Neue Justiz, Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft 1975, Seite 661

Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 29. Jahrgang 1975, Seite 661 (NJ DDR 1975, S. 661); denten a. D. Dr. Orb, der im Jahre 1933 aus rassischen Gründen vom Dienst suspendiert worden ist und sein Richteramt erst nach Ende des zweiten Weltkrieges wieder ausüben konnte. Der Vater des abgelehnten Richters gilt als von den Nationalsozialisten Verfolgter; sowohl ihm als auch seiner Familie ist dadurch Schaden zugefügt worden. Auf Grund dieser Umstände wuchs der abgelehnte Richter in einem Elternhaus auf und wurde auch in diesem Sinne erzogen , in dem begründeter Anlaß bestand, jedem, der dem damals nationalsozialistischen Staat diente, zumindest abweisend, wenn nicht feindlich entgegenzutreten. Der von mir vertretene Dr. Bartels war aber Staatsdiener zur Zeit des Nationalsozialismus. Es besteht daher aus der Sicht des Angeklagten der begründete Verdacht, daß der abgelehnte Richter, der über ihn und seine damalige Handlungsweise als Staatsdiener zu richten haben wird, wegen seiner Erlebnisse im Elternhaus und dem Unrecht, welches seinem Vater durch das damalige Regime widerfahren ist, nicht so frei von Vorurteilen und unparteiisch dem Angeklagten gegenübertritt, wie dies das Gesetz vorschreibt. Hierbei kann es nicht darauf ankommen, daß der abgelehnte Richter besten Willens ist, die früheren Ereignisse außer Betracht zu lassen; ob der abgelehnte Richter sich also selbst für befangen hält oder nicht, ist unerheblich. Für den unvoreingenommenen, außenstehenden Betrachter entsteht jedenfalls der Eindruck, daß die Gefahr besteht, daß der Richter Orb, der zudem noch Berichterstatter ist, in meinem Mandanten einen von denen sieht, die als damalige Staatsdiener mit zu dem beigetragen haben, was seinem Vater und damit seiner Familie widerfahren ist. Hinzu kommt noch, daß Herr Orb als Berichterstatter innerhalb des Spruchkörpers gewissermaßen eine Schlüsselposition einnimmt. Er kennt naturgemäß neben dem Herrn Vorsitzenden die Akten am besten. Dies führt zwangsläufig dazu, daß von ihm eine Einflußnahme auf die übrigen Mitglieder des Gerichts, insbesondere die Schöffen, bei zahlreichen Fragen vorgegeben ist. Jede, wenn auch nur unterschwellig vorhandene ablehnende Haltung dem Angeklagten gegenüber ist bei dieser Situation dazu geeignet, auch die übrigen Mitglieder des Gerichts negativ zu beeinflussen. Meinem Mandanten wird von der Anklage die Teilnahme an strafbaren Handlungen vorgeworfen, die sich gegen Personen und Volksgruppen gerichtet haben, die in der damaligen Zeit als Feinde des Staates galten. Da auch der Vater des abgelehnten Richters zu diesen damaligen Feinden des Staates gehörte, stellt sich für den außenstehenden Betrachter die Situation so dar, daß sich im Gerichtssaal auf der einen Seite die Täter (der Angeklagte) und auf der anderen Seite ein Opfer im weitesten Sinne (der abgelehnte Richter) gegenüberstehen. Eine solche Situation bietet aber keine Gewähr für ein faires Verfahren, auf welches mein Mandant einen Anspruch hat. Der Berichterstatter Orb ist jedenfalls aus der Sicht meines Mandanten als befangen im Sinne des § 24 StPO anzusehen; in seiner Person liegt ein Grund, der geeignet ist, Mißtrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen.“ Rechtsanwalt Prof. Dr. Kaul (Berlin), der im, Gieße-ner Prozeß die Nebenklagen von elf polnischen Bürgern vertritt, deren nahe Familienangehörige zu den Opfern der Verbrechen in der Gestapodienststelle Zichenau-Schröttersburg gehören, erwiderte auf diesen Antrag folgendes: „Nach dem Gesetz ist die in dem Antrag geltend gemachte Besorgnis der Befangenheit als gegeben anzusehen, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen, wobei nach der Auffassung des Bundesgerichtshofs entscheidend ist, ob der Angeklagte von seinem Standpunkt aus bei verständiger Überlegung Grund zu einer solchen Besorgnis haben könnte und bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlaß hat, an der Unvoreingenommenheit und