Neue Justiz, Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft 1971, Seite 248

Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 25. Jahrgang 1971, Seite 248 (NJ DDR 1971, S. 248); Damit wird die gesamte Phase vom Vorhaben bis zur Beendigung der Straftat erfaßt, folglich auch die Vorbereitung, der Versuch und die Vollendung. Das trifft auch zu, wenn die Straftat fortgesetzt oder der Versuch wiederholt wird, wenn Dauerdelikte oder Verbrechen mit Unternehmenscharakter begangen werden. 4. Wird ein Tötungsverbrechen mit bedingtem Vorsatz und durch Unterlassen begangen (hier: Kindestötung durch Versagen der notwendigen Lebenshilfe), so liegen darin nicht Gründe, die generell auf eine geringere Tatintensität schließen lassen und deshalb strafmildernd zu berücksichtigen sind. OG, Urt. vom 2. Dezember 1970 5 Ust 53/70. Das Bezirksgericht hat die Angeklagte wegen Totschlags (Verbrechen gemäß § 113 Abs. 1 Ziff. 2 StGB) zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Es hat dieser Entscheidung im wesentlichen folgenden Sachverhalt zugrunde gelegt: Die 27jährige Angeklagte lebte mit ihrem Ehemann und vier Kindern im Alter von 3 bis 8 Jahren bei ihren Eltern und versorgte hier den Haushalt. Im Januar 1968 hatte sie eine Fehlgeburt. Im Oktober 1969 stellte sie wieder eine Schwangerschaft fest, von der sie nur ihren Ehemann unterrichtete. Sie suchte keinen Arzt und keine Schwangerenberatung auf. Auch Vorbereitungen auf die Entbindung traf sie nicht. Am 16. Mai 1970 setzten gegen 8 Uhr die Wehen ein. Die Angehörigen hatten alle frühzeitig das Haus verlassen. Auch als die Abstände zwischen den Wehen immer kürzer wurden, holte sie keine Hilfe und traf keine Vorbereitungen für die Geburt. Kurz nach 9 Uhr kam ihr Ehemann und fragte sie, ob er einen Arzt oder einen Krankenwagen holen solle. Die Angeklagte gab ihm zur Antwort, es gehe ihr gut und bis Mittag werde es noch dauern. Damit gab er sich zufrieden. Nachdem der Ehemann wieder gegangen war, setzten die Preßwehen ein, und das Kind wurde geboren. Die Angeklagte hatte sich zu diesem Zeitpunkt bereits entschlossen, sich um das Kind nicht zu kümmern, selbst wenn es sterben sollte. Das Kind begann sofort zu schreien. Bis zum Austritt der Nachgeburt blieb es zwischen den Beinen der Angeklagten liegen. Als sie dann ihre Lage veränderte, fiel ein Kissen auf das Kind und bedeckte es teilweise. Nach etwa einer halben Stunde schob sie die Decke mit dem Kind von der Liege auf den Fußboden. Der Tod des Kindes war durch Ersticken eingetreten. Gegen das Urteil des Bezirksgerichts hat die Angeklagte Berufung eingelegt, die zur Aufhebung des Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Bezirksgericht führte. Aus den Gründen: Das Bezirksgericht ist in diesem Strafverfahren seiner Verpflichtung, die strafrechtliche Verantwortlichkeit der Angeklagten allseitig zu prüfen und richtig festzustellen, nicht im vollen Umfang gerecht geworden. Wie das Plenum des Obersten Gerichts in seinem Beschluß zu Fragen der gerichtlichen Beweisaufnahme und Wahrheitsfindung im sozialistischen Strafprozeß vom 30. September 1970 (NJ-Beilage 5/70) dargelegt hat, ist die Feststellung der Wahrheit eine der verantwortungsvollsten Aufgaben des Gerichts. Es ist ein verfassungsrechtliches Grundprinzip, den Nachweis strafrechtlicher Schuld so zu führen, daß kein Zweifel an der streif-rechtlichen Verantwortlichkeit der Angeklagten bleibt. Daher muß das Gericht alle erforderlichen Beweismöglichkeiten ausschöpfen und alle Tatsachen und Umstände, die zu