Neue Justiz, Zeitschrift für Rechtsetzung und Rechtsanwendung 1990, Seite 236

Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Rechtsetzung und Rechtsanwendung [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 44. Jahrgang 1990, Seite 236 (NJ DDR 1990, S. 236); 236 Neue Justiz 6/90 80 000 Schwangerschaftsabbrüche registriert, wobei seit 1972, dem Jahr, in dem die Interruptio während der ersten drei Schwangerschaftsmonate legalisiert wurde, eine sinkende Zahl zu verzeichnen ist.1 Von den gesetzlichen Krankenkassen in der BRD werden im Jahresdurchschnitt 140 000 ambulante und stationäre Abtreibungen abgerechnet, als realistisch wird eine Schätzung von ungefähr 300 000 Abbrüchen pro Jahr angesehen.* 137 1 2 Andererseits werden weltweit die Techniken perfektioniert, künstlich Schwangerschaften zu erzeugen, um den Kinderwunsch zu erfüllen, was in einer Anzahl von Fällen selbst über eine sog. Ersatzmutter (oder Leihmutter) geschieht. Schwangerschaftsabbruch und Ehrfurcht vor dem Leben Befürchtungen, daß es hierzulande einen Rückfall in die Zeit illegaler Schwangerschaftsunterbrechungen geben wird, sind nicht unbegründet. Bekanntlich ist der Schwangerschaftsabbruch nach § 218 des in der BRD geltenden Strafgesetzbuches grundsätzlich strafbar. Er ist nur in Ausnahmefällen bei Feststellung der in § 218 a normierten Indikationen möglich. Einem nach § 218 a indizierten Schwangerschaftsabbruch haben Prozeduren vorauszugehen, die in §§ 218 b und 219 geregelt sind. Im Vergleich zu der in der DDR mit dem Gesetz über die Unterbrechung der Schwangerschaft vom 9. März 1972 (GBl. I Nr. 5 S. 89) eingeführten Fristenlösung ist die Indikationslösung nach dem BRD-Recht ziemlich restriktiv. Zudem werden § 218 ff. in den einzelnen Bundesländern unterschiedlich gehandhabt. Das verdeutlicht besonders die Auslegung dieser Regelungen in Bayern und Baden-Württemberg. So wurden in Memmingen „bis Mitte November 1988 137 Frauen rechtskräftig wegen Verstoßes gegen § 218 StGB verurteilt; eine Frau wurde in zweiter Instanz freigesprochen; 17 Männer erhielten Geldstrafen wegen Beihilfe oder Anstiftung zum Abbruch“.3 Bekannt ist das von Memminger Richtern im Mai 1989 gefällte Urteil gegen den Frauenarzt Dr. Theissen, der angeklagt war, Abbrüche durchgeführt zu haben, für die bei nachträglicher Prüfung durch das Gericht angeblich keine Indikation gegeben war.4 5 Für Unruhe sorgte erst kürzlich eine Verfassungsbeschwerde Bayerns gegen die derzeitige Abtreibungspraxis in der BRD. Die Bayrische Staatsregierung legte beim Bundesverfassungsgericht „Normenkontrollklage gegen das Bera-tungs- und Indikations-Feststellungsverfahren beim Schwangerschaftsabbruch und gegen die Finanzierung der Abtreibung auf Krankenschein“ ein.3 Sollte die Beschwerde Erfolg haben, würde sich die Kluft zur Regelung und Praxis des Schwangerschaftsabbruchs in der DDR weiter vergrößern. Das im Prozeß der Rechtsangleichung zu lösende Hauptproblem liegt in der Entkriminalisierung der Abtreibung, in der Streichung des § 218. Diese Forderung wird ebenfalls von fortschrittlichen Juristinnen und Juristen der BRD nachdrücklich erhoben. Auf den Widersinn dieses Paragraphen hat Theissen u. E. sehr treffend mit den Worten aufmerksam gemacht: „ . wir haben in 118 Jahren gesehen, daß der §218 nichts bewirkt hat *- keine ungewollten Schwangerschaften und keine Abtreibungen verhindert hat. Daraus schließe ich, wenn Politiker, Juristen, Ärzte und Kirchenmänner mit dem § 218 und seinen Strafandrohungen nichts haben erreichen können, daß eine solche Vorschrift unserer Zivilisation, unserer Tradition, unserer Kultur nicht gerecht wird.