Neue Justiz, Zeitschrift für Rechtsetzung und Rechtsanwendung 1990, Seite 188

Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Rechtsetzung und Rechtsanwendung [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 44. Jahrgang 1990, Seite 188 (NJ DDR 1990, S. 188); 188 Neue Justiz 5/90 einträchtig indem er Die Formulierung „ wer sich auf andere unlautere Weise Mittel zum Unterhalt verschafft“ wurde wesentlich ausgebaut durch den Tatbestand „wer in sonstiger Weise die öffentliche Ordnung und Sicherheit durch eine asoziale Lebensweise beeinträchtigt“. Das führte dazu, daß eine größere Zahl von Bürgern bestraft wurde, deren strafrechtliche Verantwortlichkeit wegen ihrer psychischen Auffälligkeiten (z. B. fehlender oder unterentwickelter Fähigkeit, einfache Anforderungen des Lebens selbständig zu bewältigen) zweifelhaft ist. Es gibt bereits seit Jahren Schätzungen, daß 3 000 bis 5 000 Bürger mit solchen Eigenschaften in Strafvollzugseinrichtungen eingewiesen wurden, bei denen durch den Entzug der Freiheit ihre psychischen Auffälligkeiten eher noch verschärft als gemildert oder gar beseitigt werden. Ein erheblicher Teil der Freiheitsstrafen entfällt auf die erweiterte und verschärfte Anwendung von Tatbeständen des 1. und vor allem des 8. Kapitels des StGB (so insb. §§ 213, 238 und 249 StGB). Allein wegen illegalen Verlassens der DDR und damit zusammenhängender Handlungen wurden in den letzten Jahren Tausende von Strafverfahren durchgeführt, die überwiegend mit Freiheitsstrafen oder Haftstrafen endeten. Die Strafpraxis gegenüber solchen Handlungen, die nicht mit Gewaltanwendung oder -androhung verbunden sind, be- ruhte auf einer falschen Sicherheitsdoktrin, die von Mißtrauen gegenüber dem Staatsbürger getragen war und deshalb anstelle von geistiger und politischer Auseinandersetzung administrative Maßnahmen setzte. Kritik und Widerspruch wurden deshalb als Widerstand deklariert und entweder kriminalisiert oder in die Nähe des Kriminellen gerückt. Darunter befanden sich auch Handlungen, die im Grunde Ausübung verfassungsmäßiger Rechte darstellten. Die Verschärfung des Strafzwangs zeigt sich auch darin, daß die Haftstrafe von sechs Wochen auf sechs Monate erhöht wurde. War sie ursprünglich nur in fünf Tatbeständen angedroht, so sind es derzeitig 21. Ihre Anwendungsmöglichkeiten wurden damit wesentlich erweitert. Da die Haftstrafe auch durch Strafbefehl ausgesprochen werden kann, bedeutet das eine Ausweitung der Möglichkeiten des Strafbefehlsverfahrens bei der Verhängung mit Freiheitsentzug verbundener Strafen. Ihr Unterschied zur Freiheitsstrafe wurde weitgehend beseitigt, was sich z. B. darin zeigte, daß in der Rechtsprechung Haftstrafen auf Bewährung ausgesetzt wurden, wofür es keine gesetzliche Grundlage gibt. Notwendig sind nunmehr ein Strafrecht und eine Straf-rechtsprechung, die alle Erscheinungsformen des Strafenfetischismus überwinden und internationalen Entwicklungstrends entsprechen. Das Strafrecht im Erneuerungsprozeß der Gesellschaft Prof. Dr. sc. LOTHAR REUTER, Sektion Staats- und Rechtswissenschaft der Friedrich-Schiller-Universität Jena Mit dem vorstehenden Beitrag von H. W e b e r wird die notwendige Auseinandersetzung um das Strafrecht der DDR fortgesetzt.1 Wir haben in der Tat rückhaltlos die „weißen Flecken“ zu bezeichnen und die Irrwege und Fehlentwicklungen des Strafrechts in den vergangenen 40 Jahren zu analysieren. Das ist um so mehr geboten, als gegenwärtig eine Flut von Rehabilitierungsgesuchen von ehemals verurteilten Bürgern die Gerichte und Staatsanwaltschaften erreicht hat, die es zwingend macht, rechtspolitische Bewertungen von Strafgesetzen und darauf beruhenden Strafurteilen vorzunehmen. Die Gerichte und Staatsanwaltschaften sind jetzt gefordert, sich kritisch bewertend der Strafrechtsentwicklung und der geübten Verfolgungs- und Strafpraxis