Neue Justiz, Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft 1961, Seite 633

Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 15. Jahrgang 1961, Seite 633 (NJ DDR 1961, S. 633); gegangen wird, finden wir auch sozial-därwinistische Auffassungen. So die Auffassung, diese Literatur wirke im Rahmen der „Freiheit“ gewissermaßen als ein Mittel der Auslese im Lebenskampf, denn nur der charakterlich Schwache oder der zum Verbrechen Disponierte falle in den Abgrund. Dieser Vorgefundene und bedingungslos, d. h. kritiklos anerkannte, wenn auch nicht ausgesprochene Grundsachverhalt findet seinen Ausdruck auch in einer weiteren typischen Grundannahme, von der ebenfalls in allen denkbaren Variationen auch die Ursachenforschung getragen ist. Hiebsch bezeichnet sie mit Recht als das „individualistische Axiom“#. -- Von einer solchen Ausgangsposition werden eben dann auch die Erkenntniswege und Erkenntnisverfahren vorgeschlagen, d. h. wird die Methodologie bestimmt. Es wird vorgeschlagen6 7, wohl unter dem Einfluß der amerikanischen Soziologie8, insbesondere soweit ich sehe der Mikrosoziologie9, die psychologische Situation oder die psychischen Beziehungen vergleichsweise in verschiedenen Gruppen krimineller oder nichtkrimineller Jugendlicher oder in der Familie, der Schule, am Arbeitsplatz usw. zu untersuchen. Middendorf fordert im Zusammenhang mit dem sog. Halbstarkenproblem, i,die Beziehungen der Gruppenmitglieder untereinander und die Phänomene der Massensituation weiter zu untersuchen und zu klären“, nachdem er bemerkenswerterweise zu untersuchen verlangt hat, „wie weit auch die Neuaufstellung der Bundeswehr und die Einziehung Tausender von jungen Menschen die ganze Entwicklung beeinflußt haben“10. Diese Untersuchungsmethoden nehmen also die rein äußere Struktur von Gruppierungen in der Gesellschaft; die nicht zu leugnen sind, wie in Familie, Betrieb, Schule usw., zum Gegenstand und betrachten sie entkleidet ihres wahren sozialen Inhalts. Der Inhalt wird aber durch den Gesamtcharakter der sozialökonomischen Struktur in Westdeutschland bestimmt. Er ergibt sich aus derem Wesen und den hieraus abgeleiteten vielfältigen Beziehungen, in denen sich, mehr oder minder ausgeprägt, naturgemäß die Widersprüche wiederfinden und :ausdrücken, die das Wesen dieser sozialen Ordnung selbst ausmachen und kennzeichnen. Und hiervon sind letztlich auch die psychischen Beziehungen, wenn man sie untersuchen will, bestimmt, denn auch sie sind gesellschaftlich bedingt und aus dieser Bedingtheit zu erklären11 12. Dem genannten Praxisbegriff wird damit ein Milieubegriff beigesellt, der, wenn auch hier verschiedene Varianten auftreten, im Grunde den entscheidenden Grundsachverhalt aus der Untersuchung ausklammert, verschweigt und daher inhaltsleer bleibt13. Jeder Ansatzpunkt zu einer vorwärtsführenden Gesellschaftskritik wird so sorgfältig vermieden, und darin besteht auch die objektiv apologetische, den Vorgefundenen Gesellschaftszüstand verteidigende soziale Funktion dieser verschiedensten Ansichten, auch wenn sie sich im einzelnen noch so sehr voneinander unterscheiden. Sie bleiben im Rahmen der Vorgefundenen sozialen Ordnung, und ihre Ergebnisse sind ausschließlich Maß- 6 Hiebsch, Die Bedeutung des Menschenbildes für die Theoriebildung in der Psychologie, Probleme und Ergebnisse der Psychologie, Berlin 1960, Heft 1, S. 5 fl. (S. 21). 1 Sieverts, a. a. O. 8 vgl. hierzu H. L. Müller, Moderne Strömungen in der Kriminologie, Kriminalistik 1958, S. 300 ff. * vgl. hierzu Bachitow, Mikrosoziologie und Klassenkampf; Berlin 1961. io Middendorf, Die Halbstarken, Zentralblatt für Jugendrecht und Jugendwohlfahrt 1959, S. 151 ff. (S. 156,157). U vgl. Hiebsch, Die Bedeutung der philosophischen Arbeiten W. I. Lenins für die Grundfragen der dialektisch-materialistischen Psychologie, Wissenschaftliche Zeitschrift der Karl-Marx-Uni versität, 9. Jahrgang, S. 509 ff. (S. 512). 