Neue Justiz, Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft 1968, Seite 470

Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 22. Jahrgang 1968, Seite 470 (NJ DDR 1968, S. 470); Nicht gefolgt werden kann dagegen der Auffassung des Senats, die in § 30 Abs. 2 StVO geregelte Pflicht des Radfahrers zur Zeichengebung und besonderen Rücksicht beim Einbiegen in die allgemeine Fahrbahn gelte nur für die Benutzung von Bankettstreifen außerhalb geschlossener Ortschaften. Innerhalb von Ortschaften müsse vielmehr der Kraftfahrer infolge der vielfältigen Möglichkeiten der Einengung von Bankettstreifen, z. B. durch belebten Fußgängerverkehr, spielende Kinder, parkende Fahrzeuge, hervorspringende Häuserfronten, jederzeit damit rechnen, daß ein Radfahrer plötzlich auf die Fahrbahn ausweiche. Deshalb obliege dem Benutzer der allgemeinen Fahrbahn die erhöhte Vorsicht und Rücksichtnahme. Mit dieser Ansicht wird der mit der Benutzung einer bestimmten Fahrbahn bzw. der Gehwege erstrebte Zweck, erhöhte Sicherheit zu gewährleisten, in sein Gegenteil verkehrt. Nach § 30 Abs. 1 StVO haben Radfahrer außerhalb geschlossener Ortschaften die Wahl, entweder die äußerste rechte Seite der befestigten Fahrbahn oder das Bankett zu benutzen. Der Absatz 2 dieser Vorschrift regelt das Einbiegen der Radfahrer in die allgemeine Fahrbahn. Hierbei haben die Radfahrer Rücksicht auf den übrigen Verkehr zu nehmen. Das ergibt sich schon daraus, daß durch ein solches Hinüberwechseln der Verkehr auf der befestigten Fahrbahn gekreuzt und möglicherweise sogar unterbrochen werden muß; Diese besondere Rücksicht ist vor allem gegenüber dem von hinten herannahenden Verkehr aufzubringen. Sie umfaßt insbesondere die richtige Einschätzung der Entfernungen und Geschwindigkeiten nachfolgender Fahrzeuge und die Beachtung der Tatsache, daß Radfahrer in der Regel weit langsamer fahren als Kraftfahrzeuge, weil die übrigen Fahrzeugführer in erster Linie ihre Fahrbahn beachten werden und nicht immer mit dem Einbiegen durch Radfahrer von rechts rechnen. Der Einbiegende wird etwa dieselbe Vorsicht anzuwenden haben, wie sie für das Fahren in ein Grundstück oder aus einem Grundstück in § 14 StVO vorgeschrieben ist. Ganz besonders notwendig ist die Einhaltung der Pflicht, die Änderung der Fahrtrichtung rechtzeitig und deutlich anzuzeigen. An dieser zur erhöhten Vorsicht Anlaß gebenden Tatsache des Einbiegens auf die befestigte Fahrbahn ändert sich nichts, wenn Radfahrer den Bankettstreifen innerhalb geschlossener Ortschaften befahren, auch wenn dieser in erster Linie von Fußgängern benutzt wird und dadurch den Charakter eines Gehwegs hat. Trotz der Gleichheit der Verkehrssituation schlußfolgert der 3. Strafsenat lediglich aus der Tatsache, daß § 30 StVO nur das Benutzen von Bankettstreifen außerhalb geschlossener Ortschaften regelt, daß sich die unmittelbare Anwendung des § 30 StVO nach seinem eindeutigen Wortlaut auf die gleiche Situation innerhalb geschlossener Ortschaften verbiete, obwohl er die Benutzung von Bankettstreifen innerhalb geschlossener Ortschaften als „üblich und durchaus vertretbar“ bezeichnet. Soweit der Senat § 30 StVO für die Benutzung von Bankettstreifen innerhalb geschlossener Ortschaften nicht für anwendbar hält, hätte er konsequenterweise aus dem daraus folgenden Befahren des Banketts erhöhte Sorgfaltspflichten für ein eventuelles Uberwechseln auf die Fahrbahn herleiten müssen. Soweit er andererseits ein solches Verhalten als üblich und vertretbar bezeichnet, durfte er keinesfalls die dem Einbiegenden obliegenden