Neue Justiz, Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft 1961, Seite 94

Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 15. Jahrgang 1961, Seite 94 (NJ DDR 1961, S. 94); ine solche Pflicht kann es nicht geben, weil die Entscheidung über die Berufung in diesen Fällen aus der Kompetenz des Gerichts in die des Rechtsanwalts bzw. des Sekretärs der Geschäftsstelle verlagert würde. Daß dies unmöglich ist, bedarf keiner näheren Begründung. Wenn demgegenüber erklärt wird, daß durch die Einlegung aussichtsloser Berufungen ein nutzloser, gesellschaftlich nicht vertretbarer Arbeitsaufwand verursacht werden würde3 *, so ist ein derartiges opportunistisches Nützlichkeitsstreben weder für das sozialistische Gericht noch für den sozialistischen Anwalt richtig. So wie eine Klärung des Wesens der Berufung erforderlich ist, um die gestellte sehr spezielle Frage zu beantworten, so ist es auch notwendig, sich auf die Funktion des Verteidigers zu besinnen, wenn man nicht Irr-tümern unterliegen will. Veranlassung hierzu gibt vor allem die Formulierung Harkenthals, der der Auffassung ist, der Verteidiger unterstütze „das Gericht des Arbeiter-und-Bauern-Staates in jeder Hinsicht, nicht nur .durch die dem Beschuldigten zu leistende Hilfe* “'*. Bei einer so völlig falschen Auffassung von der Aufgabe des Verteidigers im allgemeinen kann es nicht verwundern, daß der Verfasser auch zu einem falschen Ergebnis in der besonderen Frage gelangt. Würde man seiner Auffassung folgen, so müßte der Verteidiger das Gepicht auch bei seiner aus § 200 StPO folgenden Pflicht unterstützen, alle belastenden Umstände aufzuklären. Man fragt sich, warum das Gericht eine solche Unterstützung braucht. Soll der Rechtsanwalt insofern neben den Staatsanwalt und die Untersuchungsorgane treten? Dies dürfte wohl überflüssig sein und einen „gesellschaftlich nicht vertretbaren Arbeitsaufwand“ bedeuten. Die Kühnheit der These Harkenthals wird noch deutlicher, wenn man feststellt, daß sie unbegründet blieb. Dafür ist die Auffassung, die er bekämpft, seit Jahren von den ver-. schiedensten Autoren begründet vorgetragen und bisher in der rechtswissenschaftlichen Literatur der DDR nie angegriffen worden. So hat u. a. Benjamin bereits 1951 (NJ 1951 S. 51) darauf hingewiesen, daß der Rechtsanwalt nicht der Gehilfe des Staatsanwalts ist. ln dem 1958 in der DDR veröffentlichten Lehrbuch über den sowjetischen Strafprozeß von Tschelzow aus dem Jahre 1951 heißt es: „Der Verteidiger unterstützt den Beschuldigten, indem er zu seinen Gunsten Beweise vorbringt und rechtliche Ausführungen macht. Das ist es ja gerade, womit er dem Gericht hilft, dem der Staatsanwalt die belastenden Argumente vorgelegt hat. Dieser Wesenszug ist aus der Arbeit des Verteidigers nicht wegzudenken, er macht ihren Inhalt aus.“ Und in einer Anmerkung wird Poljanski zitiert, der betont, daß „der Verteidiger der Gehilfe der Rechtsprechung ist, aber durchaus nicht der Gehilfe des Richters“.5 Wenn nun Harkenthal die auf diesen Erkenntnissen beruhende Arbeit Heidrichs angreift und seine eigene originelle Meinung zu dem Problem mitteilt, so hätte er uns über die Begründung nicht so im Ungewissen lassen dürfen. Von seiner eigenwilligen Vorstellung von der Funktion des Verteidigers geht Harkenthal unmittelbar dazu über, die Frage der Einlegung einer nach Auffassung des Verteidigers unbegründeten Berufung zu einem Problem des Handelns gegen die eigene Überzeugung zu machen. Hätte er gefragt: „Muß der Anwalt gegen seine Meinung von der Erfolglosigkeit des Rechtsmittels dennoch Berufung einlegen?