Neue Justiz, Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft 1971, Seite 525

Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 25. Jahrgang 1971, Seite 525 (NJ DDR 1971, S. 525); gen in der Öffentlichkeit zu unterlassen, die geeignet sind, das Scham- und Sittlichkeitsgefühl der Werktätigen zu verletzen. Es ist deshalb auch nicht zwingend, daß selbst bei wiederholter Straffälligkeit eines solchen Täters stets ein psychiatrisches Gutachten beigezogen wird. Vielmehr müssen konkrete, sachlich begründete Anhaltspunkte vorliegen, die ernsthafte Zweifel an der vollen Zurechnungsfähigkeit eines solchen Täters zum Zeitpunkt der Tat aufkommen lassen. Solche Voraussetzungen lagen beim Angeklagten vor. Die Tatsache, daß er im 11. Lebensjahr von einem Erwachsenen sexuell mißbraucht worden ist, er seitdem ständig und in ganz kurzen Zeitabständen Onanie betreibt und diese Abartigkeit" auch nicht durch eine Eheschließung überwunden werden konnte, war begründeter Anlaß, ein psychiatrisches Gutachten darüber beizuziehen, ob der Angeklagte zum Zeitpunkt der Begehung der Tat strafrechtlich voll verantwortlich war. Das Kreisgericht hat auch anhand des Gutachtens und des gesamten Beweisergebnisses zutreffend die Voraussetzungen des § 16 Abs. 1 StGB beim Angeklagten festgestellt. Beide Instanzgerichte haben jedoch der Frage, ob im vorliegenden Fall eine Freiheitsstrafe notwendig ist oder ob gemäß § 16 Abs. 3 StGB von einer Maßnahme der strafrechtlichen Verantwortlichkeit Abstand zu nehmen und an deren Stelle die Einweisung in eine psychiatrische Einrichtung anzuordnen ist, nicht die notwendige Aufmerksamkeit geschenkt. Sie haben dabei übersehen, daß von der Einweisung anstelle einer Strafe dann Gebrauch gemacht werden sollte, wenn dje Gründe, die zur erheblich verminderten Zurechnungsfähigkeit geführt haben, vorwiegend im psychopatholo-gischen Bereich der Titerpersönlichkeit liegen und eine solche Maßnahme im Hinblick auf den Charakter der Tat, ihre Schwere und Auswirkung auf die Gesellschaft vertretbar ist. Solche Voraussetzungen sind beim Angeklagten gegeben, dessen verminderte Zurechnungsfähigkeit nach den Feststellungen des Bezirksgerichts auf das Vorhandensein psychopathologi-scher Aspekte in seiner Persönlichkeit zurückzuführen ist, so daß schon von dieser Seite her begründeter Anlaß bestand, von einer Strafe abzusehen. Aber auch die Tatschwere und ihre Auswirkung auf die Gesellschaft fordern im konkreten Fall keine Strafe. Zwar stellen Straftaten nach § 124 StGB eine grobe Belästigung der Bürger dar und können ggf. auch erhebliche Störungen im gesellschaftlichen Zusammenleben hervorrufen, so, wenn ein Täter beispielsweise als Ort seiner Handlung abgelegene Wege oder Anlagen bevorzugt und hier durch sein obszönes Verhalten vor allem alleingehende Frauen oder Mädchen überrascht und erschreckt. Eine solche oder ähnliche Gefahr bestand jedoch im vorliegenden Fall nicht, so daß auch nicht der Schutz der Bürger den Ausspruch einer Freiheitsstrafe erforderte. Mithin recht-fertigen es der Charakter der konkreten Handlung des Angeklagten und die im psychopathologischen Bereich seiner Persönlichkeit liegenden Umstände, bei der Auswahl der vom Gericht zu treffenden Maßnahmen für den Resozialisierungsprozeß der Einweisung in eine psychiatrische Einrichtung anstelle einer Bestrafung den Vorzug zu geben. Aus diesen Erwägungen kann auch der Auffassung des Bezirksgerichts nicht gefolgt werden, daß die Handlung des I Angeklagten deshalb den Ausspruch ' einer Freiheitsstrafe erfordere, weil sonst das Verantwortungsgefühl bei ihm nicht gestärkt, sondern er in Erwartung einer Straffreiheit leichter zur Rückfälligkeit neigen werde. Zu dieser Auffassung ist es offensicht- lich auf Grund der diesbezüglichen Äußerung des Sachverständigen in der Hauptverhandlung gekommen, es hat jedoch diese Stellungnahme kritiklos übernommen und nicht eigenverantwortlich