Neue Justiz, Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft 1976, Seite 323

Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 30. Jahrgang 1976, Seite 323 (NJ DDR 1976, S. 323); mehr zu beeinflussen waren. Das bewußte Verabreichen einer Substanz, die als für den menschlichen Körper schädlich erkannt wird, stellt eine grobe Pflichtverletzung dar, die das soziale Wesen des Gesamtverhäl-tens grundlegend bestimmt und als sozial-negativ charakterisiert. Die subjektive psychische Vorwegnahme des Vorgangs ist für die soziale Gesamtwertung dann von untergeordneter Bedeutung und wird geradezu belanglos, wenn der Täter das von ihm in Gang gesetzte Geschehen überhaupt nicht mehr steuern oder wenigstens beeinflussen kann. Insofern sprechen in dem zweiten Sachverhalt viele Faktoren nicht mehr für eine Leichtfertigkeit i. S. des § 7 StGB, sondern für eine bedingt vorsätzliche Tötung gemäß § 6 Abs. 2 StGB. Die Entscheidung dieser Frage hängt u. E. vor allem davon ab, ob beim Angeklagten eine außergewöhnliche Unkenntnis hinsichtlich der Gefährlichkeit des Lötwassers vorlag und ob diese Unkenntnis auf Grund seiner Persönlichkeit, seines Wissensstandes, der Erfahrungen, Fähigkeiten usw. bis zu einem gewissen Grade toleriert werden muß. Sofern dies nicht der Fall ist, wird u. E. sowohl hinsichtlich der Nutzensabwägung als auch hinsichtlich der Realisierungsfolgen und der Realisierungswahr-scheinl'ichkeit der Fahrlässigkeitsbereich verlassen. Soziale Bewertung der Folgenvoraussicht Jede Voraussicht der Folgen umfaßt das Erkennen der Möglichkeit des Eintritts von Folgen. Unter dem Aspekt der Erkenntnis besteht insoweit die gleiche Sachlage wie bei bedingtem Vorsatz. So hat z. B. der Täter bei der Herbeiführung eines schweren Verkehrsunfalls die Folgen vorausgesehen, wenn ihm bewußt ist, daß er nicht mit Sicherheit alle wesentlichen Bedingungen des Fahrvorgangs zu übersehen vermag, wenn er also die Unsicherheit wesentlicher Bedingungen seines Fahrverhaltens erkennt. Das Erkennen unsicherer Handlungsbedingungen schließt im Verkehrsgeschehen oder bei Havarien den Bezug zu negativen Folgen stets ein. Deshalb können das Erkennen unsicherer Handlungsbedingungen und die Folgenvoraussicht als funktionelle Einheit angesehen werden. Vorauszusehen ist in der Regel das Endergebnis, nicht aber der Kausalverlauf in seinen Einzelheiten, Bei der Voraussicht handelt es sich im allgemeinen nicht um einen psychischen Vorgang, der durch tiefgründige Situationsanalysen und systematische rational-logische Kombinationen gekennzeichnet ist. Vielmehr bleibt die Voraussicht unter dem Einfluß der sich häufig schnell wandelnden Bedingungen oftmals im Vordergründigen und Intuitiven. So verlangt beispielsweise § 196 StGB nicht die Voraussicht einer individuell bestimmten Folge, sondern die Voraussicht des Eintritts eines Verkehrsunfalls, der mehrere Tote oder bedeutende Sachschäden zur Folge haben kann. Wird also die Herbeiführung eines Verkehrsunfalls vorausgesehen, umfaßt die Voraussicht die ganze Folgenbreite, also auch die Verursachung des Todes anderer Menschen. Im Gegensatz zum bedingten Vorsatz, bei dem der Täter sein Handeln um jeden Preis verwirklichen will, auch wenn dabei die vorausgesehenen Folgen eintreten, ist für den leichtfertig Handelnden die Annahme bestimmend, daß die vorausgesehene Möglichkeit nicht Wirklichkeit wird. Er vertraut darauf, daß die vorausgesehenen Folgen nicht eintreten werden. Leichtfertiges Vertrauen auf den Nichteintritt vorausgesehener Folgen Leichtfertiges Vertrauen drückt sich in der bewußten Entscheidung zu einer als gefährlich erkannten Handlungsvariante aus. Dabei wird die Wahrscheinlichkeit des Eintritts unerwünschter negativer Handlungskonsequenzen falsch eingeschätzt. Wahrscheinlichkeit des Eintritts der als möglich vorausgesehenen Folgen wird in einer Weise unterschätzt, die nicht den realen Gegebenheiten und den Möglichkeiten des Täters entspricht. Der Täter unterschätzt die ungünstigen objektiven Bedingungen bzw. überschätzt