Neue Justiz, Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft 1964, Seite 154

Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 18. Jahrgang 1964, Seite 154 (NJ DDR 1964, S. 154); untergeordneter Bedeutung deklariert. Wie aber können die mit tiefgreifenden, entwürdigenden Eingriffen in das Leben des Verurteilten verbundenen Weisungen „zweitrangige“ Fragen sein, zumal der Staat auf diese Weise durch die Gerichte ein ganzes System umfassender sozialer und politischer Vormundschaft über ihm unliebsame Bürger von bisher noch nicht gekanntem Ausmaß entwickelt. Bereits im Bereich der allgemeinen Kriminalität zeigt sich, welchen zutiefst entwürdigenden Charakter Auflagen haben können. So wurden z. B. folgende Auflagen von Gerichten erteilt: Der Verurteilte habe das verführte oder das durch Körperverletzung entstellte Mädchen zu heiraten, er habe den Umgang mit seiner Braut, weil sie einen unsittlichen Lebenswandel führe, abzubrechen. Eine wegen Abtreibung bestrafte Ehefrau sollte für ihre Kinder Sparkonten einrichten und fünf Jahre darüber nicht verfügen'5. Zum anderen und darin zeigt sich die eigentliche Stoßrichtung der „Strafaussetzung zur Bewährung“ werden durch die Gerichte einschneidende Maßnahmen in die politischen Rechte der Bürger angeordnet. So ist es z. B. nach der Rechtsprechung des BGH möglich, ein Berufsverbot, bezogen auf die politische Nachrichtentätigkeit, auszusprechen, auch wenn die gesetzlich festgelegten Voraussetzungen für ein Berufsverbot (§ 42 l StGB) nicht vorliegenIC. Gegenüber den auch von verschiedenen westdeutschen Strafrechtstheoretikern entgegengehaltenen Bedenken, daß diese Auflagen das Grundgesetz verletzen, wurde eingewandt, daß der betreffende Journalist so immer noch weniger Beschränkungen unterworfen sei als die Gefangenen in der Strafanstalt. Er befände sich in einem besonderen Gewaltverhältnis zum Staat, das eine weitergehende Einschränkung zuließe. In einem anderen Falle wurde dem 20jährigen Arbeiter Reinhold Neubauer, der die DDR besucht und an den 2. Arbeiterfestspielen teilgenommen hatte, vom Landgericht Lüneburg die Weisung erteilt, während seiner fünfjährigen Bewährungszeit nicht in die DDR zu fahren sowie ein antikommunistisches Buch zu lesen und darüber mit seinem ihm vom Gericht zugeordneten Bewährungshelfer zu sprechen. Es werden auch Verbote ausgesprochen, die sich auf den Umgang mit bestimmten demokratisch gesinnten Kreisen der Bevölkerung beziehen. Die Weisungen laufen also auf eine Isolierung des Verurteilten von den demokratischen westdeutschen Bevölkerungsschichten hinaus. Das alles erfolgt unter dem Deckmantel, dem Verurteilten zu helfen, „zu einem gesetzmäßigen und geordneten Leben zurückzufinden“. Dabei handelt es sich oft um Bürger, die bereits unter dem Faschismus Verfolgungen ausgesetzt waren, d. h. jahrelang in Gefängnissen, Zuchthäusern und Konzentrationslagern gefangengehalten wurden. Die Ehrenhaftigkeit und Lauterkeit dieser Bürger kann in keiner Weise bestritten werden. So erklärte in dem politischen Prozeß gegen den ehemaligen Bürgerschaftsabgeordneten von Bremen. Meyer-Buer, der Bürgerschaftsvizepräsident Mayer als Zeuge, daß der Angeklagte eine anständige Gesinnung und einen aufrechten Charakter habe und er bedaure, daß der Angeklagte nicht mehr Mitglied der Bürgerschaft sei15 16 17. Tn besonders komplizierten Fällen kann ein „Bewäh-rungshelfer“ eingesetzt werden. Der Verurteilte ist verpflichtet, sich der Aufsicht und Leitung des Bewäh- 15 Vgl. Heinitz, Die Individualisierung der Strafen und Maßnahmen in der Reform des Strafrechts und des Strafprozesses, (West-)Berlin 1960. S. 20. 