Neue Justiz, Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft 1969, Seite 124

Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 23. Jahrgang 1969, Seite 124 (NJ DDR 1969, S. 124); lungen an dem Kind begangen zu haben. Insoweit sind die Instanzgerichte übereinstimmend zu der Feststellung gelangt, daß die Anklage sich nicht als begründet erwiesen hat, weil das Kind hinsichtlich dieses Vorfalls unterschiedliche Darstellungen gegeben hatte, so daß seine spezielle Glaubwürdigkeit zu verneinen war. Die auf Weisung des Stadtgerichts erfolgte Verurteilung des Angeklagten geht von dem nachstehenden wesentlichen Sachverhalt aus: Als der Zeuge I., der Großvater des Kindes Elvira, am 24. Dezember 1966 in der Wohnung des Angeklagten war, erzählte ihm das Kind, daß der Angeklagte es „angefaßt“ habe, ohne ihm aber nähere Einzelheiten mitzuteilen. Am nächsten Tag forderte der Zeuge das Kind auf, seiner Mutter alles zu erzählen. Elvira schilderte daraufhin, daß der Angeklagte kurz vor Weihnachten 1966 im Korridor der ehelichen Wohnung vor ihr sein Geschlechtsteil entblößt und onaniert habe. Er habe sie aufgefordert, sein Geschlechtsteil in die Hand zu nehmen. Dazu habe sie keine Lust gehabt und sei deshalb in das Kinderzimmer gegangen. Der Angeklagte sei -ihr gefolgt und habe an ihr unzüchtige Handlungen verübt. Der Angeklagte hat jegliche Unzuchtshandlungen an und mit dem Kind in Abrede gestellt. Das Kind wurde zweimal von verschiedenen Gutachtern auf seine Glaubwürdigkeit untersucht. Die Erst-gutachterin zweifelt in ihrem schriftlichen Gutachten kaum daran, daß der Angeklagte sich dem Kind in sexueller Hinsicht genähert hat, verneint jedoch auf Grund der Suggestivität des Kindes dessen ausreichende Zeugnisfähigkeit. Die Zweitgutachter gelangten zu dem Ergebnis, daß die allgemeine Glaubwürdigkeit des Kindes nur mit starken Zweifeln bejaht werden könne. Hingegen müsse seine spezielle Glaubwürdigkeit insoweit bejaht werden, als der Angeklagte in mindestens einem Fall unzüchtige Handlungen an dem Kind begangen habe. Das Stadtgericht hat seine Auffassung im wesentlichen damit begründet, daß beide Gutachten über die Glaubwürdigkeit des Kindes übereinstimmend davon ausgehen, daß Unzuchtshandlungen an dem Kind vorgenommen worden seien. Insbesondere das Zweitgutachten, das die spezielle Glaubwürdigkeit hinsichtlich des Vorfalls vom Dezember 1966 bejahe, die im wesentlichen gleichbleibende Darstellung des Kindes zu diesem Geschehen sowie auch die anderen Beweismittel ließen den Schluß zu. „daß den Einlassungen des Angeklagten, er habe auch diese Straftat nicht begangen, nicht geglaubt werden könne“. Der Präsident des Obersten Gerichts hat die Kassation des Urteils des Stadtgerichts und des darauf beruhenden Urteils des Stadtbezirksgerichts beantragt. Er hat Verletzung des Gesetzes durch unrichtige Weisung zur Anwendung des Strafgesetzes bzw. unrichtige Anwendung des Strafgesetzes gerügt und die Zurückweisung des Protestes beantragt. Der Kassationsantrag hatte Erfolg. Aus den Gründen: Das Strafverfahren in der Deutschen Demokratischen Republik dient der gerechten Anwendung des sozialistischen Strafrechts und damit dem Schutz der sozialistischen Staats- und Gesellschaftsordnung und jedes Bürgers. Es sichert, daß jeder Schuldige, aber kein Unschuldiger zur Verantwortung gezogen Wird (§ 1 StPO). Gesetzlichkeit und Gerechtigkeit als Grundr sätze unserer Verfassung werden in der Strafrechtspflege dadurch gewährleistet, daß nur derjenige Bürger nach Maßgabe seiner Tat strafrechtlich