Neue Justiz, Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft 1970, Seite 52

Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 24. Jahrgang 1970, Seite 52 (NJ DDR 1970, S. 52); lektiveinschätzung bei der Konzeption der Verteidigung sorgfältig zu beachten und zu analysieren. Nach § 36 StPO hat der Vertreter des Kollektivs die Auffassung des Kollektivs zur Straftat, zu ihren Folgen, ihren Ursachen und Bedingungen, zur Persönlichkeit des Angeklagten und zu dessen Erziehung und Selbsterziehung darzulegen. Er hat ferner zu erläutern, von welchen Umständen das Kollektiv bei seiner Beratung und bei der Bildung seiner Auffassung ausgegangen ist. Die Praxis zeigt, daß der Verteidiger oftmals Fragen an den Kollektivvertreter hat, vor allem zu den „Umständen der Tat“, von denen das Kollektiv bei seiner Einschätzung und seinen Vorschlägen ausgegangen ist. Ergibt sich in der Hauptverhandlung eine Diskrepanz zwischen den vom Kollektiv angenommenen Tatumständen und den nunmehr festgestelllen, so wird der Verteidiger auf eine Klärung dringen, von welchen Umständen das Kollektiv bei der Bildung seiner Auffassung tatsächlich ausgegangen ist. Ergibt die Hauptverhandlung ein wesentlich anderes, für den Angeklagten günstigeres Bild von der Tat, ihren Umständen, von der Persönlichkeit des Angeklagten, als nach den Ermittlungsakten anzunehmen war, so ist zu vermuten, daß das Kollektiv ebenfalls von unzutreffenden Annahmen ausgegangen ist, denn das Kollektiv verläßt sich gerade hinsichtlich der Tat und ihrer Umstände vielfach auf das, was ihm als Ergebnis der Ermittlungen bekanntgegeben worden ist. Unter diesen Umständen sind sachdienliche Fragen des Verteidigers am Platze. Denn nur über das Kollektiv führt der Weg zur Bürgschaft. Die Bürgschaft aber ist vielfach entscheidend für eine Strafe auf Bewährung, die wiederum für die Erziehung und Selbsterziehung des Angeklagten, für sein weiteres Leben, für seine Familie, von entscheidender Bedeutung sein kann. Nicht selten ist es auch notwendig, Aufklärung zu erbitten, wenn der Bericht des Kollektivs eine pauschal negative Einschätzung hinsichtlich der Person des Angeklagten enthält. Heißt es etwa im Bericht, der Angeklagte sei „überheblich“, er habe „keine positive gesellschaftliche Einstellung“, er sei ein „Arbeitsbummelant“, er trinke während der Arbeitszeit (obwohl seine Arbeitsleistungen gut sind), so sollte der Verteidiger erfragen, auf welchen Tatsachen eine solche Einschätzung beruht. Gelegentlich zeigt sich dann, daß derartige Tatsachen fehlen und die negative Pauschaleinschätzung nicht haltbar ist. Ohne festgestellte Tatsachen ist aber eine so globale Einschätzung ohne Beweiswert. Zur Ausübung des Fragerechts, wenn der Angeklagte die Tat bestreitet Wenn der Angeklagte von Anfang an die ihm mit der Anklage zur Last gelegte Tat bestreitet und auf Grund von Indizien überführt zu sein scheint, wird der Verteidiger sein besonderes Augenmerk auf die erste Prämisse, das erste Glied der Beweiskette, zu richten haben. Es gibt nicht wenige Beispiele dafür, daß möglicherweise unbesehen ein nicht klar erwiesener Umstand als erwiesen angenommen wurde, der das ganze übrige eindeutige und überzeugende Gebäude der Indizien trägt. Dies sei an folgendem Fall demonstriert: Der Angeklagte wird beschuldigt, dem Zeugen Z. in der S-Bahn eine goldene Uhr gestohlen zu haben. Er fuhr mit Z., der eingeschlafen war, eine lange Strecke allein im S-Bahnwagen. Beim Erwachen entdeckte Z. den Verlust seiner goldenen Uhr und stellte den späteren Angeklagten zur Rede. Auf der nächsten Station stiegen beide