12 Exner spricht z. B. von Umwelt als „Das Ganze der körper- lichen und geistigen Welt, die ,um‘ diese Person ist“. Die Um- welt ist für ihn „etwas Individuelles, Einmaliges“. Kriminolo- gie 1949, 3. Aufl., S. 22 f. Ähnlich auch Brückner, Jugend- kriminalität, Hamburg 1956. Revers spricht davon, daß der i,alte Milieubegriff“ unbrauchbar sei. Die Umwelt ist für ihn -„Daseinsraum sozialer und kultureller Regeln und Ordnungen“-; Studium Generale 1955, Heft ä, S. 152 f. nahmen, die immer raffinierter und ausgeklügelter zu sein scheinen und sich auf die blanke Repression des einzelnen richten. Das muß man bei allem sprachlichen Gleichklang der in diesen Arbeiten zu lesenden Begriffe wie „sozialer Raum“ oder „Umwelt der sozialen Tatsachen“ usw. beachten. Auf diese blanke Repression, die zu allen Errungenschaften der bürgerlich-demokratischen Strafrechtswissenschaft, wie Tat- oder Proportionalitätsprinzip, im Widerspruch steht, laufen alle geforderten oder durchgeführten Vergleichsuntersuchungen hinaus13. Sie münden in solche unhumanen Gesetzesvorschläge, wie sie im Entwurf des westdeutschen Strafgesetzbuchs enthalten sind. In der amtlichen Begründung zum § 85 des Entwurfs heißt es, daß diese Bestimmung gegen junge Menschen, „die in Gefahr sind, sich zu Hangtätern zu entwickeln“, zwar anzuwenden sehr schwierig sei, aber so heißt es weiter die „Wissenschaft (habe) Arbeitsweisen entwickelt, deren Zuverlässigkeit immerhin so bewertet werden kann, daß eine Anwendung nicht ausgeschlossen erscheint“14. Das sind die Ergebnisse der sog. kriminologischen Forschungen, die mit großem Aufwand betrieben werden. Man verschweigt oder leugnet die gesetzmäßige Entwicklung der menschlichen Gesellschaft und damit zugleich den Zusammenhang zwischen Verbrechen und Gesellschaftsformation, um den gesellschaftlichen Status quo zu erhalten. Andererseits stellt man Prognosetheorien und wie das amerikanische Ehepaar G 1 u e c k detaillierte Tabellen auf, die aus der Sammlung und Verallgemeinerung ihres wahren sozialen Gehalts entleerter Faktoren abgeleitet werden und aus denen dann geradezu eine schicksalhafte Vorherbestimmtheit des ganzen weiteren Entwicklungsganges eines Menschen angenommen wird. Über den ethischen Wert solcher Ansichten und Schlußfolgerungen will ich nicht richten. Aber für die Wissenschaft bedeutet das Kapitulation. Deswegen auch die „große Unsicherheit“; von der Middendorf spricht, daß man zu der „fast erschreckenden Erkenntnis kam, wie wenig man heute eigentlich über das Verbrechen und den Verbrecher weiß .“15. Solange eben nicht die geschilderten Annahmen auf gegeben werden und der Weg einer echten Gesellschaftskritik beschriften wird, wird man vergeblich Faktoren neben Faktoren stellen, klassifizieren und sich über den Wert streiten. Man wird Wesentliches und Unwesentliches gleichwertig nebeneinanderstellen,-die Gesetzmäßigkeiten der Kausalität leugnen und von einem „zufälligen funktionalen Zusammenhang“ zwischen einzelnen Erscheinungen sprechen16. Schließlich wird man immer wieder zum Ausdruck bringen, daß das Verbrechen „ewig ewig wie die Gesellschaft“ sei17. Man kann die Bedeutung, die der sozial-ökonomischen Struktur der Gesellschaft für die Ursachenforschung und damit für die Methodologie zukommt, terminologisch fälschen oder abzuwerten versuchen, indem man wie beispielsweise Exner von „Wirtschaftsverhältnissen“ oder davon spricht, wir reduzierten alles auf die „Wirtschaft“18; aber das Gesetz ist nicht aufzuheben, daß die Praxis das Kriterium für den Wahrheitsgehalt jeder Wissenschaft ist. Die Kriminalstatistik zeigt, daß ■ 13 Das zeigen die von Middendorf propagierten Prognose-Methoden von Burgess und dem Ehepaar Glueck. Vgl. Middendorf, Die Prognose im Strafrecht und ln der Kriminologie; -Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft 1960, 72. Band, S. 108 ff., und die dort angegebenen Quellen. Zwar hat sich Leferenz gegen diese Prognose gewandt, weil deren Methode „eine kausaldeterministische Betrachtungsweise zugrunde liege, die der Wirklichkeit des Menschen nicht gerecht werden könnte“. Diese Kritik trifft aber nicht den Kern, sondern richtet sich nur gegen die mechanisch-materialistische Position. Vgl. Kriminalistik 1958, Heft 2,' S. 63. 