Neue Justiz, Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft 1976, Seite 291

Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 30. Jahrgang 1976, Seite 291 (NJ DDR 1976, S. 291); Ein für die Ausbildung junger Menschen Verantwortlicher „spielte“ im Hochsommer in einem Waldgelände während einer Ausbildungspause mit seinem Feuerzeug, brannte trockenes Gras an und ließ trotz wiederholter Ermahnungen durch andere Bürger nicht davon ab, sondern setzte noch größere Grasbüschel in Brand. Als das Feuer auf eine Fichtenschanung Übergriff, verließ er fluchtartig das Gelände. Die gesamte Schonung brannte nieder. Das Gericht hat in diesem Fall Fahrlässigkeit gemäß § 8 Abs. 1 StGB bejaht. Diese Beurteilung der Schuld zeigt, daß nicht in genügendem Maße die in der Pflichtverletzung liegende Tiefe des gesellschaftlichen Widerspruchs beachtet wurde. Sie ergibt sich nicht nur daraus, daß der Täter bei hochsommerlichen Temperaturen und großer Waldbrandgefahr sowie in Anwesenheit junger, seiner Erziehung anvertrauter Menschen mit Feuer „spielte“. Charakteristisch war vor allem, daß der Täter die Schonung der Vernichtung überließ, als sich das Feuer ausbreitete. Es gab keinen ersichtlichen Grund, daß der Täter hätte annehmen können, diese Folge würde nicht eintreten. Die Bejahung der Fahrlässigkeit nach § 7 StGB war hier u. E. völlig unproblematisch. Der Sachverhalt wirft darüber hinaus die Frage auf, ob hier sogar ein Fall bedingt vorsätzlicher Brandstiftung i. S. der §§ 185 und 8 Abs. 2 StGB vorliegt./6/ Bei der inhaltlichen Prüfung der Pflichtensituation und der rechtlich relevanten Pflichtverletzung ist zwar stets von § 9 StGB auszugehen, diese Bestimmung ist aber immer sachbezogen, handlungsorientiert, situations-und persönlichkeitsspezifisch zu konkretisieren. Die in den Pflichten nach § 9 StGB zum Ausdruck gebrachte gesellschaftliche Verantwortung ist stets auf eine nach Ort, Zeit und Konstellation der Bedingungen bestimmte Situation bezogen. Es genügt daher nicht die Feststellung, daß eine Pflicht schlechthin existiert; es kommt vielmehr darauf an, ob sie zum Zeitpunkt der Handlung bestanden hat und exakt bestimmbar und erfüllbar war. Pflichten kraft Gesetzes, z. B. des Arbeitsschutzverantwortlichen (§ 193 StGB) nach dem GBA, der ASchVO sowie nach den einschlägigen ABAOs, sind relativ einfach festzustellen. Es genügen hier aber nicht nur die Quellenangaben und der Nachweis objektiv und subjektiv pflichtwidrigen Handelns. Den Gerichten obliegt auch in diesen Fällen die Verantwortung, das Warum pflichtwidrigen Handelns exakt zu ergründen. Die Antwort auf die Frage, warum der Täter pflichtwidrig handelte, gibt zugleich rechtlich relevante Hinweise darauf, ob etwa den Handelnden überfordernde Pflichtenhäufungen oder Pflichtenkollisionen Vorlagen, die bei der Bewertung der gesamten Pflichtenlage zu berücksichtigen sind. Pflichtenhäufungen, Pflichtenkollisionen und Situationen ähnlicher Art sowie die verschiedenartigen Anforderungen sind nach §§ 20, 169 StGB, aber vor allem auch nach §§ 5 ff. StGB zu berücksichtigen. Diese Fälle sind besonders für diejenigen Tätigkeitsbereiche typisch, in denen Neuland beschritten wird und in denen mit vielfältigen Unsicherheiten, Überraschungen und ähnlichen Erscheinungen von vornherein gerechnet weiden muß (z. B. Forschung und Entwicklung, medizinischer Bereich). Dies betrifft schließlich auch die vielfältigen Aufgaben, die der Mensch in seinem Wohnbereich und in der Freizeit zu bewältigen hat, die nicht selten ein hohes Maß an Umsicht und Sachkunde auf verschiedensten Gebieten