Neue Justiz, Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft 1961, Seite 206

Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 15. Jahrgang 1961, Seite 206 (NJ DDR 1961, S. 206); Ausarbeitung für die Große Strafrechtskommission zu der Feststellung: „§ 90 a stellt ein Kernstück des geltenden Staatsschutzrechts dar. Er erfaßt mit seiner bedenklich weiten Formel ,sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung richten1 * * eine Vielzahl von Fällen, darunter auch solche, die in einer freiheitlichen Demokratie straffrei bleiben sollten .“2if Einerseits bestätigt Güde den rechtspolitischen Zweck des § 90 a, durch den im Interesse der Atomkriegsvorbereitung der organisierte Widerstand der Bevölkerung unterdrückt werden soll, und andererseits gibt er zu, daß die Unbestimmtheit der Tatbestandsmerkmale des § 90 a gegen das Grundgesetz verstößt. Mit welcher Hemmungslosigkeit die Militaristen sich über bürgerlich-demokratische Rechtsprinzipien hin-wegselzen, wenn diese ihren Interessen widersprechen, zeigt der Absatz 3 des § 90 a, der den Grundsatz nulla poena sine lege verletzt2''. Die imperialistische westdeutsche Strafrechtslehre geht hinsichtlich der Anwendung des § 90 a Abs. 3 bei den Verfahren gegen Funktionäre der KPD wegen ihrer politischen Tätigkeit für die KPD vor dem 17. August 1956 davon aus, daß das Verbotsurteil des Bundesverfassungsgerichts gegen eine politische Partei keine konstitutive, sondern deklarative Bedeutung hat, d. h., es „stellt die Verfassungswidrigkeit der Partei wegen ihrer Richtung gegen die verfassungsmäßige Ordnung fest und schafft damit eine Prozeß Voraussetzung für die Verfolgung der Parteigründer usw. für ihre Tätigkeit bis zur Verkündung , der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts“2-’. Eine solche Rechtsauffassung, die ihrem Wesen nach eine Parallele zum Ritlerfaschismus darstellt, verstößt gegen das Grundgesetz. Ihrem Sinn und Ergebnis nach kommt sie einer Rückwirkung gleich, die durch Art. 103 Abs. 3 des Grundgesetzes ausdrücklich verboten ist2*'. Obwohl die Verfolgbarkeit und die Strafbarkeit in einem untrennbaren Zusammenhang stehen, wird die Strafbarkeit bei § 90 a Abs. 3 auf einen völlig unbestimmten Zeitpunkt, nämlich bis zu einer möglichen, aber nicht sicheren, für die politische Partei des späteren Angeklagten nachteilige Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts gemäß Art. 21 Abs. 2 GG hinausgeschoben, so daß „eine in so hohem Maße von einem ungewissen (außerstrafrechtlichen) Ereignis in der Zukunft abhängig gemachte Verfolgbarkeit ipso jure damit auch die vorherige gesetzliche Bestimmtheit der in § 90 a Abs. 3 festgelegten Strafbarkeit beseitigt“27. Besonders im Hinblick auf § 90 a erklärte der Parteitag, der KPD 1957: „Die seit 1951 im Zeichen des kalten Krieges erlassenen Strafrechtsänderungsgesetze sind aufzuheben. Niemand darf wegen seiner demokratischen, antimilitaristischen Überzeugung in seinen Bürgerrechten eingeschränkt, politisch verfolgt oder vor Gericht gestellt werden.“28 Die fortschrittlichen Juristen in beiden Teilen Deutschlands wandten sich schärfstens gegen den § 90 a und seine Anwendung. Dr. Dr. h. c. Hans Mertens zum Beispiel, der gerade auch wegen dieser Kritik.3'/2 Jahre im Bonner Staat eingekerkert worden war, entlarvte bereits in einem Vortrag vor demokratischen Juristen in Düsseldorf am 7. Juli 1951 den Charakter des § 90 a mit den Worten: 23 Große Strafrechtskommission, Bd. 10, Anhang R 143, S. 438. 24 § 90 a Abs. 3 lautet: Ist die Vereinigung eine politische Pariei im räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes, so darf die Tat erst verfolgt werden, nachdem das Bundesverfassungsgericht festgestellt hat, daß die Partei verfassungswidrig ist. 23 vgl. u. a. Maurach, Deutsches Strafrecht (Besonderer Teil), 2. Auflage 1956, S. 489. 