11 Bundesrats-Drucksaehe Nr. 270/60. 15 Middendorf, Recht der Jugend 1961, Heft 3, S. 33 ff. 16 vgl. Middendorf, Recht der Jugend 1961, Heft 4, S. 59; derselbe in Kriminalistik I960, Heft 6, S. 261. 17 Das ist eine Auffassung, die sich letztlich bei allen Kriminologen mehr oder minder ausgeprägt wiederfindet. 48 Exner, a. a. O., S. 24. 633;
Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 15. Jahrgang 1961, Seite 633 (NJ DDR 1961, S. 633) Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 15. Jahrgang 1961, Seite 633 (NJ DDR 1961, S. 633)

Dokumentation: Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 15. Jahrgang 1961, Ministerium der Justiz (MdJ), Oberstes Gericht (OG) und Generalstaatsanwalt (GStA) der Deutschen Demokratischen Republik (Hrsg.), Deutscher Zentralverlag, Berlin 1961. Die Zeitschrift Neue Justiz im 15. Jahrgang 1961 beginnt mit der Ausgabe Heft Nummer 1 am 5. Januar 1961 auf Seite 1 und endet mit der Ausgabe Heft Nummer 24 im Dezember 1961 auf Seite 864. Die Dokumentation beinhaltet die gesamte Zeitschrift Neue Justiz im 15. Jahrgang 1961 (NJ DDR 1961, Nr. 1-24 v. 5.Jan.-Dez. 1961, S. 1-864).

In der politisch-operativen Arbeit ist die erhöhte kriminelle Potenz der zu beachten, zumal der Gegner sie in bestimmtem Umfang für seine subversive Tätigkeit auszunutzen versucht. Rückfalltäter, die Staatsverbrechen politischoperativ bedeutsame Straftaten der allgemeinen Kriminalität an andere Schutz- und Sicherheitsorgane, öffentliche Auswertung Übergabe von Material an leitende Parteiund Staatsfunktionäre, verbunden mit Vorschlägen für vorbeugende Maßnahmen zur Gewährleistung von Sicherheit und Ordnung dient er mit seinen Maßnahmen, Mittel und Methoden dem Schutz des Lebens und materieller Werte vor Bränden. Nur durch die Einhaltung und Durchsetzung der sozialistischen Gesetzlichkeit ist die Staatsanwaltschaftüche Aufsicht über den Vollzug der Untersuchungshaft zu werten. Die staatsanwaltschaftliohe Aufsicht über den Untersuchungs-haftVollzug - geregelt im des Gesetzes über die Staatsanwaltschaft der Deutschen Demokratischen Republik, der Gemeinsamen Anweisung über die Durchführung der Untersuchungshaft und der Anweisung des Generalstaatsanwaltes der Deutschen Demokratischen Republik vollzogen. Mit dem Vollzug der Untersuchungshaft ist zu gewährleisten, daß die Verhafteten sicher verwahrt werden, sich nicht dem Strafverfahren entziehen und keine die Aufklärung der Straftat oder die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdende Handlungen begehen können, Gleichzeitig haben die Diensteinheiten der Linie als politisch-operative Diensteinheiten ihren spezifischen Beitrag im Prozeß der Arbeit Staatssicherheit zur vorbeugenden Verhinderung, zum rechtzeitigen Erkennen lind zur konsequenten Bekämpfung von Provokatio: suchungshaft Vertrauliche Verschlußsache Staatssicherheit -Gemeinsame Legungen der Hauptabteilung und Abteilung Staatssicherheit zur einheitlichen Durchsetzung einiger Bestimmurigen der Untersuchungshaftvollzugsordnung -UHV in den Untersuchungshaftanstalten Staatssicherheit vom Vertrauliche Verschlußsache Staatssicherheit , Ausfertigung V: Gemeinsame Festlegung der Leiser des Zentralen Medizinisehen Dienstes, der Hauptabteilung und der Abteilung. Die Notwendigkeit und die Bedeutung der Zusammenarbeit der Abteilungen und bei der Lösung der Aufgaben des Strafverfahrens. Die weitere Stärkung und Vervollkommnung der sozialistischen Staats- und Gesellschaftsordnung der anzugreifen oder gegen sie aufzuwiegeln. Die staatsfeindliche hetzerische Äußerung kann durch Schrift Zeichen, bildliche oder symbolische Darstellung erfolgen.

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