Neue Justiz, Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft 1959, Seite 765

Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 13. Jahrgang 1959, Seite 765 (NJ DDR 1959, S. 765); Der Verteidiger des Angeklagten L. verneint die Schuld des Angeklagten an der Verursachung der Tötung und Körperverletzung der bei dem Unfall geschädigten Arbeiter. Er meint, der Angeklagte könne nur wegen Verletzung der ASchVO bestraft werden. Richtig hat er hervorgehoben, daß ein Verschulden an der Herbeiführung des Unfalles nur vorliegt, wenn der Angeklagte die Folgen des Austritts von Kohlenstaub, die in der Beschädigung des Lebens und der Gesundheit von Werktätigen bestehen, vorausgesehen hat oder hätte voraussehen können und müssen und dennoch pflichtwidrig nichts zur Abwendung dieser Gefahren unternommen hat. Seine weiteren Ausführungen, diese Voraussetzungen wären nur gegeben gewesen, wenn der Angeklagte L. die ASAO Nr. 523 konkret gekannt hätte, gehen jedoch fehl. Es mag zutreffen, daß der Angeklagte nur ungenügende technische Kenntnisse besaß, um die einzelnen Gefahrenquellen aus dieser Sachkenntnis heraus aufdecken zu können, daß er erst auf wiederholtes Zureden im Jahre 1956 die Funktion als Sicherheitsinspektor übernommen hat und daß er von der Werkleitung und der Arbeitsschutzinspektion hätte besser angeleitet werden müssen. Es ist aber ebenso eine Tatsache, daß in einem Staat, in dem erst vor wenigen Jahren die Arbeiterklasse die herrschende Klasse geworden ist, die notwendigen Kader nicht fertig vorhanden sind, sondern erst aus den Reihen der Arbeiterklasse herangebildet werden müssen und daß sich jeder neu in ein Arbeitsgebiet eingesetzte Funktionär erst einarbeiten und Erfahrurigen sammeln muß. Das erfordert andererseits aber auch Eigeninitiative des einzelnen Funktionärs, um sich fehlende Kenntnisse zu verschaffen, damit er der Gesellschaft das geben kann, was von ihm erwartet wird. Hieran hat es beim Angeklagten gefehlt. Vom Angeklagten L., dessen spezielle und alleinige Aufgabe darin bestand, als' Gehilfe des Werkleiters für die Durchsetzung des Arbeitsschutzes zu sorgen, konnte entgegen der Ansicht des Verteidigers durchaus die Durchsicht des Verzeichnisses über die bisher erschienenen ASAO verlangt werden, um die für den Betrieb in Frage kommenden beschaffen zu lassen. Hierzu war er wegen seiner nur ungenügenden technischen Kenntnisse besonders verpflichtet; denn diese ASAO sollen den Arbeitsschutz auch dort durchsetzen helfen, wo die Funktionäre mangels eigener Fachkenntnisse nicht alle Unfallquellen erkennen können. Abgesehen davon, daß ihm nicht geglaubt werden kann, er habe von der Gefährlichkeit des Kohlenstaubes, die jeder Arbeiter des Betriebes kannte, im Laufe seiner über sechsjährigen Tätigkeit im Flanschenwerk nichts erfahren, wäre er bei ordentlicher Durchführung seiner Arbeit eindringlich darauf hingewiesen worden. Hätte er sich mit seinem Haupthandwerkzeug, dem Handbuch für Arbeitsschutz, befaßt, dann hätte er bereits bei Durchsicht des Inhaltsverzeichnisses den Abschnitt über Kohlen- und Koksstaub beachtet. Er hätte sich, da das Vorhandensein einer großen Kohlenstaubanlage im Betrieb nicht zu übersehen war, mit den darüber im Handbuch enthaltenen Ausführungen vertraut gemacht und dabei eindringlich die außerordentlichen Gefahren beim Umgang mit Kohlenstaub erkannt und für die Anschaffung der speziellen ASAO gesorgt. Der Angeklagte hat es auch nicht verstanden, die breite Mitwirkung der Arbeiter des Betriebes und ihrer gewerkschaftlichen Organe zur Verbesserung seiner und des Werkleiters Leitungstätigkeit auf dem Gebiete des Arbeitsschutzes zu organisieren und diese somit in die Leitungstätigkeit einzubeziehen. Das wäre ihm um so schneller gelungen, je besser er es verstanden hätte, den Werktätigen klarzulegen, daß die Belange des Arbeitsschutzes mit den Bemühungen um Steigerung der Arbeitsproduktivität untrennbar verbunden 6ind und daß das Ziel der Produktion im Sozialismus nur darauf gerichtet ist, den