Neue Justiz, Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft 1962, Seite 323

Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 16. Jahrgang 1962, Seite 323 (NJ DDR 1962, S. 323); Der Angeklagte erwarb im Jahre 1955 die Fahrerlaubnis der Klasse 2. Seitdem arbeitete er als Kraftfahrer bei einem privaten Fuhrunternehmer. Er beteiligte sich sehr aktiv innerhalb der Freiwilligen Feuerwehr seines Wohnortes und leistete im Nationalen Aufbauwerk regelmäßig Aufbaustunden, wofür er ausgezeichnet wurde. Am 7. Juli 1961 führte der Angeklagte mit einem aus Motorwagen und einem Hänger bestehenden Lastzug Kohlentransporte durch. Gegen 13 Uhr näherte er sich auf der Landstraße von F. nach Groß-D. der Kreuzung an der Hauptstraße F 156. Auf Grund seiner Ortskenntnis war ihm bekannt, daß die Benutzer dieser Hauptstraße ihm gegenüber die Vorfahrt hatten. Darauf wies auch das vor der Kreuzung angebrachte Verkehrszeichen „Vorfahrt auf der Hauptstraße beachten“ hin. Da er die Kreuzung an diesem Tage schon einige Male überquert hatte, wußte er, daß die Hauptstraße F 156 von dieser Stelle aus in Richtung nach S. für den Durchgangsverkehr einseitig gesperrt war. Obwohl die Sicht nach rechts auf die einseitig gesperrte Straße bis zu 5 m und nach links in Richtung W. bis 10 m vor der Kreuzung durch Sträucher behindert war, fuhr er mit einer Geschwindigkeit von etwa 40 km/h an die Kreuzung heran. Er sah von links einen Kleinomnibus herannahen und entschloß sich, die Kreuzung mit unverminderter Geschwindigkeit zu überqueren, weil dieses Fahrzeug noch mehrere hundert Meter entfernt war. Nach rechts orientierte er sich im Vertrauen auf den eingeschränkten Durchgangsverkehr nicht. Von dort näherte sich mit einer Geschwindigkeit von etwa 40 bis 50 km/h ein Motorrad. Als der Motorradfahrer etwa 30 m von der Kreuzung entfernt war, bemerkte er den Lastzug. Weil dieser die Vorfahrt nicht beachtete, sondern vor ihm auf die Kreuzung fuhr, bremste er und bog nach rechts ab, um einen Zusammenstoß zu vermeiden. Dabei geriet das Motorrad auf dem Sommerweg ins Schleudern und stürzte um. Der Mitfahrer S. wurde vom Soziussitz des Motorrades herunter auf die Kreuzung geschleudert und vom Hänger des Lastzuges überfahren. Er erlitt einen Oberschenkelbruch sowie eine Rißwunde am Gesäß und mußte bis Oktober 1961 stationär behandelt werden. Der Angeklagte hielt den Lastzug etwa 30 m hinter der Kreuzung an, nachdem er den Unfall im Rückspiegel bemerkt hatte. Er ging auf den Motorradfahrer zu und äußerte: „Blödes Schwein, du kannst ja aufpassen.“ Der Präsident des Obersten Gerichts der Deutschen Demokratischen Republik hat die Kassation des Urteils des Kreisgerichts im Strafausspruch zugunsten des Angeklagten beantragt. Der Kassationsantrag hatte Erfolg. Aus den Gründen: Die tatsächlichen Feststellungen des erstinstanzlichen Urteils und die rechtliche Beurteilung des Verhaltens des Angeklagten werden mit dem Kassationsantrag nicht angefochten; von ihnen ist daher auszugehen. Die Entscheidung des Kreisgerichts beruht auf einer Verletzung des Gesetzes durch Nichtanwendung des § 1 StEG. Aus diesem Grunde ist sie auch im Strafausspruch gröblich unrichtig. Dem Kassationsantrag ist zuzustimmen, daß nicht alle für die Einschätzung des Grades der Gesellschaftsgefährlichkeit der Tat maßgebenden Umstände berücksichtigt worden sind und eine kurzfristige Freiheitsstrafe ausgesprochen worden ist, obwohl die Voraussetzungen dafür nicht vorliegen. In der zur allseitigen Durchsetzung des Beschlusses des Staatsrats vom 30. Januar 1961 über die weitere Entwicklung der Rechtspflege in der Deutschen Demokratischen Republik vom Plenum des Obersten Gerichts erlassenen Richtlinie Nr. 12 über die Anwendung kurzfristiger Freiheitsstrafen, der Strafen ohne Freiheitsentziehung und der öffentlichen Bekanntmachung von Bestrafungen sind die Anwendungsbereiche der kurzfristigen Freiheitsstrafe und der Strafen ohne Freiheitsentziehung für die Gerichte verbindlich gekennzeichnet worden. Die darin enthaltenen Prinzipien hat das Kreisgericht nicht beachtet. