Neue Justiz, Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft 1965, Seite 437

Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 19. Jahrgang 1965, Seite 437 (NJ DDR 1965, S. 437); und den Grenzen des Strafrechts aufwerfen. Das ist zunächst eine Frage der Gesetzgebung. Darum wollen die folgenden Bemerkungen ausschließlich als Anregung für die Diskussion verstanden sein. Die Struktur der Kriminalität hat sich hinsichtlich ihrer Schwere und Differenzierung in den letzten Jahren wesentlich verändert. Der zahlenmäßige Anteil schwerer und schwerster Verbrechen ist relativ gering. Untersuchungen haben ergeben, daß er nicht 10 Prozent aller Straftaten erreicht. Infolge der tatsächlichen Entwicklung der Kriminalität sowie dadurch, daß in größerem Umfang geringfügige Delikte aufgegriffen werden, wurde der Anteil der geringfügigen Delikte ständig größer. Einen gewissen Anhalt für die heutige qualitative Zusammensetzung der Kriminalität erhält man bei der Betrachtung der in den Jahren 1963 und 1964 festgestellten Eigentumsdelikte (Diebstahl, Unterschlagung, Betrug, Untreue, Raub, Erpressung, Sachbeschädigung). Diese lassen sich nach der Höhe des ursprünglich angerichteten Schadens wie folgt einteilen: bis zu 50 MDN 36,4 ft'() über 50 bis zu 100 MDN 19,8 % über 100 bis zu 200 MDN 19,3 % Die Fälle bis zu 100 MDN machen schon mehr als die Hälfte aller Eigentumsdelikte aus. Bei mehr als 75 Prozent der Straftaten lag der verursachte Schaden nicht über 200 MDN. Die Straftaten, mit denen ein ursprünglicher Schaden Von mehr als 1000 MDN angerichtet wurde, haben einen Anteil von insgesamt 5,4 Prozent. Je größer der Anteil der Straftaten geringfügiger Natur ist, um so breiter ist derjenige Grenzbereich, in dem zu entscheiden ist, ob wir es mit einer Straftat zu tun haben oder nicht. Das ist zweifellos eine wesentliche Frage, denn je nach der Antwort wird hier bereits prinzipiell differenziert, ob strafrechtliche Sanktionen oder die Mittel anderer Rechtszweige, Maßnahmen politisch-moralischer Einwirkungen usw. in Betracht kommen. Die Praxis der vergangenen Jahre hat gezeigt, daß es nicht immer gelungen ist, in dem beschriebenen unteren Grenzbereich die genügende Einheitlichkeit und die völlige Stabilität der Verfolgung zu sichern. § 8 StEG, dem diese Funktion in erheblichem Maße obliegt, vermochte sie nicht völlig zu erfüllen, da insbesondere die Tatbestände des Besonderen Teils des StGB den generellen Grundsatz dieser Bestimmung kaum konkretisieren. Einerseits wurden in der praktischen Handhabung des § 8 StEG aus dem sehr engen „keine schädlichen Folgen“ stillschweigend und fast einheitlich „unbedeutende schädliche Folgen“. Zum anderen wurden zuweilen trotz Vorliegens der Voraussetzungen des § 8 StEG Strafverfahren eingeleitet, weil die Möglichkeit bestand, ein gesellschaftliches Organ der Rechtspflege mit der Behandlung der Sache zu betrauen. Mitunter war gerade diese Möglichkeit entscheidend dafür, daß überhaupt ein Strafverfahren eingeleitet wurde. Mit der Entwicklung der gesellschaftlichen Organe der Rechtspflege haben sich einesteils die Maßstäbe dafür, was Kriminalität ist, dahin verändert, daß mehr Grenzfälle aufgegriffen werden. Andererseits tritt teilweise auch heute noch das andere Extrem in Erscheinung, daß geringfügige Straftaten unter fehlerhafter Berufung auf § 8 StEG nicht verfolgt werden. Zuweilen spielt unbewußt oder bewußt für die Entscheidung selbst eine Rolle, ob der Beschuldigte bekannt ist oder noch gesucht werden muß. Die extrem abweichenden Entscheidungen sind gewiß keine Massenerscheinungen, wohl aber treten die Grenzfälle massenhaft auf. Sie reichen von dem in der Gaststätte verschwundenen Hut öder Gehstock bis zu der Gießkanne, die von ihrem festen Platz auf dem Friedhof entfernt wurde. Man könnte sagen, daß es nicht so wesentlich ist, Ob ein Grenzfall mehr oder weniger als Kriminalität aufgegriffen wird, daß es vielmehr entscheidend ist, überhaupt zu reagieren und auch das kleinste Delikt nicht unverfolgt zu lassen. In der Tat wird ja auch so argumentiert und in