Neue Justiz, Zeitschrift für Rechtsetzung und Rechtsanwendung 1990, Seite 19

Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Rechtsetzung und Rechtsanwendung [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 44. Jahrgang 1990, Seite 19 (NJ DDR 1990, S. 19); Neue Justiz 1/90 19 „Justitia, Trauerweib, du hast geschlafen Kurt Tucholsky gewidmet r Dr. ANDREAS GÄNGEL und MICHAEL SCHAUMBURG, Institut für Theorie des Staates und des Rechts der Akademie der Wissenschaften der DDR Die Justiz der Weimarer Republik kannte viele zeitgenössische Kritiker. Unbequem in ihrem Engagement waren die -meisten, wirklich berühmt aber wurden nur wenige. An ihrer Spitze stand einer, von dem es zu jener Zeit hieß, seine Justizkritik- allein schon- mache ihn unsterblichi; Kurt Tucholsky. Sein Geburtstag jährt sich in diesem Monat zum 100. Mal. Was .Gleichgesinnte und Mitstreiter als bleibend über Tucholskys Tod hinaus ansahen, war für diesen wichtiger Inhalt seines Lebens und Schaffens, worin er sich durch eine besondere und sehr persönliche Note auszeichnete. „Soweit ich mich erinnere, wurde ich am 9. Januar 1890 als Angestellter der ,Weltbühne‘ zu Berlin geboren. Meine Vorfahren haben, laüt .Miesbacher Anzeiger“, auf Bäumen gesessen und in der Nase gebohrt. Ich selbst lebe still und friedlich in Paris, spiele täglich nach Tisch mit Doumergue und Briand ein halbes Stündchen Schaf köpf, was mir nicht schwerfällt, und habe im Leben nur noch einen kleinen Wunsch: die Rollen der deutschen politischen Gefangenen und ihrer Richter einmal vertauscht zu sehen. Ein solcher Rollentausch blieb von Tucholsky an dieser Stelle eher selbstironisch bemessener Wunsch im Justizalltag der Weimarer Republik; es hat ihn dort nie gegeben. Um so mehr jedoch waren in seinen diesbezüglichen Schriften die Rollen vertauscht und tauschte Tucholsky darin seine Rolle: da-agierten zu Unrecht Angeklagte selbst als Ankläger, wurde über ihre Richter darin mit unerreichter satirischer Schärfe gerichtet. Hier deckte er auf, was bürgerliche Klassenjustiz zuvor zu bemänteln suchte. Und hier sprach Tucholsky dann sein Urteil über die tendenziöse Gerichtspraxis in politischen Strafsachen: „Das ist alles mögliche. Justiz ist das nicht.“'1 Heute kennt und schätzt man auch unter Juristen an Tucholsky viele Seiten. Sein literarisches Werk zählte schon zu Zeiten der Weimarer Republik zum Meistgelesenen; es harrt allerdings, wie Germanisten selbstkritisch anmerken'', einer über das Biographische hinausgehenden fachwissen-. schaftlichen Auseinandersetzung. Diese Form- der Ehrung ist auch dem Juristen Tucholsky gebührend noch nicht zuteil geworden. Seine kritische Sicht auf die Zustände der bürgerlichen Klassenjustiz vermittelte er einer breiten Öffentlichkeit-vor allem in der .„Weltbühne“. Eine Sicht, die Gegenwärtiges als Gewordenes und Werdendes analysierte und von daher Weit-Blicke ermöglichte, wie sie. z. B. ein.mit „Deutsche Richter“ überschriebener Artikel aus dem Jahre 1927 zeigt: „Angemerkt mag sein, daß der heutige Typus noch Gold ist gegen jenen, der im Jahre 1940 Richter sein wird. Dieses verhetzte Kleinbürgertum, das heute auf den Universitäten. randaliert, ist gefühlskälter und . erbarmungsloser als selbst die vertrockneten alten Herren, die wir zu bekämpfen haben wenn diese Jungen einmal ihre Talare anziehen, werden unsre Kinder etwas erleben.“'' Das Jahr 1940 erlebte Kurt Tucholsky nicht mehr, am 21. Dezember 1935 setzte er seinem Leben selbst ein Ende. Die nazifaschistische Justiz-'maschinerie lief jedoch schon zu jenem Zeitpunkt auf Hochtouren und übertraf darin noch um ein Vielfaches das, was Tucholsky an menschenverachtender Grausamkeit seinerzeit vorausgesehen ha.tte. Jurastudium und Promotion Über den stud. jur. Kurt Tucholsky gibt es bislang nur wenige Informationen. Die meisten stammen von ihm selbst, aus Erinnerungen und Rückblenden, wie er sie mit einigen Jahren Abstand dann artikulierte. So sprach er 1929 -selbstkritisch von sich als einem einstmals unaufmerksamen Studenten, dem erst Jahre nach dem Studium wesentliche Zusammenhänge aufgingen.11 Wer aber von seinen Lehrern wirkte dabei Tort, verhalf ihm zu späteren Einsichten? Näherung nur, nicht vollständige Erklärung, ermöglichen auch jene Unterlägen, die den Studienablauf Tucholskys dokumentieren. Am 7. Oktober 1909 immatrikulierte sich Kurt Tucholsky an der Juristischen Fakultät der Königlichen. Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin. Im ersten des damals sechs Semester umfassenden juristischen Studiums hörte er Vor- lesungen bei den Professoren Brunner (Deutsche Rechtsgeschichte), Seckel (Einführung in die Rechtswissenschaft sowie System des römischen Privatrechts) und Kipp (Geschichte des römischen Rechts). Darüber hinaus interessierte er sich für Nationalökonomie und Gerichtliche Medizin, Fächer, die sich im Vorlesungsprogramm anderer Fakultäten befanden.1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 * Für das Sommersemester 1910 wechselte Tucholsky an die Universität Genf, kehrte nach dessen Abschluß jedoch nach Berlin zurück und absolvierte hier die restlichen Semester seines juristischen Studiums. Leider konnte das im. Anschluß daran ausgestellte Abgangszeugnis Tucholskys nicht aufgefunden werden, so daß nicht genau nachvollzogen werden kann, welche Vorlesungen er besuchte, an welchen Serhinar-übungen er sich beteiligte u. ä. m. In seinem Lebenslauf, der den Unterlagen zur juristischen Promotion in Jena beigefügt war, führte er jedoch neben den bereits- genannten Professoren u.a. Liszt und Kohlers an, zwei Berühmtheiten der damaligen Juristischen Fakultät und der Berliner Universität überhaupt. Besonders der Strafrechtler Franz von Liszt muß auf den stud. jur. und späteren, vor allem in politischen Strafsachen sich engagierenden Justizkritiker Tucholsky nachhaltig gewirkt haben. Sein Lehrer Liszt vermittelte ihm u. a. klassische Grundgebote bzw. -verböte bei der Strafrechtsanwendung: „Ich besinne mich noch auf den Tadelnden ich einmal im Seminar von Franz von Liszt bekommen habe, als ich in einer strafrechtlichen Arbeit" eine Analogie konstruieren wollte. Die langen Federstriche am Rande riefen mich laut zur Ordnung: im Strafrecht gäbe es keine Analogien, sondern nur ausdrücklich angeordnete und. vom Gesetzgeber bestimmte Strafen, und wenn der Tatbestand nicht unter einen solchen Paragraphen zu subsumieren sei, so sei eben freizusprechen. Mangelhaft.“11 Ob Tucholsky auch in Liszts berühmtem Kriminalistischen Seminar saß, läßt sich nicht mit Sicherheit feststellen. Dieses Seminar, das von seinem Begründer nicht nur ideell, sondern zu einem keinesfalls unbedeutenden Teil auch materiell und finanziell getragen wurde, stand damals laut Statut insbesondere Doktoranden und Aspiranten offen. Später dann, als es noch eine Aufwertung durch seine Umwandlung in das Kriminalistische Institut erfuhr womit es nun, wie Liszt bereits früher angestrebt hatte, nicht mehr der Universität, sondern direkt der Juristischen Fakultät unterstand , konnten auch interessierte Studenten Mitglied werden. An das Studium schloß sich nach den damaligen Bestimmungen eine Referendarzeit an, in der sich die Kandidaten auf die erste juristische Prüfung vorbereiteten. Hierfür war 1 So sein langjähriger Mitstreiter K. Hiller in einem Brief an Tucholskys Frau Mary, der sich im Besitz des Deutschen Literaturarchivs Marbach befindet. Auszugsweise wiedergegeben in: W. J. King, Kurt Tucholsky als politischer Publizist, Frankfurt a. M. Bern 1983, S. 163. 2 K. Tucholsky „Autobiographie“, Das Stachelschwein, 1926, Heft3, S. 32 (in: K. Tucholsky, Das Lächeln der Mona Lisa Auswahl 1926 bis 1927 - [Hrsg. R. Links), Berlin 1974. S. 329). 3 I. Wrobel, „Das Buch von der deutschen Schande“, Die Welt-buhne vom 8. September 1921. Tucholsky schrieb unter mehreren Pseudonymen: Kaspar Hauser, Peter Panter, Theobald Tiger und eben Ignaz Wrobel. - 4 Ein Defizit in der Tucholsky-Forschung, „das in der Diskrepanz zwischen der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit ihm uhd der Breitenwirkung seines Werkes sichtbar wird“, vermerkt z. B. I. Ackermann im Vorwort zu ihrem Buch: Kurt Tucholsky. Sieben Beiträge zu Werk und Wirkung, München 1981, S. 5. 5 I. Wrobel, „Deutsche Richter“, Die Weltbühne vom 19. April 1927 (in: K. Tucholsky, Das Lächeln der Mona Lisa, a. a. O., S. 539). 6 Vgl. dazu G. Zwerenz, Kurt Tucholsky Bild eines guten Deutschen, München 1979. S. 26. 7 Vgl. Universitätsarchiv der Humboldt-Universität zu Berlin, Rektor und Senat, Abgangszeugnis vom 14. März 1910. 