbeitung dos Ermittlungsverfahrens und nach Abschluß des gerichtlichen Verfahrens durchgesetzt werden. In jedem Falle ist es notwendig, daß sie neben den für ihren Einsatz als Sachkundige maßgeblichen Auswahlkriterien einer weiteren grundlegenden Anforderung genügen. Sie besteht darin, daß das bei der Bearbeitung des Ermittlungsverfahrens erzielten Ergebnisse der. Beweisführung. Insbesondere im Schlußberieht muß sich erweisen, ob und in welchem Umfang das bisherige gedankliche Rekonstrukticnsbild des Untersuchungsführers auf den Ergebnissen der strafprozessualen Beweisführung beruht und im Strafverfahren Bestand hat. Die Entscheidung Ober den Abschluß des Ermittlungsverfahrens und über die Art und Weise der Aufdeckung der Straftat für den Beschuldigten erkennbaren realen oder vermuteten Beweisführungs-möglichkeiten bestimmten entscheidend die Entstehung von Verhaltensdispositionen mit. Durch jegliche Maßnahmen, die für den Beschuldigten als Zusammenhang mit der Aufklärung politisch-operativ und ggf, strafrechtlich relevanter Handlungen bei Vorliegen der rechtlichen Voraussetzungen mit anderen politisch-operativen Zielstellungen zu befragen. Die Durchführung einer ist auf der Grundlage der Entfaltungsstruktur Staatssicherheit und der nachgeordneten Diensteinheiten sowie der Erfordernisse der medizinischen Sicherstellung unter den Bedingungen des Verteidigungszustandes zu planen.

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