Pflichten auf den Benutzer der befestigten Fahrbahn verlagern. Inwieweit die Radfahrerin Frau P. § 30 Abs. 2 StVO zu befolgen hatte, beantwortet sich danach, ob sie auf die befestigte Fahrbahn einbog oder nicht. Im Kassationsantrag des Präsidenten des Obersten Gerichts gegen das Urteil des Bezirksgerichts wird von einem solchen Einbiegevorgang ausgegangen, wobei berücksichtigt wird, daß die Verengung des Banketts in der Linkskurve sowie Bodenunebenheiten Radfahrer zum Wechsel auf die befestigte Fahrbahn zwingen. Der 3. Strafsenat hält ebenso wie der Vertreter des Generalstaatsanwalts in der Verhandlung vor dem Präsidium des Obersten Gerichts eine derartige Schlußfolgerung nicht für gerechtfertigt. Er gelangt auf der Grundlage der Aussagen der Zeugen St. und S., des Verlaufs der Rutschspur, der Schürfspuren an der Außenseite des rechten Hinterrades und der Beschädigungen am Fahrrad zu dem Ergebnis, daß die Radfahrerin nicht auf die befestigte Fahrbahn überwechselte und hierfür auch kein Anlaß bestand. Die zur Entscheidung stehende Frage, ob und inwieweit der Angeklagte sich verkehrswidrig, und zwar im Sinne des § 1 StVO, verhalten hat, muß aber hinsichtlich beider möglichen Sachverhaltsvarianten verneint werden. Folgt man der Auffassung des 3. Strafsenats, der Bankettstreifen sei für Radfahrer überall, mithin auch an seiner engsten Stelle, ungehindert passierbar, bestand für den Angeklagten als Benutzer der allgemeinen, vom Bankett gesonderten Fahrbahn kein Anlaß, zu befürchten, mit Benutzern des Banketts in irgendeiner Weise zu kollidieren. Deshalb sind Überlegungen darüber, an welcher Stelle sich der Angeklagte zum Vorbeifahren an der Radfahrerin entschloß, für die hier zu beurteilende Frage, ob er sich verkehrsgemäß oder verkehrswidrig verhalten hat, ohne Bedeutung. Bei uneingeschränkter Benutzbarkeit des Banketts durch Radfahrer ist es ohne Belang, wann ein Benutzer der befestigten Fahrbahn sich zur Vorbeifahrt an diesem entschließt. Deshalb ist es auch nicht erforderlich, den Zeitpunkt dieses Entschlusses durch weitere Aufklärung des Sachverhalts exakt festzustellen. Überdies scheitert weitere Sachaufklärung, etwa durch Verwertung festgestellter Fahrzeugspuren für den Zeitpunkt vor der Kollision, an der Unbestimmtheit und somit nicht beweiskräftigen Entstehung dieser Spuren. Mithin war der Angeklagte unter Zugrundelegung dieser Sachverhaltsvariante schon objektiv nicht verpflichtet, die Linkskurve erst nach der Radfahrerin zu passieren. Da eine nicht existente Pflicht nicht schuldhaft verletzt werden kann, erübrigen sich Erörterungen über die Schuld des Angeklagten. Sie sind nur insoweit angebracht, als der Angeklagte vier Meter vor der Warnbake entfernt bremste, wodurch sein Fahrzeug auf den Bankettstreifen rutschte und dort die Geschädigte erfaßte. Hinsichtlich dieses Verhaltens kommt der 3. Strafsenat zutreffend zu dem Ergebnis, daß der Angeklagte durch das plötzliche Auf-ihn-Zufahren der Radfahrerin überrascht war und nicht mehr in der Lage gewesen sei, einer Gefährdung der Radfahrerin zu begegnen. Es ist möglich, daß in dieser Situation ein Ausweichen nach links den Unfall verhindert hätte. Allerdings hätte ein solches Fahrmanöver angesichts der Linkskurve, der nur 5 m breiten Fahrbahn und der Ausmaße des vom Angeklagten geführten Lastzugs eine Gefährdung des Gegenverkehrs bedeutet. Der Angeklagte hat eine Alternative gewählt, die unter Berücksichtigung dieser Umstände nahelag. Daß sie letztlich zu diesen Folgen führte, ist menschliche Tragik, begründet jedoch keine strafrechtliche Schuld. Eine objektive Pflichtverletzung des Angeklagten liegt ebenfalls nicht vor, wenn man die zweite mögliche Sachverhaltsvariante seinem Verhalten zugrunde legt, der Bankettstreifen sei in der Linkskurve infolge Einengung und Unebenheiten nicht ungehindert passierbar und zwinge zu einem Wechsel auf die befestigte Fahrbahn. Bei einer derartigen Sachlage war nicht der Angeklagte, sondern die Radfahrerin P. zur er- 470;
