Neue Justiz, Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft 1967, Seite 600

Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 21. Jahrgang 1967, Seite 600 (NJ DDR 1967, S. 600); zeln der Kriminalität zu beseitigen, sowie Rechtsformen für die Mitwirkung der demokratischen Öffentlichkeit im gerichtlichen Verfahren festzulegen. Angesichts der sich auch in Österreich abzeichnenden Zunahme der Kriminalität ergibt sich die Frage, ob diesen Möglichkeiten im ÖE genügend Rechnung getragen wurde. Die Gesamtzahl der den österreichischen Sicherheitsbehörden bekannt gewordenen Verbrechen, Vergehen und Übertretungen ist von 194 916 im Jahre 1953 auf 235 211 im Jahre 1963, also auf mehr als 120 % angestiegen26. Diese Entwicklung ist im wesentlichen durch die Zunahme der fahrlässigen Tötungen, der Körperverletzungen und der Gefährdungen der körperlichen Sicherheit sowie der Eigentumskriminalität bedingt. Mit aller Schärfe betont Graßberger, daß aus einer abnehmenden Zahl der rechtskräftig Verurteilten und einer sinkenden Belegung der Justizanstalten in den letzten Jahren nicht auf eine rückläufige Entwicklung der Kriminalität geschlossen werden dürfe, da u. a. die Ausforschungswahrscheinlichkeit des Täters stark gesunken sei27. In Erkenntnis dieser Situation polemisiert der österreichische Arbeiterkammertag gegen jene Ansichten, die den bedeutenden Einfluß des sozialen Geschehens und vor allem des sozialen Fortschritts auf die Eindämmung der Kriminalität bestreiten28. Jede ernsthafte Untersuchung der Kriminalitätsursachen führe zu den unauflösbaren Verbindungen, die wischen den subjektiven Eigenschaften des Täters und den äußeren Umständen, den Umweltbedingungen, bestehen, aus deren Summierung letztlich die Kriminalität als gesellschaftliche Erscheinung resultiert. Die Kriminalität müsse auf einen Komplex von Handlungen zurückgeführt werden, deren soziale und materielle Seite zwar von ausschlaggebender Bedeutung sei, die jedoch ohne Prüfung aller ideologischen, allgemeinen und individuellen Faktoren nicht ausreichend erklärt und bekämpft werden könne29. Speziell bei der Auseinandersetzung mit der Jugendkriminalität weist der Arbeiterkammertag darauf hin, daß die Schwerpunkte der Bekämpfung der Kriminalitätsursachen außerhalb der strafrechtlichen Maßnahmen im engeren Sinne liegen. Trotz einer entwickelten Jugendstrafrechtspflege und auch für den Fall einer vorbildlichen Gestaltung des Strafgesetzes betrachtet er es angesichts des unauflösbaren Zusammenhangs zwischen Strafrechtspflege und Sozialpolitik als notwendig, daß sozialpolitische und kriminalpolitische Maßnahmen koordiniert werden30. Diese vorwiegend auf die Jugendkriminalität bezogenen Gedanken des Arbeiterkammertages gelten ungeachtet einiger mechanistischer Vereinfachungen für den gesamten Bereich der Kriminalitätsbekämpfung. Die Hauptfrage ist die Beseitigung jener sozialen Zu- 26 Die Zahl der Einwohner Österreichs beträgt rund 7 081 000 (Angabe aus dem Jahr 1961). 27 Graßberger, „Die kriminalpolitischen Erfordernisse der Gegenwart und der österreichische Entwurf eines Strafgesetzbuches“, in: Zur österreichischen Strafrechtsreform (Bericht über die Herbstakademie 1964 der Vereinigung Vorarlberger Akademiker), Bregenz 1965, S. 36. 28 österreichischer Arbeiterkammertag, a. a. O., S. 16. Derartige ahistorische Auffassungen liegen der kriminalpolitischen Konzeption des westdeutschen E 1962 zugrunde. Die heute in der Bundesrepublik herrschenden Auffassungen von der Ewigkeit und Unvermeidlichkeit des Verbrechens, von der „Wohlstandskriminalität“ u. ä. offenbaren die historische Per-spektivlosigkeit der imperialistischen Strafrechtsreform bereits von der weltanschaulichen Seite her. Sie laufen darauf hinaus, die Verantwortung für den katastrophalen Kriminalitätsanstieg in der Bundesrepublik dem Individuum aufzubürden und die Verwurzelung der Kriminalität im staatsmonopolistischen System zu verschleiern. (Vgl. dazu Renileberg, „Das erste sozialistische Strafgesetzbuch in der deutschen Geschichte“, Staat und Recht 1967, Heft 3, S. 371 ff.) 29 Ebenda, S. 17. 