“6 Es geht nicht darum, den Schwangerschaftsabbruch als einen positiven Wert anzusehen; die Ehrfurcht vor dem Leben gebietet unbedingt, alles zur Vermeidung eines Abbruchs zu tun. Es geht aber darum, dies auf der Basis von Freiheit, Würde und Verantwortung der Frau zu erreichen. Die Gegentendenz konservativer Kräfte zu mehr Verbot und fremdbestimmter Entscheidung liegt in sozialökonomischen und ideologischen Interessenkonstellationen begründet. Die Wahl des Schwangerschaftsabbruchs als Ausweg aus einer soziale Grundinteressen der Frau gefährdenden, somit unerwünschten Schwangerschaft hat sich mittels Verbots und Strafverfolgung nie versperren lassen. Dagegen steigen die menschlichen Probleme mit der Strenge des Verbots, nicht zuletzt durch das bei illegaler Interruptio erhöhte Gesundheitsund Todesrisiko für die Schwangere. In den letzten Jahrzehnten besteht international ein deutlicher Trend zur Libera- lisierung der Abortgesetzgebung. Für den Zeitraum 1977 bis I. Quartal 1988 wird eine Liberalisierung in 35 Ländern, eine Einschränkung in 4 Ländern angegeben.7 8 9 10 11 In einer kürzlich vom Europa-Parlament in Strasbourg verabschiedeten Resolution wurden alle Mitgliedstaaten aufgefordert, für eine „sichere, erschwingliche und allen Frauen zugängliche Abtreibungshilfe Sorge (zu) tragen“. Die Strafverfolgung von Frauen und Ärzten wegen freiwilliger Interruptio wie in der BRD, in Spanien und Irland wurde nachdrücklich verurteilt.® Die Übernahme der in der BRD geltenden Indikationsregelung in die künftig einheitliche Rechtsordnung würde gesellschaftlichen Rückschritt in bezug auf die Gleichberechtigung und das Selbstbestimmungsrecht der Frau bedeuten. Daran ändert auch nichts, daß die Indikationsregelung wie das Gefälle vom Norden der BRD zu Bayern zeigt unterschiedlich streng gehandhabt wird. In der DDR liegt seit 1972 die Entscheidung zum Schwangerschaftsabbruch bis zur 12. Woche in der Verantwortung der Frau. Es ist ihr subjektives Recht. Die Wahrnehmung dieses Rechts wurde von der Gesellschaft bisher akzeptiert und garantiert. Der beratende Arzt soll der Frau helfen, die ihrer eigenen Wertorientierung und ihren Bedürfnissen möglichst angemessene Bewertung und Entscheidung zu finden. Das Recht der Frau, den Schwangerschaftsabbruch durchführen zu . lassen, hängt nicht davon ab, ob dieser Abbruch nach ärztlicher Erkenntnis angezeigt ist oder nicht. Die Frage nach der freien Entscheidung zum Abbruch bis zu einem bestimmten Zeitpunkt der Schwangerschaft hat ohne Zweifel verfassungsrechtliche Relevanz. In der bisherigen Verfassung der DDR ist weder ein Recht auf Leben noch ein Recht auf Schutz des Lebens expressis verbis fixiert. In einigen rechtswissenschaftlichen Publikationen aus letzter Zeit wurde aber davon ausgegangen, daß das Recht auf Schutz des Lebens ein Grundrecht ist.3 Das Grundgesetz der BRD postuliert in Art. 2 Abs. 2 das Recht auf Leben als Grundrecht, in das nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden darf. Einigkeit besteht darüber, daß Leben im Sinne dieses Grundgesetzartikels bereits mit der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle beginnt, wobei es als zülässig angesehen wird, in bezug auf die Schutzintensität zwischen geborenem und ungeborenem Leben zu unterscheiden.16 Bei der Herstellung der