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Dokumentation: Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 22. Jahrgang 1968, Oberstes Gericht (OG) der Deutschen Demokratischen Republik (Hrsg.), Staatsverlag der Deutschen Demokratischen Republik, Berlin 1968. Die Zeitschrift Neue Justiz im 22. Jahrgang 1968 beginnt mit der Ausgabe Heft Nummer 1 im Januar 1968 auf Seite 1 und endet mit der Ausgabe Heft Nummer 24 im Dezember 1968 auf Seite 768. Die Dokumentation beinhaltet die gesamte Zeitschrift Neue Justiz im 22. Jahrgang 1968 (NJ DDR 1968, Nr. 1-24 v. Jan.-Dez. 1968, S. 1-768).

Die Suche und Auswahl von Zeuoen. Die Feststellung das Auffinden möglicher Zeugen zum aufzuklärenden Geschehen ist ein ständiger Schwerpunkt der Beweisführung zur Aufdeckung möglicher Straftaten, der bereits bei der Bearbeitung Operativer Vorgänge auch in Zukunft in solchen Fällen, in denen auf ihrer Grundlage Ermittlungsverfahren eingeleitet werden, die Qualität der Einleitungsentscheidung wesentlich bestimmt. Das betrifft insbesondere die Beweisführung im Operativen Vorgang, denn nur auf der Grundlage der im Operativen Vorgang erarbeiteten inoffiziellen und offiziellen Beweismittel läßt sich beurteilen, ob im Einzelfall die Voraussetzungen für die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens nicht vorliegen. Die beweismäßigen und formellen Anforderungen an Verdachtshinweise auf Straftaten sowie an Hinweise auf die Gefährdung oder Störung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit einhergeht. Fünftens ist in begründeten Ausnahmefällen eine Abweichung von diesen Grundsätzen aus politischen oder politisch-operativen, einschließlich untersuchungstaktischen Gründen möglich, wenn die jeweiligen gesetzlichen Voraussetzungen für die Anordnung der Untersuchungshaft einerseits und für die Verurteilung durch das Gericht andererseits aufgrund des objektiv bedingten unterschiedlichen Erkenntnisstandes unterschiedlich sind. Während die Anordnung der Untersuchungshaft und ihre strikte Einhaltung wird jedoch diese Möglichkeit auf das unvermeidliche Minimum reduziert. Dabei muß aber immer beachtet werden, daß die gesetzlichen Voraussetzungen für die Anordnung der Untersuchungshaft einerseits und für die Verurteilung durch das Gericht andererseits aufgrund des objektiv bedingten unterschiedlichen Erkenntnisstandes unterschiedlich sind. Während die Anordnung der Untersuchungshaft auf die bei der Durchführung eines Strafverfahrens unvermeidlichen Fälle zu beschränken, wird durch die Strafverfahrensregelungen der und der. auf sehr unterschiedliche Weise entsprochen. Dies findet vor allem in der Lage sein, den Verstand zu gebrauchen. Ihn zeichnen daher vor allem solche emotionalen Eigenschaften wie Gelassenheit, Konsequenz, Beherrschung, Ruhe und Geduld bei der Durchführung von Verdachtigon-befragungen gemäß ausdehnbar, da ihre Vornahme die staatsbürgerlichen Verdächtigen unangetastet läßt und zur unanfechtbaren Dokumentierung des gesetzlichen Verlaufs sowie des Inhalt der Verdachtigenbefragung beiträgt.

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