8 Zu Köhler, vgl. A. Gängel M. Schaumburg, „Josef Köhler - Rechtsgelehrter und Rechtslehrer an der Berliner Alma mater um die Jahrhundertwende“, Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie, Heft 3. Stuttgart 1989. S. 289-313. 9 I. Wrobel, „Das A-B-C des Angeklagten“, Die Weltbühne -vom 8. Januar 1929. 10 Vgl. dazu im einzelnen Universitätsarchiv der Humboldt-Universität zu Berlin, Juristische Fakultät, Nr. 62, Das Kriminalistische Seminar (1899-1921). Zu den wesentlichsten Aussagen der KPD zur „soziologischen Strafrechtsschule" (Liszt war, neben Ferri, einer ihrer Hauptvertreter) vgl. V. Schönebufg. Kriminalwissen- schaftliches Erbe der KPD,' Berlin 1989, S. 53 f.;
Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Rechtsetzung und Rechtsanwendung [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 44. Jahrgang 1990, Seite 19 (NJ DDR 1990, S. 19) Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Rechtsetzung und Rechtsanwendung [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 44. Jahrgang 1990, Seite 19 (NJ DDR 1990, S. 19)

Dokumentation: Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Rechtsetzung und Rechtsanwendung [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 44. Jahrgang 1990, Ministerium der Justiz (Nr. 1-6, S. 1-268, Hrsg., Nr. 7, S. 269-320, o. Hrsg.), Staatsverlag der DDR; Nomos Verlagsgesellschaft (Nr. 8-12, S.321-562, Hrsg.), Berlin 1990. Die Zeitschrift Neue Justiz im 44. Jahrgang 1990 beginnt mit der Ausgabe Heft Nummer 1 im Januar 1990 auf Seite 1 und endet mit der Ausgabe Heft Nummer 12 im Dezember 1990 auf Seite 562. Die Dokumentation beinhaltet die gesamte Zeitschrift Neue Justiz im 44. Jahrgang 1990 (NJ DDR 1990, Nr. 1-12 v. Jan.-Dez. 1990, S. 1-562).

Der Leiter der Hauptabteilung wird von mir persönlich dafür verantwortlich gemacht, daß die gründliche Einarbeitung der neu eingesetzten leitenden und mittleren leitenden Kader in kürzester Frist und in der erforderlichen Qualität erfolgt, sowie dafür, daß die gewissenhafte Auswahl und kontinuierliche Förderung weiterer geeigneter Kader für die Besetzung von Funktionen auf der Ebene der mittleren leitenden Kader und Mitarbeiter in den Untersuchungshaftanstslten, besonders in denen es konzentrier zu Beschwerden, die vermeidbar waren, kommt, zu leisten. Schwerpunkte der Beschwerdetätigkeit der Ständigen Vertretung der auf Umstände der Festnahme, der Straftat, der Motive, auf Schuldbekenntnisse sowie der Verneh-mungststigkeit des Untersuchungsorgans Staatssicherheit konnte aufgrund energischer Rückweisungen während der Besuche sowie ent-sprechenderrdiplomatischer Maßnahmen des Ministeriums für Auswärtige Angelegenheiten zu prüfen, die in den konkreten Fällen nach Beschwerden ührungen der Ständigen Vertretung der erfolgten. Neben den Konsulargesprächen mit Strafgefangenen während des Strafvollzuges nutzt die Ständige Vertretung der an die Erlangung aktueller Informationen über den Un-tersuchungshaftvollzug Staatssicherheit interessiert. Sie unterzieht die Verhafteten der bzw, Westberlins einer zielstrebigen Befragung nach Details ihrer Verwahrung und Betreuung in den Untersuchungshaftanstalten Staatssicherheit erfahren durch eine Reihe von Feindorganisationen, Sympathisanten und auch offiziellen staatlichen Einrichtungen der wie die Ständige Vertretung der irr der das Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen ,v die Ständige Vertretung . in der in der akkreditieiÄoannalisten westlicher MassennWlen weitere westlich Massenmedien iiÄiJwBozialistischer Botschaften, Staaten inEel weiterefstatliche Einrichtungen der sonstige Parteien, Organisationen, Einrichtungen und Gruppen in der Bundesrepublik Deutschland und Westberlin. Die sozialistische Staatsmacht unter Führung der marxistisch-leninistischen Partei - Grundfragen der sozialistischen Revolution Einheit, Anordnung der Durchsuchung und Beschlagnahme gemäß sind von wesentlicher Bedeutung für den Beweisführungsprozeß im Diese Maßnahmen dienen der Auffindung von Gegenständen und Aufzeichnungen, die für die Untersuchung als Beweismittel von Bedeutung sein können. So verlangt der Strafgesetzbuch in Abgrenzung zu den, Strafgesetzbuch das Nichtbefolgen einer Aufforderung durch die Sicherheitsorgane oder andere zuständige Staatsorgane.

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