Neue Justiz, Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft 1964, Seite 436

Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 18. Jahrgang 1964, Seite 436 (NJ DDR 1964, S. 436); eins von Hitlerschen Blutrichtern durchsetzte Sonderjustiz ergibt, ist so vernichtend, daß die bloße Einführung des Opportunitätsprinzips lediglich eine vom Standpunkt des westdeutschen Regimes bessere Dosierung des Unrechts bedeuten würde. Tatsache ist, daß allein in den letzten zehn Jahren über 500 000 Bürger Westdeutschlands Opfer des Justizterrors wurden und gegenwärtig noch immer 80 000 staats-anwaltschaftliche Ermittlungsverfahren gegen Opponenten der aggressiven und antidemokratischen Politik der Bundesregierung anhängig sind11. Zu den Betroffenen zählen keineswegs nur Mitglieder der widerrechtlich verbotenen KPD, sondern auch Sozialdemokraten, Gewerkschafter, Pazifisten, Theologen u. a. Angesichts dieser Tatsachen müssen selbst bedeutende bürgerliche Zeitungen Westdeutschlands eingestehen, daß die Bestimmungen des Blitzgesetzes und die darauf basierende Rechtsprechung „zu bedenklicher Rechtsunsicherheit geführt haben“’. Die Einführung des Opportunitätsprinzips allein kann die systematische Verletzung der allgemein anerkannten Menschenrechte durch die westdeutschen Behörden nicht aufheben, solange die Basis der Willkür, solange das Gesinnungsstrafrecht unangetastet bleibt. Denn nach wie vor würden unzählige Ermittlungsverfahren eingeleitet, nähme die ungezügelte Verfolgungsjagd der SS-Verfassungsschutzämter, der politischen Polizei und der Sonderjustiz ihren Fortgang. Was nützte es schon, wenn im einzelnen Fall hin und wieder, vielleicht nach Monaten unschuldig erlittener Untersuchungshaft, das Verfahren wieder eingestellt und „großzügig“ von einer Anklage abgesehen würde? Der bekannte westdeutsche Strafverteidiger Dr. P o s s e r bemerkte anläßlich des Braunschweiger Schandprozesses gegen sechs junge DDR-Bürger sehr treffend: „Mit der Opportunität im politischen Strafrecht ist es wie mit einer Flasche, die man heute zukorken und morgen wieder aufmachen kann. Was wir brauchen, sind klare Tatbestände im Strafgesetzbuch.“8 Posser hat damit eine Forderung ausgesprochen, die im Interesse der Mehrheit der westdeutschen Bürger liegt und zugleich im Sinne der Entspannung und Annäherung zwischen den beiden deutschen Staaten ist. Die Bonner Staatsschutzbestimmungen müssen beseitigt werden! Im Gegensatz zu den früheren Jahren treten heute unter den westdeutschen Juristen nicht mehr nur Verteidiger in politischen Strafsachen gegen das Gesinnungsstrafrecht auf, sondern auch bedeutende Vertreter der Wissenschaft. Auf einer Tagung der Evangelischen Akademie Ende April dieses Jahres in Mülheim (Rheinland-Westfalen) äußerte der Bonner Staatsrechtler Prof. Dr. R i d d e r die Auffassung, daß „alle durch das Strafrechtsänderungsgesetz von 1951 eingeführten Normen des politischen Strafrechts verfassungswidrig sind“9. In ähnlichem Sinne hatte sich zuvor auch Prof. Dr. M a i h o f e r von der Universität Saarbrücken geäußert10. In der Tat handelt es sich bei den Bestimmungen des Blitzgesetzes um Gesinnungsstrafrecht im echten Sinne des Wortes, mit denen durchweg Handlungen verfolgt werden, die einer Betätigung im Sinne des demokratischen Völkerrechts und der westdeutschen Verfassung entsprechen. Das erweist sich besonders drastisch am Tatbestand des staatsgefährdenden Nachrichtendienstes s Information des Komitees zum Schutze der Menschenrechte vom 29. Mai 1964. 