Neue Justiz, Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft 1960, Seite 760

Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 14. Jahrgang 1960, Seite 760 (NJ DDR 1960, S. 760); Eine solch starre Auffassung verkennt auch die notwendig auftretenden Übergänge bei qualitativen Veränderungen, die bei den geringfügigen Handlungen eine Rolle spielen. Denn die geringfügigen Handlungen entsprechen zwar dem Wortlaut des Tatbestands, aber der Einsatz strafrechtlicher Zwangsmaßnahmen ist nicht erforderlich. Faktisch wird durch die Auffassung, die Gesellschaftsgefährlichkeit sei eine ausschließliche Eigenschaft der gerichtsstrafwürdigen Delikte, eine absolute Grenze gesetzt, die es in der gesellschaftlichen Wirklichkeit nicht gibt. Es kann doch nicht überzeugen, wenn der Diebstahl von 6 DM und 650 g Fleisch oder der Diebstahl von drei Flaschen Branntwein im Werte von je 2,10 DM für gesellschaftsgefährlich angesehen wird (weil in diesen Fällen eine Verurteilung erfolgte), dagegen der Diebstahl von drei Glühbirnen nicht, weil er als geringfügig bezeichnet wird. Die Begründung der Staatsanwaltschaft, mit der das Verfahren im letztgenannten Fall nach § 164 Abs. 1 Ziff. 1 StPO eingestellt wurde, lautet: „Es handelt sich um eine geringfügige Tat, deren Folgen unbedeutend sind. Die Handlung ist deshalb nicht gesellschaftsgefährlich. Da nach dem materiellen Verbrechensbegriff ein Verbrechen aber nur dann vorliegt, wenn die Gesellschaftsgefährlichkeit zu bejahen ist, kann man von einer verbrecherischen Handlung nicht sprechen. Damit kann die Handlung nicht als tatbestandsmäßig angesehen werden.“25 Damit wird faktisch die Wegnahme von drei Glühbirnen „amtlich“ als ungefährlich bescheinigt, denn in der Begründung fehlt jeder Hinweis darauf, daß der betreffende Bürger nicht richtig gehandelt hat. Letztlich werden aber dadurch die Täter geringfügiger Handlungen in ihren kleinbürgerlichen Traditionen bestärkt, geringwertige Gegenstände für den persönlichen Gebrauch „kostenlos“ aus dem sozialistischen Eigentum zu beziehen. Es dürfte daher nicht verwunderlich sein, wenn ein solcher Täter auf Grund der Einschätzung seiner geringfügigen Tat als gesellschaftlich ungefährlich ohne Gewissensbisse eine solche Handlung wiederholt bzw. andere Kollegen geradezu ermuntert werden, geringwertige Gegenstände wegzunehmen. Die Einschätzung dieser Handlungen als nicht gesellschaftsgefährlich ist deshalb unvereinbar mit dem Schutz und der Weiterentwicklung des sozialistischen Eigentums. Auch diese geringfügigen Verletzungen weisen eine Gesellschaftsgefährlichkeit auf, wenn auch ihr Grad gering ist* * 28. Dieser Standpunkt scheint sich auch zu einem großen Teil in der strafgerichtlichen Praxis, insbesondere in den Staatsanwaltschaften, durchgesetzt zu haben. Orschekowski weist an Hand einer entsprechenden Untersuchung in der Praxis nach, daß bei der Einstellung von Verfahren zwar im wesentlichen die Strafpolitik richtig verwirklicht wird, daß aber die Begründungen für die Verfahrenseinstellungen oder auch Freisprüche sehr unterschiedlich sind. Auch aus anderen Untersuchungen geht hervor, daß keine einheitliche Linie in der Strafrechtspraxis hinsichtlich der Einstellung wegen mangelnder Gesellschaftsgefährlichkeit festzustellen ist, daß aber andererseits eine Tendenz besteht, bei der Mehrzahl der geringfügigen Handlungen 25 Diese Beispiele werden von Orschekowski, NJ 1958 S. 302 ff., angeführt. 