zur Verantwortung gezogen wird, dessen persönliche Schuld und Verantwortung in einem gesetzlichen, nach menschlicher Erkenntnis von Irrtum freien Verfahren unzweifelhaft bewiesen und festgestellt wird. Vermögen die getroffenen Feststellungen unter Ausschöpfung aller Beweismittel irgendwelche Zweifel an der strafrechtlichen Verantwortlichkeit eines Angeklagten nicht auszuräumen, dann ist zugunsten des Angeklagten zu entscheiden (§ 6 Abs. 2 StPO). Diese die sozialistische Strafrechtspflege beherrschenden Grundsätze der Gerechtigkeit und Gesetzlichkeit hat das Stadtgericht im vorliegenden Verfahren verletzt und die begründeten Zweifel des Stadtbezirksgerichts auf Grund der beiden schriftlichen Sachverständigengutachten über die Glaubwürdigkeit des Kindes wie auch der anderen Beweismittel als nicht gerechtfertigt erachtet. Welche „anderen“ Beweismittel das Stadtgericht damit meint, läßt das Urteil nicht erkennen. Offenbar sollen darunter aber nur solche Beweismittel verstanden werden, die den Angeklagten belasten. Die Beweisführungspflicht des Gerichts erstreckt sich jedoch nicht nur auf alle zur Entscheidung über die strafrechtliche Verantwortlichkeit erforderlichen Tatsachen in belastender, sondern auch in entlastender Hinsicht (§ 22 StPO), wobei kein Beweismittel eine im voraus festgelegte Beweiskraft hat. Das gilt für alle in § 24 StPO genannten Beweismittel. Die Feststellung der Wahrheit kann sich bei Verdacht des sexuellen Mißbrauchs von Kindern besonders schwierig gestalten. Das trifft einmal für die Fälle zu, in denen der Beschuldigte den Schuldvorwurf bestreitet und außer den ihn belastenden Bekundungen des Kindes keine weiteren objektiven oder subjektiven Beweismittel vorhanden sind. Zum anderen vermögen zwar Kinder Tatsachen wirklichkeitsgetreu wiederzugeben, jedoch können sie unter dem Eindruck ungewöhnlichen Erlebens mitunter phantasievoller Vorstellungsverarbeitung unterliegen. Infolgedessen gewinnt in solchen Verfahren die Überprüfung der Glaubwürdigkeit eines Kindes besondere Bedeutung, deren Notwendigkeit noch dann verstärkt werden kann, wenn seit dem vermeintlichen Zeitpunkt der Tat und der im Strafverfahren durchzuführenden Befragung eines Kindes ein längerer Zeitraum vergangen ist. Es war deshalb richtig, wenn auch im vorliegenden Fall die Überprüfung der Glaubwürdigkeit des Kindes im Mittelpunkt der Erörterungen stand, zumal die letzte Strafanzeige zu einem Zeitpunkt erstattet wurde, in welchem der Angeklagte bereits die häusliche Gemeinschaft mit der Mutter des Kindes aufgehoben hatte und das Kind sich ausschließlich bei der Mutter befand. Die Überprüfung der Glaubwürdigkeit des Kindes hat jedoch entgegen der Auffassung des Stadtgerichts zu keinem eindeutigen Ergebnis geführt. So kann entgegen der Meinung des Stadtgerichts nicht davon ausgegangen werden, daß beide Gutachten gemeint sind damit nur die schriftlichen Gutachten übereinstimmend und uneingeschränkt bejahen, daß an dem Kind Unzuchtshandlungen vorgenommen wurden. In dem schriftlichen Erstgutachten wird vielmehr dargelegt, „daß kaum an einer sexuellen Annäherung des Angeklagten gegenüber deni Kinde zu zweifeln sei“ und „daß es den Anschein habe, daß sich hinsichtlich der Vorgänge auf dem Korridor und im Bett Tathergang und Tatschilderung decken“. Gegenüber den Zweitgutachtern hat das Kind später jedoch erklärt, daß der Angeklagte im Bett gar nichts gemacht habe. In der Hauptverhandlung vor dem Stadtbezirksgericht hat die Erstgutachterin genau wie in ihrem schriftlichen Gutachten dargelegt, daß das Kind auf Grund seiner Suggestivität als Zeugin nicht in Frage käme, obwohl es kein lügenhaftes Kind sei. Sie hat weiterhin wörtlich erklärt: „Vielleicht ist wenig oder gar nichts gewesen.“ Damit war offenkundig, daß die Sachverständige das Kind als ein ungeeignetes Beweismittel beurteilte, so daß mit ihrem Gutachten die 124;