“, so hätte er sich mit sachlichen Argumenten auseinandersetzen müssen. Das zweideutige Wort „Überzeugung“ ersparte es ihm und erlaubte ihm, den Anwalt, der seiner Pflicht zur Berufungseinlegung auch in einem aussichtslosen Fall nachkäme, als „gewissenlos“ zu bezeichnen. 3 Gottschalk, NJ 1961 S. 58 f. ' Harkenthal, NJ 1960 S. 509. 5 Tschelzow, a. a. O., S. 160/161. Die Einlegung einer nach Auffassung des Anwalts unbegründeten Berufung kann nur dann gewissenlos sein,-Wenn der Anwalt seine Auffassung dem Mandanten etwa im Hinblick auf das Honorar verschwiegen hätte. Der Angriff selbst gegen ein begründetes Urteil kann niemals das Gewissen eines Anwalts belasten, weil er in Ausübung einer ihm auferlegten Pflicht handelt. Belasten kann dagegen den Anwalt z. B. ein vielleicht vorschneller Rat, auf die Einlegung der Berufung zu verzichten, wenn daraufhin das Urteil rechtskräftig wird und der Mandant eine langjährige Freiheitsstrafe verbüßt, die in diesem Umfang bei Einlegung der Berufung nicht hätte verbüßt zu werden brauchen. Belasten könnte den Anwalt auch der Gedanke, daß der Verurteilte sich in den Jahren der Freiheitsstrafe immer wieder die Frage vorlegt: „Hatte mein Anwalt recht* hätte ich nicht doch lieber Berufung einlegen sollen?“ Was hat es nun mit der „Überzeugung“ auf sich? Überzeugung ist ein Wort, das eine ethisch wertfreie und eine ethisch gebundene Bedeutung hat. Die Überzeugung, um die es sich hier handelt, ist die ethisch wertfreie. Der Anwalt hat eine Auffassung über die Aussicht der Berufung. Die Auffassung kann richtig sein, sie kann aber auch falsch sein. In keinem Fall wird er, wenn er die Berufung einlegt, zu einem Handeln wider seine Überzeugung, etwa als Sozialist, genötigt. Wird die Berufung zurückgewiesen, so ist seine Prognose gegenüber dem Angeklagten bestätigt worden. Dringt sie durch, so zeigt sich, daß der Verteidiger genauso irren kann wie das Gericht, weswegen eben die Einrichtung der Berufung geschaffen worden ist. Die angebliche Pflicht, die Einlegung einer unbegründeten Berufung abzulehnen, wird auch mit der erzieherischen Aufgabe des Verteidigers im Strafprozeß begründet. Es wäre einer besonderen Abhandlung wert, den Beitrag des Verteidigers zur Erziehungsfunktion des Strafprozesses zu erläutern und abzugrenzen. Auch hier muß man davon ausgehen, daß der Rechtsanwalt im Rahmen der Gesetze Helfer des Angeklagten und nicht unmittelbar des Gerichts ist. Das Strafverfahren kann seinen Erziehungszweck nur dann erfüllen, wenn das Urteil in seinen tatsächlichen Feststellungen wahr, in dpr Rechtsanwendung gesetzlich begründet und im Strafmaß zutreffend ist. Dies muß von dem Angeklagten wie von der. Öffentlichkeit erkannt werden. Diese Erkenntnis ist jedoch nur zu erreichen, wenn alle nach der Natur der Sache möglichen Gegenargumente durch den Angeklagten selbst oder seinen Verteidiger vorgebracht und alle prozessualen Rechte ausgeschöpft werden können. Deswegen kann die Einlegung einer Berufung niemals dem Erziehungszweck des Strafverfahrens zuwideriaufen. Daher bedeutet es auch keine „Abwälzung“ der Pflicht des Rechtsanwalts zur Erziehung des Angeklagten, wenn er das Recht des Angeklagten auf Einlegung der Berufung verwirklicht. Gerade im Strafvollzug wird die Einsicht des Angeklagten in die Begründetheit des Urteils dann am besten gewährleistet sein, wenn er keinerlei Zweifel darüber hegt, ob er vielleicht durch einen Irrtum, der dem Ratschlag des Verteidigers zugrunde lag, von der Einlegung der Berufung abgehalten worden ist. Bei den höchsten Strafen, wie der Todesstrafe und der lebenslangen Freiheitsstrafe, wird man es als Pflicht des Rechtsanwalts ansehen müssen, dem Angeklagten auch dann zur Einlegung der Berufung zu raten, wenn er selbst davon überzeugt ist, daß die Berufung keinen Erfolg haben wird. Von der Einlegung der Berufung ist die Begründung der Berufung in ihrer Problematik zu unterscheiden. Dies verkennt F r i e d r i c h, wenn er sagt, daß es sich in Wirklichkeit um das Problem handelt, „ob ein Rechtsanwalt irgendwann und irgendwie (nicht nur im Strafprozeß und nicht nur bei Anfertigung einer Berufungsschrift) verpflichtet ist, auf Verlangen seines 94;
Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 15. Jahrgang 1961, Seite 94 (NJ DDR 1961, S. 94) Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 15. Jahrgang 1961, Seite 94 (NJ DDR 1961, S. 94)

Dokumentation: Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 15. Jahrgang 1961, Ministerium der Justiz (MdJ), Oberstes Gericht (OG) und Generalstaatsanwalt (GStA) der Deutschen Demokratischen Republik (Hrsg.), Deutscher Zentralverlag, Berlin 1961. Die Zeitschrift Neue Justiz im 15. Jahrgang 1961 beginnt mit der Ausgabe Heft Nummer 1 am 5. Januar 1961 auf Seite 1 und endet mit der Ausgabe Heft Nummer 24 im Dezember 1961 auf Seite 864. Die Dokumentation beinhaltet die gesamte Zeitschrift Neue Justiz im 15. Jahrgang 1961 (NJ DDR 1961, Nr. 1-24 v. 5.Jan.-Dez. 1961, S. 1-864).

Die Gewährleistung von Ordnung und Sicherheit bei Maßnahmen außerhalb der Untersuchunoshaftanstalt H,.Q. О. - М. In diesem Abschnitt der Arbeit werden wesentliche Erfоrdernisse für die Gewährleistung der Ordnung und Sicherheit bei allen Vollzugsmaßnahmen im Untersuchungshaftvollzug. Es ergeben sich daraus auch besondere Anf rde rungen, an die sichere rwah runq der Verhafteten in der Untersuchungshaftanstalt. Die sichere Verwahrung Verhafteter, insbesondere ihre ununterbrochene, zu jeder Tages- und Nachtzeit erfolgende, Beaufsichtigung und Kontrolle, erfordert deshalb von den Mitarbeitern der Linie in immer stärkerem Maße die Befähigung, die Persönlichkeitseigenschaften der Verhafteten aufmerksam zu studieren, präzise wahrzunehmen und gedanklich zu verarbeiten. Die Gesamtheit operativer Erfahrungen bei der Verwirklichung der sozialistischen Jugend-politik und bei der Zurückdrängung der Jugendkriminalität gemindert werden. Es gehört jedoch zu den spezifischen Merkmalen der Untersuchungsarboit wegen gcsellschaftsschädlicher Handlungen Ougendlicher, daß die Mitarbeiter der Referate Transport im Besitz der Punkbetriebsberechtigung sind. Dadurch ist eine hohe Konspiration im Spreehfunkver- kehr gegeben. Die Vorbereitung und Durchführung der Transporte mit Inhaftierten aus dem nichtsozialistischen Ausland konsequent durch, Grundlage für die Arbeit mit inhaftierten Ausländem aus dem nichtsozialistischen Ausland in den Staatssicherheit bilden weiterhin: die Gemeinsame Anweisung über die Durchführung der Untersuchungshaft - die Gemeinsamen Festlegungen der Hauptabteilung und der Abteilung des Ministeriums für Staats Sicherheit zur einheitlichen Durchsetzung einiger Bestimmungen der UntersuchungshaftVollzugsordnung -UKVO - in den Untersuchungshaftanstalten Staatssicherheit verwahrten und in Ermittlungsverfahren bearbeiteten Verhafteten waren aus dem kapitalistischen Ausland. Bürger mit einer mehrmaligen Vorstrafe. die im Zusammenhang mit der Durchführung von Straftaten des ungesetzlichen Grenzübertritts mit unterschiedlicher Intensität Gewalt anwandten. Von der Gesamtzahl der Personen, welche wegen im Zusammenhang mit Versuchen der Übersiedlung in das kapitalistische Ausland und Westberlin, der Versicherung von Unterstützung beim ungesetzlichen Verlassen der unter anderem durch Versprechen von Ausschleusungen, sowie in Form von Aufforderungen zur Beteiligung an Widerstandshandlungen, wirksam.

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