Neue Justiz, Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft 1974, Seite 227

Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 28. Jahrgang 1974, Seite 227 (NJ DDR 1974, S. 227); deutsche Bürgertum erwies sich aut absehbare Zeit als unfähig, sich an die Spitze einer Revolution zu stellen. Die bourgeoisen Züge der von Kant ins Auge gefaßten bürgerlichen Verfassung zeigen sich bereits in der zentralen Stellung, die er dem Privatrecht, eben der Regelung des Mein und Dein, innerhalb seiner Rechtslehre zuweist, in seiner zu Unrecht verlästerten Ehe-und Strafrechtstheorie, vor allem aber darin, daß sein Recht nur die formalen Bedingungen der äußeren Freiheit reguliert. Das ist der tiefere Sinn seiner Definition des Rechts („Das Recht ist der Inbegriff der Bedingungen, unter denen die Willkür des einen mit der Willkür des anderen nach einem allgemeinen Gesetze der Freiheit zusammen vereinigt werden kann“) sowie seiner Charakterisierung dieses allgemeinen Rechtsgesetzes („Handle äußerlich so, daß der freie Gebrauch Deiner Willkür mit der Freiheit von jedermann nach einem allgemeinen Gesetze zusammen bestehen könne“)./37/ Das sind wohlgemerkt keine Leerformeln. Vielmehr ist damit übrigens unter dem Einfluß von Adam Smith genau jener Gesellschaftsvorstellung das rechtliche Instrumentarium geliefert, die auf dem wechselseitigen Eigennutz aufbaut und vorgibt, mittels einer spontanen Reproduktion ihrer Bedingungen eine allseitige Harmonie erzielen zu können. Dieser konkurrenzkapitalistischen (damals produktiven) Illusion ist Kants rein negatorischer Freiheitsbegriff auf den Leib geschrieben: nur die Willkür kann frei genannt werden, und: keinem wird das Seine zugewiesen, aber jedem wird es ge-sichert/38/, was soviel heißt, daß jeder einzelne seine Glückseligkeit dann erreicht, wenn die Allgemeinheit ihn nur immer gewähren läßt. Laissez faire, laissez passer! Nun sind natürlich solche Gedanken, damals gehabt, durchaus fortschrittlich; aber von ewiger oder von reiner Vernunft sind sie nicht gezeugt. Sie richten sich gegen die Sozialstaatskonzeption des aufgeklärten Absolutismus. Gerade weil Kants Rechtsphilosophie neuerdings allzusehr in deren Nähe gerückt wird Kants Rechtslehre habe sich gradlinig aus den traditionellen Naturrechtslehren entwickelt und stünde nicht auf dem Niveau seiner erkenntnistheoretischen Schriften/39/ , sei darauf eingegangen. Christian Wolff etwa hatte aus seiner allgemeinen Konzeption heraus, daß eines jeden Wohlfahrt und Glückseligkeit direktes und höchstes Ziel des Staates sei, geschlußfolgert, daß sich regierende Personen zu Untertanen verhalten wie Väter zu Kin-dem./40/ Demgegenüber Kant: „Eine Regierung, die auf dem Prinzip des Wohlwollens gegen das Volk als eines Vaters gegen seine Kinder errichtet wäre, ist der größte denkbare Despotismus“ ./41/ Zum progressiv-bürgerlichen Gedankengut zählt auch Kants Trennung des Rechts von Moral und Religion. Bekanntlich hatte Kant in seiner „Kritik der reinen Vernunft“ alle nur denkbaren Gottesbeweise widerlegt. Weil er so den Himmel gestürmt und die ganze Besatzung habe über die Klinge springen lassen, verglich ihn Heinrich Heine daraufhin mit Robespierre./42/ Aber in seiner „Kritik der' praktischen Vernunft“ sowie in seiner Moralphilosophie holte Kant Gott wieder aus der Versenkung hervor. In seiner „Rechtslehre“ taucht Gott dann nur in einem einzigen, folgenlosen Zusammenhang auf./43/ Damit entzieht Kant dem Klerus die /37/ Kant, ebenda, S. 34 f., 219. /38/ Vgl. Kant, ebenda, S. 30, 65. /39/ So Ch. Bitter, Der Rechtsgedanke Kants nach den frühen Quellen, Frankfurt/Maln 1971, S. 71. 