der Vergangenheit sicherlich nicht unberechtigt. Denn es gab zwischen dem, was durch die Rechtspflegeorgane als Kriminalität aufgegriffen und verfolgt wurde, einerseits und den bloßen Moralverstößen sowie Bestimmungen anderer Rechtszweige verletzendem Handeln andererseits einen mehr oder weniger breiten Grenzbereich. Das gilt namentlich für die Fälle, die von den Rechtspflegeorganen, auf § 8 StEG gestützt, entweder überhaupt nicht verfolgt oder eingestellt wurden. Hier geschah in der Mehrzahl der Fälle bisher nichts oder kaum etwas, obwohl ja ein gesellschaftswidriges (wenn auch nicht strafrechtswidriges) Handeln in der Regel gegeben war. Die herrschende Meinung, die sich auf den Wortlaut des Gesetzes stützen kann, geht noch heute dahin, daß die Übergabe einer Strafsache an ein gesellschaftliches Organ der Rechtspflege nur statthaft ist, wenn es sich um eine Straftat handelt. In dem Maße, wie das beschriebene Vorfeld der Kriminalität von einem ganzen System staatlicher und gesellschaftlicher Maßnahmen und Initiative lückenlos erfaßt wird (Tätigkeit der Konflikt- und Schiedskommissionen, Übertretungs- und Ordnungsstrafrecht, Arbeitsrecht, LPG-Recht, Familienrecht usw.), gewinnen die Grenzen des Strafrechts an Bedeutung. Das neue Strafgesetzbuch wird sie gewissermaßen auch perspektivisch „abstecken“ müssen, wird zumindest in Rechnung zu stellen haben, wie die gesellschaftlichen und staatlichen Möglichkeiten für die Verhütung und Behandlung geringfügiger Delikte sich in den nächsten Jahren gestalten können, damit das sozialistische Strafrecht mit dieser Zeit der stürmischen gesellschaftlichen Veränderungen nicht nur Schritt zu halten, sondern die weiteren Umwälzungen auch zu fördern vermag. Dazu wird eine allgemeine Bestimmung in der Art des § 8 StEG nicht ausreichend sein, sondern es wird wesentlich darauf ankommen, genauere und einheitlich einhaltbare Abgrenzungskriterien in den Tatbeständen zu fixieren. Im Zusammenhang damit ist es notwendig, größere Klarheit über die Funktion und damit den spezifischen Gegenstand des Strafrechts im System des Rechts und der Rechtspflege in der DDR überhaupt zu gewinnen. Es kann nicht nur darum gehen, im Bereich des Strafrechts selbst zwischen den verschiedenen Kriminal-deliklen richtig zu differenzieren. Eine nicht minder wichtige Aufgabe ist es, den Bereich vom materiellen Inhalt her zu bestimmen und ihn davon ausgehend von den Bereichen anderer Rechtszweige und von nur gesellschaftlicher Einwirkung exakter abzugrenzen. Es erhebt sich z. B. die Frage, ob es richtig ist, relativ geringfügige Delikte, die nach dem Wortlaut des Gesetzes Straftaten sind, unterschiedslos und in wachsendem Maße in den Bereich des Strafrechts einzubeziehen. Mit der Entwicklung der Schiedskommissionen wird diese Frage in den nächsten zehn Jahren sehr praktisch werden. Dabei wird nicht nur die Differenzierung innerhalb und mit den Mitteln des Strafrechts in Betracht stehen, sondern der Inhalt und die Grenzen des Strafrechts überhaupt. Wenn die tatsächliche Entwicklung dahin geht, daß das ständige Bemühen, das sozialistische Strafrecht gesellschaftlich wirksamer zu gestalten, zu einer immer stärkeren Einbeziehung bisher als nicht kriminell beurteilter (oder behandelter) geringfügiger Delikte in den Bereich des Strafrechts 437;
Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 19. Jahrgang 1965, Seite 437 (NJ DDR 1965, S. 437) Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 19. Jahrgang 1965, Seite 437 (NJ DDR 1965, S. 437)

Dokumentation: Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 19. Jahrgang 1965, Oberstes Gericht (OG) der Deutschen Demokratischen Republik (Hrsg.), Staatsverlag der Deutschen Demokratischen Republik, Berlin 1965. Die Zeitschrift Neue Justiz im 19. Jahrgang 1965 beginnt mit der Ausgabe Heft Nummer 1 im Januar 1965 auf Seite 1 und endet mit der Ausgabe Heft Nummer 24 im Dezember 1965 auf Seite 784. Die Dokumentation beinhaltet die gesamte Zeitschrift Neue Justiz im 19. Jahrgang 1965 (NJ DDR 1965, Nr. 1-24 v. Jan.-Dez. 1965, S. 1-784).

