Neue Justiz, Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft 1961, Seite 237

Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 15. Jahrgang 1961, Seite 237 (NJ DDR 1961, S. 237); dl acht und Justiz iu der Bundesrepublik Dr. GERHARD KÜHLIG, Berlin Zum reaktionären Charakter der sog. Staatsschutzbestimmungen im Bonner Regierungsentwurf eines neuen Strafgesetzbuchs Der Komplex der sogenannten Staatsgefährdung Neben den in der letzten Fortsetzung dieser Artikel-reihe besprochenen Entwurfsvorschriften über die sog. Organisationsdelikte* * haben die Bestimmungen eine vorrangige politische Bedeutung, die jegliches Streben nach Entspannung und Verständigung der Deutschen untereinander mit Freiheitsstrafe bedrohen. Sie sind im wesentlichen in § 373 des Entwurfs* enthalten, für dessen offizielle Bezeichnung der Begriff „staatsgefährdende Agententätigkeit“ gewählt wurde. Allein schon dieser Begriff widerspiegelt die von den herrschenden Kreisen in Bonn in der deutschen Frage betriebene Politik. Die Furcht vor dem Verlust ihrer friedens- und volksfeindlichen Positionen und nicht zuletzt auch die Furcht vor der weiteren außenpolitischen Isolierung veranlaßt die Militaristen zu immer neuen Versuchen, die Verbreitung der Wahrheit über die Blitzkriegspläne zu unterbinden oder wenigstens als „östliche Zweckpropaganda“ hinzustellen. Dementsprechend wird behauptet, daß alle diejenigen gleichgültig, ob es sich um DDR-Bürger oder um Westdeutsche, um Arbeiter, Wissenschaftler und Studenten, um Mitglieder demokratischer Organisationen oder Nichtorganisierte handelt „kommunistische Agenten“ seien, die miteinander Gespräche über Abrüstung und Entspannung, über das Verbot der Atomwaffen usw. führen. Alle diese Menschen sollen und das ist eine typische Ausgeburt der antikommunistischen Hysterie vor der Öffentlichkeit als „Sendboten dunkler Mächte“ diffamiert werden, um bereits dadurch ihre Wirksamkeit als Träger echter Friedensliebe und realer Bestrebungen nach Sicherung der Freiheit für die Volksmassen, über die Lebensfragen der Nation selbst zu entscheiden, nach Möglichkeit zu beeinträchtigen. Andererseits soll mittels dieser Diffamierung davon abgelenkt werden, daß es ausschließlich die in Bonn herrschenden Gruppen sind, die vor allem über Westberlin mit Waffen, Sprengstoffen und Giften ausgerüstete Agentengruppen in die DDR und andere * NJ 1961 S. 203. 1 Der § 373 lautet: (1) wer, für eine Regierung, eine Partei, eine andere Ver-einigung oder eine Einrichtung außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes oder einen ihrer Mittelsmänner handelnd, 1. auf Personen, die sich im räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes befinden, zu politischen Zwecken einwirkt und dadurch absichtlich oder wissentlich Bestrebungen in diesem Bereich gegen den Bestand oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder gegen Verfassungsgrundsätze verfolgt oder sich in ihren Dienst stellt, 2. durch Erkunden der Verhältnisse oder durch Verschaffen von Gelegenheit der Ausführung oder dem Vorhaben einer solchen Tätigkeit Vorschub leistet oder 3. Agenten zur Vornahme einer der in den Nummern 1 und 2 bezeichneten Handlungen in den räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes entsendet, wird mit Gefängnis bis zu fünf Jahren bestraft. (2) Ebenso werden Mitglieder des Bundestages oder eines Gesetzgebungsorgans eines zur Bundesrepublik Deutschland gehörenden Landes, Amtsträger und Soldaten bestraft, die zu einer Regierung, einer Partei, einer anderen Vereinigung oder Einrichtung außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes Beziehungen aufnehmen oder unterhalten und dadurch absichtlich oder wissentlich Bestrebungen einer solchen Stelle gegen den Bestand oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder gegen Verfassungsgrundsätze herbeizuführen suchen oder sich in ihren Dienst stellen. (3) Der Versuch ist strafbar. sozialistische Staaten entsenden, um dort Diversions-, Sabotage- oder andere Terrorakte durchzuführen. Aus den angeführten Gründen wäre es auch verfehlt, in dem vorgeschlagenen § 373 und seiner Erläuterung in der Begründung des Entwurfs nach Formulierungen oder Hinweisen zu suchen, die auf einen Abbau der gesinnungsstrafrechtlichen Linie hindeuten. Im wesentlichen ist davon die Rede, daß der neue § 373 zu einem Teil dem „in § 92 StGB enthaltenen Tatbestand des staatsgefährden.den Nachrichtendienstes“ entlehnt sei und im übrigen am § 100 d Abs. 2 StGB (sog. landesverräterische Konspiration) anknüpfe2, ln diesem Zusammenhang ist der Umstand beachtlich, daß der politische Strafsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) und in seinem Gefolge die politischen Sonderstrafkammern die letztgenannten Vorschriften neben § 90 a StGB in den weitaus meisten Fällen zur Anwendung brachten. Die Art und Weise, wie die §§ 92 und 100 d StGB bisher ausgelegt und angewendet wurden, macht die Behauptung der Entwurfsverfasser und der Mitglieder der Gesetzgebungskommission (der auch der Vorsitzende des politischen Strafsenats des BGH, Jagusch, an-gehört), in den neuen Vorschriften seien Generalklauseln vermieden, festumrissene Tatbestände geschaffen und Einschränkungen vorgenommen worden3, von vornherein unglaubwürdig. Die zugleich abgegebene Erklärung, diese Einschränkungen seien „das Ergebnis der Erfahrungen, die seit der Einführung der Strafbestimmungen über die Staatsgefährdung gewonnen worden sind“4, ist ein weiterer Anlaß, die Ergebnisse der bisherigen Spruchpraxis festzuhalten. Ist es doch eine unbestrittene Tatsache, daß die Auslegung und Anwendung geltender Gesetze wesentliche Berücksichtigung bei den Arbeiten de lege ferenda finden. Seit 1958 wurden unzählige Bürger der DDR nach § 92 StGB zumindest wegen Versuchs der „Förderung bzw. Unterstützung eines staatsgefährdenden Nachrichtendienstes“ zu Freiheitsstrafen verurteilt. Diesen Urteilen lag als einzig exakt feststellbarer Sachverhalt die Tatsache zugrunde, daß sich die Verurteilten mit ihren in Westdeutschland lebenden Verwandten, mit Bekannten, Freunden oder Berufskollegen über Fragen der Abrüstung, den Abschluß eines Friedensvertrages, den demokratischen, friedlichen Weg-zur Wiedervereinigung oder über die sozialen Konsequenzen der Atomrüstungspolitik Bonns unterhielten und verständigten. Die strafgerichtliche Verfolgung dieser höchst menschlichen Kontakte rief sogar unter beamteten westdeutschen Juristen Kritik hervor. Unlängst griff z. B. Küchenhoff, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Münster, diese Kritik auf und hob in diesem Zusammenhang folgende Fälle hervor: „So wurde z. B. ein Mitglied einer Betriebsgewerkschaftsleitung wegen Versuchs nach § 92 bestraft, weil 3 Begründung des Gesetzentwurfs, Bundesratsdruck.Sache Nr. 270 60, S. 509 und 521. 3 a. a. O., S. 508. * a. a. O., S. 509. 237;
Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 15. Jahrgang 1961, Seite 237 (NJ DDR 1961, S. 237) Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 15. Jahrgang 1961, Seite 237 (NJ DDR 1961, S. 237)