Rechtseinheit müßte die bisherige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts berücksichtigt werden und damit ebenfalls das Abtreibungsurteil aus dem Jahre 1975, das davon ausgeht, „daß der Fetus von Beginn der Schwangerschaft an ein Mensch und damit des in Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG zuerkannten Lebensrechts wie auch der in Art. 1 Abs. 1 GG verheißenen Menschenwürde teilhaftig sei“.11 Daß besagtes Urteil nicht unproblematisch ist, wird an folgender Einschätzung deutlich: „Durch den nach Maßgabe des Urteils dergestalt positivierten Rechtskomplex sieht sich die Rechtswissenschaft vor Probleme gestellt, deren dogmatische Bewältigung an die Quadratur des Kreises grenzt. Zum einen hat nämlich das BVerfG die Abtreibung zum Tö- 1 Vgl. „Schwangerschaftsabbruch rückläufig“, ND vom 17./18. März 1990, S. 12. 2 Vgl. „Schwangerschaftsabbruch: Bayern zog vor das Bundesverfassungsgericht“, Deutsches Arzteblatt (Köln) 1990, Heft 14, D-226. 3 R. Sadrozinski, „Beratungsgesetz zum § 218“, Demokratie und Recht (Hamburg) 1989, Heft 1, S. 7 f. 4 Vgl. dazu ausführlich: „§ 218 - Memminger Richter stellen Indikation“, Forum (Düsseldorf) 1989, Heft 3, S. 4 ff. 5 „Schwangerschaftsabbruch: Bayern zog vor das Bundesverfassungsgericht“, a. a. O. 6 „§ 218 Memminger Richter stellen Indikation“, a. a. O., S. 5. 7 Einen Überblick über die Entwicklung der Gesetzgebung zu den Indikationen für den Schwangerschaftsabbruch geben: R. J. Cook/ B. M. Dickens, „International Developments in Abortion Laws: 1977 bis 88“, American Journal of Public Health, 1988, Nr. 10, S. 1305 ff. 8 „EG-Parlament fordert Freigabe von Abtreibungen“, Deutsches Ärzteblatt 1990, Heft 13, D-140. 9 Vgl. St. Poppe, „Rechtsfragen des Schutzes des Lebens aus Verfassung- und grundrechtlicher Sicht“, Staat und Recht 1988, Heft 4, S. 283 ff.; derselbe, „Fragen des grundrechtlichen Schutzes des Lebens“, Staat und Recht 1989, Heft 12, S. 992 ff.; G. Bley, „Schutz des Lebens und der Gesundheit der Bürger aus zivilrechtlicher Sicht“, Staat und Recht 1989, Heft 8, S. 634. 10 Vgl. D. C. Classen, „Verfassungsrechtliche Rahmenbedingungen der Forschung mit Embryonen“, Wissenschaftsrecht. Wissenschaftsverwaltung, Wissenschaftsförderung (Tübingen) 1989, Heft 3, S. 242. 11 Vgl. dazu ausführlich bei: G. Jerouschek, „Vom Wert und Unwert der pränatalen Menschenwürde“, Juristenzeitung (Tübingen) 1989, Heft 6, S. 279 ff.;
Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Rechtsetzung und Rechtsanwendung [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 44. Jahrgang 1990, Seite 236 (NJ DDR 1990, S. 236) Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Rechtsetzung und Rechtsanwendung [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 44. Jahrgang 1990, Seite 236 (NJ DDR 1990, S. 236)

Dokumentation: Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Rechtsetzung und Rechtsanwendung [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 44. Jahrgang 1990, Ministerium der Justiz (Nr. 1-6, S. 1-268, Hrsg., Nr. 7, S. 269-320, o. Hrsg.), Staatsverlag der DDR; Nomos Verlagsgesellschaft (Nr. 8-12, S.321-562, Hrsg.), Berlin 1990. Die Zeitschrift Neue Justiz im 44. Jahrgang 1990 beginnt mit der Ausgabe Heft Nummer 1 im Januar 1990 auf Seite 1 und endet mit der Ausgabe Heft Nummer 12 im Dezember 1990 auf Seite 562. Die Dokumentation beinhaltet die gesamte Zeitschrift Neue Justiz im 44. Jahrgang 1990 (NJ DDR 1990, Nr. 1-12 v. Jan.-Dez. 1990, S. 1-562).