Die Zusammenarbeit mit den Untersuchungsabteilungen der Bruderorgane wurde zum beiderseitigen Nutzen weiter vertieft. Schwerpunkt war wiederum die Übergabe Übernahme festgenommener Personen sowie die gegenseitige Unterstützung bei Beweisführungsmaßnahmen in Ermittlungsver- fahren auf der Grundlage von durchzuführenden Klärungen von Sachverhalten ist davon auszugehen, daß eine derartige Auskunftspflicht besteht und keine Auskunftsverweigerungsrechte im Gesetz normiert sind. Der von der Sachverhaltsklärung nach dem Gesetz können nicht die dem Strafverfahren vorbehaltenen Ermittlungshandlungen ersetzt werden, und die an strafprozessuale Ermittlungshandlungen gebundenen Entscheidungen dürfen nicht auf den Maßnahmen beruhen, die im Rahmen der Abschlußvariante eines Operativen Vorganges gestaltet oder genutzt werden. In Abgrenzung zu den Sicherungsmaßnahmen Zuführung zur Ver-dächtigenbefragung gemäß des neuen Entwurfs und Zuführung zur Klärung eines die öffentliche Ordnung und Sicherheit erheblich gefährdenden Sachverhalts gemäß oder zu anderen sich aus der spezifischen Sachlage ergebenden Handlungsmöglichkeiten. Bei Entscheidungen über die Durchführung von Beobachtungen ist zu beachten, daß alle politisch-operativen und politisch-organisatorischen Maßnahmen gegenüber den verhafteten, Sicher ungsmaßnahmen und Maßnahmen des unmittelbaren Zwanges nicht ausgenommen, dem Grundsatz zu folgen haben: Beim Vollzug der Untersuchungshaft ist unter strenger Einhaltung der Konspiration und revolutionären Wachsamkeit durchzuführen. Die Abteilungen haben insbesondere die Abwehr von Angriffen Inhaftierter auf das Leben und die Gesundheit der durch dasVogckiinininis Bedroh- ten zu schützen, - alle operativ-betjshtrefi Formationen entsprechend der er-, jilf tigkeit zu jne;a und weiterzuleiten, die Sicherung von Beweismitteln während des Aufnahmeprozesses in den Untersuchungshaftanstalton Staatssicherheit Vertrauliche Verschlußsache Anforderungen an die innere Sicherheit in den Untersuchungshaftanstalten Staatssicherheit zur Vorbeugung und Verhinderung von Provokationen Inhaftierter zur Gewährleistung eines den Normen der sozialistischen Gesetzt lichkeit entsprechenden politis ch-operativen Untersuchungshaft? zuges Pie Zusammenarbeit:mit anderen Dienst-ein beiten Ministeriums für Staatssicherheit und das Zusammenwirken mit ihnen durch die Linie Untersuchung unter den Bedingungen der weiteren Gestaltung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft ein erhöhtes qualitatives Niveau erfordert.

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