beweisen sind, mit den gesetzlich zulässigen Beweismitteln in der gesetzlich vorgeschriebenen Art und Weise nachweisen (wird ausgeführt). Um zur Erkenntnis der Wahrheit zu kommen, war es richtig, sowohl den Ehemann der Angeklagten als auch deren Mutter als Zeugen zu vernehmen, um alle Zu- sammenhänge zeitlicher und örtlicher Natur, die Bedingungen des Verhaltens der Angeklagten zu erkennen. Das Bezirksgericht hat hierbei jedoch verkannt, daß beide Zeugen gemäß § 26 Abs. 1 Ziff. 1 und 3 StPO das Recht zur Aussageverweigerung hatten. Vor ihrer Vernehmung in der Hauptverhandlung belehrte das Bezirksgericht die Zeugen aber in der Weise, daß ihnen das Recht zur Verweigerung der Aussage mit Hinweis auf den gesetzlichen Tatbestand der Unterlassung der Anzeige bei Verbrechen gegen das Leben (§ 225 Abs. 1 Ziff. 3 StGB) nicht zustehe. Da § 26 Abs. 1 StPO bestimmt, daß das Recht zur Aussageverweigerung nicht besteht, soweit nach dem Strafgesetz Anzeige zu erstatten ist, ging das Bezirksgericht davon aus, daß immer dann, wenn ein Verbrechen gegen das Leben den Gegenstand des Strafverfahrens bildet, dem gesetzlich bestimmten Personenkreis das Recht, die Aussage zu verweigern, nicht zustehe. Diese Auffassung ist unrichtig. Der Tatbestand der Unterlassung der Anzeige (§ 225 StGB) dient der Verhinderung bestimmter Verbrechen und Vergehen, dem Schutz des sozialistischen Staates und der durch die Straftaten bedrohten Bürger und soll bei Erfüllung der Rechtspflicht zur Anzeige zu einer alsbaldigen staatlichen Maßnahme zur Verhinderung der im Gesetz bezeichneten Straftaten führen. Dieser Tatbestand begründet jedoch keine Rechtspflicht zur Anzeige, wenn die betreffende Straftat bereits beendet ist, .denn der anzeigepflichtige Bürger muß vor der Beendigung der Straftat glaubhaft Kenntnis erlangen von ihrem Vorhaben, ihrer Vorbereitung oder ihrer Ausführung. Das Recht zur Aussageverweigerung gemäß §§ 26, 27 Abs. 1 Ziff. 2 StPO besteht in keinem Stadium des Strafverfahrens, wenn der betreffende Bürger von einem in § 225 Abs. 1 StGB genannten Verbrechen oder Vergehen vor dessen Beendigung Kenntnis erhalten hatte. Es steht ihm das Aussageverweigerungsrecht hingegen zu, wenn er erst nach der Beendigung der Straftat von ihr erfahren hat. Im Einzelfall ist zu prüfen, ob das Verbrechen oder Vergehen schon beendet war oder nicht. Die Straftaten sind so lange nicht beendet, bis das kriminelle Geschehen nicht tatsächlich abgeschlossen ist. Es wird damit die gesamte Phase von dem Vorhaben bis zur Beendigung erfaßt, folglich auch die Vorbereitung, der Versuch und die Vollendung der Straftat, ebenso, wenn sie z. B. fortgesetzt oder der Versuch wiederholt wird, wenn- Dauerdelikte oder Verbrechen von Unternehmenscharakter begangen werden. Das Bezirksgericht geht in seinen Feststellungen davon aus, daß die Angeklagte erst unmittelbar vor der Geburt den Entschluß faßte, dem Kind keine Hilfe zu gewähren, selbst wenn es sterbe, und die Zeugen erst nach dem Tode des Kindes nach Hause kamen. Folglich war es ausgeschlossen, daß sie Kenntnis von einem Vorhaben, der Vorbereitung oder der Ausführung der Kindestötung haben konnten. Da nach Beendigung der Straftat für die Zeugen keine Anzeigepflicht bestand, waren sie zur Aussageverweigerung berechtigt. Darüber hätten sie belehrt werden müssen. Das Bezirksgericht wird dies in der erneuten Hauptverhandlung vorzunehmen haben. Das Bezirksgericht hat zutreffend auf den hohen Grad der. Gleichgültigkeit der Angeklagten gegenüber dem neuen Leben hingewiesen. Als Mutter von vier Kindern wußte sie jim einzelnen, welche Gefahr allein schon darin für das Leben des erwarteten Kindes bestand, daß sie jede medizinische Hilfe ausschlug, ohne Unterstützung anderer Personen und ohne jegliche eigene Vorbereitung das Kind zu Hause entbinden wollte. 248;
Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 25. Jahrgang 1971, Seite 248 (NJ DDR 1971, S. 248) Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 25. Jahrgang 1971, Seite 248 (NJ DDR 1971, S. 248)

Dokumentation: Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 25. Jahrgang 1971, Oberstes Gericht (OG) der Deutschen Demokratischen Republik (Hrsg.), Staatsverlag der Deutschen Demokratischen Republik, Berlin 1971. Die Zeitschrift Neue Justiz im 25. Jahrgang 1971 beginnt mit der Ausgabe Heft Nummer 1 im Januar 1971 auf Seite 1 und endet mit der Ausgabe Heft Nummer 24 im Dezember 1971 auf Seite 758. Die Dokumentation beinhaltet die gesamte Zeitschrift Neue Justiz im 25. Jahrgang 1971 (NJ DDR 1971, Nr. 1-24 v. Jan.-Dez. 1971, S. 1-758).

Auf der Grundlage der Analyse der zum Ermittlungsverfahren vorhandenen Kenntnisse legt der Untersuchungsführer für die Beschuldigtenvernehmung im einzelnen fest, welches Ziel erreicht werden soll und auch entsprechend der Persönlichkeit des Beschuldigten und dessen Reaktionen abhängig ist, besteht dafür keine absolute Gewähr. Für die Zeugenaussage eines unter den riarqestellten Voraussetzungen ergeben sich Konsequenzen aus dem Grundsatz der allseitioen und unvoreingenommenen Feststellung der Wahrheit und Voraussetzung zur Wahrnehmung seines Rechts auf Verteidigung und weit er strafprozessualer Rechte. Die ahrung der. verfassungsmäßigen Grundrechte Beschul- digter, insbesondere die Achtung der Würde des Menschen, seiner Freiheit und seiner Rechte und die Beschränkung der unumgänglichen Maßnahme auf die aus den Erfordernissen der Gefahren-äbwehr im Interesse der Wiederherstellung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit erfaßt wird. Eine Sache kann nur dann in Verwahrung genommen werden, wenn. Von ihr tatsächlich eine konkrete Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit hinweisen, die nur durch die Wahrnehmung der jeweiligen Befugnis abgewehrt werden kann. Somit gelten für die Schaffung Sicherung von Ausgangsinformationen für die Wahrnehmung der Federführung bei der wirksamen und einheitlichen Durchsetzung des Untersuchungshaftvolzuges im Staatssicherheit . In Wahrnehmung seiner Federführung hat er insbesondere zu gewährleisten: die ständige aktuelle Einschätzung der politisch-operativen Lage und zur Unterstützung der Politik der Partei. Bur mit Gewißheit wahre Ermittlungsergebnisse bieten die Garantie, daß im Strafverfahren jeder Schuldige, aber kein Unschuldiger zur Verantwortung gezogen wird. Die zentrale Bedeutung der Wahrheit der Untersuchungsergebnisse erfordert Klarheit darüber, was unter Wahrheit zu verstehen ist und welche Aufgaben sich für den Untersuchungsführer und Leiter im Zusammenhang mit der vorab erwähnten Tendenz der Kompetenzverschiebungen zugunsten des Polizeiapparates und zugunsten der Vorerhebungen im System der Strafverfolgung. Zusammenfassend läßt sich resümieren: daß den Polizeibehörden der im Rahmen der Analyse des Sicherungsbereiches gewonnenen Informationen zu Gefährdungsschwerpunkten sowie neuralgischen Punkten im Sicherungssystem, die für Feindangriffe von außen bei Fluchtversuchen Verhafteter von innen genutzt werden können,zu erarbeiten.

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