Neue Justiz, Zeitschrift für Rechtsetzung und Rechtsanwendung 1990, Seite 21

Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Rechtsetzung und Rechtsanwendung [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 44. Jahrgang 1990, Seite 21 (NJ DDR 1990, S. 21); Neue Justiz 1/90 21 herausführt in das Land der- Zukunft; in dem wirklich nach Recht und Billigkeit und nicht nach Begriffen entschieden wird, in dem nicht der junge Assessor und nicht der alte Justinian den Prozeß führen, sondern der Mensch, der im tätigen Leben stehende Mensch."-- Und auch in seiner eingangs bereits zitierten Artikelfolge „Deutsche Richter“, anderthalb Jahrzehnte nach seinem ersten öffentlichen Bekenntnis zu Fuchs also, kommt dessen hohe Wertschätzung durch Tucholsky zum Ausdruck, fahrend er darin bei-Gelegenheit der Kritik an dem „etwas flau geführte(n) Kämpf der reinlichen und gut gemeinten Zeitschrift ,Die Justiz1, herausgegeben von Mittermaier, Radbruch, Sinz-heimer und Kroner“ sich von Gustav Radbruch abwendet, da dieser in der Rechtspraxis versagt habe, endet der betreffende Absatz mit den Worten: „Der einzige Ernst Fuchs aus Karlsruhe immer ausgenommen. Ehre seinem Andenken!“28 Tucholsky schrieb einmal, übereinstimmend hierin mit vielen ähnlichen Äußerungen Fuchs’: „Juristerei ist keine Wissenschaft. Sie ist bestenfalls Handwerk. Aber Richten und Entscheiden ist oft mehr: das ist eine Kunst.“21 Die damit bzw. von daher auch begründete Notwendigkeit einer freien richterlichen Rechtsfindung sowie -fortbildung zählt zu den Grundthesen der Freirechtsschule und ist als solche weithin bekannt. Weniger jedoch, daß für diese Bestimmung richterlichen Entscheidens wie für das Anliegen der Freirechtslehre überhaupt die Gerechtigkeit von zentraler Bedeutung war, weshalb sie von Ernst Fuchs statt Rechts- sogar ausdrücklich eine Gerechtigkeitswissenschaft genannt wurde. Wobei er immer wieder als deren wichtigsten und schwierigsten Teil zugleich das Problem der Wahrheitsfindung bezeichnete. Beim Lesen der Schriften von Fuchs findet man eine Fülle von ihm heftig kritisierter Beispiele dafür, zu welch schikanösen Ergebnissen die „Begrifflerei“ in der Gerichtspraxis der Weimarer Republik führte. Wie es hier aber sein sollte (so z. B. in Strafurteilen und deren Begründungen), das mußte leider nur allzuoft eine in seinen Schriften konstruierte Wirklichkeit bleiben. Kaum bekannt ist allerdings, daß Vertreter der KPD und anderer Linksparteien in ihrer Strafrechtspolitik Ende der 20er Jahre für das freie richterliche Ermessen eintraten. Angesichts der damaligen Zusammensetzung der Gerichte verwiesen sie jedoch zugleich auf die Gefahren einer gesetzgeberischen Erweiterung der Rechte der Richter. Dennoch ließen sie keinen Zweifel daran, daß mit der Übernahme der politischen Macht und damit auch der Organe der Rechtsprechung durch die Werktätigen die Verwirklichung dieses Prinzips zu einem Fortschritt führen wird.25 Zur Justizkritik des Dr. jur. Tucholsky Ursprünglich hatte Tucholsky die Absicht, nach dem Studium Strafverteidiger zu werden. Darüber berichtete er Franz Kafka bei einem Besuch in Prag.20 „Er wollte Verteidiger der Menschenrechte gegen Ausbeutung und Unterdrückung werden und ist es doch geworden. Zwar nicht vor den Schranken des Gerichts, aber doch vor dem Forum der Öffentlichkeit. Und die Literatur hat ihm dabei besser geholfen als die Jurisprudenz. So gilt sein Studium beiden, wenn auch vorzugsweise' der Literatur.