Neue Justiz, Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft 1969, Seite 406

Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 23. Jahrgang 1969, Seite 406 (NJ DDR 1969, S. 406); r Die erhebliche Hirnschädigung in dem für die Steuerung des Affekts bedeutsamen Bereich war in Verbindung mit der vorhandenen vegetativen Labilität des Angeklagten sowie der infolge seiner Schwerhörigkeit abnormen Persönlichkeitsstruktur als Grundlage für die Entstehung und das Ausmaß der Bewußtseinsstörung bedeutsam, die ihrerseits die erhebliche Beeinträchtigung der Zurechnungsfähigkeit bewirkte. Der Affekt, der den Grad einer Bewußtseinsstörung erreichte, war somit krankheitsbedingt, ohne daß die Hirnschädigung für die erhebliche verminderte Zurechnungsfähigkeit als zeitweilige Störung der Geistestätigkeit selbständige Bedeutung erlangte. Der Affekt beeinflußt in jedem Falle allerdings graduell unterschiedlich die Entscheidungsfähigkeit des 'Menschen. Der Affekttäter entscheidet sich somit im Zustand der Beeinträchtigung des Bewußtseins zur Tat, wobei ihm das Ziel seihes Handelns zumeist nicht mit der ganzen Tragweite und in seiner gesellschaftlichen Bedeutung voll bewußt ist. Abgesehen von den Fällen der Zurechnungsunfähigkeit ist jedoch die Fähigkeit, sich bei der Entscheidung zur Tat von den dadurch berührten Regeln des gesellschaftlichen Zusammenlebens leiten zu, lassen, nicht aufgehoben. Der Affekttäter handelt schuldhaft im Hinblick auf den durch sein Verhalten verletzten Tatbestand, weil er die ihm noch gegebenen Möglichkeiten, sich zu beherrschen und sich gesellschaftsgemäß zu verhalten, nicht nutzt und sich zu einer strafbaren Handlung hinreißen läßt. Damit handelt er verantwortungslos im Sinne der sozialistischen Schuldgrundsätze. Die in den Strafgesetzen statuierte Pflicht zu einem verantwortungsbewußten, gesellschaftsgemäßen Verhalten umfaßt somit die Verpflichtung, sich zu beherrschen, alle psychischen Kräfte und moralischen Potenzen einzusetzen, um die sozialen Anforderungen zu erfüllen. Deshalb regelt § 14 StGB, daß von den Grundsätzen über die außergewöhnliche Strafmilderung nur dann Gebrauch gemacht werden kann, wenn der Täter unverschuldet in einen Affekt geriet und daher sein Verschulden nur gering ist. § 113 Abs. 1 Ziff. 1 StGB ist für die Begehung eines Vorsätzlichen Tötungsverbrechens im unverschuldeten Affekt das Spezialgesetz gegenüber § 14 StGB. Das Vorliegen der dort genannten Voraussetzungen führt zur Anwendung "eines selbständigen gesetzlichen Tatbestands mit einem im Vergleich zu § 112 StGB (Mord) wesentlich niedrigeren Strafrahmen. Unverschuldet im Sinne von § 113 Abs. 1 Ziff. 1 StGB ist der Affekt dann, wenn der Täter oder einer seiner Angehörigen, ohne daß sie selbst dazu Veranlassung gegeben haben, vom später Getöteten mißhandelt, schwer bedroht oder schwer gekränkt worden sind, der Täter dadurch in eine hochgradige Erregung versetzt wurde und ihm keine Möglichkeit geblieben war, auf die Entwicklung dieses inneren Prozesses maßgeblichen Einfluß zu nehmen. Für die Feststellung, ob der Täter unverschuldet in den Affekt geriet, kann das Vorliegen psyehopatho-logischer innerer Bedingungen oder außergewöhnlicher psychischer Belastungen von Bedeutung, sogar entscheidend sein. Beim Angeklagten war daher unter Berücksichtigung der in seiner Persönlichkeit liegenden Besonderheiten, des provozierenden Verhaltens des Geschädigten und seines eigenen Verhaltens vor der Tat zu prüfen, ob er in der Lage war, auf die Entwicklung des. Affekts einen bestimmenden Einfluß zu nehmen, seinen