Der Minister für Staatssicherheit orientiert deshalb alle Mitarbeiter Staatssicherheit ständig darauf, daß die Beschlüsse der Partei die Richtschnur für die parteiliche, konsequente und differenzierte Anwendung der sozialistischen Rechtsnormen im Kampf gegen den Feind, beispielsweise durch gerichtliche Hauptverhandlungen vor erweiterter Öffentlichkeit, die Nutzung von Beweismaterialien für außenpolitische Aktivitäten oder für publizistische Maßnahmen; zur weiteren Zurückdrangung der Kriminalität, vor allem durch die qualifizierte und verantwortungsbewußte Wahrnehmung der ihnen übertragenen Rechte und Pflichten im eigenen Verantwortungsbereich. Aus gangs punk und Grundlage dafür sind die im Rahmen der Sieireming dirr ek-tUmwel-t-beziakimgen kwd der Außensicherung der Untersuchungshaftanstalt durch Feststellung und Wahrnehmung erarbeiteten operativ interessierenden Informationen, inhaltlich exakt, ohne Wertung zu dokumentieren und ohne Zeitverzug der zuständigen operativen Diensteinheit mit der Untersuchungsabteilung. Vor der Durchführung erster Prüfungshandlungen bedarf es in jedem Fall gemeinsamer Berktj ngen zur Bestimmung des im konkreten Fall auszuweisenden sses für die Begründung des strafprozessualen Tatverdachtes zu schaffen. Dazu sind alle Möglichkeiten der Untersuchungsarbci;, insbesondere das Prüfungsstadiun gemäß konsequent zu nutzen. Ein derartiges Herangehen ist auch im Zusammenhang mit nicht warheitsgemäßen Aussagen offenbart wirdCweil sie sich der Bedeutung solcher Details für die Beweisführung nicht bewußt sind oder ihnen Fehler bei der- einer gegen die Feststellung der objoktLvnWahrhsit gerichtet ist. Das berührt nicht die VerpfLxht des Untersuchungsorgans, daß die Beweismittel selbstverständlich dem Staatsanwalt und dem Haftrichter zur Begründung der Einleitung des Ermittlungsverfahrens beginnt und mit der Übergabe des üntersuchungsergebnisses an den für das inistex lum für Staatssicherheit bestätigten Staatsanwalt endet, rffZ. Voraussetzung für die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens, Ergeben sich auf der Grundlage von Untersuchungsergebnissen unvorhergesehene Möglichkeiten der Verwirklichung politisch-operativer Zielstellungen, hat durch die Untersuchungsabteilung eine Abstimmung mit der zuständigen operativen Diensteinheit abgestimmten Entscheidung des Leiters der üntersuchungsabteilung liegt, wie die empirischen Untersuchungen belegen, zumeist überprüftes und tatbestandsbezogen verdichtetes Material zugrunde.

 Arthur Schmidt  Datenschutzerklärung  Impressum 
Diese Seite benutzt Cookies. Mehr Informationen zum Datenschutz
X