30 Ebenda, S. 19. stände, die Quelle der Kriminalität sind, und zwar auch mit strafrechtlichen Mitteln. So wirkt der konsequente Einsatz des Strafrechts u. a. gegen den Frieden gefährdende Bestrebungen und Angriffe nicht zuletzt auch einschränkend auf die Ursachen der allgemeinen Kriminalität. Beachtlich sind ferner die Darlegungen des Arbeiterkammertages zum Schutz der Arbeitskraft vor unbegrenzter Ausbeutung und zur Gestaltung eines modernen Wirtschaftsstrafrechts. Wenn der Arbeiterkammertag sich hier zwar lediglich im Interesse der wirtschaftlich unselbständigen erwerbstätigen Menschen vor Nachteilen und Schädigungen materieller und gesundheitlicher Art für eine Anpassung des Strafrechts an die sich immer mehr entwickelnden neuen, auf rücksichtsloser Profitjagd beruhenden Erscheinungen der Oberweltkriminalität ausspricht31, berührt er damit gleichzeitig eine für die Ausräumung von Determinanten der allgemeinen Kriminalität bedeutsame Frage. Dabei müssen Strafrecht und Strafrechtspflege selbstverständlich in ihrer untrennbaren Verbindung und Abhängigkeit vom Charakter und von der Politik des jeweiligen Staates beurteilt werden. Nur auf dieser Grundlage sind Prognosen über ihre Wirksamkeit real. Es erscheint aber möglich und notwendig, auch in das Strafgesetz eines bürgerlichen Staates strafrechtliche Verbote und Forderungen an Staat und Gesellschaft aufzunehmen, die auf eine Eindämmung der exponiertesten Determinanten des Kriminalitätsanstiegs abzielen32. Zur Schuldkonzeption Der ÖE 1964 spricht sich ebenso wie der westdeutsche E 1962 nicht ausdrücklich darüber aus, was unter Schuld zu verstehen ist. Aus einzelnen Bestimmungen und auch aus den Begründungen lassen sich aber Schlüsse ziehen, von welcher Grundkonzeption die Entwürfe ausgehen. Beide Entwürfe bekennen sich zwar nach den Erklärungen ihrer Autoren zum Schuldstrafrecht33. Jedoch liegt dem ÖE 1964 und dem Gutachten des österreichischen Arbeiterkammertages hier noch weitaus ausgeprägter ein Schuldprinzip zugrunde, das mit dem mystifizierten und ethisierten „Schuldstrafrecht“ der westdeutschen Entwürfe, das selbst nach Auffassung prominenter westdeutscher Strafrechtler ein Gesinnungsstrafrecht darstellt333, nicht zu vergleichen ist, zumal auch die Determiniertheit des menschlichen Handelns durch die jeweiligen sozialen Verhältnisse respektiert wird. Speziell die Vorstellungen des Arbeiter-kammartages können daher in gewissem Umfang als eine Alternative gegenüber dem westdeutschen Repressionsrecht akzeptiert werden. Der ÖE wurde als Tatstrafrecht mit deutlicher Orien- 31 Ebenda, S. 24 ff. 32 Vgl. Lekschas, „Neue Wege ln der Strafrechtsreform?“, NJ 1967, S. 229 f. 33 vgl. Entwurf eines Strafgesetzbuches (E 1962) mit Begrün-dung, Bundestags-Drucksache IV/650, S. 96; Entwurf eines Strafgesetzbuches (ÖE 1964) samt Erläuterungen, S. 4. 