Menschen ein besseres Leben zu sichern. Dazu gehört die Gesunderhaltung der Menschen, nicht nur, damit sie produzieren, sondern damit sie auch an den Früchten ihrer Arbeit teilhaben können. Wäre er diesen Weg gegangen, dann hätte er auch auf diese Weise die Gefahrenquellen im Betrieb schneller erkannt. Besonders wertvoll wäre die Ausnutzung der Erfahrungen langjähriger Arbeiter an bestimmten Maschinen und Anlagen gewesen, wie etwa die des Arbeiters W., der jahrzehntelang die Kohlenstaubanlage bediente. Sie hätte zu einer bedeutenden Verbesserung der Arbeitsschutzmaßnahmen an der Kohlenstaubanlage, noch über die in der ASAO Nr. 523 enthaltenen Mindestforderungen hinaus, geführt Hieraus ergibt sich, daß der Angeklagte L. bei gewissenhafter Erfüllung seiner Pflichten die Gefahren der Kohlenstaubanlage und die Möglichkeit eines Unfalles hätte erkennen können und müssen. Er ist daher nicht nur der Verletzung der ASchVO, sondern auch der fahrlässigen Tötung und der fahrlässigen Körperverletzung schuldig. Bei der Gesamtbewertung des strafbaren Verhaltens der Angeklagten war in erster Linie davon auszugehen, daß die Angeklagten leichtfertig und sorglos die Gesundheit und das Leben der Werktätigen schwer schädigten. Wiederholt hat die Partei der Arbeiterklasse, der auch die Angeklagten angehörten, den Leitungskadern ausführlich und geduldig dargelegt, daß sie die wichtige Aufgabe haben, Menschen zu einem sozialistischen Kollektiv zu erziehen, und daß dazu die Sorge um den Menschen als oberstes Gebot eines sozialistischen Staates gehört. Deshalb wurde auch in der Einleitung zur ASchVO ausdrücklich festgelegt, daß die Fragen des Arbeitsschutzes in den Brennpunkt der Aufmerksamkeit aller Leiter der Wirtschaftsorgane der Betriebe und derjenigen gehören, die mit der technischen Sicherheit und den Kontrolle der Einhaltung des Arbeitsschutzes beauftragt sind. Diesen Grundsatz des Arbeitsschutzes haben die Angeklagten gröblichst mißachtet. Durch die Vernachlässigung des Arbeitsschutzes wirkten sie dem ökonomischen Fortschritt in der Produktion und damit der Lösung der ökonomischen Hauptaufgabe entgegen, schafften eine Atmosphäre der Unsicherheit unter den Arbeitern und verschärften den Mangel an Arbeitskräften. Besonders schwerwiegend fällt ins Gewicht, daß vier Arbeiter getötet und vier zum Teil erheblich verletzt worden sind. Allein dem Umstand, daß sich zur Zeit des Unfalls nur wenige Arbeiter in der Halle aufhielten, ist es zu verdanken, daß nicht noch schwerere Folgen eintraten. Neben, der Gefährdung der Sicherheit einer großen Anzahl von Arbeitern ist der durch den von den Angeklagten herbeigeführten Unfall entstandene Produktionsausfall von 80 90 TDM ein besonders erschwerender Umstand. Daß sich die Angeklagten um den wichtigen Betriebsteil, die Schmiede, von der sie wußten, daß sie vermittels einer besondere Gefahren in sich bergenden Kohlenstaubanlage betrieben wird, so wenig gekümmert haben, daß nicht die minimalste Sicherheit gewährleistet war, legt ihnen, als den vom Staat der Arbeiter und Bauern berufenen verantwortlichen Wirtschaftsfunktionären, eine besonders schwere Schuld auf. Daran ändert auch der Umstand nichts, daß die betrieblichen Gewerkschaftsorgane die ihnen übertragenen Kontrollrechte nicht genügend wahrgenommen sowie einige andere mit der Gewährleistung der Sicherheit befaßten Stellen ungenügend angeledtet und kontrolliert haben. Dadurch wird die Eigenverantwortlichkeit der Angeklagten nicht berührt. Die Angeklagten kann auch nicht entlasten, daß sie glaubten, sich auf W., der als zuverlässiger Arbeiter galt, verlassen zu können. Darin liegt eine Unterschätzung der Arbeitsschutzanordnungen, die eine Verallgemeinerung der Gesamterfahrungen zur Gewährleistung der Sicherheit an gleichen oder ähnlichen Betriebsanlagen enthalten. Aufgabe der Angeklagten wäre es gewesen, auf der Grundlage der langjährigen Erfahrungen des W. die ASAO Nr. 523, die lediglich Mindestforderungen enthält, entsprechend den betrieblichen Bedingungen zu ergänzen, wie es in § 1 der ASA.O Nr. 1 vorgeschrieben ist. Insoweit wäre es auch Aufgabe der betrieblichen Gewerkschaftsorgane gewesen, das darin zum Ausdrude kommende Recht der Werktätigen auf maximalen Arbeitsschutz mit zu organisieren und von ihrem Kontrollrecht Gebrauch zu machen. Auf der anderen Seite ist zu berücksichtigen, daß die Angeklagten in anderer Weise ihre Pflichten als Wirtschaftsfunktionäre und als Bürger der Deutschen Demokratischen Republik erfüllt haben. Der Angeklagte Sch. war zur Zeit des Unfalls ein Jahr und drei Monate in diesem Betrieb als Werkleiter 765;
Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 13. Jahrgang 1959, Seite 765 (NJ DDR 1959, S. 765) Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 13. Jahrgang 1959, Seite 765 (NJ DDR 1959, S. 765)

Dokumentation: Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 12. Jahrgang 1958, Ministerium der Justiz (MdJ), Oberstes Gericht (OG) und Generalstaatsanwalt (GStA) der Deutschen Demokratischen Republik (Hrsg.), Deutscher Zentralverlag, Berlin 1958. Die Zeitschrift Neue Justiz im 12. Jahrgang 1958 beginnt mit der Ausgabe Heft Nummer 1 am 5. Januar 1958 auf Seite 1 und endet mit der Ausgabe Heft Nummer 24 vom 20. Dezember 1958 auf Seite 868. Die Dokumentation beinhaltet die gesamte Zeitschrift Neue Justiz im 12. Jahrgang 1958 (NJ DDR 1958, Nr. 1-24 v. 5.1.-20.12.1958, S. 1-868).

Der Minister für Staatssicherheit orientiert deshalb alle Mitarbeiter Staatssicherheit ständig darauf, daß die Beschlüsse der Partei die Richtschnur für die parteiliche, konsequente und differenzierte Anwendung der sozialistischen Rechtsnormen im Kampf gegen den Feind und bei der weiteren Entwicklung der sozialistischen Gesellschaft. Die höheren Sicherheits-erfordernisse sowie die veränderten politischen und politisch-operativen Lagebedingungen stellen höhere Anforderungen an die Leitungstätigkeit in der Linie. Die weitere Qualifizierung und Vervollkommnung der Tätigkeit der Leiter aller Ebenen ist eine grundlegende Voraussetzung für die Realisierung des erforderlichen Leistungsanstieges in der Untersuchungsarbeit Staatssicherheit im Ermittlungsverfahren Vertrauliche Verschlußsache . Die weitere Vervollkommnung der Vernehmungstaktik bei der Vernehmung von Beschuldigten und bei Verdächtigenbefragungen in der Untersuchungsarbeit Staatssicherheit Vertrauliche Verschlußsache - Zu : Trotz Begründung des Verdachts einer Straftat kann es unter Berücksichtigung aller politisch, politisch-operativ und strafrechtlich relevanten Umständen zweckmäßig und angebracht sein, auf die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen die gleiche Person anzugeben, weil die gleichen Ermittlungsergebnisse seinerzeit bereits Vorlagen und damals der Entscheidung über das Absehen von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens könnte unter Berücksichtigung der anstehenden Novellierung der Straf Prozeßordnung der Beginn des zweiten Abschnitts des dritten Kapitels folgende gesetzestechnische Ausgestaltung erhalten: Zweiter Abschnitt Prüfung der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens könnte unter Berücksichtigung der anstehenden Novellierung der Straf Prozeßordnung der Beginn des zweiten Abschnitts des dritten Kapitels folgende gesetzestechnische Ausgestaltung erhalten: Zweiter Abschnitt Prüfung der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens könnte unter Berücksichtigung der anstehenden Novellierung der Straf Prozeßordnung der Beginn des zweiten Abschnitts des dritten Kapitels folgende gesetzestechnische Ausgestaltung erhalten: Zweiter Abschnitt Prüfung der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens; an ausgewählte Prüfungshandlungen sowie an die abschließenden Entscheidungen herausgearbeitet und begründet. Hierauf beruhend wurden von den Autoren Vorschläge zur Neukodifizierung der StrafProzeßordnung unterbreitet.

 Arthur Schmidt  Datenschutzerklärung  Impressum 
Diese Seite benutzt Cookies. Mehr Informationen zum Datenschutz
X