16 BGHSt. Band 9, S. 259: vgl. dazu auch Pfannenschwarz, „Berufsverbot für nonkonformistische Journalisten“, NJ 1962 S. 409 ff. 17 vgl. Ammann, a. a. O., S. 24. rungshelfers zu unterstellen. Der Einsatz dieses Bewährungshelfers obliegt dem Gericht. Er ist der verlängerte Arm des Richters während der Bewährungszeit und überwacht die Lebensführung des Verurteilten. Er kann im Rahmen des vom Gericht erteilten Auftrags den politisch Verurteilten kleinlich bevormunden. Der Verurteilte ist völlig seiner Willkür unterworfen. Von ihm hängt oft ab, ob die bedingte Strafaussetzung aufgehoben wird und der Verurteilte seine Strafe verbüßen muß. Auf seine Beurteilung stützt sich das Gericht in seinen Entscheidungen. Speziell unter diesen Umständen wird die nahe Verwandtschaft zur Polizeiaufsicht deutlich18. Zum Widerruf der „Strafaussetzung zur Bewährung“ Nicht genug damit, daß der aus politischen Gründen Verurteilte im Widerspruch zu den demokratischen Grund- und Menschenrechten während der Bewährungszeit seine Meinung nicht mehr äußern darf, erlaubt sich die Bonner Justizmaschine, auch nach Ablauf der Bewährungszeit rücksichtslos in das Leben der Bürger einzugreifen. Ist die Bewährungszeit vorüber, heißt das noch nicht, daß sich der Verurteilte vor dem Bonner Justizterror in Sicherheit befindet. Das Gericht kann nicht nur während der Bewährungszeit, sondern auch nach ihrem Ablauf die Vollstreckung der ausgesprochenen Freiheitsstrafe anordnen. Es kann die Aussetzung widerrufen, u. a. wenn der Verurteilte „den Bewährungsauflagen gröblich zuwiderhandelt“ oder wenn „sich auf andere Weise zeigt, daß das in ihn gesetzte Vertrauen nicht gerechtfertigt war“ (§ 25 StGB). Auch wenn der Verurteilte dem Gericht während der Bewährungszeit keinen Anlaß zur Vollstreckung gibt, ist die Freiheitsstrafe nach ihrem Ablauf nicht automatisch erlassen. Das Gericht überprüft dann vielmehr noch einmal das gesamte Verhalten des Täters rückblickend und beurteilt, ob der Strafzweck erreicht wurde oder ob ihm die Vollstreckung der Freiheitsstrafe noch erforderlich erscheint. Wie schon die Anordnung, ist auch diese Entscheidung an keinerlei objektive Kriterien gebunden. Der Widerruf spielt in der westdeutschen Praxis eine erhebliche Rolle. Statistisches Material liegt allerdings nur für das Gebiet der allgemeinen Kriminalität vor. Im Amtsbezirk Gelsenkirchen-Buer z. B. wurden von den in den Jahren 1954 und 1955 ausgesprochenen Strafaussetzungen 24,27 Prozent widerrufen. Nicht völlig den Erwartungen des Gerichts entsprachen 45,04 Prozent aller erfaßten Täter19. Wenn auch für die politisch Verurteilten kein Zahlenmaterial greifbar ist, so zeigt sich an vielen Beispielen die gleiche Tendenz. Der westdeutsche Bürger Hans Vossen z. B. war 1957 wegen seiner Tätigkeit in der FDJ während der Jahre 1950/51 zu einer Gefängnisstrafe verurteilt worden. Die Vollstreckung eines Teils der Strafe wurde ausgesetzt und eine fünfjährige Bewährungszeit festgesetzt. Im August 1962 war die Bewährungszeit zu Ende. Bald darauf erhielt Vossen jedoch die Aufforderung, seine Gefängnisstrafe zu verbüßen. Sein Anwalt nahm an, es liege ein Iri’tum'vor, da die in solchen Fällen übliche polizeiliche Kontrolle ohne Beanstandungen abgeschlossen war. Als Vossen seine Strafe nicht antrat, wurde er an seiner Arbeitsstelle in Düsseldorf verhaftet und ins Gefängnis überführt. Erwähnt sei noch in diesem Zusammenhang, daß seine Ehefrau, die sich bei verschiedenen Stellen u. a. 18 vgl. zur Polizeiaufsicht Lupke, „Die Sicherungsaufsicht im StGB-Entwurf Verschärfung der Polizeiaufsicht nach nazistischem Vorbild“, NJ 1962 S. 671 ff. 19 Mattheis, die Strafaussetzung zur Bewährung im Amtsgerichtsbezirk Gelsenkirchen-Buer, Dissertation, Bonn 1961, S. 90. 154;
Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 18. Jahrgang 1964, Seite 154 (NJ DDR 1964, S. 154) Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 18. Jahrgang 1964, Seite 154 (NJ DDR 1964, S. 154)

Dokumentation: Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 18. Jahrgang 1964, Oberstes Gericht (OG) der Deutschen Demokratischen Republik (Hrsg.), Staatsverlag der Deutschen Demokratischen Republik, Berlin 1964. Die Zeitschrift Neue Justiz im 18. Jahrgang 1964 beginnt mit der Ausgabe Heft Nummer 1 im Januar 1964 auf Seite 1 und endet mit der Ausgabe Heft Nummer 24 im Dezember 1964 auf Seite 768. Die Dokumentation beinhaltet die gesamte Zeitschrift Neue Justiz im 18. Jahrgang 1964 (NJ DDR 1964, Nr. 1-24 v. Jan.-Dez. 1964, S. 1-768).

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