Neue Justiz, Zeitschrift für Rechtsetzung und Rechtsanwendung 1990, Seite 207

Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Rechtsetzung und Rechtsanwendung [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 44. Jahrgang 1990, Seite 207 (NJ DDR 1990, S. 207); Neue Justiz 5/90 207 unter Hinweis auf die Ereignisse in Ungarn, vorgetragen. Notwendig sei, die von ihm entwickelte Konzeption dem Politbüro der SED in ultimativer Form zu übermitteln. Falls die Forderungen nach Veränderungen nicht erfüllt würden, solle das Programm über Westberliner Rundfunksender veröffentlicht und die Bevölkerung zum Streik zur Durchsetzung des Programms aufgerufen werden. Unter Umständen müsse es zur Bildung von Arbeiter- und Soldatenräten kommen, die die politische Macht übernehmen und das Ultimatum verwirklichen könnten. Josef Braun habe sich auf derartige Vorstellungen nicht eingelassen. Bei einem vereinbarten Treffen beim Landesvorstand der SPD in Westberlin hätte Dr. Harich zwei Personen kennengelernt, mit denen er weitere Gespräche führte. Diese seien Mitarbeiter des damaligen „Ostbüro der SPD“ gewesen. In dem Bestreben, bekannte Persönlichkeiten des politischen Lebens der DDR für seine Ziele zu gewinnen, nahm Dr. Harich, z. T. unter Vermittlung des Zeugen Erich Wendt, Verbindung zu führenden Funktionären der SED, u. a. zu Paul Merker, auf, um zu erreichen, daß dieser und der bekannte Parteifunktionär Franz Dahlem wieder in verantwortliche politische Funktionen gelangen. Hinsichtlich der damaligen Mitangeklagten wird davon ausgegangen, daß Dr. Harich durch die Tätigkeit für die „Deutsche Zeitschrift für Philosophie“ Manfred Hertwig kennenlernte. Beide hätten im Sommer 1956 übereinstimmende politische Ansichten festgestellt. Hertwig habe darüber informiert, daß Bernhard Steinberger gleiche Auffassungen hätte; außerdem kenne er Franz Dahlem. Da Dr. Harich von den Zeugen Walter Janka und Gustav Just wußte, daß seine Konzeption in ökonomischer Hinsicht zu schwach begründet sei, glaubte er, in Bernhard Steinberger eine geeignete Person gefunden zu haben, die eine sachkundige Überarbeitung vornehmen könne. Manfred Hertwig setzte sich daraufhin mit Bernhard Steinberger in Verbindung. Am 22. November 1956 sei zwischen Dr. Harich, Bernhard Steinberger und Manfred Hertwig eine Besprechung zustande gekommen, bei der erneut die Pläne begründet wurden. Den konzeptionellen Gedanken hätten Manfred Hertwig und Bernhard Steinberger grundsätzlich, wenn auch nicht in allen Punkten zugestimmt. Bernhard Steinberger habe es insbesondere für erforderlich gehalten, die gesamte Wirtschaftspolitik in der DDR zu ändern. Zunächst sei jedoch eine schriftliche Formulierung notwendig, die Dr. Harich vorzunehmen versprach. Nach Ausarbeitung bzw. Überarbeitung der politischen Vorschläge, so einigten sie sich, solle im Aufbau-Verlag diskutiert werden. Man müsse sich auch an die Mitglieder des Zentralkomitees sowie an nachgeordnete Leitungen der SED wenden. Wenn den Forderungen nicht nachgegeben werde, solle ein Ultimatum mit der Androhung übersandt werden, daß das Programm über Westberliner Sender und Zeitungen veröffentlicht werde. Auch an eine SED-oppositionelle Zeitung, an die Gründung einer neuen Partei bzw. an die Formierung von Kräften innerhalb der SED, die den Kurs der damaligen Parteiführung nicht befolgen wollten, wäre gedacht worden. Über den Stand der Aktivitäten berichtete Dr. Harich dem Vertreter des Ostbüros der SPD. Dieser soll Unterstützung zugesagt haben, um die Konzeption zu verbreiten, sobald Dr. Harich dieselbe schriftlich niedergelegt hat. Das sei in der Zeit vom 22. bis 25. November 1956 geschehen. In der Hauptverhandlung im März 1957 lag dem Obersten Gericht das Manuskript von Dr. Harich mit den Vorstellungen von einem besonderen deutschen Weg zum Sozialismus vor. Es enthält u. a. folgende Forderungen: Anerkennung, daß die KPD durch ihre vor 1933 betriebene Politik an der Machtergreifung des Faschismus in Deutschland schuld sei; Anerkennung, daß der Zusammenschluß der beiden Arbeiterparteien im Jahre 1946 undemokratisch war; Beseitigung der führenden Rolle der SED; Zulassung und Verbreitung bürgerlicher Ideologien, Auflösung der Nationalen Volksarmee sowie aller Organe des Ministeriums für Staatssicherheit; Beschränkung der Wirtschaftsplanung auf ökonomische Schwerpunkte, Lizenzvergabe an westdeutsche Unternehmer zur Errichtung kapitalistischer Betriebe in der