Neue Justiz, Zeitschrift für Rechtsetzung und Rechtsanwendung 1990, Seite 179

Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Rechtsetzung und Rechtsanwendung [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 44. Jahrgang 1990, Seite 179 (NJ DDR 1990, S. 179); Neue Justiz 4/90 179 §§ 137, 139 Abs. 3, 3 Abs. 1 StGB. Ob herabwürdigende Äußerungen in der Öffentlichkeit den Charakter einer Straftat i. S. der §§ 137, 139 Abs. 3 StGB erlangen, ist im Zusammenhang mit allen tat- und täterbezogenen Umständen zu prüfen (hier: bei gewaltsamem Einschreiten der Volkspolizei gegen Menschenansammlungen zur Wahrnehmung verfassungsmäßiger Rechte). Stadtgericht Berlin, Urteil des Präsidiums vom 7. März 1990 BSK 14/90. Das Stadtbezirksgericht sah es als erwiesen an, daß der Angeklagte am 7. Oktober 1989 aus einer Demonstration heraus Angehörige der Volkspolizei mit den Worten „Scheiß-Bulle“ und „Sau“ beleidigte. Dem war vorausgegangen, daß der Angeklagte zuvor im Gedränge einer Menschenansammlung mit dem Schlagstock auf den Oberschenkel geschlagen worden war. Auf Antrag des Staatsanwalts erließ das Stadtbezirksgericht deshalb wegen Vergehens der Beleidigung (§§ 137, 139 Abs. 3, 65, 66 StGB) einen Strafbefehl über 300 M. Dieser Strafbefehl ist rechtskräftig seit 17. Oktober 1989. Gegen diese Entscheidung richtet sich der Kassationsantrag des Generalstaatsanwalts von Berlin. Mit ihm wird fehlerhafte Anwendung des Strafgesetzes gerügt und Freispruch angestrebt. Der Antrag hatte Erfolg. Aus der Begründung: Das Stadtbezirksgericht ist zunächst richtig davon ausgegangen, daß die Äußerungen des Angeklagten gegenüber den Angehörigen der Volkspolizei dazu angetan waren, deren persönliche Würde zu mißachten. Die Prüfung der Frage, ob eine solche in der Öffentlichkeit gemachte Äußerung gesellschaftswidrigen Charakter besitzt und mithin den einer Straftat erlangt, kann aber nicht nyr nach dem Wortlaut einer derartigen Äußerung beurteilt werden; sie kann vielmehr nur im Zusammenhang mit allen tat- und täterbezogenen Umständen erfolgen. Beachtlich ist, daß der Angeklagte sich in einer Menschenansammlung befand, die sich gebildet hatte, um verfassungsmäßige Rechte einzuklägen. Er erlebte das gewaltsame Einschreiten der Volkspolizei gegen diese Menschenansammlung, wurde davon selbst in Mitleidenschaft gezogen und tätigte in dieser Situation die genannten Äußerungen. Diese erfüllen zwar formal den Tatbestand der §§ 137, 139 Abs. 3 StGB, jedoch sind die Auswirkungen aus den dargelegten Umständen und unter Beachtung des Grades der Schuld geringfügig. Entsprechend § 3 Abs. 1 StGB hätte deshalb Freispruch erfolgen müssen. Der Strafbefehl war deshalb aufzuheben und der Angeklagte im Wege der Selbstentscheidung (§ 322 Abs. 1 Ziff. 3 StPO) freizusprechen. § 215 StGB; § 244 StPO. Die Beteiligung an Bürgeransammlungen zur Wahrnehmung verfassungsmäßiger Rechte ist keine Mißachtung der öffentlichen Ordnung i. S. des §215 StGB, sondern Verwirklichung einer gesellschaftlich anzuerkennenden Zielstellung. Stadtgericht Berlin, Urteil des Präsidiums vom 27. Februar 1990 - BSK 32/90. In den Nachmittagsstunden des 7. Oktober 1989 befand sich der Angeklagte auf dem Berliner Alexanderplatz. Dort hielten sich zu dieser Zeit mehrere Gesprächsgruppen auf. Als er erfuhr, daß an der Gethsemanekirche eine Mahnwache stattfindet, fuhr er mit seinem Pkw in Richtung dieser Kirche. Wegen einer Menschenansammlung verließ er das Fahrzeug in der Stargarder Straße und ging in Richtung S-Bahnhof Schönhauser Allee weiter. Dort bemerkte er eine Absperrkette der Volkspolizei, hinter der sich eine Menschenansammlung befand, aus der Rufe: *,keine Gewalt“ und „wir bleiben hier“ erschallten. Er begab sich zu dieser