verlangen. All diese unterschiedlichen Sphären können nicht in das Korsett normativer Rege- /6/ Diese Problematik soü hier nicht weiter erörtert werden. VgL dazu J. Lekschas/D. Seddeü/H. Dettenbom, Studien zur Schuld, Berlin 1975, S. 57 ft. lungen gepreßt werden. Trotzdem bestehen in all diesen Bereichen Pflichten, deren Verletzung zu Schäden führen kann. Dabei sind die jeweiligen Entscheidungen und Handlungen anhand grundlegender Wert- und Verhaltensmaßstäbe der sozialistischen Gesellschaft sorgfältig zu prüfen. Das betrifft im Kern die Beantwortung der Frage, ob und inwieweit sich der Handelnde in der konkreten Situation entsprechend oder entgegen den ihm gegebenen Möglichkeiten zu gesellschaftsgemäßem Verhalten verhalten hat. Soweit es um eine berufliche Tätigkeit geht, die auf den neuesten Erkenntnissen der Wissenschaft beruht und noch nicht normiert ist, wird sie nur dann zur Berufspflicht i. S. des § 9 StGB, wenn sie nachweisbar überprüft und als gesichert anerkannt ist und wenn der jeweilige Beruf zur Aneignung dieser neuesten Erkenntnisse verpflichtet sowie die Möglichkeiten für deren Aneignung vorhanden waren./7/ Beurteilung der Entscheidungs- und Handlungssituation Die Spezifik und auch nicht selten der hohe Kompliziertheitsgrad sowie die Leistungsanforderungen der konkreten Entscheidungs- und Handlungssituation erfordern eine eingehende Darstellung der konkreten Pflichtwidrigkeit im Sinne einer verantwortungslosen Beziehung des Handelnden zu seinen Pflichten und in bezug auf die zu bewältigende Situation. Einige dabei zu berücksichtigende Probleme verdeutlicht der folgende Sachverhalt: Der Angeklagte hatte langjährige Erfahrungen als Berufskraftfahrer für Omnibusse und Lkws. An einem Herbstabend gegen 23 Uhr befuhr er mit einem Omnibus eine Landstraße erster Ordnung. Die Fahrbahn war regennaß, und die Verdampfung der Feuchtigkeit führte zur Sichtbehinderung. Der Angeklagte hatte deshalb Abblendlicht und Nebelscheinwerfer (Halogenlampen) eingeschaltet. Dadurch war die vor ihm liegende Fahrstrecke auf 45 m ausgeleuchtet. Die Fahrgeschwindigkeit betrug 45 km/h. Weil der Angeklagte mit Fußgängerverkehr rechnete, hielt er zum rechten Fahrbahnrand einen Sicherheitsabstand von 1,50 m ein. Tagsüber hatte der Angeklagte wiederholt eine erhöhte Kühlwassertemperatur festgestellt, ohne deren Ursache zu erkennen. Als er ein weiteres Mal auf den Temperaturanzeiger sah und sich erst nach zwei bis vier Sekunden wieder voll der Fahrbahn zuwandte, nahm er unmittelbar vor seinem Fahrzeug ein Hindernis wahr, ohne daß er zunächst erkannte, um was es sich handelte. Er lenkte scharf nach links, bemerkte aber am Holpern des Fahrzeugs, daß er etwas überrollt hatte. Daraufhin hielt er sofort an und stellte fest, daß er einen Menschen überfahren hatte, der bewußtlos auf der Fahrbahn lag. Der Geschädigte verstarb etwa 15 Minuten danach an schweren inneren Verletzungen. Wegen der Herbeiführung dieses Unfalls wurde der Angeklagte strafrechtlich zur Verantwortung gezogen und auf Bewährung verurteilt. Zusätzlich wurde ihm die Fahrerlaubnis für die Dauer von elf Monaten entzogen. Wesentliche Begründung für diese Verurteilung war, daß er sich zu lange und zu einseitig der Kontrolle des Temperaturanzeigers gewidmet und dadurch das Verkehrsgeschehen völlig außer acht gelassen habe. Das Oberste Gericht hat den Angeklagten im Kassationsverfahren mit Urteil vom 29. April 1975 3 Zst 13/75 (unveröffentlicht) freigesprochen. Es hat den Standpunkt vertreten, daß die Kontrolle von Armaturen zwar notwendig und richtig ist, daß aber dabei das Verkehrsgeschehen nicht für eine doch erhebliche Zeit- /lf Vgl. ZifE. 2.3. der Thesen des 5. Strafsenats des Obersten Gerichts zur Begründung ärztlicher Sorgfaltspflichten, NJ 1973 S. 446. Zum Gesundheit- und Arbeitsschutz vgL OG, Urteil vom 16. Mal 1974 - 2 ZSt 24/74 - (NJ 1974 S. 468). 291;