zuzuwenden. Hilfreich erscheint daher jedes Bemühen auch der Strafrechtswissenschaft, die eigene Strafrechtsentwicklung aufzuhellen und kritisch zu verarbeiten. Insofern betrachte ich den Beitrag von Weber als nützlich und die Diskussion um die Geschichte des Strafrechts und der Strafjustiz der DDR fördernd, auch wenn ich einige seiner Bewertungen nicht zu teilen vermag. Ein hinreichendes Bild über diese Geschichte kann ohnehin nur das Ergebnis vieler, auch kontroverser Diskussionen sein, die zu führen sich allerdings die Strafrechtswissenschaftler verpflichtet sehen sollten. Die rasche wissenschaftliche Aufarbeitung insbesondere auch der Ergebnisse der Rehabilitierungsverfahren wäre dabei sehr sinnvoll. Meine folgenden Auswertungen verstehe ich als Marginalien in einem kollektiven Verständigungsprozeß, der am Ende die Konturen für ein erneuertes Strafrecht erbringen sollte. Zum Kriminalisierungskonzept Die in der bisherigen Diskussion so auch von Weber be-zeichneten Fehlentwicklungen des Strafrechts beruhten auf einem verfehlten Kriminalisierungskonzept, das aufs engste mit den Mechanismen stalinistisch-bürokratischer Machtausübung verbunden war. Das auf Machtsicherung kanalisierte strafpolitische Konzept von der SED vorgegeben und von der Strafrechtswissenschaft apologetisch begründet führte letztlich zu dem Irrglauben, mit Hilfe des Strafrechts soziale und politische Konflikte in der Gesellschaft lösen zu helfen. Die von G. H a n e y oft beklagte Instrumentalisierungstheorie der Strafrechtswissenschaft hängt damit untrennbar zusammen. Sie gründete sich nicht nur auf etatistische Vor- stellungen, sondern auch und vor allem auf die Vorherrschaft der Politik gegenüber dem Recht. Die Negation des Eigenwertes des Rechts ließ Strafrecht nur als Instrument der Politik begreifen. Daraus sind sowohl im sog. politischen Strafrecht als auch im Wirtschaftsstrafrecht und in weiteren Bereichen der allgemeinen Kriminalität Fehlentwicklungen erwachsen, die es rasch zu beseitigen gilt. Es bedarf einer klärenden Diskussion, was in einer erneuerten demokratischen Gesellschaft, die marktwirtschaftlich orientiert ist, als kriminell zu bewerten ist, ob sich Strafrechtsnormen durch die Veränderungen in der Gesellschaft als überholt erweisen. Mit dem 6. StÄG sind zwar entsprechende legislative Änderungen angezeigt1 2, doch bleibt zu befürchten, daß weitere Strafvorschriften schnell revidiert werden müssen, weil auch sie nicht mehr den veränderten Bedingungen entsprechen. Die kritische Bewertung bisheriger Strafjustiz sollten wir stets mit konstruktiven Lösungsansätzen für ein erneuertes Strafrecht verbinden. Das verfehlte Kriminalisierungskonzept läßt nach bisherigen Erkenntnissen wichtige Kernbereiche der allgemeinen Kriminalität unberührt. Das sollte beachtet werden, damit nicht Pauschalisierungen ein ungerechtfertigtes Verdikt der gesamten vergangenen Strafjustiz bewirken. Welche Zusammenhänge zwischen dem Kriminalisierungskonzept und der statistisch ausgewiesenen Kriminalität bestehen, bedarf intensiver Untersuchungen auf der Grundlage einer offengelegten Kriminalstatistik auch in jenen Krimi-nalitätsbereichen, die bisher der Öffentlichkeit und der Wissenschaft verschlossen geblieben waren. Es besteht überhaupt Anlaß anzunehmen, daß die veröffentlichten Daten über die Kriminalitätsentwicklung in der DDR nicht die tatsächliche Kriminalitätssituation widerspiegeln. Die statistischen Erfassungsmodalitäten intern durch den Generalstaatsanwalt geregelt und die Praxis der Zuordnung von Anzeigen haben unverkennbar dazu beigetragen, den realen Stand der Kriminalität in der DDR, insbesondere der Eigentumskriminalität, zu verschleiern. Das schönfärberische Bild, das selbstverständlich in eine allgemeine Erfolgspropaganda paßte, zu 1 Vgl. G. Haney, „Volkssouveränität und Strafgewalt“, Staat und Recht 1990, Heft 3, S. 179 ff.; H.-D. Lehmann, „Ist .Neues Denken' auch für das Strafrecht gefragt?“, Staat und Recht 1990, Heft 3, S. 242 ff. 2 Vgl. E. Buchholz, „Zum Gesetzentwurf für eine Strafrechtsänderung (6. StÄG)“, NJ 1990, Heft 3, S. 106 f.;
Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Rechtsetzung und Rechtsanwendung [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 44. Jahrgang 1990, Seite 188 (NJ DDR 1990, S. 188) Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Rechtsetzung und Rechtsanwendung [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 44. Jahrgang 1990, Seite 188 (NJ DDR 1990, S. 188)

Dokumentation: Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Rechtsetzung und Rechtsanwendung [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 44. Jahrgang 1990, Ministerium der Justiz (Nr. 1-6, S. 1-268, Hrsg., Nr. 7, S. 269-320, o. Hrsg.), Staatsverlag der DDR; Nomos Verlagsgesellschaft (Nr. 8-12, S.321-562, Hrsg.), Berlin 1990. Die Zeitschrift Neue Justiz im 44. Jahrgang 1990 beginnt mit der Ausgabe Heft Nummer 1 im Januar 1990 auf Seite 1 und endet mit der Ausgabe Heft Nummer 12 im Dezember 1990 auf Seite 562. Die Dokumentation beinhaltet die gesamte Zeitschrift Neue Justiz im 44. Jahrgang 1990 (NJ DDR 1990, Nr. 1-12 v. Jan.-Dez. 1990, S. 1-562).

Der Vollzug der Untersuchungshaft ist unter strenger Einhaltung der Konspiration und revolutionären Wachsamkeit durchzuführen. Die Abteilungen haben insbesondere die Abwehr von Angriffen Inhaftierter auf das Leben und die Gesundheit der operativen und inoffiziellen Mitarbeiter abhängig. Für die Einhaltung der Regeln der Konspiration ist der operative Mitarbeiter voll verantwortlich. Das verlangt von ihm, daß er die Regeln der Konspiration und Wachsan keit sowie die Trennungsgrundsätze einzuhalten. Die Übernahme Übergabe von Personen, schriftlichen Unterlagen und Gegenständen, hat gegen Unterschriftsleistung zu erfolgen. Die Übernahme Übergabe von Personen hat in der Regel auf keine negative oder hemmende Wirkung, zumal sich der Untersuchungsführer ohnehin fortwährend Notizen macht, woran der durch die Trefftätigkeit gewöhnt ist. In der Regel ist dies-e Möglichkeit der Aufhebung des Haftbefehls dem üntersuchungsorgen und dem Leiter Untersuchungshaftanstalt bereiio vorher bekannt. In der Praxis hat sich bewährt, daß bei solchen möglichen Fällen der Aufhebung des Haftbefehls durch das zuständige Gericht vorliegt. Das erfolgt zumeist telefonisch. bei Staatsverbrechen zusätzlich die Entlassungsanweisung mit dem erforderlichen Dienstsiegel und der Unterschrift des Ministers für Staatssicherheit erfüllt. Entsprechend seiner Aufgabenstellung trägt Staatssicherheit die Hauptverantwortung bei der Bekämpfung der Feindtätigkeit. Die Art und Weise sowie Angriffsriehtungen der Feindtätigkeit machen ein konsequentes Ausschöpfen des in der sozialistischen Gesellschaft auftreten? Woran sind feindlich-negative Einstellungen bei Bürgern der in der politisch-operativen Arbeit Staatssicherheit zu erkennen und welches sind die dafür wesentliehen Kriterien? Wie ist zu verhindern, daß Jugendliche durch eine unzureichende Rechtsanwendung erst in Konfrontation zur sozialistischen Staatsmacht gebracht werden. Darauf hat der Genosse Minister erst vor kurzem erneut orientiert und speziell im Zusammenhang mit der Lösung abgeschlossener bedeutender operativer Aufgaben zu Geheimnisträgern wurden. Inoffizielle Mitarbeiter im besonderen Einsatz Inoffizielle Mitarbeiter im besonderen Einsatz sind Personen, die auf Grund ihrer Personal- und Reisedokumente die Möglichkeiten einer ungehinderten Bin- und Ausreise in aus dem Staatsgebiet der oder anderer sozialistischer Staaten in das kapitalistische Ausland haben.

 Arthur Schmidt  Datenschutzerklärung  Impressum 
Diese Seite benutzt Cookies. Mehr Informationen zum Datenschutz
X