seine eigenen Fähigkeiten und Möglichkeiten, weil keine ausreichende Bereitschaft zur kritischen Auseinandersetzung besteht. Insofern drückt sich in der Leichtfertigkeit eine negative subjektive Einstellung aus. Für das Vorliegen leichtfertigen Vertrauens ist charakteristisch, daß der Täter die Unsicherheit der Handlungsbedingungen und damit die Möglichkeit des Eintritts von Folgen erkennt, auf die Wirksamkeit bestimmter folgenverhütender Umstände bei der Entscheidung zur kritischen Handlungsvariante vertraut, die objektive Rechtfertigung des Vertrauens auf die folgenverhütenden Umstände unzureichend (leichtfertig) überprüft, versucht, die unsicheren Situationsbedingungen und -abläufe durch kompensierende Verhaltensbemühungen zu entschärfen. Verantwortungslose Gleichgültigkeit und die disziplinlose Gewöhnung i. S. des § 8 Abs. 2 StGB Nach wie vor treten bei der fahrlässigen Schuld in Form der unbewußten Pflichtverletzung infolge verantwortungsloser Gleichgültigkeit oder der Gewöhnung an pflichtwidriges Verhalten gewisse Mängel in der Rechtsanwendung auf. Das betrifft neben ungenügender Begründung der unbewußten Pflichtverletzung, ihres zeitweiligen oder dauerhaften Charakters, ihrer Verfestigung oder Begrenztheit vor allem die inhaltlichen Probleme der Verantwortungslosigkeit, die in der Gleichgültigkeit oder in der Gewöhnung an pflichtwidriges Verhalten bestehen. Diese Mängel führen dazu, daß weder der Inhalt der Schuld richtig festgestellt noch in den tatsächlichen Grenzbereichen fahrlässiger Schuld richtige und eindeutige Grenzen gezogen werden. Es kann nicht überzeugen, wenn z. B. bei einem komplizierten Sachverhalt in den Urteilsgründen einfach der Wortlaut des § 8 Abs. 2 StGB wiedergegeben wird. Gleichermaßen fehlerhaft ist es aber auch, in der Schuld gemäß § 8 Abs. 2 StGB von vornherein und unabhängig vom Sachverhalt die „leichteste Schuldform“ zu sehen. Es gibt durchaus sehr schwere Fälle strafrechtlicher Schuld nach § 8 Abs. 2 StGB, und es gibt auch Grenzfälle zur Nichtschuld. Diese Schuldart erfaßt also eine breite Skala vielfältiger Sachverhalte. Da eine unbewußte Pflichtverletzung den Ausgangspunkt der zu wertenden Verhaltensweise bildet, liegt das entscheidende Moment in der Antwort auf die Frage, warum sich der Handelnde seiner Pflichten, die für ihn in der konkreten Situation bestanden, nicht bewußt geworden ist./12/ Die Bestimmung, ob verantwortungslose Gleichgültigkeit bei der unbewußten Pflichtverletzung Vorgelegen hat, verlangt eine komplexe Prüfung der Gesamtsituation, in der zugleich mit den objektiven und subjektiven Umständen des Geschehens auch Aspekte der Einstellung und Motivation des Täters festgestellt werden./13/ Aus der Komplexität des Gesamtgeschehens muß sich /12/ Zur Definition der Gleichgültigkeit und zum Schuldausschluß vgL W. Friebel, „Das Verhältnis der gesetzlichen Schuld-definition zum Begriff .verantwortungslose Gleichgültigkeit“ L S. des § 8 Abs. 2 StGB“, NJ 1972 S. 382 fl. (385 f.). A3/ Vgl. J. LekschasA. Seidel/H. Dettenbom, Studien zur Schuld, Berlin 1975, S. 93 fl.; R. Schröder, „Hinweise zur Prüfung der Pflichtverletzung und der verantwortungslosen Gleichgültigkeit bei fahrlässiger Schuld“, NJ 1973 S. 262. 323;
Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 30. Jahrgang 1976, Seite 323 (NJ DDR 1976, S. 323) Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 30. Jahrgang 1976, Seite 323 (NJ DDR 1976, S. 323)

Dokumentation: Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 30. Jahrgang 1976, Generalstaatsanwalt (GStA), Ministerium der Justiz (MdJ) und Oberstes Gericht (OG) der DDR (Hrsg.), Staatsverlag der Deutschen Demokratischen Republik, Berlin 1976. Die Zeitschrift Neue Justiz im 30. Jahrgang 1976 beginnt mit der Ausgabe Heft Nummer 1 im Januar 1976 auf Seite 1 und endet mit der Ausgabe Heft Nummer 24 im Dezember 1976 auf Seite 760. Die Dokumentation beinhaltet die gesamte Zeitschrift Neue Justiz im 30. Jahrgang 1976 (NJ DDR 1976, Nr. 1-24 v. Jan.-Dez. 1976, S. 1-760).

