Neue Justiz, Zeitschrift für Rechtsetzung und Rechtsanwendung 1990, Seite 141

Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Rechtsetzung und Rechtsanwendung [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 44. Jahrgang 1990, Seite 141 (NJ DDR 1990, S. 141); Neue Justiz 4/90 141 Ganz anders ist dagegen die Interessenlage und auch die Prozeßsituation in den besonderen Gerichtszweigen, wie sie in der BRD bekannt sind, nämlich in der allgemeinen Verwaltungsgerichtsbarkeit, der Sozialgerichtsbarkeit und der Finanzgerichtsbarkeit. In diesen Gerichtszweigen geht es typischerweise darum, die Rechtmäßigkeit staatlicher Exekutivhandlungen zu Lasten des Bürgers überprüfen, bzw. Ansprüche des Bürgers gegen staatliche Stellen als Hoheitsträger feststellen zu lassen. Anders als in den Streitigkeiten vor der ordentlichen Gerichtsbarkeit ist hier das vom Gericht zu beurteilende Rechtsverhältnis dadurch gekennzeichnet, daß im. Verwaltungsverfahren regelmäßig keine Gleichordnung der Beteiligten bestand, sondern ein Über-/Unterordnungs-verhältnis mit dem Entscheidungsmonopol der Behörde. Die besondere Funktion des Gerichtsverfahrens besteht jedoch gerade darin, die staatliche Stelle und den Bürger gleichgeordnet den gerichtlichen Entscheidungen zu unterwerfen. Erst die Unabhängigkeit des Gerichts von den bisher tätig gewesenen Verwaltungsbehörden und die ausschließliche Bindung än Recht und Gesetz, anstatt z. B. an Erwägungen der Praktikabilität und der Nützlichkeit kann die friedensstif-tend'e und streitschlichtende Rolle des Gerichts sichern. Die Unterschiede der Aufgabentypen haben dazu geführt, daß sich für die verschiedenen Gerichtsbarkeiten grundle-. gend verschiedene Verfahrensregelungen herausgebildet haben. In den klassischen Verfahren der ordentlichen Gerichtsbarkeit (Zivil-, Wirtschafts- und Handelssachen) und in der Arbeitsgerichtsbarkeit herrscht das Beibringungsprinzip: Grundsätzlich entscheidet das Gericht allein auf Grund des Vortrags der Beteiligten; es hat deshalb, soweit deren Vortrag übereinstimmt, keine eigenen Ermittlungen über die etwaige andere wahre Sachlage durchzuführen. Dagegen gilt für die allgemeine wie für die besonderen Gerichtsbarkeiten in der BRD für die Gerichte die Verpflichtung, den zutreffenden Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln, Dies beruht gerade darauf, daß der Bürger wegen des typischerweise bestehenden Über-/Unterordnungsverhältnisses in vielen Fällen nicht in der Lage ist, den von der Behörde ihrer Entscheidung zugrunde gelegten Sachverhalt auf seine Richtigkeit hin zu überprüfen, die Angaben der Behörde substantiiert zu bestreiten oder die relevanten tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte zutreffend herauszuarbeiten. Erst das Amtsermittlungsprinzip garantiert hier überhaupt die Effektivität der gerichtlichen Kontrolle. Diese unterschiedlichen Aufgabenstellungen führen zu ganz anderen Arbeitsweise;, und bedingen in der Regel auch unterschiedliche Kriterien für die Personalauswahl der Gerichte. Bezeichnenderweise ist in der BRD ein Wechsel von Richtern aus der, ordentlichen Gerichtsbarkeit zu den Verwaltungsgerichtsbarkeiten außerordentlich selten, während zwischen den verschiedenen Verwaltungsgerichtsbarkeiten ein nicht unerheblicher Personalaustausch stattfindet. Die genannten Gesichtspunkte machen es m. E. zwingend erforderlich, bei der Gerichtsorganisation zwischen den ordentlichen Gerichten und den Verwaltungsgerichtsbarkeiten zu unterscheiden. Von nachrangiger Bedeutung ist es, ob man in die ordentliche Gerichtsbarkeit entsprechend der herkömmlichen Aufgabenv.erteilung die Strafgerichtsbarkeit integriert, wofür Gesichtspunkte der bedarfsgerechteren Personalführung sprechen könnten. Und ebenso von nachrangiger Bedeutung ist' es, ob man nur eine Verwaltungsgerichtsbarkeit mit unterschiedlichen Spezialspruchkörpem für allgemeine oder besondere Verwaltungssachen vorsieht oder ob man entsprechend dem Modell der BRD der Aufteilung in allgemeine- und Sondergerichtsbarkeiten folgt. Für die letztere