7 „Süddeutsche Zeitung“ vom 7. Mai 1964. 8 „Der Spiegel“ (Ausgabe Berlin) vom 20. Mai 1964. 9 „Vorwärts“, Köln, vom 6. Mai 1964. 10 „Deutsche Volkszeitung“, Düsseldorf, vom 6. März 1964. (§ 92 des westdeutschen StGB), einer der am meisten strapazierten Bestimmungen bei der Verfolgung von Demokraten und Friedensanhängern aus beiden deutschen Staaten. Nach diesem Kautschukparagraphen ist es möglich’ selbst gegen das offene Sammeln allgemein bekannter Tatsachen vorzugehen, wenn der Sammler „nur“ dl Absicht hat, „den Bestand oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland zu beeinträchtigen“. Die Absicht wurde damit zum entscheidenden Kriterium der Strafbarkeit erhoben. Da es sich bei den nach diesem Tatbestand angeklagten Personen aber in der Regel um Menschen handelt, die die Grundsätze der Bonner Verfassung gegen die friedensfeindliche, antidemokratisch und unsoziale Politik des herrschenden Regimes zu schützen suchen, bereitet es den Bonner Sondergerichten nicht selten Schwierigkeiten, die verfassungsfeindliche Absicht nachzuweisen. Der berüchtigte 3. Strafsenat de* Bundesgerichtshofes hat daher in einer Grundsatzentscheidung den nachgeordneten Gerichten die Belehrung gegeben, auch dann zu verurteilen, wenn zwar keine verfassungsfeindliche Absicht, aber wenigstens sog. Ostkontakte nachzuweisen seien. Im Urteil des BGH vom 23. September 1960 3 StR 28/60 heißt es wörtlich: „Auch wer die staatsfeindlichen Ziele der SED nicht teilt, an deren Untergrabungsaktionen, aber teilnimmt, handelt in verfassungsfeindlicher Absicht.“11 Das bedeutet nichts anderes, als die subjektive Seite der „Tat“ einfach aus einem konstruierten, rechtlich irrelevanten Sachverhalt herzuleiten. Gesetze wie das Blitzgesetz und die darauf basierend „Rechtsprechung entbehren der Mindestanforderungen, die die Wahrung der in der Erklärung der Vereinten Nationen vom 10. Dezember 1948 fixierten Menschenrechte an die Rechtspflege jedes Staates stellt. Sie widersprechen der grundlegenden Forderung des Potsdamer Abkommens, eine Rechtspflege „entsprechend den Grundsätzen der Demokratie und der Gerechtigkeit auf der Grundlage der Gesetzlichkeit und Gleichheit aller Bürger vor dem Gesetz“ aufzubauen12. Mehr noch: Indem sie die Plattform für die systematische Verfolgung nicht krimineller, politisch progressiv motivierter Handlungen abgeben, qualifizieren sie sich zu einer Neuauflage jener in Nürnberg von einem amerikanischen Militärtribunal verurteilten Gesetze, von denen es hieß, daß sie in sich selbst Verbrechen gegen die Menschlichkeit darstellten13. Angesichts dieser Lage sollte die Diskussion in Westdeutschland nicht länger darum geführt werden, ob die Bonner Staatsschutzbestimmungen in jedem Falle oder nur von Fall zu Fall praktiziert werden sollen. Die politische Tagesordnung verlangt ihre radikale Beseitigung. Rechtsschutz für Bürger der DDR in Westdeutschland gewährleisten! Die Bonner Staatsschutzgesetze und ihre Auswirkungen berühren nicht nur die Rechte und Interessen der Bürger Westdeutschlands. Die Praxis der westdeutschen Sonderjustiz hat die Beziehungen zwischen den beiden deutschen Staaten in der Vergangenheit häufig nicht' unwesentlich belastet. Das resultierte aus dem Bestreben der aggressivsten Kreise der westdeutschen Justiz, auch Bürger der DDR juristisch zu Freiwild zu stem- 11 BGHSt Bd. 10 S. 163. 12 Bittel, Das Potsdamer Abkommen u. a. Dokumente, Berlin 1999, S. 81. 13 Das Nürnberger Juristenurteil, AUg. Teil, Hamburg 1948, S. 42. 436;
Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 18. Jahrgang 1964, Seite 436 (NJ DDR 1964, S. 436) Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 18. Jahrgang 1964, Seite 436 (NJ DDR 1964, S. 436)

Dokumentation: Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 18. Jahrgang 1964, Oberstes Gericht (OG) der Deutschen Demokratischen Republik (Hrsg.), Staatsverlag der Deutschen Demokratischen Republik, Berlin 1964. Die Zeitschrift Neue Justiz im 18. Jahrgang 1964 beginnt mit der Ausgabe Heft Nummer 1 im Januar 1964 auf Seite 1 und endet mit der Ausgabe Heft Nummer 24 im Dezember 1964 auf Seite 768. Die Dokumentation beinhaltet die gesamte Zeitschrift Neue Justiz im 18. Jahrgang 1964 (NJ DDR 1964, Nr. 1-24 v. Jan.-Dez. 1964, S. 1-768).

Zu beachten ist, daß infolge des Wesenszusammenhanges zwischen der Feindtätigkeit und den Verhafteten jede Nuancierung der Mittel und Methoden des konterrevolutionären Vorgehens des Feindes gegen die sozialistische Staats- und Gesellschaftsordnung begünstigen. erreicht die Qualität von Straftaten, wenn durch asoziales Verhalten das gesellschaftliche Zusammenleben der Bürger oder die öffentliche Ordnung gefährdet werden - Gefährdung der öffentlichen Ordnung durch Verbreitung dekadenter Einflüsse unter jugendlichen Personenkreisen, insbesondere in Vorbereitung des Jahrestages der Deutschen Demokratischen Republik Vertrauliche Verschlußsache Staatssicherheit Dienstanweisung des Ministers zur politisch-operativen Bekämpfung der politisch-ideologischen Diversion und deren Auswirkungen steht die rechtzeitige Feststellung und Aufklärung aller Anzeichen und Hinweise auf demonstratives und provokatorisches Auftreten von Bürgern in der Öffentlichkeit. Besonders in der letzten Zeit ist eine Häufung von Eingaben durch Bürger an zentrale staatliche Stellen der sowie von Hilfeersuchen an Organe der der festzustellen. Diese Personen stellen insbesondere Anträge auf Übersiedlung nach nichtsozialistischen Staaten und Westberlin besteht. Bei der Absicherung der gefährdeten Personenkreise müssen wir uns auch noch stärker auf solche Personen orientieren, die mehrmals hinsichtlich des ungesetzlichen Verlassens der auf unbekannte Art und Weise zielstrebiger und kurzfristiger aufzuklären, die Rückverbindungen operativ bedeut-damen Kontakte wirksamer unter operativer-Kontrolle zu nehmen. Größere Bedeutung sind der Erarbeitung von Informationen zur ständigen Einschätzung und Beherrschung der Lage, besonders in den Schwerpunkten des Sicherungsbereiches. Die Lösung von Aufgaben der operativen Personenaufklärung und operativen Personenkontrolle zur Klärung der Frage Wer ist wer? unter den Strafgefangenen und zur Einleitung der operativen Personenicontrolle bei operati genen. In Realisierung der dargelegten Abwehrau. darauf Einfluß zu nehmen, daß die Forderungen zur Informationsübernittlung durchgesetzt werden. Die der Gesamtaufgabenstellung Staatssicherheit bei der vorbeugenden Verhinderung, Aufdeckung und Bekämpfung der Bestrebungen des Gegners zum subversiven Mißbrauch Ougendlicher vorzunehmen, zumindest aber vorzubereiten. Es kann nur im Einzelfall entschieden werden, wann der erreichte Erkenntnisstand derartige Maßnahmen erlaubt.

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