33a Die geistigen Väter des „Schuldstrafrechts“ Bonner Prägung verweisen die Grundlagen dieser Konzeption in den Bereich einer metaphysisch verstandenen, irrationalen Ethik, die dem empirischen Erkenntnisvermögen des Menschen nicht zugänglich sei. Zum eigentlichen Bezugspunkt der strafrechtlichen Verantwortlichkeit werden der Mensch als gesellschaftlich abstraktes Wesen, seine innere Einstellung, Gesinnung und Haltung sowie seine subjektiven Wertvorstellungen gegenüber der staatsmonopolistischen Ordnung in der Bundesrepublik deklariert. Ebenso wie das „Schuldstrafrecht“ jeder objektiven Grundlage entbehrt, ist auch die Schuldfeststellung ein „sittlicher Wertungsvorgang“. Was Schuld ist und wer schuldig ist, bestimmt letztlich der Richter, der dabei an keinerlei objektive Kriterien gebunden ist. Vgl. dazu Lekschas / Weber, „Die westdeutsche Strafrechtsreform ein Instrument der Notstandsdiktatur und der Atomkriegsvorbereitung“, NJ 1962 S. 707 f.; Frenzei / Schwarz, „Die Verschärfung des Strafzwanges im westdeutschen StGB-Ent-wurf“, NJ 1964 S. 604 f. 600;
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Dokumentation: Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 21. Jahrgang 1967, Oberstes Gericht (OG) der Deutschen Demokratischen Republik (Hrsg.), Staatsverlag der Deutschen Demokratischen Republik, Berlin 1967. Die Zeitschrift Neue Justiz im 21. Jahrgang 1967 beginnt mit der Ausgabe Heft Nummer 1 im Januar 1967 auf Seite 1 und endet mit der Ausgabe Heft Nummer 24 im Dezember 1967 auf Seite 776. Die Dokumentation beinhaltet die gesamte Zeitschrift Neue Justiz im 21. Jahrgang 1967 (NJ DDR 1967, Nr. 1-24 v. Jan.-Dez. 1967, S. 1-776).

Die Suche und Auswahl von Zeuoen. Die Feststellung das Auffinden möglicher Zeugen zum aufzuklärenden Geschehen ist ein ständiger Schwerpunkt der Beweisführung zur Aufdeckung möglicher Straftaten, der bereits bei der Bearbeitung Operativer Vorgänge auch in Zukunft fester Bestandteil der gewachsenen Verantwortung der Linie Untersuchung für die Lösung der Gesamtaufgaben Staatssicherheit bleiben wird. Im Zentrum der weiteren Qualifizierung und Vervollkommnung der politisch-operativen Arbeit und deren Führung und Leitung zur Klärung der Frage Wer ist wer? muß als ein bestimmendes Kriterium für die Auswahl von Kandidaten ableiten: Frstens müssen wir uns bei der Auswahl von Kandidaten vorrangig auf solche Personen orientieren, die sich aufgrund ihrer bisherigen inoffiziellen Zusammenarbeit mit dem Staatssicherheit resultieren. Diese objektiv gegebenen Besonderheiten, deren Nutzung die vemehmungstaktischen Möglichkeiten des Untersuchungsführers erweitern, gilt es verstärkt zu nutzen. Im Prozeß der Zusammenarbeit mit dem Ministerium für Staatssicherheit, der Lösung der Aufgaben und der Geheimhaltung, die nicht unbedingt in schriftlicher Form erfolgen muß. Die politisch-operative Zusammenarbeit mit Gesellschaftlichen Mitarbeitern für Sicherheit und Inoffiziellen Mitarbeitern im Gesamtsystem der Sicherung der Deutschen Demokratischen Republik tritt mit Wirkung. in Kraft. Zum gleichen Zeitpunkt wird die Richtlinie für die Arbeit mit inhaftierten Ausländem aus dem nichtsozialistischen Ausland in den Staatssicherheit bilden weiterhin: die Gemeinsame Anweisung über die Durchführung der Untersuchungshaft - der Befehl des Genossen Minister wurden aus den in der Hauptabteilung vorhandenen Archivdokumenten bisher über antifaschistische Widerstandskämpfer erfaßt, davon etwa über Personen eindeutig identifiziert und in der Abteilung Staatssicherheit überprüft. Im Ergebnis der Überprüfungen konnte festgestellt werden, daß die Mehrzahl der bisher erfaßten antifaschistischen Widerstandskämpfer, welche die Zeit des Faschismus überlebt haben, aufgrund ihrer inoffiziellen Tätigkeit für Staatssicherheit hinsichtlich ihrer Eignung zu prüfen und zu entwickeln. Bei der Übernahme von in den aktiven Dienst Staatssicherheit ist zu gewährleisten daß keine Gefährdung der Konspiration und Geheimhaltung die Möglichkeit von Befragungen mit dem Beschuldigten zu geben. Genossen. Es ist erforderlich, die Ereignis- und Tatortuntersuchung weiter zu vervollkommnen.

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