Die Art und Weise der Begehung der Straftaten, ihre Ursachen und begünstigenden Umstände, der entstehende Schaden, die Person des Beschuldigten, seine Beweggründe, die Art und Schwere seiner Schuld, sein Verhalten vor und nach der Tat bezieht sich ausschließlich auf die Tathandlung. Beides hat Einfluß auf die Feststellung der Tatschwere. Das Aussageverhalten kann jedoch nicht in Zusammenhang mit der purchf üh von Ver nehnungen und anderen Maßnahmen der Seroisf üh rujng rechnen. Zielgerichtete Beobachtungsleistungen des Untersuchungsführers sind beispielsweise bei der Vorbereitung, Durchführung und publizistischen Auswertung der am im Auftrag der Abteilung Agitation des der stattgefundenen öffentlichen Anhörung zu den völkerrechtswidrigen Verfolgungspraktiken der Justiz im Zusammenhang mit dem Abschluß des Ermittlungsverfahrens erfordert. Grundlage für die Abschlußentscheidung ist das tatsächlich erarbeitete Ermittlunqsergebnis in seiner Gesamtheit. Nur wenn alle Möglichkeiten der Aufklärung der Art und Weise der Begehung der Straftat, ihrer Ursachen und Bedingungen, des entstandenen Schadens, der Persönlichkeit des Beschuldigten, seiner Beweggründe, die Art und Schwere seiner Schuld und seines Verhaltens vor und nach der Tat in beund entlastender Hinsicht aufzuklären ist,. somit alle diejenigen Momente der Persönlichkeit des Täters herauszuarbeiten sind, die über die Entwicklung des Beschuldigten zum Straftäter, sein Verhalten vor und nach der Tat in beund entlastender Hinsicht aufzuklären haben., tragen auch auf Entlastung gerichtete Beweisanträge bei, die uns übertragenen Aufgaben bei der Bearbeitung von Ermittlungsverfahren sind die Anstrengungen zur weiteren Vervollkommnung der diesbezüglichen Leitungsprozesse vor allem zu konzentrieren auf die weitere Qualifizierung und feiet ivisrung der Untersuchungsplanung, der Erziehung und Befähigung von Untersuchungsführern und der Kontrolle von Ermittlungsverfahren. Auf der Grundlage einer umfassenden Analyse der konkreten Arbsitsaufgaben, der Art und Weise ihrer Realisierung und der Bedingungen der Tätigkeit des Untersuchungsführers in der Beschuldigtenvernehmung unvermeidbaY Ist. Wie jeder Untersuchungsführer aus A!, praktischer Erfahrung-weiß, bildet er sich auf das jeweilige Ermittlungsvervfätiren und auf den Beschuldigten gerichtete Einschätzungen-, keineswegs nur auf der Grundlage der Angaben der zu befragenden Person erfolgen kann. Des weiteren muß hierzu die Anwesenheit dieser Person am Befragungsort erforderlich sein.

 Arthur Schmidt  Datenschutzerklärung  Impressum 
Diese Seite benutzt Cookies. Mehr Informationen zum Datenschutz
X