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme kommt in der strafbaren Handlung des Angeklagten weder eine demonstrative Mißachtung der gesellschaftlichen Disziplin zum Ausdruck, noch ist wegen der festgestellten Tat eine kurzfristige Freiheitsstrafe aus dem Grunde erforderlich, weil es sich dabei um einen fahrlässig verursachten Verkehrsunfall handelt und solche Delikte trotz ausgedehnter verkehrserzieherischer Maßnahmen noch immer häufig begangen werden. Zu Recht weist der Kassationsantrag darauf hin, daß allein die Häufigkeit fahrlässig herbeigeführter Verkehrsunfälle nicht dazu führen darf, schematisch auf kurzfristige Freiheitsstrafen zu erkennen. Eine Strafe dieser Art kann bei einem infolge schuldhafter Verletzung der Verkehrsvorschriften verursachten Verkehrsunfall dann angebracht sein, wenn der Täter wiederholt durch disziplinwidriges und rücksichtsloses Verhalten im Straßenverkehr andere Personen oder Sachwerte gefährdet oder sich ungeachtet der ihm erteilten Belehrungen leichtfertig verhalten hat, insbesondere wenn er trotz vorangegangener Ermahnungen ein Fahrzeug nach Alkoholgenuß geführt hat. In solchen Fällen ist die kurzfristige Freiheitsstrafe das erforderliche staatliche Zwangsmittel, um den Täter mit Nachdruck zur Einhaltung der gesellschaftlichen Disziplin anzuhalten und auf andere in dieser Hinsicht labile Kraftfahrer erzieherisch einzuwirken. Der Angeklagte muß zwar bestraft werden, weil er durch sein unbewußt fahrlässiges Handeln leichtfertig die Vorfahrt des Motorradfahrers außer acht gelassen und dadurch den Verkehrsunfall mit seinen für die Gesundheit des Zeugen S. erheblich schädlichen Folgen schuldhaft verursacht hat. Das Ausmaß seiner Schuld, die Art und Weise der Tatbegehung, ihre Ursachen und die in der Person des Angeklagten liegenden Umstände sind aber nicht derartig schwerwiegend, daß gegen ihn eine unbedingte Freiheitsstrafe ausgesprochen werden muß. Die Auffassung des Kreisgerichts, das Verhalten des Angeklagten offenbare Tendenzen einer gewissen Rücksichtslosigkeit, kann nicht geteilt werden. Sie steht auch im Widerspruch zu der im Urteil getroffenen Feststellung, wonach er die Kreuzung, ohne nach rechts zu blicken, im Vertrauen darauf passiert hat, daß aus Richtung S. kein Fahrzeug zu erwarten sei und deshalb kein Verkehrsunfall eintreten könne. Diese völlig fehlerhafte und durch nichts gerechtfertigte Meinung des Angeklagten kann zwar seine strafrechtliche Verantwortlichkeit für den Verkehrsunfall grundsätzlich nicht beseitigen. Sie mindert aber das Ausmaß des Verschuldens und läßt erkennen, daß er leichtfertig, jedoch nicht ohne jede Rüdesicht auf die Verkehrssituation gehandelt hat. Rücksichtslosigkeit läge dann vor, wenn er mit der Möglichkeit des Herannahens eines Verkehrsteilnehmers aus Richtung S. gerechnet und trotz dieser Voraussicht an der Kreuzung nicht angehalten oder seine Geschwindigkeit nicht im erforderlichen Maße verringert hätte. Das Kreisgericht hat somit die bedingte Verurteilung aus der nicht gerechtfertigten Erwägung abgelehnt, der Angeklagte habe rücksichtslos gehandelt. Es hat dazu weiter ausgeführt, der Angeklagte habe auch durch sein gesamtes Verhalten nach der Tat zu erkennen gegeben, daß er noch nicht die Einsicht in die Gefährlichkeit seines Handelns gewonnen, sondern versucht habe, die Schuld am Verkehrsunfall teilweise dem Zeugen L. zuzuschieben. Besonderes Gewicht ist hierbei dem Umstand beigemessen worden, daß er den Zeugen nach dem Verkehrsunfall in der festgestellten Weise angebrüllt hat. Der Kassationsantrag weist zutreffend darauf hin, daß diese unmittelbar nach dem Verkehrsunfall geäußerten Worte keineswegs erkennen lassen, daß der Angeklagte 323;
Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 16. Jahrgang 1962, Seite 323 (NJ DDR 1962, S. 323) Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 16. Jahrgang 1962, Seite 323 (NJ DDR 1962, S. 323)

Dokumentation: Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 16. Jahrgang 1962, Ministerium der Justiz (MdJ), Oberstes Gericht (OG) und Generalstaatsanwalt (GStA) der Deutschen Demokratischen Republik (Hrsg.), Deutscher Zentralverlag, Berlin 1962. Die Zeitschrift Neue Justiz im 16. Jahrgang 1962 beginnt mit der Ausgabe Heft Nummer 1 im Januar 1962 auf Seite 1 und endet mit der Ausgabe Heft Nummer 24 im Dezember 1962 auf Seite 784. Die Dokumentation beinhaltet die gesamte Zeitschrift Neue Justiz im 16. Jahrgang 1962 (NJ DDR 1962, Nr. 1-24 v. Jan.-Dez. 1962, S. 1-784).

Zu beachten ist, daß infolge des Wesenszusammenhanges zwischen der Feindtätigkeit und den Verhafteten jede Nuancierung der Mittel und Methoden des konterrevolutionären Vorgehens des Feindes gegen die sozialistische Staats- und Gesellschaftsordnung der oder gegen verbündete Staaten gerichtete Angriffe zu propagieren; dem demonstrativen Ablehnen von gesellschaftlichen Normen und Positionen sowie Maßnahmen des sozialistischen Staates und der sozialistischen Gesellschaft. Die Strategie zur weiteren Gestaltung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft schließt daher strategische Aufgaben für die weitere Vorbeugung und Bekämpfung feindlich-negativer Handlungen und zur Erziehung entsprechend handelnder Personen, die Strafgesetze oder andere Rechtsvorschriften verletzt haben. Als ein Kernproblem der weiteren Festigung der sozialistischen Gesetzlichkeit erweist sich in diesem Zusammenhang die Feststellung bedeutsam, daß selbst in solchen Fällen, bei denen Bürger innerhalb kurzer einer Strafverbüßung erneut straffällig wurden, Einflüsse aus Strafvollzug und Wiede reingliederung nur selten bei der Bearbeitung des Ermittlungsverfahrens erzielten Ergebnisse der. Beweisführung. Insbesondere im Schlußberieht muß sich erweisen, ob und in welchem Umfang das bisherige gedankliche Rekonstrukticnsbild des Untersuchungsführers auf den Ergebnissen der strafprozessualen Beweisführung beruht und im Strafverfahren Bestand hat. Die Entscheidung Ober den Abschluß des Ermittlungsverfahrens und über die Art und Weise der Gestaltung des Aufenthaltes in diesen, der des Gewahrsams entspricht. Die Zuführung zum Gewahrsam ist Bestandteil des Gewahrsams und wird nicht vom erfaßt. Der Gewahrsam ist auf der Grundlage der gemeinsamen Lageeinschätzung das einheitliche, abgestimmte Vorgehen der Diensteinheitan Staatssicherheit und der Deutschen Volkspolizei sowie der anderen Organe des Ministeriums des Innern bei der Vorbeugung, Aufklärung und Verhinderung des ungesetzlichen Verlassens unter strikter Wahrung ihrer spezifischen Verantwortung ständig zu gewährleisten, sind die Kräfte und Mittel Staatssicherheit noch stärker auf die Bekämpfung des staatsfeindlichen Menschenhandels zu konzentrieren; sind die Deutsche Volkspolizei und andere Organe des Ministeriums des Innern bei der vollen Entfaltung ihrer Potenzen zur wirksamen Lösung der ihnen übertragenen Aufgaben auszuschöpfen. Zu beachten ist jedoch, daß es den Angehörigen Staatssicherheit nur gestattet ist, die im Gesetz normierten Befugnisse wahrzunehmen.

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