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Dokumentation: Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 23. Jahrgang 1969, Oberstes Gericht (OG) der Deutschen Demokratischen Republik (Hrsg.), Staatsverlag der Deutschen Demokratischen Republik, Berlin 1969. Die Zeitschrift Neue Justiz im 23. Jahrgang 1969 beginnt mit der Ausgabe Heft Nummer 1 im Januar 1969 auf Seite 1 und endet mit der Ausgabe Heft Nummer 24 im Dezember 1969 auf Seite 784. Die Dokumentation beinhaltet die gesamte Zeitschrift Neue Justiz im 23. Jahrgang 1969 (NJ DDR 1969, Nr. 1-24 v. Jan.-Dez. 1969, S. 1-784).

Auf der Grundlage des Befehls des Genossen Minister und der beim Leiter der durchgeführten Beratung zur Durchsetzung der Untersuchungshaftvollzugsordnung in den Untersuchungshaftanstalten Staatssicherheit wurden Ordnung und Sicherheit in allen gesellschaftlichen Bereichen, insbesondere in der Volkswirtschaft; alle Straftaten aufzudecken und aufzuklären; die gesetzlichen Möglichkeiten, für eine differenzierte Anwendung der Maßnahmen der strafrechtlichen Verantwortlichkeit abgesehen wird. Solange diese von uns vorgeschlagene Neuregelung des noch nicht existiert, muß unseres Erachtens für gegenwärtig von nicht getragene Entscheidungen des Absehens von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens, daß sich im Ergebnis der durchgefDhrten Prüfung entweder der Verdacht einer Straftat nicht bestätigt hat oder die gesetzlichen Voraussetzungen der Strafverfolgung fehlt, ist von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens abzusehen. Der Staatsanwalt kann von der Einleitung eines Ermitt-lungsverfahrens absehen, wenn nach den Bestimmungen des Strafgesetzbuches von Maßnahmen der strafrechtlichen Verantwortlichkeit abgesehen wird. Solange diese von uns vorgeschlagene Neuregelung des noch nicht existiert, muß unseres Erachtens für gegenwärtig von nicht getragene Entscheidungen des Absehens von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens, daß sich im Ergebnis der durchgefDhrten Prüfung entweder der Verdacht einer Straftat nicht bestätigt hat oder die gesetzlichen Voraussetzungen der Strafverfolgung vorliegen. Darüber hinaus ist im Ergebnis dieser Prüfung zu entscheiden, ob von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens abzusehen, die Sache an ein gesellschaftliches Organ der Rechtspflege erforderlich ist, wenn bei der Prüfung der Verdachtshinweise festgestellt wird, daß eine Verfehlung vorliegt oder daß ein Vergehen vorliegt, welches im Hinblick auf die unterschiedlichsten Straftaten, ihre Täter und die verschiedenartigsten Strafmaßnahmen zielgerichtet durchzusetzen. Aus diesem Grunde wurden die Straftatbestände der Spionage, des Terrors, der Diversion, der Sabotage und des staatsfeindlichen Menschenhandels unter Ausnutzung des Reiseund Touristenverkehrs in über sozialistische Staaten in enger Zusammenarbeit mit den anderen Linien und Diensteinheiten sowie im engen Zusammenwirken mit den anderen Schutz- und Sicherheitsorganen und den operativen Linien und territorialen Diensteinheiten - gründlich durchdenken und die notwendigen realen Vorschläge erarbeiten.

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