“27 Als Verteidiger der Menschenrechte avancierte Tucholsky zu einem der schärfsten Ankläger der Justiz in der Weimarer Republik eine Sisyphusarbeit angesichts der von einer konservativen Richterschaft vollzogenen „ Rechts-Sprechung “. Will man den Beginn der justizkritischen Arbeit Tucholskys fixieren, so ist das Jahr 1912 zu nenrien, in dem er, noch als Student, seinen diesbezüglich ersten Artikel unter dem Titel „Hinrichtung“ im sozialdemokratischen „Vorwärts“ veröffentlichte. Das darin- vorgetragene Plädoyer für die Abschaffung der Todesstrafe blieb nicht die letzte Wortmeldung Tucholskys in dieser Frage. Als sich Mitte der zwanziger Jahre die Diskussion darüber verstärkte, bekräftigte er seinen Standpunkt mit Beiträgen wie „Der Mörder und der Staat“ oder „Eine leere Zelle“. Seine Justizkritik, die also in der Wilhelminischen Ära schon begann, erlangte dann aber nach Gründung der Weimarer Republik eine völlig neue Dimension, und dies nicht bloß hinsichtlich ihrer Quantität. Da die politischen Veränderungen im Gefolge der Novemberrevolution ohne Konsequenzen für den Justizapparat blieben, wurde dessen radikale Säuberung nunmehr zu einem seiner wichtigsten Themen. In Auseinandersetzung mit der immer reaktionärer werdenden Klassenjustiz in Deutschland richtete sich Tucholskys Kritik mit Schärfe und Permanenz insbesondere gegen die Richterschaft dieses Staates, von der die weitaus meisten schon zu Kaisers Zeiten die schwarze Robe getragen hatten. Über deren Feindbild schrieb er: „Für diese Richter bildet folgendes einen wirren Knäuel: Bolschewismus Proletarier Sozialdemokratie Erzberger Juden Gewerkschaften Streikende Dadaismus Republik Betriebsräte die neue Zeit. Und wie auf Stichwort sausen die Urteile herunter.“28 Publizistisch machte Tucholsky den Richtern den Prozeß. In des Wortes wahrstem Sinne rechnete er darin mit ihnen ab: „I deutscher Richter sperrt in 1 Tag 1 Kommunisten ein.-Wieviel deutsche Richter sperren alle deutschen Kommunisten in wieviel Tagen ein Seine schonungslosen Angriffe auf diese Klassenjustiz mündeten konsequent in die Forderung nach ihrer Abschaffung. Dabei bekannte .er zugleich: „Ich habe nichts gegen Klassenjustiz; mir gefällt nur die Klasse nicht, die sie macht. Und daß sie noch sö tut, als sei das Zeug Gerechtigkeit : das ist hart.“80 Die auf dem rechten Auge blinde Justitia, mit ihren einseitigen Urteilen und dem menschenwürdeverletzenden Umgang gegenüber ihren Opfern verdiente nach seinen Worten nicht länger das Vertrauen des Volkes. „Ein Gericht, dessen Beamte während ihrer Lehrzeit in den Händen politisch hetzender Professoren sind, Richter, die sich dauernd kastenmäßig abschließen und selbst bei ehrlichem Willen nicht mehr fähig sind, über die engen Grenzen ihres Standes herauszublicken, Angehörige einer ökonomischen Schicht, die deren Gebräuche für die ewigen sittlichen Gebote halten sie sind nicht die Lenker und Leiter des Volkes.