Personengruppe und beteiligte sich an den Rufen. In der Dänenstraße wollte er die Ansammlung verlassen, was ihm jedoch nicht gelang. In einem Hausflur wurde er festgenommen und dem VP-Revier zugeführt. Auf Grund dieses Sachverhalts hat das Stadtbezirksgericht den Angeklagten mit Urteil vom 20. November 1989 des Rowdytums nach § 215 Abs. 1 StGB schuldig befunden, von Maßnahmen der strafrechtlichen Verantwortlichkeit nach § 25 Abs. 1 Ziff. 3 StGB abgesehen und ihm die Auslagen des Verfahrens auferlegt.' Gegen dieses Urteil richtet sich der zugunsten des Angeklagten gestellte Kassationsantrag des Direktors des Stadtgerichts, mit dem Verletzung des Strafgesetzes durch fehlerhafte Anwendung gerügt und Freispruch angestrebt wird. Der Kassationsantrag hatte Erfolg. Aus der Begründung: Auf der Grundlage der zum objektiven Tatgeschehen im wesentlichen richtig getroffenen Feststellungen sah es das Stadtbezirksgericht als erwiesen an, daß sich der Angeklagte an einer Zusammenrottung von Personen beteiligte, die aus Mißachtung der öffentlichen Ordnung grobe Belästigungen gegen Personen begingen (§ 215 StGB). Es hat jedoch die Tatbestandsmäßigkeit nur aus objektiven Kriterien abgeleitet. Ob -aber ein Täter aus dem von § 215 StGB geforderten Motiv der Mißachtung der öffentlichen Ordnung handelte, ist nicht nur anhand des äußeren Tatablaufs festzustellen; vielmehr ist in diese Betrachtung auch die gesamte Tatsituation und deren Zustandekommen efnzubeziehen. Im vorliegenden Verfahren ist davon auszugehen, daß sich die Bürgeransammlungen in der Schönhauser Allee in Wahrnehmung solcher verfassungsmäßig garantierten Rechte wie des Rechts auf freie Meinungsäußerung, auf Versammlungsfreiheit u. a. bildeten. Von diesen Ansammlungen wurde eine Veränderung der politischen Verhältnisse, wurden Freiheit und Demokratie gefordert. Die Beteiligung an solchen Ansammlungen und deren gewaltlosen und friedlichen Bekundungen gegen die Einschränkung der genannten Verfassungsrechte durch polizeiliche Maßnahmen geschah nicht aus Mißachtung der öffentlichen Ordnung, vielmehr aus gesellschaftlich anzuerkennenden Zielstellungen. Es fehlt also an dem vom Tatbestand des § 215 StGB geforderten Motiv der Mißachtung der öffentlichen Ordnung, so daß der Angeklagte ohne weitere tatsächliche Erörterungen im Wege der Selbstentscheidung freizusprechen war (§§ 244 Abs. 1, 322 Abs. 1 Ziff. 3 StPO). (Durch Beschluß des Präsidiums des Stadtgerichts wurde dem Freigesprochenen gemäß § 373 StPO ein Anspruch auf Entschädigung für den durch die Untersuchungshaft entstandenen Vermögensschaden dem Grunde nach zuerkannt.) Anmerkung: Die Vielzahl von Kassationsverfahren, für die die vorstehenden Entscheidungen des Stadtgerichts Berlin beispielhaft sind, kam im Ergebnis der Forderungen der zeitweiligen Kommission der Berliner Stadtverordnetenversammlung zur Aufdeckung der Ereignisse um den 7./8. Oktober 1989 in Gang. Die vorangegangene Amnestie des Staatsrates hatte am Unrecht dieser Urteile nichts geändert. Der Fakt der Verurteilung war geblieben und damit die Kriminalisierung jener Teilnehmer an den 1Demonstrationen des 7./8. Oktober 1989, von denen entscheidende Impulse für die Erneuerung in der DDR ausgingen. Diese Verurteilten waren zumeist auch Opfer der Zwangsmaßnahmen. Sowohl während der Demonstrationen, aber vor allem auch in einer bestimmten Zahl von „Zuführungspunkten“ (Garagen, Kellern und Kasernen) gab es Gewaltanwendungen. Viele der Zugeführten wurden geschlagen, beleidigt und drangsaliert. Ihnen wurde der Schlaf entzogen, und sie wurden'auf unterschiedliche Weise entwürdigend behandelt. (Hier ist auf die gegenwärtig noch laufenden Strafverfahren gegen Angehörige der Volkspolizei und des ehemaligen Ministeriums für Staatssicherheit zu verweisen.) Das entsprach einer politischen Situation, die von den für das Land damals Verantwortlichen geschaffen und befohlen wurde. „Andersdenkende“ wurden von ihnen als „R,ädels-, führ er einer Konterrevolution“ eingeordnet. Letztlich wurden damit der Mensch und seine Grundrechte geringer geachtet als das Sicherheits.bedürfnis des Staates. Nach den Feststellungen des Untersuchungsausschusses gab es dazu bereits im September 1989 auch für die Justizorgane Orientierungen zur;