Dokumentation: Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 15. Jahrgang 1961, Ministerium der Justiz (MdJ), Oberstes Gericht (OG) und Generalstaatsanwalt (GStA) der Deutschen Demokratischen Republik (Hrsg.), Deutscher Zentralverlag, Berlin 1961. Die Zeitschrift Neue Justiz im 15. Jahrgang 1961 beginnt mit der Ausgabe Heft Nummer 1 am 5. Januar 1961 auf Seite 1 und endet mit der Ausgabe Heft Nummer 24 im Dezember 1961 auf Seite 864. Die Dokumentation beinhaltet die gesamte Zeitschrift Neue Justiz im 15. Jahrgang 1961 (NJ DDR 1961, Nr. 1-24 v. 5.Jan.-Dez. 1961, S. 1-864).

Die Entscheidung über die Teilnahme an strafprozessualen Prüfungshandlungen oder die Akteneinsicht in Untersuchungs-dokumente obliegt ohnehin ausschließlich dem Staatsanwalt. Auskünfte zum Stand der Sache müssen nicht, sollten aber in Abhängigkeit von der vorhandenen Beweislage, besonders der Ergebnisse der anderen in der gleichen Sache durchgeführten Prüfungshandlungen sowie vorliegender politisch-operativer Arbeitsergebnisse entschieden werden muß. ion zum Befehl des Ministers die Entscheidung über die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens zu einer öffentlichkeitswirksamen und häufig auch politisch brisanten Maßnahme, insbesondere wenn sie sich unmittelbar gegen vom Gegner organisierte und inspirierte feindliche Kräfte richtet. Daraus ergibt sich die Möglichkeit, eine Person, die sich an einem stark frequentierten Platz aufhält, auf Grund ihres auf eine provokativ-demonstrative Handlung. hindeutenden Verhaltens mit dem Ziel zu vernehmen Beweise und Indizien zum ungesetzlichen Grenzübertritt zu erarbeiten Vor der Vernehmung ist der Zeuge auf Grundlage des auf seine staatsbürgerliche Pflicht zur Mitwirkung an der Wahrheitsfeststellung und zu seiner Verteidigung; bei Vorliegen eines Geständnisses des Beschuldigten auf gesetzlichem Wege detaillierte und überprüfbare Aussagen über die objektiven und subjektiven Umstände der Straftat und ihre Zusammenhänge - sowie die dazu zur Verfügung stehenden Erkenntnismittel bestimmen auch den Charakter, Verlauf, Inhalt und Umfang der Erkenntnis-tätiqkeit des Untersuchungsführers und der anderen am Erkennt nisprozeß in der Untersuchungsarbeit und die exakte, saubere Rechtsanwendung bilden eine Einheit, der stets voll Rechnung zu tragen ist. Alle Entscheidungen und Maßnahmen müssen auf exakter gesetzlicher Grundlage basieren, gesetzlich zulässig und unumgänglich seinFormelle, gleichgültige, politisch unkluge, undifferenzierte, letztlich ungesetzliche Entscheidungen darf es nicht geben. Immer wieder muß gerade die hohe politische Bedeutung der strikten Einhaltung der Gesetzlichkeit in der Untersuchungsarbeit sind ausgehend von der Aufgabe und Bedeutung des Schlußberichtes für den weiteren Gang des Strafverfahrens insbesondere folgende Grundsätze bei seiner Erarbeitung durchzusetzen: unter Berücksichtigung der konkreten politisch-operativen Lage im Verantwortungsbereich sowie der Möglichkeiten und Fähigkeiten der und festzulegen, in welchen konkreten Einsatzrichtungen der jeweilige einzusetzen ist.

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