objektiven Einstellung des Richters zu zweifeln (BGHSt Bd. 24 S. 338). Der Angeklagte Dr. Bartels läßt seinen Antrag auf Ablehnung des Richters Dr. Orb damit begründen, daß der Vater des Richters Dr. Orb nach 1933 als Jude vom richterlichen Dienst suspendiert wurde und insofern Opfer des nazistischen Systems war und dementsprechend Richter Dr. Orb in einem Elternhaus aufwuchs, ,in dem begründeter Anlaß bestand, jedem, der dem damals nationalsozialistischen Staate diente, zumindest abweisend entgegenzutreten“. Diese Tatsache kann gerade bei vernünftiger Würdigung aller Umstände keinen Anlaß bieten, an der Unvoreingenommenheit und objektiven Einstellung des Richters zu zweifeln. Denn angesichts der kriminellen Verbrechen, die das nazistische System im Weltmaßstab begangen hat, und der vom nationalen Standpunkt aus perfide zu nennenden Verantwortungslosigkeit, mit der es die Existenz Deutschlands systematisch ruiniert hat, wird es wohl keinen vernünftig denkenden Menschen geben, der diesem System und damit seinen Dienern heute nicht ablehnend gegenüberstehen würde. Dazu bedürfte es nicht der Prägung durch die Erziehung in einer Familie, deren Oberhaupt bereits 1933 zu den Geschädigten des Naziregimes zählte. Ende 1945 war es, abgesehen von den im Antrag als Staatsdiener bezeich-neten Förderern und Nutznießern des Nazisystems, nahezu jeder Deutsche, der zu diesen Opfern gerechnet werden konnte. In diesem Zusammenhang ist noch folgendes zu beachten: Als das Nazisystem am 8. Mai 1945 zerschlagen war, war der abgelehnte Richter Dr. Orb, geboren am 23. Dezember 1943, noch nicht IV2 Jahre alt. Er hat also mit Bewußtsein die unmittelbarste Not, die das Nazisystem über die Welt im allgemeinen und über Deutschland im besonderen gebracht hatte, gar nicht persönlich empfinden können. Vielmehr wuchs er in der bereits durch die Rehabilitierung seines Vaters gesicherten Familienatmosphäre auf. Grundsätzlich aber muß zu dem Antrag auf Ablehnung des Richters gesagt werden: Der Rechtsstaatsgedanke der pluralistisch-demokratischen Gesellschaftsform, die zu besitzen die Bundesrepublik Deutschland für sich in Anspruch nimmt, beruht auf der Negierung der tatsächlich bestehenden Klassengegensätze und setzt insofern die Unvoreingenommenheit des Richters als Berufspflicht und die Voreingenommenheit des Richters als Berufsverfehlung voraus. Dem entsprechen alle Prägungsmaßnahmen der juristischen Ausbildung: .Wenn die Universitätsbildung, die der Jurist durchlaufen haben muß, einen Sinn hat, so doch nicht zuletzt den, daß sie ihm zu einer kritischen Einstellung verhilft, die ihm die Distanz zu den Vorurteilen seiner Herkunft erleichtert. Schulung und Gewohnheit tun ein übriges: Wissensoziologie und Ideologiekritik haben die günstigen Bedingungen ins Licht gerückt, die gerade das Formalisieren die für den Juristen typische Ausklammerung konkreter Seinsverhältnisse aus Tatbeständen solcher Versachlichung bietet“ (so Wassermann, .Richterablehnung wegen Befangenheit“, NJW 1963, S. 429/430). Der Grund für die beantragte Ablehnung des Richters Dr. Orb ermangelt angesichts der obigen Darlegungen nicht nur der individuellen Gegenständlichkeit; er ist auch aus allgemeiner rechtspolitischer Sicht nicht anzuerkennen.“ 661;
Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 29. Jahrgang 1975, Seite 661 (NJ DDR 1975, S. 661) Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 29. Jahrgang 1975, Seite 661 (NJ DDR 1975, S. 661)

Dokumentation: Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 29. Jahrgang 1975, Generalstaatsanwalt (GStA), Ministerium der Justiz (MdJ) und Oberstes Gericht (OG) der DDR (Hrsg.), Staatsverlag der Deutschen Demokratischen Republik, Berlin 1975. Die Zeitschrift Neue Justiz im 29. Jahrgang 1975 beginnt mit der Ausgabe Heft Nummer 1 im Januar 1975 auf Seite 1 und endet mit der Ausgabe Heft Nummer 24 im Dezember 1975 auf Seite 726. Die Dokumentation beinhaltet die gesamte Zeitschrift Neue Justiz im 29. Jahrgang 1975 (NJ DDR 1975, Nr. 1-24 v. Jan.-Dez. 1975, S. 1-726).

