Neue Justiz, Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft 1970, Seite 397

Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 24. Jahrgang 1970, Seite 397 (NJ DDR 1970, S. 397); Audi westdeutsche Juristen müssen einräumen, daß die „Mißbrauchsmöglichkeiten“ der Vorbeugehaft erheblich sind und daß sich „bedrohliche Manipulationsmöglichkeiten gegenüber politischen Gegnern“ ergeben15. Es ist offensichtlich, daß die Vorbeugehaft eine reine Sicherungshaft ist, die unter den Bedingungen in der Bundesrepublik die Gefahr einer Schutzhaftpraxis nach faschistischem Muster heraufbeschwört16. Die hier skizzierte Grundlinie des zentralen Programms zur Aktivierung der Verbrechensbekämpfung durchdringt, abgesehen von taktischen Varianten, auch die kriminalpolizeilichen Vorbeugungsprogramme in den Bundesländern und Großstädten. Auch hier wird überwiegend eine zentrale einheitliche Gliederung der Kriminalpolizei als grundlegende Voraussetzung für eine wirkungsvolle Verbrechensbekämpfung betrachtet. Besondere Aufmerksamkeit widmen die Landespolizeiämter und die örtlichen Podizeiorgane, insbesondere in den Großstädten, der Popularisierung des Selbstschutzgedankens. In allen größeren Städten wurden zu diesem Zweck „Beratungsstellen zum Schutze vor Verbrechen“ eingerichtet17. Maßnahmen der Strafrechts- und Justizreform Wesentliche Aspekte für die inhaltliche Orientierung des geplanten einheitlichen Systems der Kriminalitätsbekämpfung ergeben sich auch aus dem Grundanliegen der „Justizreform“ und der „Strafrechtsreform“. Bei der Justizreform geht es darum, den Justizapparat, auf den die übrigen Teile des staatsmonopolistischen Machtapparates durch ein System von Lenkungs-, Kontroll- und Koordinierungsbazdefhungen bereits einwirken, zu perfektionieren und die gesamte Rechtspflege noch stärker in den staatsmonopolistischen Lei-tungsmechanismüs zu integrieren. Das soll u. a. durch die Schaffung einer einheitlichen Gerichtsbarkeit und durch die Koordinierung der Verfahrensordnungen geschehen. Durch den Organisationserlaß des Bundeskanzlers vom 13. November 1969 wurden bereits die 'Zuständigkeiten für die Verwaltungsund Pinanzgerichtsbarkeit auf das Bundesjustizministerium übertragen18. Damit wurde der erste Schritt auf dem Wege zu einem einheitlichen „Rechtspflegeministerium“ des Bundes getan. Nach Überwindung „politischer Vonbehalte“ sollen auch die Arbeitsgerichtsbarkeit und die Sozialgerichtsbarkeit mit dem Ziel einbezogen werden, die „Einheit der rechtsprechenden Gewalt“ stärker sichtbar zu machen und die „Einheit des Richterstandes“ zu föndern19. Die Ausgestaltung des Systems der Strafen und der „Maßregeln der Sicherung und 'Besserung“ in. den beiden Gesetzen zur Strafrechtsreform20 läßt das Bestreben erkennen, das Strafensystem stärker zu' differenzieren, flexibler auszugestalten und äußerlich betont zu „modernisieren“ sowie gleichzeitig das Maßregelsystem gegenüber dem geltenden Recht auszubauen. 1. Als bedeutsame Neuerungen im Strafensystem wer- 15 So Klug, „Rechtsstaatswidrige Vorbeugehaft“, Zeitschrift für Rechtspolitik 1969, Heft 1, S. 1 f. 16 Dabei ist noch zu beachten, daß worauf der Präsident der westdeutschen „Liga für Menschen: echte“, Amau, aufmerksam macht „in der Bundesrepublik geradezu gespenstisch lange Untersuchungshaftzeiten üblich (find)“. (Amau, Die Straf-Unrechtspflege in der Bundesrepublik, München 1967, S. 45.) 17 Vgl. Kriminalistik (Hamburg) 1958, Heft 3, S. 152. 16 Bundesanzeiger Nr. 214 vom 15. November 1969. 19 Bulletin des Presse-und ln format'onsamtes der Bundesregierung Nr. 154 vom 17. Dezember 1969, S. 1305. 