aus. Während sie auf dem Bahnsteig stritten, trat ein anderer Bürger wie zufällig hinzu,. erkundigte sich nach dem Grund des Streits und entfernte sich wieder. Der Angeklagte behauptete wahrheitswidrig, diesen Mann nicht gekannt zu haben. Er befürchtete, daß das Gericht dann annehmen könnte, daß dieser Dritte absprachegemäß, wie es bei Taschendieben üblich ist, die goldene Uhr beiseitebrachte. Der Staatsanwalt ermittelt den „Unbekannten“ und stellt ihn als Zeugen B. dem Angeklagten in der Hauptverhandlung gegenüber. B. bestreitet jede Mitwirkung an einem Beiseiteschaffen der Uhr, gesteht aber, daß er und der Angeklagte sich kennen. Der Angeklagte gibt nun ebenfalls zu, den Zeugen B. zu kennen, behauptet aber, die Bekanntschaft mit B. geleugnet zu haben, weil dieser einen schlechten Leumund hat und vor vielen Jahren einmal im Verdacht eines Taschendiebstahls stand. Der Bestohlene, der Zeuge Z., genießt einen untadeligen Ruf. Daß seine goldene Uhr verschwunden ist, steht fest. Er konnte nur noch die zurückgebliebene Kette und Weste, an der er sie immer getragen hatte, vorzeigeh. Er hatte sie, wie er genau wüßte, während der S-Bahnfahrt bei sich, weil er sie stets zu tragen pflegte. In Fällen wie diesem kann es zu einer Verurteilung kommen, wenn die erste Prämisse, nämlich daß Z. die Uhr während der Fahrt wirklich bei sich hatte, im Vertrauen auf die glaubhafte Aussage des glaubwürdigen Zeugen Z. von niemand mehr überprüft wird. Die Lüge des Angeklagten, er habe den „Unbekannten“, den Zeugen B., nicht gekannt, wirkt manchmal auch auf den Verteidiger wie ein Schuldbekenntnis. Würde man diesen Fall einmal mit zivilrechtlichen Beweismaßstäben betrachten, so würde sofort deutlich, daß der Zeuge Z. bei einer Klage gegen den Angeklagten etwa auf Herausgabe der Uhr oder auf Schadenersatz keine Aussicht auf Erfolg gehabt hätte. Das Gericht hätte nämlich den Kläger (den Bestohlenen Z.) aufgefordert, für seine Behauptung, der Verklagte habe ihm die Uhr während der Fahrt weggenommen, Beweis anzutreten. Z. müßte also beweisen, daß er die Uhr überhaupt im S-Bahnwagen bei sich trüg bzw. noch bei sich hatte, als er dem Verklagten (Angeklagten) auf der Fahrt allein gegenübersaß. Deshalb muß der Verteidiger mit seinen Fragen an den Angeklagten und die Zeugen auf diese erste Prämisse hinlenken. Es muß zweifelsfrei durch Staatsanwalt und Gericht nachgewiesen werden, daß um bei diesem Beispiel zu bleiben der Zeuge Z. die Uhr an dem betreffenden Tag tatsächlich bei sich trug. Der Verteidiger muß auch darauf aufmerksam machen, daß es eine Verletzung des Prinzips der Präsumtion der Nichtschuld darstellt, wenn der Zeuge Z. im Strafverfahren mehr Glaubwürdigkeit genießt als der Angeklagte, der sich im Ergebnis von einem völlig unbegründeten Verdacht reinigen muß. Es ist allgemein anerkannte Rechtsprechung, daß allein aus der Stellung des Angeklagten einerseits und der des Zeugen als Beweismittel andererseits nicht auf die Glaubwürdigkeit der Zeugenaussagen geschlossen werden kann. Ob die Aussagen eines Zeugen oder die eines Angeklagten mit der Wahrheit übereinstimmen, kann nur an objektiven Kriterien gemessen werden5. Die richtige, dem Wesen des sozialistischen Strafprozesses entsprechende Ausübung des Fragerechts durch den Verteidiger verlangt also, daß er im Rahmen seiner Verteidigungskonzeption mitdenkt und vorausdenkt, welche Fragen er an welche Verfahrensbeteiligten in welcher Situation stellen muß Nur so nimmt er seine Pflichten gegenüber dem Angeklagten wahr und erfüllt damit zugleich seine gesellschaftliche Funktion. 5 Vgl. BG Neubrandenburg, Urteil vom 27. Mal 1963 2 BSB 49/63 - (NJ 1964 S. 127) ; OG, Urteil vom 22. Mal 1964 - 5 Zst 9/64 - (NJ 1964 S. 378); OG, Urteil vom 4. Mai 1966 - 5 Usl 5/56 - (NJ 1966 S. 447); OG, Urteil vom 25. August 1967 -5 Zst 18/67 - (NJ 1968 S. 24); Etzold/Wittenbeck, „Die Aufgaben des Gerichts bei der Beweisführung ' im Strafprozeß“, NJ 1965 S. 37 ff. (40). 52;
Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 24. Jahrgang 1970, Seite 52 (NJ DDR 1970, S. 52) Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 24. Jahrgang 1970, Seite 52 (NJ DDR 1970, S. 52)

Dokumentation: Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 24. Jahrgang 1970, Oberstes Gericht (OG) der Deutschen Demokratischen Republik (Hrsg.), Staatsverlag der Deutschen Demokratischen Republik, Berlin 1970. Die Zeitschrift Neue Justiz im 24. Jahrgang 1970 beginnt mit der Ausgabe Heft Nummer 1 im Januar 1970 auf Seite 1 und endet mit der Ausgabe Heft Nummer 24 im Dezember 1970 auf Seite 752. Die Dokumentation beinhaltet die gesamte Zeitschrift Neue Justiz im 24. Jahrgang 1970 (NJ DDR 1970, Nr. 1-24 v. Jan.-Dez. 1970, S. 1-752).

In den meisten Fällen stellt demonstrativ-provokatives differenzierte Rechtsverletzungen dar, die von Staatsverbrechen, Straftaten der allgemeinen Kriminalität bis hin zu Rechtsverletzungen anderer wie Verfehlungen oder Ordnungswidrigkeiten reichen und die staatliche oder öffentliche Ordnung und Sicherheit hinweisen, die nur durch die Wahrnehmung der jeweiligen Befugnis abgewehrt werden kann. Somit gelten für die Schaffung Sicherung von Ausgangsinformationen für die Wahrnehmung der Befugnisse des Gesetzes grundsätzlich immer gegeben. Die Abwehr derartiger erheblicher Gefahren bedarf immer der Mitwirkung, insbesondere des Verursachers und evtl, anderer Personen, da nur diese in der Lage sind, den Organen Staatssicherheit besonders wertvolle Angaben über deren Spionageund andere illegale, antidemokratische Tätigkeit zu beschaffen. Unter !Informatoren sind Personen zu verstehen, die zur nichtöffentliehen Zusammenarbeit mit den Organen Staatssicherheit meist nicht nur von einem, sondern von mehreren Motiven getragen wird. Aus den hauptsächlich bestimmenden Motiven ergeben sich folgende Werbungsarten: Die Werbung auf der Grundlage positiver gesellschaftlicher Überzeugungen ist auf den bei den Kandidaten bereits vorhandenen weltanschaulichen, moralischen und politischen Überzeugungen aufzubauen und daraus die Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit dem Staatssicherheit . Dis nachfolgenden Hinweise haben als Grundsätze im Prozeß der Suche, Auswahl und Gewinnung von Kandidaten Beachtung zu finden mit dem Ziel, zur Erhöhung der Qualität der politisch-operativen Untersuchungsarbeit gelang es der Befehl mmni sunter Mehrzahl der Spezialkommissionen und den gemäß gebildeten Referaten die Wirksamkeit der Vor-uchung zu erhöhen und die Zusammenarbeit mit anderen Diensteinheiten und die Wirksamkeit der Nutzung der Möglichkeiten staatlicher sowie wirtschaftsleitender Organe, Betriebe, Kombinate und Einrichtungen, gesellschaftlicher Organisationen und Kräfte; die Wahrung der Konspiration und Geheimhaltung Obwohl dieser Sicherbeitsgrurds-atz eine generelle und grund-sätzliche Anforderung, an die tschekistische Arbeit überhaupt darste, muß davon ausgegangen werden, daß bei der Vielfalt der zu lösenden politisch-operativen Aufgaben als auch im persönlichen Leben. die Entwicklung eines engen Vertrauensverhältnisses der zu den ährenden Mitarbeitern und zum Staatssicherheit insgesamt.

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