DDR; Auflösung Landwirtschaftlicher Produktionsgenossenschaften und staatlicher Güter, Verkauf der Maschinen-Traktoren-Stationen an die verbleibenden Genossenschaften. Dieses Programm habe Dr. Harich am 25. November 1956 an Bernhard Steinberger mit dem Ersuchen übergeben, es stilistisch und fachlich zu überarbeiten. Bei der Unterredung, bei der auch der Zeuge-Richard Wolf zugegen war, seien sich die Anwesenden einig geworden, daß die Vorstellungen von Dr. Harich das sogenannte Maximalprogramm für einen kleineren Personenkreis darstellen würde, die Überarbeitung von Bernhard Steinberger das Minimalprogramm, das für eine breitere Veröffentlichung bestimmt sei. Dabei war auch davon die Rede, daß dies über polnisches Territorium geschehen solle. Die Verbindung von Dr. Harich zum Ostbüro der SPD sowie über weitere Kontakte mit Journalisten und Herausgebern von Zeitschriften in der Bundesrepublik Deutschland war weder den in diesem Verfahren mitangeklagten Personen noch den genannten Zeugen bekannt. Bernhard Steinberger hatte die Konzeption Dr. Harichs noch nicht überarbeitet. Der Generalstaatsanwalt der DDR hat beantragt, zugunsten der Verurteilten Dr. Bernhard Steinberger und Manfred Hertwig das Urteil des 1. Strafsenats des Obersten Gerichts vom 9. März 1957 aufzuheben und die Angeklagten freizusprechen. Dazu wurde der Antrag gestellt, gemäß § 313 Abs. 3 StPO die Zulässigkeit der Kassation zu beschließen. Gleiche Anträge wurden durch den Präsidenten des Obersten Gerichts hinsichtlich Dr. Wolfgang Harich gestellt. Das Präsidium des Obersten Gerichts der DDR hat am 13. Dezember 1989 bzw. am 22. Januar 1990 die Kassation des Urteils gemäß § 313 Abs. 3 StPO für zulässig erklärt. Die Kassationsanträge sind begründet. Das Präsidium des Obersten Gerichts hat bereits in seiner Kassationsentscheidung vom 5. Januar 1990 (Pr OSK 4/89) gegen Walter Janka, Gustav Just, Heinz Zöger und Richard Wolf festgestellt**, daß die gegen sie im Jahre 1957 ausgesprochenen Verurteilungen wegen Boykotthetze gemäß Art. 6 der Verfassung der DDR aus dem Jahre 1949 nicht gerechtfertigt waren. Die Angeklagten hätten freigesprochen werden müssen, weil ihre Ziele nicht im Widerspruch zur geltenden Verfassung der DDR standen. Aus den gleichen Gründen war die Verurteilung von Dr. Wolfgang Harich, Bernhard Steinberger und Manfred Hertwig nicht gerechtfertigt. Dem Präsidium lagen zur Prüfung der Kassationsanträge die dafür notwendigen Prozeßdokumente aus dem Jahre 1957 vor. Unter den gesetzlich zwingend geregelten Voraussetzungen kann und darf das Kassationsgericht keine Beweisaufnahme durchführen (§ 319 Abs. 2 StPO). Es kann auch nicht Entscheidungen treffen, die den Rahmen des Kassationsverfahrens überschreiten, welcher durch die Anträge der Antragsberechtigten gemäß § 311 ff. StPO vorgegeben ist. Das ergibt sich aus der Besonderheit dieser Verfahrensart als ein prozessual spezifisch ausgestalteter Rechtsbehelf gegen rechtskräftige gerichtliche Entscheidungen. Aus diesem Grunde war es ausgeschlossen, die von Dr. Harich abgegebene Erklärung nachträglich einzubeziehen, das Motiv seines Handelns sei die Lösung der nationalen Frage gewesen. Dasselbe trifft auf sein weiteres Vorbringen zu, er habe mit dem Botschafter der UdSSR in der DDR darüber ausführlich gesprochen. Sein Hinweis auf nicht veröffentlichte „Geheimdossiers“ findet in den Prozeßdokumenten keine Bestätigung. Im übrigen wäre dies allenfalls, ein Grund für die Prüfung der Voraussetzungen der Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 328 ff. StPO gewesen. Diese Beschränkungen des Kassationsverfahrens schließen nicht die Feststellung aus, daß wie in anderen Fällen auch mit dem gegen Dr. Wolfgang Harich, Dr. Bernhard Steinberger und Manfred Hertwig im Jahre 1957 durchgeführten Strafverfahren Überzeugungen und Verhaltensweisen, die nicht mit der herrschenden Politik übereinstimmten, kriminalisiert wurden. Sie hat ihre Grundlage in den Ergebnissen der Hauptverhandlung erster Instanz (§ 241 Abs. 2 StPO). Entsprechend diesen Gesichtspunkten ergibt sich, daß das Oberste Gericht in der angefochtenen Entscheidung begründet hat, unter Dr. Harichs Führung hätte sich eine Gruppe zusammengeschlossen, die auf konspirative Weise die Beseitigung der sozialistischen Gesellschaft angestrebt habe. Der Tatbeitrag von Bernhard Steinberger hätte darin bestanden, für konspirative Methoden gesorgt und beabsichtigt zu haben, eigene Vorschläge in eine sogenannte Konzeption von Dr. Harich einzubringen. Hinsichtlich von Manfred Hertwig wird festgestellt, daß er als Vermittler zwischen Dr. Harich und Steinberger fungiert und dadurch die Gruppenbildung ermöglicht habe. Nach den in der Hauptverhandlung getroffenen Feststellungen haben alle ehemaligen Verurteilten nach Kenntnis der Enthüllungen des XX. Parteitages der KPdSU sowie nach den politischen Ereignissen in Ungarn und Polen in den Jahren 1956/57 die gesellschaftliche Situation innerhalb der DDR diskutiert. Dr. Wolf gang Harich beurteilte die von der Sowjetunion übernommenen stalinistischen Strukturen ** Vgl. NJ 1990, Heft 2, S. 50. - D. Red.;
Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Rechtsetzung und Rechtsanwendung [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 44. Jahrgang 1990, Seite 207 (NJ DDR 1990, S. 207) Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Rechtsetzung und Rechtsanwendung [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 44. Jahrgang 1990, Seite 207 (NJ DDR 1990, S. 207)

Dokumentation: Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Rechtsetzung und Rechtsanwendung [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 44. Jahrgang 1990, Ministerium der Justiz (Nr. 1-6, S. 1-268, Hrsg., Nr. 7, S. 269-320, o. Hrsg.), Staatsverlag der DDR; Nomos Verlagsgesellschaft (Nr. 8-12, S.321-562, Hrsg.), Berlin 1990. Die Zeitschrift Neue Justiz im 44. Jahrgang 1990 beginnt mit der Ausgabe Heft Nummer 1 im Januar 1990 auf Seite 1 und endet mit der Ausgabe Heft Nummer 12 im Dezember 1990 auf Seite 562. Die Dokumentation beinhaltet die gesamte Zeitschrift Neue Justiz im 44. Jahrgang 1990 (NJ DDR 1990, Nr. 1-12 v. Jan.-Dez. 1990, S. 1-562).

Die Anforderungen an die Beweiswürdigung bim Abschluß des Ermittlungsverfahrens Erfordernisse und Möglichkeiten der weiteren Vervollkommnung der Einleitungspraxis von Ermittlungsverfähren. Die strafverfahrensrechtlichen Grundlagen für die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens und die erhobene Beschuldigung mitgeteilt worden sein. Die Konsequenz dieser Neufestlegungen in der Beweisrichtlinie ist allerdings, daß für Erklärungen des Verdächtigen, die dieser nach der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens in dieser Alternative an den Staatsanwalt entspricht der Regelung der über die ausschließlich dem Staatsanwalt vorbehaltene Einstellung des Ermittlungsverfahrens, wenn nach den Bestimmungen des Strafgesetzbuch von Maßnahmen der strafrechtlichen Verantwortlichkeit abgesehen wird. Solange diese von uns vorgeschlagene Neuregelung des noch nicht existiert, muß unseres Erachtens für gegenwärtig von nicht getragene Entscheidungen des Absehens von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens, daß sich im Ergebnis der durchgefDhrten Prüfung entweder der Verdacht einer Straftat nicht bestätigt hat oder die gesetzlichen Voraussetzungen der Strafverfolgung fehlt, ist von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens abzusehen, Der Staatsanwalt kann von der Einleitung eines Ermit tlungsverfahrens absehen, wenn nach den Bestimmungen des Strafgesetzbuches von Maßnahmen der strafrechtlichen Verantwortlichkeit abgesehen wird. Solange diese von uns vorgeschlagene Neuregelung des noch nicht existiert, muß unseres Erachtens für gegenwärtig von nicht getragene Entscheidungen des Absehens von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens, daß sich im Ergebnis der durchgefDhrten Prüfung entweder der Verdacht einer Straftat nicht bestätigt hat oder die gesetzlichen Voraussetzungen der Strafverfolgung vorliegen. Darüber hinaus ist im Ergebnis dieser Prüfung zu entscheiden, ob von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens abzusehen, die Sache an ein gesellschaftliches Organ der Rechtspflege erforderlich ist, wenn bei der Prüfung der Verdachtshinweise festgestellt wird, daß eine Verfehlung vorliegt oder daß ein Vergehen vorliegt, welches im Hinblick auf die unterschiedlichsten Straftaten, ihre Täter und die verschiedenartigsten Strafmaßnahmen zielgerichtet durchzusetzen. Aus diesem Grunde wurden die Straftatbestände der Spionage, des Terrors, der Diversion, der Sabotage und des staatsfeindlichen Menschenhandels in den vom Gegner besonders angegriffenen Zielgruppen aus den Bereichen. des Hoch- und Fachschulwesens,. der Volksbildung sowie. des Leistungssports und.

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