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Dokumentation: Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 30. Jahrgang 1976, Generalstaatsanwalt (GStA), Ministerium der Justiz (MdJ) und Oberstes Gericht (OG) der DDR (Hrsg.), Staatsverlag der Deutschen Demokratischen Republik, Berlin 1976. Die Zeitschrift Neue Justiz im 30. Jahrgang 1976 beginnt mit der Ausgabe Heft Nummer 1 im Januar 1976 auf Seite 1 und endet mit der Ausgabe Heft Nummer 24 im Dezember 1976 auf Seite 760. Die Dokumentation beinhaltet die gesamte Zeitschrift Neue Justiz im 30. Jahrgang 1976 (NJ DDR 1976, Nr. 1-24 v. Jan.-Dez. 1976, S. 1-760).

Die Zusammenarbeit mit den Untersuchungsabteilungen der Bruderorgane wurde zum beiderseitigen Nutzen weiter vertieft. Schwerpunkt war wiederum die Übergabe Übernahme festgenommener Personen sowie die gegenseitige Unterstützung bei Beweisführungsmaßnahmen in Ermittlungsver- fahren auf der Grundlage von Arbeitsergebnissen Staatssicherheit eingeleitet werden konnten, an der Gesamtzahl der wegen Staatsverbrechen eingeleiteten Ermittlungsverfahren annähernd gleichgeblieben., Der Anteil von Ermittlungsverfahren, denen registriertes operatives Material zugrunde liegt, an der Gesamtzahl der in Bearbeitung genommenen Verfahren, entwickelte sich seit folgendermaßen:, Bei Verfahren wegen Staatsverbrechen hat der Anteil des operativen Materials folgende Entwicklung genommen:, Der Anteil registrierten operativen Materials an der Gesamtzahl der bearbeiteten Ermittlungsverfahren. Darunter befanden sich Personen oder, der insgesamt in Bearbeitung genommenen Beschuldigten, die im Zusammenhang mit rechtswidrigen Ersuchen auf Übersiedlung in das kapitalistische Ausland und Westberlin begangener Straftaten verhaftet waren, hatten Handlungen mit Elementen der Gewaltanwendung vorgenommen. Die von diesen Verhafteten vorrangig geführten Angriffe gegen den Untersuchungshaftvollzug sich in der Praxis die Fragestellung, ob und unter welchen Voraussetzungen Sachkundige als Sachverständige ausgewählt und eingesetzt werden können. Derartige Sachkundige können unter bestimmten Voraussetzungen als Sachverständige fungieren. Dazu ist es notwendig, daß sie neben den für ihren Einsatz als Sachkundige maßgeblichen Auswahlkriterien einer weiteren grundlegenden Anforderung genügen. Sie besteht darin, daß das bei der Bearbeitung des Ermittlungsverfahrens erzielten Ergebnisse der. Beweisführung. Insbesondere im Schlußberieht muß sich erweisen, ob und in welchem Umfang das bisherige gedankliche Rekonstrukticnsbild des Untersuchungsführers auf den Ergebnissen der strafprozessualen Beweisführung beruht und im Strafverfahren Bestand hat. Die Entscheidung Ober den Abschluß des Ermittlungsverfahrens und über die Art und Weise der Aufdeckung der Straftat für den Beschuldigten erkennbaren realen oder vermuteten Beweisführungs-möglichkeiten bestimmten entscheidend die Entstehung von Verhaltensdispositionen mit. Durch jegliche Maßnahmen, die für den Beschuldigten als Zusammenhang mit der Aufklärung der strafbaren Handlungen erkennbar sind oder erscheinen, werden bereits vor der ersten Beschuldigtenvernehmung wesentliche Bedingungen der späteren Aussagetätigkeit Beschuldigter festgelegt.

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