740/ Vgl. Chr. Wolff, Vernünftige Gedanken von dem gesellschaftlichen Wesen des Menschen, Halle 1725, § 264. /41/ Kant, Gesammelte Schriften, Bd. 8, S. 290 f. /42/ Vgl. H. Hehle, Sämtliche Werke, Leipzig 1890, Bd. 4, S. 259. 1*31 Vgl. Kant, Metaphysik der Sitten, S. 47. ideologische Grundlage seiner Mitwirkung an der politischen Macht. Kants Tribut an die deutschen Zustände Wie die deutschen Zustände gegen Ende des 18. Jahrhunderts nun einmal waren, wäre es ein Wunder, wenn nicht auch Kant seinen Tribut an die ökonomische und politische Zersplitterung, an die Ohnmacht der Bauern, die Feigheit des Bürgertums, kurz: an die allgemeine Misere gezahlt hätte. Und Kant hat gezahlt! Das wird deutlich an der bis an die Grenze einer Rücknahme reichenden Einschränkung seiner an sich demokratischen Staatskonzeption. Denn er bekannte sich zu Rousseau und wurde nicht müde, immer wieder zu betonen, daß der vereinigte Wille aller, das Volk also, die Grundlage des Staates und die Quelle des Rechts sei, daß da, wo Staat und Volk nicht eins seien, Despotismus herrsche./44/ Aber vor der logisch unvermeidlichen Konsequenz, der staatsbürgerlichen Rechtsgleichheit aller, drückte sich Kant: dem Taglöhner, Ackerbauern, Handwerksgesellen, Bediensteten, Hauslehrer und den Frauen, der überwältigenden Mehrheit des Volkes, billigte Kant kein Wahlrecht zu; diese alle seien „nicht Bürger zu sein qualifiziert“./45/ Daß ausgerechnet an diesen Spießbürgergedanken Kants der professorale Ideenlieferant des letzten CSU-Parteitages mit seiner Behauptung anknüpft, eigentlich sei nur der Eigentümer als vollwertiger Staatsbürger zu behandeln/46/, braucht hier nicht kommentiert zu werden. ' Was aber Kant anlangt, hier zeigt sich konkret seine Neigung, das Notwendige als bloße Idee der Vernunft zu behandeln. Das eben ist das Gefährliche an einer idealistischen Rechtsphilosophie: ihre Ergebnisse sind, weil nicht wissenschaftlich zwingend aus den Erfordernissen des gesellschaftlichen Fortschritts abgeleitet, eigentlich immer nur-erschlichen und daher auch zu-rücknehmbar. Indem Kant die materiell motivierten Willenserklärungen der französischen Bourgeoisie zur reinen Selbstbestimmung des freien Willens ver-klärte/47/, verlegt er das Diskussionsfeld von der Gesellschaftspraxis in die Gesellschaftsideologie. Das kann leicht zu der Illusion führen, daß die Rechtsphilosophie oberhalb der kämpfenden Klassen steht. Außerdem ist von hier der Weg geöffnet, um aus der Tagesmisere in die Welt des Geistes flüchten zu können „denn süß ist wohnen, wo der Gedanke wohnt, fern von allem“ und ein Volk zu lehren, wie man in Ketten frei sein kann. Dazu hat Kant sich zwar nicht verstiegen, aber die Erklärung der vollkommenen Rechtsverfassung zum „Ding an sich selbst“/48/ bedeutet zweifellos einen gefährlichen Einbruch des Agnostizismus in die Rechtsphilosophie. Andererseits und daß Kant zwischen Materialismus und Idealismus schwankte, hat gerade Lenin heraus-gearbeitet/49/ sind in Kants politisch-juristischen Analysen eine ganze Reihe materialistischer Elemente verborgen./50/ So vermerkt er einmal, zur Gleichheit der Rechte gehöre eigentlich die Gleichheit der Mittel, um diese Rechte auch wahrzunehmen; so erklärt er das Gewerbe zur letztlich gesellschaftsentscheidenden Einrichtung usw. usf. /44/ Vgl. Kant, Gesammelte Schriften, Bd. 23, S. 129, 163. /45/ Kant, ebenda, Bd. 8, S. 295. 746/ Vgl. H. Schelsky, „Der selbständige und der bem gute Mensch“, Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 29. September 1973, S. 11. /47/ VgL Marx/Engels, Werke, Berlin 1958, Bd. 3, S. 178. 1*81 Kant, Metaphysik der Sitten, S. 206. 749/ Vgl. Lenin, Werke, Berlin 1962, Bd. 14, S. 195. /SO/ Zum folgenden vgL Kant, Frühschrlften, Berlin ISO, Bd. 1, S. 280; Kant, Gesammelte Schriften, Bd. 19, S. 446. 227;
Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 28. Jahrgang 1974, Seite 227 (NJ DDR 1974, S. 227) Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 28. Jahrgang 1974, Seite 227 (NJ DDR 1974, S. 227)

Dokumentation: Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 28. Jahrgang 1974, Generalstaatsanwalt (GStA), Ministerium der Justiz (MdJ) und Oberstes Gericht (OG) der DDR (Hrsg.), Staatsverlag der Deutschen Demokratischen Republik, Berlin 1974. Die Zeitschrift Neue Justiz im 28. Jahrgang 1974 beginnt mit der Ausgabe Heft Nummer 1 im Januar 1974 auf Seite 1 und endet mit der Ausgabe Heft Nummer 24 im Dezember 1974 auf Seite 756. Die Dokumentation beinhaltet die gesamte Zeitschrift Neue Justiz im 28. Jahrgang 1974 (NJ DDR 1974, Nr. 1-24 v. Jan.-Dez. 1974, S. 1-756).

In Abhängigkeit von der Bedeutung der zu lösenden politisch-operativen Aufgabe, den damit verbundenen Gefahren für den Schutz, die Konspiration und Sicherheit des von der Persönlichkeit und dem Stand der Erziehung und Befähigung der sind Festlegungen über die Form der Auftragserteilung und Instruierung zu treffen. Schriftlich erteilte Aufträge sind von den zu unterzeichnen. Es ist zu gewährleisten, daß ein effektiver Informationsaustausch zwischen den Beteiligten. Im Prozeß des Zusammenwirkens erfolgt. Wiedergutmachungsmotive Inoffizieller Mitarbeiter Wiederholungsüberprüfung Sicherheitsüberprüfung Wirksamkeit der Arbeit mit Inoffizieller Mitarbeiter; Qualitätskriterien der Arbeit Wirksamkeit der politisch-operativen Arbeit entsprechend den unter Ziffer dieser Richtlinie vorgegebenen Qualitätskriterien wesentlich beizutragen. Die Leiter der operativen Diensteinheiten und mittleren leitenden Kader haben zu gewährleisten, daß alle feindlichen Aktivitäten der Inhaftierten durch die Angehörigen der Linie rechtzeitig erkannt, erfolgreich abgewehrt und verhindert werden. Deshalb kann und darf sich die sichere Verwahrung Inhaftierter auch nicht nur auf die Bürger der DDR; sondern auch auf die Ausländer, die sich im Staatsgebiet der aufhalten und gegen die Strafgesetze der Dpir verstoßen haben, Auf der Grundlage der Anweisung ist das aufgabenbezogene Zusammenwirken so zu realisieren und zu entwickeln! daß alle Beteiligten den erforaerliohen spezifischen Beitrag für eine hohe Sicherheit und Ordnung in den Untersuchungshaftanstalten und Dienstobjekten zu gewährleisten. Die Untersuchungshaftanstalt ist eine Dienststelle der Bezirksverwaltung für Staatssicherheit. Sie wird durch den Leiter der Abteilung der zugleich Leiter der Untersuchungshaftanstalt ist, nach dem Prinzip der Einzelleitung geführt. Die Untersuchungshaftanstalt ist Vollzugsorgan., Die Abteilung der verwirklicht ihre Aufgaben auf der Grundlage des Gesetzes über die Aufgaben und Befugnisse der Deutschen Volkspolizei, der Verordnung zum Schutz der Staatsgrenze, der Grenzordnung, anderer gesetzlicher Bestimmungen, des Befehls des Ministers des Innern und Chef der Deutschen Volkspolizei vom, den Befehlen und Weisungen des Ministers für Staatssicherheit, den allgemeinverbindlichen Rechtsvorschriften der zentralen Rechtspflegeorgane und der Weisungen der am Vollzug der Untersuchungshaft beteiligten Organen ist vorrangig auf die Gewährleistung einer hohen Sicherheit, Ordnung und Disziplin bei der Durchführung der Strafverfahren zu konzentrieren.

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