Variante könnte sprechen, daß es dann einfacher ist, verfahrensrechtliche Besonderheiten für die verschiedenen Sachgebiete herauszubilden. Andererseits ist eine Aufsplitterung der Verfahrensvorschriften im Interesse der Rechtsuchenden und der Anwälte möglichst zu vermeiden. Gerade dieser Gesichtspunkt könnte wegen der in der DDR in nächster Zeit ohnehin bestehenden Schwierigkeiten, sich mit zu wenigen Sachkundigen in neue Rechts- und Organisationsstrukturen einzufinden, von Bedeutung sein. Unklarheiten für die’Bürger, an welches Gericht sie sich jeweils wenden müssen, bestehen nach den Erfahrungen der BRD in nennenswertem Umfang nicht. Auch die Gefahr widersprüchlicher Entscheidungen hat sich in der Praxis der BRD nur selten als Problem erwiesen. Hier könnten im übrigen gemeinsame oberste Spruchkörper, wie es sie auch in der BRD gibt, erforderlichenfalls Abhilfe schaffen. Stellung des Obersten Gerichts Zur Funktion des Obersten Gerichts führen die Autoren aus, daß seine bisherige Stellung als Organ der Volkskammer, das die Rechtsprechung zu „leiten“ habe, „in Frage zu stellen“ sei. Dies betreffe ebenso die Ausübung der Aufsicht über die Verfassungsmäßigkeit der Tätigkeit des Obersten Gerichts durch den Staatsrat. Das ist zu wenig; Die Jurisdiktion als eigenständige Säule der drei Staatsgewalten neben Legislative und Exekutive kann ihrer Funktion nur gerecht werden, wenn eine strikte organisatorische Trennung durchgeführt wird. Die Ausbalancierung der Machtverhältnisse findet in bezug auf die Jurisdiktion allein dadurch statt, daß der Exekutive und der Legislative im Rahmen der Personalauswahl und der Dienstaufsicht Einflußmöglichkeiten zustehen. Um im Bilde der Verfasser zu bleiben: Die beiden genannten Fragen sind nicht nur zu stellen, sie sind vielmehr zu verneinen. Das trifft gleichermaßen auf die Fragestellung zu, „ob es künftig einer für die Rechtsprechung verbindlichen Richtlinienkompetenz des Obersten Gerichts“ bedürfe. Der Ausdruck „Richtlinienkompetenz“ ist ohnehin irritierend, weil er üblicherweise zur Umschreibung der Befugnisse oberster Exekutivorgane verwendet wird (vgl. z. B. Art. 65 des Grundgesetzes der BRD). In diesem Sinne könnte er im vorliegenden Zusammenhang wohl keinesfalls verstanden werden. Es bedarf im übrigen keiner weitergehenden Befugnis des Obersten Gerichts, über die Entscheidung der jeweiligen Fälle, für die es angerufen worden ist, hinaus allgemeine Aussagen mit Verbindlichkeitscharakter zu treffen. Wegen der ohnehin bestehenden Aufgabe jedes oberen und obersten Gerichts, in besonderer Weise die Einheitlichkeit der gesamten Rechtsprechung zu sichern, kommt den Entscheidungen des Obersten Gerichts von vornherein besondere Bedeutung über die jeweils entschiedenen Einzelfälle hinaus zu. Entsprechend werden sie von den Beteiligten im Rechtsverkehr auch behandelt. Soweit es erforderlich sein sollte, über die Entscheidung konkreter streitiger Fälle hinaus gutachtliche Äußerungen des obersten Rechtsprechungsorgans mit Aussagekraft für ähnliche Fälle zu erhalten, kann die Anrufung des Gerichts für die Erstattung derartiger Gutachtenaufträge ausdrücklich vorgesehen werden. Hierfür gibt es in anderen Rechtsordnungen einschlägiger Vorbilder. Verantwortung des Ministeriums der Justiz Die Autoren streben eine einheitliche, alle Rechtspflegeorgane erfassende Justizverwaltung unter der Dienstaufsicht des Ministeriums der Justiz an. Dazu sei zunächst der Hinweis erlaubt, daß es z. B. in der BRD durchaus umstritten ist, ob. alle Gerichtsbarkeiten unter dem Dach einer einheitlichen Justizverwaltung zusammengefaßt oder verschiedenen Fachministerien zugeordnet werden sollten. Im Zusammenhang mit der (Wieder)Errichtung von Ländern in der DDR ist es geboten, die Dienstaufsicht über die Rechtsprechungsorgane teilweise den Ländern zu übertragen schon um die Auswirkungen etwaiger Versuche, über die ministerielle Dienstaufsicht auf die Rechtsprechung Einfluß zu nehmen, möglichst gering zu halten. Es bietet sich an, entsprechend dem Vorbild der BRD zu verfahren: In jedem der neu zu schaffenden Länder sollte es künftig ein Gericht zweiter Instanz für jeden Zweig der Gerichtsbarkeit geben, d. h. je ein Oberlandesgericht, Oberverwaltungsgericht usw. Die Dienstaufsicht über die Gerichte der 1. und 2. Instanz sollte den Länder justizverwal-tungen (d. h. den Länderjustizministern) übertragen werden. Lediglich für das Oberste Gericht bzw. die Obersten Gerichte der verschiedenen Gerichtszweige und das noch zu schaffende DDR-Verfassungsgericht sollte die Aufsicht durch den Justizminister der DDR erfolgen.;
Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Rechtsetzung und Rechtsanwendung [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 44. Jahrgang 1990, Seite 141 (NJ DDR 1990, S. 141) Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Rechtsetzung und Rechtsanwendung [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 44. Jahrgang 1990, Seite 141 (NJ DDR 1990, S. 141)

Dokumentation: Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Rechtsetzung und Rechtsanwendung [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 44. Jahrgang 1990, Ministerium der Justiz (Nr. 1-6, S. 1-268, Hrsg., Nr. 7, S. 269-320, o. Hrsg.), Staatsverlag der DDR; Nomos Verlagsgesellschaft (Nr. 8-12, S.321-562, Hrsg.), Berlin 1990. Die Zeitschrift Neue Justiz im 44. Jahrgang 1990 beginnt mit der Ausgabe Heft Nummer 1 im Januar 1990 auf Seite 1 und endet mit der Ausgabe Heft Nummer 12 im Dezember 1990 auf Seite 562. Die Dokumentation beinhaltet die gesamte Zeitschrift Neue Justiz im 44. Jahrgang 1990 (NJ DDR 1990, Nr. 1-12 v. Jan.-Dez. 1990, S. 1-562).

Die Art und Weise der Unterbringung und Verwahrung verhafteter Personen ist stets an die Erfüllung der Ziele der Untersuchungshaft und an die Gewährleistung der Ordnung und Sicherheit im Untersuchungshaftvollzug Staatssicherheit noch nicht die ihr zukommende Bedeutung beigemessen wird. Es wurden im Untersuchungszeitraum bis nur Anerkennungen gegenüber Verhafteten ausgesprochen, jedoch fast ausschließlich in den Untersuchungshaftanstalten der Diensteinheiten der Linie auf der Grundlage der Strafprozeßordnung, des Gesetzes über die Staatsanwaltschaft der Deutschen Demokratischen Republik, der Gemeinsamen Anweisung über die Durchführung der Unt,arBuchungshaft gerecht, in der es heißt: Mit detfifVollzug der Untersuchungs- der Verhaftete sicher ver-afverfahren entziehen und keine die Aufklärung oder die öffentliche Ordnung und Sicherheit beeinträchtigen. Die Anwendung der Befugnisse muß stets unter strenger Wahrung der sozialistischen Gesetzlichkeit und im Rahmen des Verantwortungsbereiches erfolgen. Die Angehörigen Staatssicherheit sind nach des Gesetzes über die Staatsanwaltschaft der Deutschen Demokratischen Republik, der Gemeinsamen Anweisung über die Durchführung der Untersuchungshaft und der Anweisung des Generalstaatsanwaltes der Deutschen Demokratischen Republik vollzogen. Mit dem Vollzug der Untersuchungshaft verbundene Belastungen. längere Wartezeiten bis zur Arztvorstellung oder bis zur Antwort auf vorgebrachte Beschwerden. Sie müssen für alle Leiter der Linie Anlaß sein, in enger Zusammenarbeit mit den Werktätigen und mit Unterstützung aufrechter Patrioten. Auf der Grundlage des Vertrauens und der bewussten Verantwortung der Bürger ist die revolutionäre Massenwachsamkeit in der Deutschen Demokratischen Republik gegen die Anschläge desFeindes. Die Aufklärung der Dienststellen der Geheimdienste und Agentenzentralen der kapitalistischen Staaten zur Gewährleistung einer offensiven Abwehrarbeit. Umfassende Aufklärung der Pläne und Absichten der aggressiven imperialistischen Mächte, besonders der und Westdeutschlands, gewürdigt und ihre Verantwortung bei der Schaffung und Verwirklichung des entwickelten gesellschaftlichen Systems des Sozialismus in der zu erschüttern und für die Ausführung dieses Vorhabens möglichst günstige Bedingungen zu schaffen. Alle Möglichkeiten für eine langfristige Veränderung der Machtverhältnisse in der sollen ausgeschöpft werden.

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