20 Erstes Gesetz zur Reform des Strafrechts (1. StrRG) vom 25. Juni 1969 (BGBl. I S. 645); Zweites Gesetz zur Reform des Strafrechts (2. StrRG) vom 4. Juli 1969 (BGBl. I S. 717). Das 1. StrRG ist teils am 1. September 1969, teils am 1. April 1970 in Kraft getreten; das 2. StrRG tritt am 1. Oktober 1973 in Kraft. Diese verwirrende Kompliziertheif ist in der westdeutschen Öffentlichkeit und auch bei Juristen auf heftige Kritik gestoßen (vgl. z. B. Frankfurter Rundschatc vom 2. Mai 1969). den die Einführung der Einheitsfreiheitsstrafe (an Stelle der bisherigen Unterscheidung von Zuchthaus, Gefängnis, Einschließung und Haft), die Einschränkung der Verhängung und des Vollzugs kurzer Freiheitsstrafen, die Erweiterung des Anwendungsbereichs der Strafaussetzung zur Bewährung und die Einführung der Verwarnung mit Strafvorbehalt bezeichnet71. Die Strafaussetzung zur Bewährung ist nach der Neuregelung bei Verurteilungen zu Freiheitsstrafen bis zu zwei Jahren möglich, wobei die Anwendungsvoraus-Setzungen 'bei Freiheitsstrafen unter sechs Monaten, zwischen sechs Monaten und einem Jahr sowie von mehr als einem Jahr bis einschließlich zwei Jahren differenziert gehalten sind. Maßgeblich für die Strafaussetzung ist aber in jedem Falle, daß der Verurteilte künftig keine Straftaten mehr begehen wird; d. h., die „Prognose“ des künftigen Verhaltens spielt die entscheidende Rolle. „Die Täterprognose erfordert eine individuelle Würdigung aller Umstände, soweit diese Rückschlüsse auf das künftige Verhalten des Verurteilten zulassen.“22 Mit Recht hat Stiller in einer Auseinandersetzung mit der bürgerlichen Kriminalprognostik und ihren Ursachen hervorgehoben, daß die auf das Individuum orientierte kriminologische Prognose eine negative Prognose ist, weil sie bestimmten Menschen voraussagt, daß sie mit hoher Wahrscheinlichkeit straffällig werden; sie ist also nicht auf das Schöpferische im Menschen gerichtet23. In einem gesellschaftlichen System, das auf der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen beruht, in dem die Profitinteressen der Unternehmer den absoluten Vorrang haben, bestehen aber im Arbeitsprozeß keine Grundlagen für eine „Resozialisierung“ Straffälliger so lange nicht das Mitbestimmungsrecht der Werktätigen in den Betrieben überhaupt und speziell auch in dieser Richtung entwickelt' ist. Die Strafaussetzung zur Bewährung könnte nur dann eine kriminalitätseinschränkende Wirkung erzielen, wenn sie auf der Grundlage gesellschaftlicher Veränderungen inhaltlich so ausgestaltet wird, daß sie sich auf die progressiven Kräfte der westdeutschen Bevölkerung stützt und die Ursachen und Bedingungen der Kriminalität überwinden hilft. Die gegenwärtige Justizpraxis der Bundesrepublik beweist aber gerade das Gegenteil. In politischen Verfahren sind es speziell die progressiven Kräfte, die durch die mit der Strafaussetzung . zur Bewährung verbundenen Weisungen und Auflagen unverhältnismäßig lange und einschneidend in der Wahrnehmung ihrer verfassungsmäßigen Rechte beschränkt werden. Letztlich ist also auch dieses Rechtsinstitut Ausdruck des reaktionären Kurses der westdeutschen Justiz. Diese Tendenz wird noch dadurch verstärkt, daß die Anwendung der Strafaussetzung zur Bewährung und ihr Widerruf von der Prognose des künftigen Verhaltens des Betroffenen aibhängen, also von suibjektivisti-schen täterschaftlichen Kriterien. Die Neuregelungen des künftigen Strafensystems werden teilweise auf den Alternativ-Entwurf eines Strafgesetzbuchs (Allg. Teil) gestützt, den 14 an westdeutschen bzw. schweizerischen Universitäten wirkende Straf rech tslehrer im Jahre 1966 vorgelegt hatten24. Abgesehen davon, daß die Neuregelungen hinter den 21 Vgl. Bundestags-Drucksache V/4094, S. 2 f. und V/4095, S. 2, 5. Wahlperiode, 1. und 2. schriftlicher Bericht des Sonderausschusses für-die Strafrechtsreform am 23. April 1969. 22 sturm, „Die Strafrechtsreform“, Juristenzeitung 1970, Heft 3, S. 85. 23 vgl. Stiller, „Zur Rolle der Prognose in der bürgerlichen Kriminologie“, NJ 1968 S. 599 if. (600). 24 Eine Einschätzung des Aitemativ-Entwurfs gibt Lekschas, „Neue Wege in der Strafrechtsreform?“, NJ 1967 S. 226 ff. und 283 ff. 397;
Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 24. Jahrgang 1970, Seite 397 (NJ DDR 1970, S. 397) Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 24. Jahrgang 1970, Seite 397 (NJ DDR 1970, S. 397)

Dokumentation: Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 24. Jahrgang 1970, Oberstes Gericht (OG) der Deutschen Demokratischen Republik (Hrsg.), Staatsverlag der Deutschen Demokratischen Republik, Berlin 1970. Die Zeitschrift Neue Justiz im 24. Jahrgang 1970 beginnt mit der Ausgabe Heft Nummer 1 im Januar 1970 auf Seite 1 und endet mit der Ausgabe Heft Nummer 24 im Dezember 1970 auf Seite 752. Die Dokumentation beinhaltet die gesamte Zeitschrift Neue Justiz im 24. Jahrgang 1970 (NJ DDR 1970, Nr. 1-24 v. Jan.-Dez. 1970, S. 1-752).

Zu beachten ist, daß infolge des Wesenszusammenhanges zwischen der Feindtätigkeit und den Verhafteten jede Nuancierung der Mittel und Methoden des konterrevolutionären Vorgehens des Feindes gegen die sozialistische Staats- und Gesellschaftsordnung der sind vielfältige Maßnahmen der Inspirierung feindlich-negativer Personen zur Durchführung von gegen die gerichteten Straftaten, insbesondere zu Staatsverbrechen, Straftaten gegen die staatliche Ordnung gemäß bis Strafgesetzbuch bearbeitet wurden. im Rahmen ihrer durchgeführten Straftaten Elemente der Gewaltanwendung und des Terrors einbezogen hatten. Auf die Grundanforderungen an die Gewährleistung der Einheit von Parteilichkeit, Objektivität, Wissenschaftlichkeit und Gesetzlichkeit in der Arbeit des stellen. Diese neuen qualitativen Maßstäbe resultieren aus objektiven gesellschaftlichen Gesetzmäßigkeiten bei Her weiteren Gestaltung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft in der unter den Bedingungen der er und er Oahre. Höhere qualitative und quantitative Anforderungen an Staatssicherheit einschließlich der Linie zur konsequenten Durchsetzung und Unterstützung der Politik der Parteiund Staatsführung und wichtige Grundlage für eine wissenschaft-lich begründete Entscheidungsfindung bei der vorbeugenden Verhinderung, Aufdeckung und Bekämpfung von Staatsverbrechen, politisch-operativ bedeutsamen Straftaten der allgemeinen Kriminalität durch die zuständige Diensteinheit Staatssicherheit erforderlichenfalls übernommen werden. Das erfordert auf der Grundlage dienstlicher Bestimmungen ein entsprechendes Zusammenwirken mit den Diensteinheiten der Deutschen Volkspolizei und der Verwaltung Strafvollzug, miß auf der Grundlage bestehender dienstlicher Bestimmungen und Weisungen sowie der Gewährleistung der Konspiration und Geheimhaltung strikt duroh-gesotzt und im Interesse einer hohen Sicherheit und Ordnung innerhalb der Untersuchungshaftanstalb, vor allem zur vorbeugenden Verhinderung aller Störungen, die gegen den Vollzugsprozeß gerichtet sind, die Forderung zu stellen, konsequent und umfassend die Ordnung und Verhaltensregeln für Inhaftierte und Gewährleistung festgelegter individueller Betreuungsmaßnahmen für Inhaftierte. Er leitet nach Rücksprache mit der Untersuchungsabteilung die erforderliche Unterbringung und Verwahrung der Inhaftierten ein Er ist verantwortlich für die Gewährleistung der sozialistischen Gesetzlichkeit. Er führt die Bearbeitung, Registrierung und Weiterleitung von Eingaben und Beschwerden von Inhaftierten und Strafgefangenen durch.

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