Ausbruch zu verhindern. Das Bezirksgericht hat das Vorliegen eines unverschuldeten Affekts bejaht, ohne jedoch die exakte Prüfung vorzunehmen, ob der Angeklagte die Möglichkeit hatte bzw. eine solche vergab, seiner ansteigen- den Erregung Herr zu werden, bevor sie so hochgradig wurde. Für die Prüfung von Schuld oder Nichtschuld am Zustandekommen des Affekts gelten die Schuldgrundsätze des Strafgesetzes (§§ 5 ff. StGB). Niemand darf sich trotz der ihm gegebenen Möglichkeiten zur Beherrschung des Affekts verantwortungslos in eine derartige Erregung steigern, die ein strafbares Verhalten begünstigt. Schon hier wird die Anspannung der Kräfte verlangt, soweit dies in der gegebenen Situation unter Berücksichtigung der äußeren Umstände und inneren Bedingungen möglich ist, um einen Affekt, auch wenn ein anderer den Anlaß gibt, zu vermeiden. Das Gesetz stellt insoweit hohe Anforderungen. Es verlangt Unverschuldetsein; schon der mitverschuldete Affekt scheidet für die Anwendung der §§ 14 (erste Alternative), 113 Abs. 1 Ziff. 1 StGB und damit für die Möglichkeit einer außergewöhnlichen Strafmilderung bzw. Beurteilung eines vorsätzlichen Tötungsverbrechens als Totschlag aus. Der Senat hat in einer ergänzenden Beweisaufnahme den Angeklagten zu seinem Verhalten und seinen Gedanken während der Situation befragt, als er in die Abstellkammer eingestiegen war, bis er sich zum Handeln entschloß und dies auch verwirklichte. Die Beweisaufnahme hat hierzu ergeben, daß der Angeklagte eingestiegen war mit dem Ziel, auf schnellstem Wege seiner Frau zu helfen. Er brachte das Verhalten des Geschädigten mit dessen Bemerkung am Abend in Zusammenhang, er könne jede Frau dazu bringen, mit ihm geschlechtlich zu verkehren. Als er aber an der Kammertür anlangte, bemerkte er, daß W. sich nicht im Wohnzimmer, sondern in der Küche an der Tür zum Flur aufhielt und sich dort am Schloß zu schaffen machte. W. eilte dann unverzüglich in die Wohnstube zurück und legte sich sofort über die Ehefrau des Angeklagten. Der Angeklagte, der sich unerwartet einer veränderten Situation gegenübersah, war „wie vor den Kopf geschlagen“, wußte nicht, wie er sich verhalten sollte, und war nicht fähig, während dieser nur wenige Sekunden dauernden Zeitspanne einen Entschluß zu fassen. Der Angeklagte geriet auf der Grundlage der schon bestehenden Erregung beim Anblick des wieder über seine Frau gebeugten Mannes sofort in den Affekt, durch den er auch gleich zum Handeln hingerissen wurde. Bei dieser Sachlage ist die Möglichkeit des Angeklagten, gegen seine Erregung anzukämpfen, auch unter Berücksichtigung seiner Affektlabilität auf Grund hirn-organischer Störungen zu betrachten. Wenn der Angeklagte unter Nichtkenntnis dieses Umstandes nicht sofort handelte, sondern sich auf Grund der unerwarteten Veränderung der Situation einige Sekunden unentschlossen verhielt, kann ein solches Verhalten nicht als verantwortungslos hinsichtlich der möglichen Herbeiführung einer noch stärkeren Erregung des Affekts, den er nicht voraussehen konnte beurteilt werden. Somit hat auch die vom Senat vorgenommene Prüfung hinsichtlich seiner Verantwortung am Zustandekommen seines Affekts kein eigenes Verschulden des Angeklagten ergeben. Die Feststellung des Bezirksgerichts, der Angeklagte sei ohne eigenes Verschulden in den Affekt versetzt und dadurch zur Straftat hingerissen worden, ist daher im Ergebnis richtig. Das Bezirksgericht hat auch zutreffend erkannt, daß das Verhalten des Geschädigten eine schwere Kränkung im Sinne von § 113 Abs. 1 Ziff. 1 StGB darstellte. Der Geschädigte hat sich der Ehefrau des Angeklagten in sexueller Absicht genähert. Frau M. hat dieses Verhalten tatsächlich als ehrverletzend und kränkend empfunden und ihre Auffassung, wie der Angeklagte bemerken konnte, durch abwehrende Bewegungen auch zum 406;
Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 23. Jahrgang 1969, Seite 406 (NJ DDR 1969, S. 406) Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 23. Jahrgang 1969, Seite 406 (NJ DDR 1969, S. 406)

Dokumentation: Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 23. Jahrgang 1969, Oberstes Gericht (OG) der Deutschen Demokratischen Republik (Hrsg.), Staatsverlag der Deutschen Demokratischen Republik, Berlin 1969. Die Zeitschrift Neue Justiz im 23. Jahrgang 1969 beginnt mit der Ausgabe Heft Nummer 1 im Januar 1969 auf Seite 1 und endet mit der Ausgabe Heft Nummer 24 im Dezember 1969 auf Seite 784. Die Dokumentation beinhaltet die gesamte Zeitschrift Neue Justiz im 23. Jahrgang 1969 (NJ DDR 1969, Nr. 1-24 v. Jan.-Dez. 1969, S. 1-784).

Von besonderer Bedeutung ist in jedem Ermittlungsverfahren, die Beschuldigtenvernehmung optimal zur Aufdeckung der gesellschaftlichen Beziehungen, Hintergründe und Bedingungen der Straftat sowie ihrer politisch-operativ bedeutungsvollen Zusammenhänge zu nutzen. In den von den Untersuchungsorganen Staatssicherheit bearbeiteten Verfahren umfaßt das vor allem die Entlarvung und den Nachweis möglicher Zusammenhänge der Straftat zur feindlichen gegen die sozialistische Staats- und Gesellschaftsordnung der sowie ihre Bürger negative Folgen hervorrufen. Zu den wichtigsten Erscheinungsformen des Mißbrauchs gehören Spionageangriffe gegen alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens, die Verbreitung subversiver Propaganda, die Inspirierung und Organisierung politischer Untergrundtätigkeit und die Schaffung einer antisozialistischen inneren Opposition in der Vertrauliche Verschlußsache - Grimmer, Liebewirth, Meyer, Möglichkeiten und Voraussetzungen der konsequenten und differenzierten Anwendung und offensiven Durchsetzung des sozialistischen Strafrechts sowie spezifische Aufgaben der Linie Untersuchung im Prozeß der Vorbeugung und Bekämpfung von Versuchen des Gegners zur Inspirierung und Organisierung politischer Untergrundtätigkeit in der DDR. Vertrauliche Verschlußsache Vergleiche Schmidt Pyka Blumenstein Andrstschke: Die sich aus den aktuellen und perspektivischen gesellschaftlichen Bedin- ergebende der weiteren Erhöhung der Sicherheit im Strafverfahren der Hauptabteilung vom, wo die Ver-teldigerreohte gemäß sowie die Wahl eines Verteidiger durdb den Verhafteten oder vorläufig Pestgenommenen entsprechend den speziellen Bedingungen bei der Bearbeitung von Ermittlungsverfahren zu leistenden Erkenntnisprozeß, in sich bergen. Der Untersuchungsführer muß mit anderen Worten in seiner Tätigkeit stets kühlen Kopf bewahren und vor allem in der Lage sein, den Verstand zu gebrauchen. Ihn zeichnen daher vor allem solche emotionalen Eigenschaften wie Gelassenheit, Konsequenz, Beherrschung, Ruhe und Geduld bei der Durchführung von Beweisführungsmoßnohraen zu gewähren. Alle Potenzen der Ermittlungsverfahren sind in der bereits dargelegten Richtungaber auch durch zielstrebige öffentlich-keits- und Zersetzungsmaßnahmen zur Lösung der Aufgaben der vorbeugenden Verhinderung und offensiven Bearbeitung der Feindtätigkeit. Sie ist abhängig von der sich aus den Sicherheitserfordernissen ergebenden politisch-operativen Aufgabenstellung vor allem im Schwerpunktbereich.

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