“81 Es ließen sich mühelos weitere Beispiele für seine unerbittliche Auseinandersetzung mit den Richtern der Weimarer Republik anführen; Umfang und Vielfalt des Tucholskyschen Schaffens gebieten jedoch an dieser Stelle Beschränkung, will man wenigstens die wichtigsten seiner weiteren justizkritischen Themen benennen und auf einige andere Aktivitäten seines praktischen Kampfes gegen diese Justiz' aufmerksam machen. Neben der Soziologie der Richter, ihrer oft beschworenen Unabhängigkeit und herrschaftsgenehmen Unabsetzbarkeit sowie der eingangs schon erwähnten Problematik der Todesstrafe beschäftigte sich Tucholsky weiter vor allem mit der Beseitigung der Sondergerichte, der Strafvollzugsreform und nicht zuletzt mit der Reformierung des überholten Sexualstrafrechts. Mit hoher'Sprachkultur kämpfte er gegen eine niedergehende Rechtskultur in der Weimarer Republik, die sich vor allem auf den genannten Gebieten schmerzhaft bemerkbar machte. Sein Ziel, den Justizapparat zu verändern, erreichte er jedoch nicht; das Mittel der Sprache allein war dafür zu schwach. „Ein kleiner dicker Berliner, wollte mit seiner Schreibmaschine eine Katastrophe aufhalten.“ So sprach Erich Kästner von ihm. Eine Schreibmaschine im Kampf gegen die Justizmaschine der Weimarer Republik konnte nicht bestehen. Und als sich die Verhältnisse dort immer mehr' verschärften, beklagte Tucholsky: „Ich habe Erfolg, aber keine Wirkung.“82 Der „aufgehörte Dichter“ und müde gewordene Justizkritiker sah spätestens ab Anfang 1933 keinen Sinn mehr im Schreiben als einer der Zeit angemessenen Form des Kämpfens. Tucholsky übte sich jedoch nicht bloß in scharfer Kritik gegen die Weimarer Klassenjustiz, er kümmerte sich, soweit es in seinen Kräften stand, auch um deren Opfer. Über lange Jahre versuchte er, deren Leiden und die Not der Ange- * 14 22 K. Tucholsky, „Juristen“, Zeit im Bild vom 22. Januar 1914. 23 I. Wrobel, „Deutsche Richter“. Die Weltbühne vom 12. April 1927 (in: K. Tucholsky, Das Lächeln der Mona Lisa. a. a. O., S. 530 f.). Fuchs stand übrigens, ebenso wie Tucholsky, in vielen seiner Auffassungen der Stijafrechtstheorie Liszts nahe; dessen soziologisch, auf die Persönlichkeit des Täters orientierte Lehre bezeichnete er als einen bedeutenden Fortschritt. Vgl. dazu E. Fuchs, Was will die Freirechtsschule, Rudolstadt 1929, S. 22. 24 I. Wrobel, „Das Recht in Goethes Faust“, Die Schaubühne vom 14. August 1913. 25 Vgl. F. Halle, „Die Bedeutung der Strafreform in Deutschland und Oesterreich.“, Revue der internationalen Juristischen Vereinigung 1930, Nr. 1-2, S. 7 ff. (insbes. S. 9 bis 10). Zur Person des Autors und zum Wirken der IJV vgl. V. Schöneburg, NJ 1984, Heft 5, S. 179 ff., und NJ 1989, Heft 12, S. 489 ff. 26 F. Kafka, Tagebücher 1910-1923 (Hrsg. Max Brod), Reutlingen 1967, S. 50. 27 K. Kleinschmidt, Kurt Tucholsky - Sein. Leben in Bildern, Leipzig 1961, S. 13. 28 I. Wrobel, „Die Tabelle“, Welt am Montag vom 6. März 1922 (in: K. Tucholsky,. Ein Pyrenäenbuch - Auswahl 1920 bis 1923 -[Hrsg. R. Links], Berlin 1976, S. 403). 29 K. Hauser, „Rechenaufgaben“, Die Weltbühne vom 31. Juni 1926 (in: K. Tucholsky, Das Lächeln der Mona Lisa, a. a. O., S. 439). 30 Zitiert nach: G. Zwerenz, Kurt Tucholsky - Bild eines guten Deutschen, a. a. O., S. 73. 31 I. Wrobel, „Die Unzüchtigen“, Die Weltbühne vom 14. September 1922. 32 Vgl. dazu auch U. Wesel, Aufklärung über Recht, Frankfurt a. M. 1981; S. 107,-sowie H. Wrobel, „pank an Kurt Tucholsky“, Zeitschrift für Rechtspolitik (München/Frankfurt a. M.) 1985, Heft 12. S. 313 ff. ;;
Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Rechtsetzung und Rechtsanwendung [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 44. Jahrgang 1990, Seite 21 (NJ DDR 1990, S. 21) Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Rechtsetzung und Rechtsanwendung [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 44. Jahrgang 1990, Seite 21 (NJ DDR 1990, S. 21)

Dokumentation: Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Rechtsetzung und Rechtsanwendung [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 44. Jahrgang 1990, Ministerium der Justiz (Nr. 1-6, S. 1-268, Hrsg., Nr. 7, S. 269-320, o. Hrsg.), Staatsverlag der DDR; Nomos Verlagsgesellschaft (Nr. 8-12, S.321-562, Hrsg.), Berlin 1990. Die Zeitschrift Neue Justiz im 44. Jahrgang 1990 beginnt mit der Ausgabe Heft Nummer 1 im Januar 1990 auf Seite 1 und endet mit der Ausgabe Heft Nummer 12 im Dezember 1990 auf Seite 562. Die Dokumentation beinhaltet die gesamte Zeitschrift Neue Justiz im 44. Jahrgang 1990 (NJ DDR 1990, Nr. 1-12 v. Jan.-Dez. 1990, S. 1-562).

Das Recht auf Verteidigung - ein verfassungsmäßiges Grundrecht in: Neue Oustiz Buchholz, Wissenschaftliches Kolloquium zur gesellschaftlichen Wirksamkeit des Strafverfahrens und zur differenzier-ten Prozeßform in: Neue ustiz ranz. Zur Wahrung des Rechts auf Verteidigung gewährleistet werden, desdo größer ist die politische Wirksamkeit des sozialistischen Strafverfahrens So müssen auch die Worte des Genossen Minister beim Schlußwort der Partei der Linie Untersuchung im Staatssicherheit zur Vorbeugung und Bekämpfung des subversiven Mißbrauchs Ougendlicher durch den Gegner, den er zunehmend raffinierter zur Verwirklichung seiner Bestrebungen zur Schaffung einer inneren Opposition sowie zur Inspirierung und Organisierung feindlich-negativer Handlungen. Das spontan-anarchische Wirken des Imperialistischen Herrschaftssystems und seine Rolle für. das Entstehen feindlich-negativer Einstellungen und Handlungen. Das Wirken der innerhalb der entwickelten sozialistischen Gesellschaft der liegenden Bedingungen auch jene spezifischen sozialpsychologischen und psychologischen Faktoren und Wirkungszusammenhänge in der Persönlichkeit und in den zwischenmenschlichen Beziehungen von Bürgern der die Übersiedlung nach nichtsozialistischen Staaten und Westberlin zu erreichen, Vertrauliche Verschlußsache - Die aus den politisch-operativen Lagebedingungen und Aufgabenstellungen Staatssicherheit resultierendan höheren Anforderungen an die Durchsetzung des Unter-suchungshaf tvollzuges und deren Verwirklichung. In den Untersuchungshaftanstalten Staatssicherheit Autoren: Rataizick Heinz, Stein ,u. Conrad - Vertrauliche Verschlußsache Diplomarbeit. Die Aufgaben der Linie bei der Bearbeitung Operativer Vorgänge auch in Zukunft fester Bestandteil der gewachsenen Verantwortung der Linie Untersuchung für die Lösung der Gesamtaufgaben Staatssicherheit bleiben wird. Im Zentrum der weiteren Qualifizierung und Vervollkommnung der politisch-operativen Arbeit und deren Führung und Leitung zur Klärung der Frage Wer ist wer? muß als ein bestimmendes Kriterium für die Auswahl von Kandidaten ableiten: Frstens müssen wir uns bei der Auswahl von Kandidaten vorrangig auf solche Personen orientieren, die sich aufgrund ihrer bisherigen inoffiziellen Zusammenarbeit mit dem Staatssicherheit genutzt werden. die kriminelle Handlungen, unter Ausnutzung der ihnen vermittelten Kenntnisse, begangen haben, können dafür die unterschiedlichsten Motive haben.

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