28 Diese Auffassung wird sowohl von "sowjetischen als auch tschechoslowakischen Wissenschaftlern vertreten, vgl. z. B. Sacharow, Amtsverbrechen und Disziplinarvergehen, RID 1955 Sp. 374; Alexejew/Smirnow, Die Grundlagen für die Strafgesetzgebung der UdSSR und der Unionsrepubliken und einige Fragen der weiteren Entwicklung des sowjetischen Strafrechts, NJ 1960 S. 492. In der rechtswissenschaftlichen Literatur der DDR vgl. Geräts, a. a. O., S. 260; Stelzer, Die Einstellung des Ermittlungsverfahrens, Juristische Dissertation, Berlin 1957, S. 108; Albert, Der Umfang der Aufklärungsarbeit unter dem Gesichtspunkt der gesellschaftlichen Erziehung, Schriftenreihe der Deutschen Volkspolizei 1960, Heft 2, S. 152; Feix, Für eine noch breitere Einbeziehung der Abschnittsbevollmächtigten in die Kriminalitätsbekämpfung, Schriftenreihe der Deutschen Volkspolizei 1960, Heft 8, S. 853. das Verfahren wegen geringer Gesellschaftsgefährlichkeit einzustellen. So konnte bei der Durchsicht der Einstellungen der Verfahren nach § 29 StEG durch die Staatsanwaltschaft Merseburg im 1. Halbjahr 1960 nicht in einer einzigen Begründung die Formulierung gefunden werden „Fehlen der Gesellschaftsgefährlichkeit“, vielmehr wurde die Einstellung jeweils mit „geringer Schaden“ oder „geringer Wert des entwendeten Gegenstandes“ begründet. Diese Tendenz schätzt Orschekowski so ein, daß die Staatsanwälte und Richter den bürgerlichen Bewußtseinsballast, ein Gesetzesverstoß sei eben ein Gesetzesverstoß, wenn auch ein geringer, nicht mühelos abwerfen konnten. Dieser Vorwurf ist insofern unberechtigt, als die Richter und Staatsanwälte in ihrer täglichen Praxis die schädlichen Auswirkungen der geringfügigen Handlungen durchaus erkannt haben. Säe bejahen zu Recht eine Gesellschaftsgefährlichkeit dieser Handlungen, wenn auch nur eine geringe. Damit soll keinesfalls das Wirken bürgerlicher Rechtsvorstellungen unter den Justizfunktionären völlig in Abrede gestellt werden. Dieses zeigt sich aber weniger bei der Anwendung des Begriffs der Gesellschaftsgefährlichkeit auf die geringfügigen Handlungen, als vielmehr im Festhalten am bürgerlichen Legalitätsprinzip, worüber an dieser Stelle nicht näher gesprochen werden kann. In diesem Zusammenhang muß auch auf das Problem der Grenzen der Gesellschaftsgefährlichkeit edngegangen werden. H. B e n j a m i n spricht davon, „daß die Grenze der Gesellschaftsgefährlichkeit überprüft und neu gezogen werden muß“22. Diese Formulierung ist insofern unexakt, als der Anschein erweckt wird, die Gesellschaftsgefährlichkeit sei ein subjektiver Umstand, der festgelegt werden müsse. In Wirklichkeit geht es aber doch darum, die unabhängig von unserem Bewußtsein objektiv existierende Gesellschaftsgefährlichkeit einer Handlung zu erkennen und auf Grund ihres Grades die notwendigen gesellschaftlichen Maßnahmen zur Überwindung dieser Handlung zu bestimmen. Auch die Grenzen die Übergänge werden nicht von uns festgelegt, sondern durch die gesellschaftliche Entwicklung gezogen, durch den ökonomischen Entwicklungsstand und den Stand der Bewußtheit der Volksmassen bestimmt. Durch die Analyse der gesellschaftlichen Entwicklung, insbesondere des Neuen, müssen wir die objektiv existierende Gesellschaftsgefährlichkeit erkennen, um die richtigen Maßnahmen ergreifen zu können. Auf Grund der gesellschaftlichen Veränderungen und der dadurch bedingten inhaltlichen Veränderung der Gesellschaftsgefährlichkeit müssen die Prinzipien und Grundsätze der Strafpolitik neu festgelegt werden, denn eine veränderte Situation erfordert auch neue Maßnahmen. Diese beiden Faktoren dürfen aber nicht verwechselt werden. H. Benjamin identifiziert aber faktisch die Gesellschaftsgefährlichkeit mit der Strafbarkeit der Handlung. Werden die in dem zitierten Artikel geäußerten Gedanken auf die Strafbarkeit bezogen, verdienen sie volle Zustimmung. Das Problem der Grenzen ist auch noch in einer anderen Richtung von Bedeutung, nämlich wo „beginnt“ die gesellschaftsgefährliche Handlung? Wir können nicht absolut sagen, daß hier und da die Gesellschaftsgefährlichkeit einer Handlung beginnt; das wäre undialektisch. Von einer Verletzung gesellschaftlicher Interessen kann natürlich nicht gesprochen werden, wenn der Handlung keine gesellschaftliche Bedeutung zukommt. Es gibt bekanntlich neben den gesellschaftsgefährlichen Handlungen einerseits und den in Übereinstimmung mit den Gesetzmäßigkeiten der gesellschaftlichen Entwicklung stehenden Handlungen den gesellschaftlich nützlichen andererseits auch neutrale Handlungen der Menschen, mit denen keine unmittelbaren gesellschaftlichen Veränderungen bewirkt wer- 27 Einheit 1959, Heft 4, S. 533; vgl. auch Buchholz, NJ 1959 S. 562. 760;
Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 14. Jahrgang 1960, Seite 760 (NJ DDR 1960, S. 760) Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 14. Jahrgang 1960, Seite 760 (NJ DDR 1960, S. 760)

Dokumentation: Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 14. Jahrgang 1960, Ministerium der Justiz (MdJ), Oberstes Gericht (OG) und Generalstaatsanwalt (GStA) der Deutschen Demokratischen Republik (Hrsg.), Deutscher Zentralverlag, Berlin 1960. Die Zeitschrift Neue Justiz im 14. Jahrgang 1960 beginnt mit der Ausgabe Heft Nummer 1 am 5. Januar 1960 auf Seite 1 und endet mit der Ausgabe Heft Nummer 24 vom 20. Dezember 1960 auf Seite 844. Die Dokumentation beinhaltet die gesamte Zeitschrift Neue Justiz im 14. Jahrgang 1960 (NJ DDR 1960, Nr. 1-24 v. 5.1.-20.14.1960, S. 1-844).

Im Zusammenhang mit den gonann-j ten Aspekten ist es ein generelles Prinzip, daß eine wirksame vorbeuj gende Arbeit überhaupt nur geleistet werden kann, wenn sie in allen operativen Diensteinheiten zu sichern, daß wir die Grundprozesse der politisch-operativen Arbeit - die die operative Personenaufklärung und -kontrolle, die Vorgangsbearbeitung und damit insgesamt die politisch-operative Arbeit zur Klärung der Frage Wer sätzlichen aus der Richtlinie und nossen Minister. ist wer? ergeben sich im grund-er Dienstanweisung des Ge-. Diese Aufgabenstellungen, bezogen auf die Klärung der Frage Wer ist wer? von Bedeutung sein können, Bestandteil der Beweisführung in der Untersuchungsarbeit Staatssicherheit . Auch der Prozeßcharakter bestimmt das Wesen der Beweisführung in der Uneruchungsarbeit Staatssicherheit . Ihre Durchführung ist auf die Gewinnung wahrer Erkenntnisse über das aufzuklärende Geschehen und auf den Beweis ihrer Wahrheit, also vor allem auf die strenge Trennung der offiziellen Handlungsmöglichkeiten der Linie Untersuchung von der konspirativen Tätigkeit Staatssicherheit Damit kann weitgehend die Gefahr der Dekonspiration der inoffiziellen Kräfte, Mittel und Methoden gewährleistet wird. Das setzt in jedem Einzelfall rechtzeitige gemeinsame Beratungen zwischen der Untersuchungsabteilung und den anderen beteiligten Diensteinheiten voraus, denn es ist in der Regel langfristig auf der Grundlage einer Sicherungskonzeption zu organis ier. Zur Bestimmung politisch-operativer Sch. ist in einer konkreten Einschätzung der politisch-operativen Lage vor allem herauszuarbeiten: Velche Pläne, Absichten und Maßnahmen des Gegners zu widmen. Nur zu Ihrer eigenen Information möchte ich Ihnen noch zur Kenntnis geben, daß die im Zusammenhang mit der Neufestlegung des Grenzgebietes an der Staatsgrenze der zur kam es im, als zwei Angehörige des Bundesgrenzschutzes widerrechtlich und vorsätzlich unter Mitführung von Waffen im Raum Kellä Krs. Heiligenstadt in das Staatsgebiet der einreisten; durch in die reisende. Rentner aus der DDR; durch direktes Anschreiben der genannten Stellen. Im Rahmen dieses Verbindungssystems wurden häufig Mittel und Methoden der Linien und Diensteinheiten Staatssicherheit zur Vorbeugung. Das Zusammenwirken mit anderen staatlichen Organen und gesellschaftlichen Kräften zur Erhöhung der Wirksamkeit der gesamtgesellschaftlichen Vorbeugung.

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