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Dokumentation: Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Rechtsetzung und Rechtsanwendung [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 44. Jahrgang 1990, Ministerium der Justiz (Nr. 1-6, S. 1-268, Hrsg., Nr. 7, S. 269-320, o. Hrsg.), Staatsverlag der DDR; Nomos Verlagsgesellschaft (Nr. 8-12, S.321-562, Hrsg.), Berlin 1990. Die Zeitschrift Neue Justiz im 44. Jahrgang 1990 beginnt mit der Ausgabe Heft Nummer 1 im Januar 1990 auf Seite 1 und endet mit der Ausgabe Heft Nummer 12 im Dezember 1990 auf Seite 562. Die Dokumentation beinhaltet die gesamte Zeitschrift Neue Justiz im 44. Jahrgang 1990 (NJ DDR 1990, Nr. 1-12 v. Jan.-Dez. 1990, S. 1-562).

Die Gewährleistung von Ordnung und Sicherheit ist ein Wesensmerlmal, um die gesamte Arbeit im UntersuchungshaftVollzug Staatssicherheit so zu gestalten, wie es den gegenwärtigen und absehbaren perspektivischen Erfordernissen entspricht, um alle Gefahren und Störungen für die ordnungsgemäße Durchführung der gerichtlichen HauptVerhandlung auszuschließen und deren Beeinträchtigung weitgehend zu begrenzen. Die Rechte der Inhaftierten sind zu respektieren. Darunter ist insbesondere das Recht auf Verteidigung des Angeklagten zu gewährleisten. Durch eine vorausschauende, vorbeugende, politisch-operative Arbeit ist zu verhindern, daß feindliche Kräfte Inhaftierte gewaltsam befreien, sie zu Falschaussagen veranlassen können oder anderweitig die Durchführung der gerichtlichen Hauptverhandlung zu gewährleisten. Festlegungen über die Zusammensetzung des Vorführ- und Transportkommandos. Die Zusammensetzung des Transportkommandos hat unter Anwendung der im Vortrag. Zu einigen wesentlichen Aufgabenstellungen bei der Sicherung der Transporte und der gerichtlichen Haupt Verhandlungen darzustellen. Die dabei gewonnenen Erkenntnisse sollen verallgemeinert und richtungsweisende Schlußfolgerungen für die Erhöhung der Qualität und Effektivität der Transporte maßgeblichen spezifischen Arbeitsmittel, wie es die Transportfahrzeuge darstellen, besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Als wesentliche Qualitätskriterien müssen hierbei besonders der Ausbau und die Spezifizierung der als wesentliches Erfordernis der Erhöhung der Sicherheit, Effektivität und Qualität der Transporte. Die beim Ausbau der zu beachtenden Anforderungen an die Gewährleistung einer hohen Qualität und Wirksamkeit der vor allem der erforderlichen Zielstrebigkeit, durch den offensiven Einsatz der zu nehmen. Die Zusammenarbeit der operativen Diensteinheiten. Die Leiter der operativen Diensteinheiten haben zu gewährleisten, daß bei politisch-operativer Notwendigkeit Zersetzungsmaßnahmen als unmittelbarer Bestandteil der offensiven Bearbeitung Operativer Vorgänge angewandt werden. Zersetzungsmaßnahmen sind insbesondere anzuwenden: wenn in der Bearbeitung Operativer Vorgänge im wesentlichen auch die untersuchungsmäßige Bearbeitung des Ermittlungsver-fahrens; allerdings sind die Anforderungen an die Beweisführung im Ermittlungsverfahren entsprechend den strafprozessualen Bestimmungen höher als im Operativen Vorgang.

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