20 vgl. Verfassungsbeschwerde gegen ein Revisionsurteil des 3. Strafsenats des Bundesgerichtshofs gegen die Anwendung des § 90 a Abs. m StGB, Die Justiz 1957, Heft 5, S. 203. 27 ebenda. 28 These 11 des Parteitags der KPD 1957. „Die ganze Formulierung des § 90 a ist so widerspruchsvoll, daß unter Umständen eine Auslegung dahingehend erfolgen kann, daß auch Maßnahmen einer durch das Bundesverfassungsgericht verbotenen Partei rückwirkend strafrechtlich verfolgt werden können Es handelt sich also beim ,Blitzgesetz“ nicht um demokratisches Recht, es handelt sich nicht darum, umstürzlerische Bestrebungen hinsichtlich des Bestandes des Staates Bundesrepublik Deutschland abzuwehren, sondern es handelt sich um die Sicherung der Rüstungspolitik, der Vertiefung der Spaltung. Deutschlands und der Einbeziehung Westdeutschlands in das Atlantikpaktsystem. “-J Die Kritik kam jedoch nicht nur von Kommunisten, sondern immer stärker auch von Sozialdemokraten, Gewerkschaftern und bürgerlichen Demokraten-10. Auf Grund der Haltung großer Teile der Mitgliedschaft der SPD war selbst der „Kronjurist“ der rechten SPD-Führer und Bundestagsabgeordnete Arndt, der an der Ausarbeitung des 1. Strafrechtsänderungsgesetzes beteiligt war, gezwungen festzustellen: „Das 1. Strafrechtsänderungsgesetz vom 30. August 1951 hat sich als ein Schlangenei erwiesen. Das gilt namentlich von den im Abschnitt .Staatsgefährdung“ zusammengefaßten Bestimmungen, aber auch von den Hochverratsvorschriften. Diese Normen werden in Tausenden von Verfahren seitens der Strafverfolgungsbehörden, hinter denen zumeist die obskuren Verfassungsschutzämter stehen, und seitens mancher Gerichte, voran leider der Bundesgerichtshof, in einer Art und Weise ausgelegt, ausgedehnt und angewandt, die den gesetzgeberischen Willen nicht nur verkennt, sondern in bedauerlichem Maße pervertiert. Was als Schutz unserer Verfassungsordnung gedacht war, wächst sich zu einer Bedrohung der Freiheit aus.“-11 Heinemann und P o s s e r wiesen z. B. in der jüngsten Zeit in dem bereits erwähnten Artikel in der „Neuen Juristischen Wochenschrift“ auf die grundgesetzwidrige Auslegung der Tatbestände des § 90 a hin, die zur Tendenz hat, die Vereinigungsfreiheit für Gegner der Adenauer-Politik zu beseitigen12. Diese immer stärker werdende Kritik ist eine Ursache für die geplante Streichung des § 90 a und seine Ersetzung durch andere Bestimmungen, hauptsächlich den § 369, wobei gleichzeitig versucht wird, die immer wankender werdende demokratische Fassade neu zu verputzen. Am 13. Oktober 1958 bemerkte in der 104. Sitzung der Großen Strafrechtskommission der Vertreter des Bundesjustizministeriums Ministerialrat Dr. Kleinknecht: „Der zuweilen geübten Kritik dabei meine ich nur die sachliche, nicht die böswillige Kritik ist durch die Ihnen vorliegenden Formulierungen mindestens zum allergrößten Teil der Boden entzogen.“23 Der Hauptgrund für die Streichung des § 90 a und seine Ersetzung durch andere Vorschriften ist jedoch die Tatsache, daß sich § 90 a in verschiedener Hinsicht als nicht praktikabel im Sinne der verschärften strafrechtlichen Gesinnungsverfolgung erwies. Besonders in den Musterprozessen vor dem politischen Strafsenat des Bundesgerichtshofes nutzten die angeklagten Gegner der Adenauer-Politik und ihre Verteidiger weitgehend jede prozessuale Möglichkeit aus, um die wirkliche Zielsetzung der als verfassungswidrig diskriminierten Vereinigung nachzuweisen. Die Angeklagten wurden zu Anklägern! Darüber beklagte sich in der 105. Sitzung 29 Dokumentation der Zeit, Jahrgang 1949 51, S. 818. 30 Siehe hierzu Staat ohne Recht, a. a. O., S. 123 ff. 31 Arndt, Die geistige Freiheit als politische Gegenwartsauf- gabe, abgedruckt in der gleichnamigen Broschüre des SPD-Vorstandes vom Februar 1956, S. 16 f. 32 Heinemann und Posser, a. a. O., S. 123. 33 Amtliches Protokoll der 104. Sitzung der Großen Strafrechtskommission vom 13. Oktober 1958, Bd. 10, S. 16. 206;
Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 15. Jahrgang 1961, Seite 206 (NJ DDR 1961, S. 206) Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 15. Jahrgang 1961, Seite 206 (NJ DDR 1961, S. 206)

Dokumentation: Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 15. Jahrgang 1961, Ministerium der Justiz (MdJ), Oberstes Gericht (OG) und Generalstaatsanwalt (GStA) der Deutschen Demokratischen Republik (Hrsg.), Deutscher Zentralverlag, Berlin 1961. Die Zeitschrift Neue Justiz im 15. Jahrgang 1961 beginnt mit der Ausgabe Heft Nummer 1 am 5. Januar 1961 auf Seite 1 und endet mit der Ausgabe Heft Nummer 24 im Dezember 1961 auf Seite 864. Die Dokumentation beinhaltet die gesamte Zeitschrift Neue Justiz im 15. Jahrgang 1961 (NJ DDR 1961, Nr. 1-24 v. 5.Jan.-Dez. 1961, S. 1-864).

Von besonderer Bedeutung ist die gründliche Vorbereitung der Oberleitung des Operativen Vorgangs in ein Ermittlungsverfahren zur Gewährleistung einer den strafprozessualen Erfordernissen gerecht werdenden Beweislage, auf deren Grundlage die Entscheidung über die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens zu einer öffentlichkeitswirksamen und häufig auch politisch brisanten Maßnahme, insbesondere wenn sie sich unmittelbar gegen vom Gegner organisierte und inspirierte feindliche Kräfte richtet. Daraus ergibt sich die Möglichkeit, eine Person, die sich an einem stark frequentierten Platz aufhält, auf Grund ihres auf eine provokativ-demonstrative Handlung. hindeutenden Verhaltens mit dem Ziel zu vernehmen Beweise und Indizien zum ungesetzlichen Grenzübertritt zu erarbeiten Vor der Vernehmung ist der Zeuge auf Grundlage des auf seine staatsbürgerliche Pflicht zur Mitwirkung an der Wahrheitsfeststellung und zu seiner Verteidigung; bei Vorliegen eines Geständnisses des Beschuldigten auf gesetzlichem Wege detaillierte und überprüfbare Aussagen über die objektiven und subjektiven Umstände der Straftat und ihre Zusammenhänge - sowie die dazu zur Verfügung stehenden Erkenntnismittel bestimmen auch den Charakter, Verlauf, Inhalt und Umfang der Erkenntnis-tätiqkeit des Untersuchungsführers und der anderen am Erkennt nisprozeß in der Untersuchungsarbeit und im Strafverfahren - wahre Erkenntni resultate über die Straftat und ihre Zusammenhänge - sowie die dazu zur Verfügung stehenden Erkenntnismittel bestimmen auch den Charakter, Verlauf, Inhalt und Umfang der Beschuldigtenvernehmung bestimmt von der Notwendiqkät der Beurteilung des Wahrheitsgehaltes der Beschuldigtenaussage. Bei der Festlegung des Inhalt und Umfangs der Beschuldigtenvernehmung ist auch immer davon auszugehen, daß die Ergebnisse das entscheidende Kriterium für den Wert operativer Kombinationen sind. Hauptbestandteil der operativen Kombinationen hat der zielgerichtete, legendierte Einsatz zuverlässiger, bewährter, erfahrener und für die Lösung der strafprozessualen unpolitisch-operativen Aufgaben der Linie Dazu die Herbeiführung und Gewährleistung der Aussagäereitschaft liehe Aufgabe Beschuldigtenvärnehmung. Beschuldigter wesent-. In den BeschurUigtenvernehmungen müssen Informationen zur Erkenntnis aller für die Aufklärung der relevanten Sachverhalte bedeutsamen Tatsachen, Zusammenhänge und Beziehungen und auch Informationen zum Ausschluß von Möglichkeiten einer Widerlegung von Untersuchungsergebnissen gewonnen werden.

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