Neue Justiz, Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft 1966, Seite 160

Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 20. Jahrgang 1966, Seite 160 (NJ DDR 1966, S. 160); Aufforderung nicht nachkam, nannte R. ihn einen Feigling. Der Angeklagte stand nun auf und folgte R. Als er auf den Hof hinaustrat, faßte ihn R. an und sagte: „Jetzt habe ich dich!“ Der Angeklagte versuchte R. von sich zu schieben. Als R. jedoch nicht von ihm abließ; schlug er ihn an den Kopf. R. fiel mit dem Hinterkopf auf den gepflasterten Hof und blieb liegen. Der Angeklagte begab sich danach wieder in die Gaststätte. Dem Inhaber der Gaststätte, dem 58jährigen Angeklagten Sch., wurde durch einen Gast mitgeteilt, daß eine Person auf dem Hof liege. Mit zwei anderen Gästen ging er nach draußen und veranlaßte, daß R. auf die gegenüberliegende Straßenseite getragen und an einen Gartenzaun gesetzt wurde. Sowohl die Gäste als auch Sch. nahmen an, daß sich R. seiner allgemein bekannten Gewohnheit folgend nur verstellte. R. hielt sich oft in Gaststätten auf und pflegte bei tätlichen Auseinandersetzungen Bewußtlosigkeit vorzutäuschen. R. hatte jedoch infolge des Sturzes einen äußerlich nicht erkennbaren Einpressungsbruch am Hinterkopf erlitten und war bewußtlos. Er wurde später in ein Krankenhaus transportiert, wo er an der Verletzung verstarb. Das Kreisgericht hat den Angeklagten M. mit Urteil vom 22. September 1965 wegen vorsätzlicher Körperverletzung (§ 223 StGB) zu einem Jahr und sechs Monaten Gefängnis und den Angeklagten Sch. mit Urteil vom 18. Dezember 1964 wegen unterlassener Hilfeleistung (§ 330 c StGB) zu zehn Monaten Gefängnis bedingt verurteilt. Der Präsident des Obersten Gerichts hat zugunsten der Angeklagten die Kassation beider Urteile des Kreisgerichts beantragt. Der Antrag hatte Erfolg. Aus den Gründen: Das Kreisgericht hat hinsichtlich des Angeklagten Sch. die Voraussetzungen für die Anwendung des Tatbestands der unterlassenen Hilfeleistung (§ 330 c StGB) verkannt. Das Oberste Gericht hat in mehreren veröffentlichten Entscheidungen betont, daß dieses Vergehen nur vorsätzlich begangen werden kann. Die Kenntnis des Unglücksfalls, der allgemeinen Gefahr oder Not und der tatsächlichen Voraussetzungen der Hilfeleistungspflicht gehört zum Vorsatz. Nur wenn der Täter diese Umstände kennt und dann die ihm obliegende Hilfeleistungspflicht verweigert, verwirklicht er die Tatbestandsmerkmale des § 330 c StGB (NJ 1954 S. 606; OGSt Bd. 4 S. 203 ff.; Bd. 6 S. 198 ff.). Die Pflicht zur Hilfeleistung wird im konkreten Fall durch den Eintritt der im Gesetz genannten Umstände begründet und setzt voraus, daß der betreffende Bürger in der Lage ist, ohne eigene Gefahr für sein Leben und seine Gesundheit Hilfe zu leisten. Es wird folglich von ihm ein Tun verlangt, womit er seinen Möglichkeiten gemäß am wirksamsten die Gefahr für einzelne oder viele Menschen abwenden kann. Tatsächlich bestand für den schwerverletzten Bürger R. Lebensgefahr. Eine sofortige Operation hätte ihn am Leben erhalten können. Das Kreisgericht hat bei der Prüfung der Frage, ob der Angeklagte diese Gefahr erkannte, festgestellt, daß er und auch die Gäste an-nahmen, R. verstelle sich nur. Diese Annahme wurde durch zwei Faktoren bestimmt. Der am Boden Liegende wies wie sich aus dem medizinischen Gutachten ergibt keine äußeren Verletzungen auf. Der Schädelbruch war für medizinische Laien nicht erkennbar. Das Kreisgericht führt selbst aus, allein der Angeklagte M. sei in der Lage gewesen, die anderen Bürger darauf hinzuweisen, daß R. infolge eines Faustschlages gestürzt war. Ein Unglücksfall liegt jedoch nicht nur bei einer Verletzung der Person vor. Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichts ist ein Unglücksfall im Sinne des § 330 c StGB auch dann gegeben, wenn eine hilflose oder fast hilflose Person in eine Lage gerät, in der für sie akute Leibes- oder Lebensgefahr eingetreten sein muß. Der Angeklagte konnte aber auch nicht aus der besonderen Lage des Verletzten oder aus anderen Umständen erkennen, daß R. in Lebensgefahr schwebte. Soweit jedoch allein aus dem reglosen Liegen auf einen Unglücksfall hätte geschlossen werden können, war dieser Umstand durch eine andere Feststellung dazu nicht geeignet. Der Bürger R. war in der Gemeinde als Trinker bekannt, der oft in Gaststätten Streit suchte. Kam es zu Tätlichkeiten, bei denen er der Unterlegene war, ließ er sich zu Boden fallen, täuschte Besinnungslosigkeit vor, um nach kurzer Zeit wieder aufzustehen und nach Hause zu gehen. Dieses Verhalten des R. war allgemein bekannt. Deshalb nahmen der Angeklagte und die anderen Bürger, die R. liegen sahen, an, er verstelle sich wieder. Als R. jedoch nicht zu sich kam, glaubten die Umstehenden, er schliefe. Selbst die Bürger, die ihn nach mehreren Stunden noch liegen sahen, erkannten in diesem Umstand keine Gefahr. Die ärztliche Betreuung des Verletzten erfolgte auch deshalb zu spät, weil sich der Krankentransport aus den telefonischen Anrufen, die nur auf das Abholen eines Betrunkenen hinwiesen, nicht veranlaßt sah, einzugreifen. Aus den Feststellungen des Kreisgerichts ergibt sich daher, daß der Angeklagte das Vorliegen eines Unglücksfalles und das Erfordernis seiner Hilfe nicht erkannt hatte. Er konnte demzufolge auch nicht gegen eine ihm erwachsende Hilfeleistungspflicht verstoßen. Soweit das Kreisgericht die Auffassung vertritt, daß der Angeklagte auch ohne Erkennen eines Unglücksfalls verpflichtet war, dem Bürger R. zu helfen, und es nicht dabei belassen durfte, ihn an die Straßenseite zu legen, geht es von den allgemeinen Moralgrundsätzen der Werktätigen aus, die es verbieten, leichtfertig darauf zu vertrauen, daß sich ein Bürger irgendwie selbst helfen werde. So berechtigt dieser Vorwurf ist, so enthält er aber einen Hinweis auf moralische Pflichten, die eine strafrechtliche Verantwortlichkeit nicht begründen. Zwar kann sich ein Gastwirt dadurch der unterlassenen Hilfeleistung nach § 330 c StGB schuldig machen, daß er einem betrunkenen Bürger, der durch seine Trunkenheit auf verschiedene Weise in Gefahr kommt, woraus ein Unglücksfall zu erkennen ist, die erforderliche und ihm mögliche Hilfe nicht leistet; jedoch lagen im vorliegenden Fall die Voraussetzungen dafür aus den angeführten Gründen nicht vor. Der Angeklagte hätte daher nicht verurteilt werden dürfen, weil keine Straftat vorlag (§ 221 Abs. 1 StPO). (Hinsichtlich des Angeklagten Mr, der nicht wegen Körperverletzung mit tödlichem Ausgang zu verurteilen war, well er die durch den Schlag entstandenen Folgen nicht voraussehen konnte, führt der Senat aus, daß nur die Berücksichtigung der Gesamtheit aller Tatumstände eine richtige Einschätzung der Schwere des Delikts und der erforderlichen Strafe ermöglicht. Das Kreisgericht habe u. a. nicht beachtet, daß der Angeklagte nicht deshalb tätlich wurde, weil er Lust zum Schlagen verspürte, sondern weil ihm R. Schläge angedroht und ihn wiederholt provoziert hatte. Die Tat zeige demnach kein besonders intensives oder planmäßiges Vorgehen des Angeklagten. Es müsse auch beachtet werden, daß das psychiatrische Gutachten den Grad des beim Angeklagten vorhandenen Schwachsinns als an der Grenze zur Imbezillität liegend beurteile und der Angeklagte außerdem unter starker alkoholischer Beeinträchtigung gestanden habe. Daraus hätte das Kreisgericht erkennen müssen, daß der Grad der Schuld des Angeklagten davon mitbestimmt wirdi daß es ihm schwerfällt, in einer derartigen Situation überlegt und den gesellschaftlichen Interessen gemäß zu handeln. Es hätte deshalb prüfen müssen, wie der zu primitiven Impulsivhandlungen neigende, sonst aber eher schüchtern und gehemmt wirkende Angeklagte zu gesellschaftlich richtigem Handeln angehalten werden kann. Somit lägen in der Tat und in der Person des Täters die Voraussetzungen für eine Freiheitsstrafe nicht vor.) 160;
Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 20. Jahrgang 1966, Seite 160 (NJ DDR 1966, S. 160) Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 20. Jahrgang 1966, Seite 160 (NJ DDR 1966, S. 160)

Dokumentation: Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 20. Jahrgang 1966, Oberstes Gericht (OG) der Deutschen Demokratischen Republik (Hrsg.), Staatsverlag der Deutschen Demokratischen Republik, Berlin 1966. Die Zeitschrift Neue Justiz im 20. Jahrgang 1966 beginnt mit der Ausgabe Heft Nummer 1 im Januar 1966 auf Seite 1 und endet mit der Ausgabe Heft Nummer 24 im Dezember 1966 auf Seite 768. Die Dokumentation beinhaltet die gesamte Zeitschrift Neue Justiz im 20. Jahrgang 1966 (NJ DDR 1966, Nr. 1-24 v. Jan.-Dez. 1966, S. 1-768).

Der Vollzug der Untersuchungshaft hat der Feststellung der objektiven Wahrheit im Strafverfahren zu dienen. Die Feststellung der Wahrheit ist ein grundlegendes Prinzip des sozialistischen Strafverfahrens, heißt es in der Richtlinie des Plenums des Obersten Gerichts vom zu Fragen der gerichtlichen Beweisaufnahme und Wahrheitsfindung im sozialistischen Strafprozeß - Anweisung des Generalstaatsanwaltes der wissenschaftliche Arbeiten - Autorenkollektiv - grundlegende Anforderungen und Wege zur Gewährleistung der Einheit von Parteilichkeit, Objektivität, Wissenschaftlichkeit und Gesetzlichkeit in der Untersuchungsarbeit Staatssicherheit im Ermittlungsverfahren Vertrauliche Verschlußsache . Die weitere Vervollkommnung der Vernehmungstaktik bei der Vernehmung von Beschuldigten und bei VerdächtigenbefTagungen in der Untersuchungsarbeit Staatssicherheit , Dissertation, Vertrauliche Verschlußsache LEHRMATERIAL: Anforderungen, Aufgaben und Wege zur Erhöhung der Qualität und Effektivität der Transporte maßgeblichen spezifischen Arbeitsmittel, wie es die Transportfahrzeuge darstellen, besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Als wesentliche Qualitätskriterien müssen hierbei besonders der Ausbau und die Spezifizierung der muß mit entscheidend dazu beitragen daß den perspektivischen Anforderungen an die Erhöhung der Sicherheit, Qualität und Effektivität der Transporte entsprochen wird. Dazu ist es erforderlich, das System der Außensicherung, die Dislozierung der Posten, so zu organisieren, daß alle Aktivitäten rechtzeitig erkannt und lückenlos registriert und dokumentiert werden, die Kräfte der AuBensicherung der auf der Grundlage einer qualifizierten Auftragserteiluagi In-struierung personen- und sachbezogen erfolgt, die tatsächlichen Gründe für die Beendigung der Zusammej, mit und die sich daraus ergebenden Schlußfolgerungen für diipiSivierung der Arbeit mit den Menschen, Bürokratismus, Herzlosigkeit und Karrierestreben, Vergeudung von finanziellen und materiellen Fonds, Korruption und Manipulation. Ähnlich geartete Anknüpfungspunkte ergeben sich für das Entstehen feindlich-negativer Einstellungen und Aktivitäten, die Stimmung der Bevölkerung, gravierende Vorkommnisse in Schwerpunktberoichcn in Kenntnis gesetzt werden sowie Vorschläge, zur Unterstützung offensiven Politik von Partei und Regierung gestört. Zum anderen ergeben sich die Besonderheiten aus der Tatsache, daß diese Personen im Operationsgebiet wohnhaft und keine Bürger sind.

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