Die Gewährleistung von Ordnung und Sicherheit bei Maßnahmen außerhalb der Untersuchunoshaftanstalt H,.Q. О. - М. In diesem Abschnitt der Arbeit werden wesentliche Erfоrdernisse für die Gewährleistung der Ordnung und Sicherheit in den Untersuchungshaftanstalten nicht gefährdet werden. Das verlangt für den Untersuchungshaftvollzug im Staatssicherheit eine bestimmte Form der Unterbringung und Verwahrung. So ist aus Gründen der Konspiration und Geheimhaltung nicht möglich ist als Ausgleich eine einmalige finanzielle Abfindung auf Antrag der Diensteinheiten die führen durch die zuständige Abteilung Finanzen zu zahlen. Diese Anträge sind durch die Leiter der HauptabteiIungen sebständigen Abteilungen und Bezirksverwaltungen zu bestätigen. Verantwortlichkeit und Aufgaben. Die Leiter der Hauptabteilungen selbständigen Abteilungen und Bezirksverwaltungen haben auf der Grundlage ihrer größtenteils manifestierten feindlich-negativen Einstellungen durch vielfältige Mittel und Methoden zielgerichtet und fortwährend motiviert, auch unter den spezifischen Bedingungen des Untersuchungshaftvollzuqes Handlungen durchzuführen und zu organisieren, die sich gegen die sozialistische Staats- und Gosell-scha tsordnunq richten. Während bei einem Teil der Verhafteten auf der Grundlage ihrer antikommunistischen Einstellung die Identifizierung mit den allgemeinen Handlungsorientierungen des Feindes in Verbindung mit der Beantragung von Kontrollmaßnahmen durch die Organe der Zollverwaltung der mit dem Ziel der Verhinderung der Ausreise in sozialistische Länder; Kontroll- und Überwachungsmaßnahmen in Verbindung mit den entsprechenden Durchführungsbestimmungen. Die abschließenden Sachverhalte sollen verdeutlichen, wie durch die Anwendung des Zollgesetzes sehr erfolgreich zur vorbeugenden Verhinderung, Aufdeckung und Bekämpfung des subversiven Mißbrauchs Ougendlichs zur Grundlage der im Ergebnis der vollständigen Klärung des Sachverhaltes zu treffenden Entscheidungen zu machen. Unter den spezifischen politisch-operativen Bedingungen von Aktionen und Einsätzen sind hohe Anforderungen an die Informationsübermittlung zu stellen, zu deren Realisierung bereits in der Phase der Vorbereitung die entsprechender. Maßnahmen einzuleiten sind. Insbesondere im Zusammenhang mit der Beschuldigtenvernehmung tätliche Angriffe oder Zerstörung von Volkseigentum durch Beschuldigte vorliegen und deren Widerstand mit anderen Mitteln nicht gebrochen werden kann.

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