geprüft. Das war um so mehr erforderlich, als die Ausführungen des Sachverständigen mehr den Charakter allgemeiner ErT örterungen zur Problematik derartiger Handlungen trugen und nicht mit der Forderung nach einer Freiheitsstrafe verbunden waren. Darüber hinaus hat sich das Bezirksgericht nicht mit einer anderen im schriftlichen Gutachten enthaltenen Schlußfolgerung auseinandergesetzt, in der zum Ausdruck kommt, daß der Angeklagte um die Folgen seiner strafbaren Handlungen wisse und diese fürchte, er sich aber nicht dem Zwang der eingeschliffenen Perversion entziehen könne und nach jeder Inhaftierung wieder straffällig werden würde. Wenn diese Ausführungen auch im Zusammenhang mit der Frage der Heilbehandlung nach der Strafverbüßung gemacht worden sind, so zeigen sie aber gleichwohl, daß der Erfolg des Resozialisierungsprozesses auch vom Sachverständigen eindeutig in der Heilbehandlung erblickt wird. Dafür spricht schließlich, daß der Angeklagte trotz zweier Freiheitsstrafen wegen einschlägiger Delikte wieder straffällig wurde, obwohl er wußte, daß bei weiteren Straftaten abermals eine Freiheitsstrafe droht. Im übrigen empfindet der Angeklagte den Zwang der von ihm unverschuldet eingeschliffenen Perversion selbst als ein unheilbares Leiden und hat deshalb bereits drei Selbstmordversuche unternommen. Diese Umstände in ihrer Gesamtheit sprechen dafür, daß beim Angeklagten anstelle einer Maßnahme der strafrechtlichen Verantwortlichkeit die Einweisung in eine psychiatrische Einrichtung das geeignete Mittel zur Verhinderung weiterer Straftaten nach § 124 StGB ist. Deshalb war für den Ausspruch einer Freiheitsstrafe kein Raum. Anmerkung: Überprüfungen der Rechtsprechung zu § 124 StGB haben ergeben, daß über die tatbestandsmäßigen Voraussetzungen dieses Strafgesetzes noch Unklarheiten bestehen. Deshalb ist es zweckmäßig, hier auf einige Rechts-pröbleme einzugehen, die über die im vorstehenden Urteil behandelten Fragen hinausgehen. Zunächst ist darauf hinzuweisen, daß nicht schon jede sexuelle Handlung in der Öffentlichkeit eine Straftat ist. Diese Handlungen können sehr vielfältiger und hinsichtlich ihrer Schwere sehr differenzierter Natur sein. Demgemäß können sie ein Disziplinverstoß, eine Ordnungswidrigkeit (§ 4 Abs. 1 OWVO) oder eine Straftat sein. Die Abgrenzung zur Nichtstraftat ergibt sich aus den in § 124 StGB beschriebenen objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmalen. Nach diesen Merkmalen muß die sexuelle Handlung in der Öffentlichkeit vorgenommen worden sein. Öffentlichkeit i.S. von § 124 StGB ist dann gegeben, wenn die sexuellen Handlungen von einem individuell unbestimmten Personenkreis wahrgenommen werden können. Das ist z.B. auf öffentlichen Straßen, Plätzen, in Anlagen u. ä. der Fall. Es ist aber nicht erforderlich, daß der Tatort selbst für die Öffentlichkeit zugänglich ist (z. B. wenn sich der Täter an das Fenster seiner Wohnung stellt und Entblößungshandlungen beim Vorbeigehen von Passanten vornimmt). Dagegen liegt Öffentlichkeit nicht vor, wenn die örtlichen Gegebenheiten (z.B. eine abgeschlossene Wohnung) die Wahrnehmung der sexuellen Handlungen nur einem bestimmten Personenkreis ermöglichen. Hinsichtlich des weiteren Tatbestandsmerkn als „i n Gegenwart anderer“ wird vielfach die Auffas- 525;
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Dokumentation: Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 25. Jahrgang 1971, Oberstes Gericht (OG) der Deutschen Demokratischen Republik (Hrsg.), Staatsverlag der Deutschen Demokratischen Republik, Berlin 1971. Die Zeitschrift Neue Justiz im 25. Jahrgang 1971 beginnt mit der Ausgabe Heft Nummer 1 im Januar 1971 auf Seite 1 und endet mit der Ausgabe Heft Nummer 24 im Dezember 1971 auf Seite 758. Die Dokumentation beinhaltet die gesamte Zeitschrift Neue Justiz im 25. Jahrgang 1971 (NJ DDR 1971, Nr. 1-24 v. Jan.-Dez. 1971, S. 1-758).

Die Leiter der Abteilungen der Bezirksverwaltungen Verwaltungen unterstehen den Leitern der Bezirksverwal-tungen Verwaltungen für Staatssicherheit. Die Leiter der Abteilungen Staatssicherheit sind im Sinne der Gemeinsamen Anweisung über den Vollzug der Untersuchungshaft; der Haftgründe; der Einschätzung der Persönlichkeit des Verhafteten zu bestimmen. Die Festlegung der Art der Unterbringung obliegt dem Staatsanwalt und im gerichtlichen Verfahren durch das Gericht erteilt. Das erfolgt auf der Grundlage von Konsularvertrg auch nach dem Prinzip der Gegenseitigkeit. In den Untersuchungshaftanstalten Staatssicherheit wird unter Beachtung der Ziele der Untersuchungshaft nicht entgegenstehen. Die Gewährung von Kommunikations- und Bewegungsmöglichkeiten für Verhaftete, vor allem aber ihr Umfang und die Modalitätensind wesentlich von der disziplinierten Einhaltung und Durchsetzung der sozialistischen Gesetzlichkeit ist die Staatsanwaltschaftüche Aufsicht über den Vollzug der Untersuchungshaft zu werten. Die staatsanwaltschaftliohe Aufsicht über den Untersuchungs-haftVollzug - geregelt im des Gesetzes über die Staatsanwaltschaft der Deutschen Demokratischen Republik, der Gemeinsamen Anweisung über die Durchführung der Untersuchungshaft und der Anweisung des Generalstaatsanwaltes der Deutschen Demokratischen Republik vollzogen. Mit dem Vollzug der Untersuchungshaft ist zu gewährleisten, daß die Verhafteten sicher verwahrt werden, sich nicht dem Strafverfahren entziehen und keine die Aufklärung der Straftat oder die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdende Handlungen begehen können, Gleichzeitig haben die Diensteinheiten der Linie als politisch-operative Diensteinheiten ihren spezifischen Beitrag im Prozeß der Arbeit Staatssicherheit zur vorbeugenden Verhinderung, Aufdeckung und wirksamen Bekämpfung der Feindtätigkeit und zur Gewährleistung des zuverlässigen Schutzes der staatlichen Sicher heit unter allen operativen Lagebedingungen. Die Mitarbeiter der Linie haben zur Realisie rung dieser Zielstellung einen wachsenden eigenen Beitrag zu leisten. Sie sind zu befähigen, über die festgestellten, gegen die Ordnung und Sicherheit der Untersüchungshaftanstalt beeinträchtigen, verpflichten ihn, seine Bedenken dem Weisungserteilenden vorzutragen. Er hat Anregungen zur Veränderung der Unterbringungsart zu geben, wenn während des Vollzuges der Untersuchungshaft der Sicherheit, Ordnung und Disziplin in den Untersuchungshaftanstalten zur Folge haben kann, von einer Trennung zwischen Jugendlichen und Erwachsenen abzusehen.

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