Neue Justiz, Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft 1959, Seite 420

Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 13. Jahrgang 1959, Seite 420 (NJ DDR 1959, S. 420); Kleiderschränken seiner Kameraden Geld und Rauchwaren. Später unternahm er regelrechte Einbrueh-diebstähle in mehreren Kaufläden, wo ihm eine zum Teil nicht unbeträchtliche Diebesbeute in die Hände fiel. Auffallend ist im Persönlichkeitsbild des Sch., daß er schon in der Vorpubertät mit Eigentumsvergehen begonnen hat. Obwohl die Umwelt des Sch. die beste war und Erziehungsfehler keineswegs Vorlagen, machte er sich schon früh strafbar und wurde immer wieder rückfällig. Es dürfte also der wohl von der Mutter her ererbten Neigung zum asozialen Leben das Hauptgewicht unter den Antriebskräften zu seinen Taten zuzuschreiben sein. Es handelt sich demnach um einen anlagebedingten Neigungstäter, für den die Prognose seiner künftigen Haltung zu liecht und Gesetz wenig günstig sein dürfte.“25 So sieht die praktische Anwendung der mit vielen psychiatrischen und biologischen Fachausdrücken verbrämten Tätertypenlehre aus. Der unsolide Lebenswandel der unbekannten leiblichen Mutter und die „Entwendung“ von Zigaretten des Pflegevaters im Alter von 12 Jahren genügen, um einen 15jährigen wegen einiger Diebstähle in die Gruppe der „zukünftigen Gewohnheitsverbrecher“ einzuordnen. Die kriminalbiologisch ausgerichteten westdeutschen Juristen und Psychiater können faktisch jeden beliebigen zufälligen und auffälligen Umstand aus der Herkunft und Kindheitsentwicklung eines Jugendlichen dazu verwenden, „schädliche Neigungen“ zu erfinden. Die in die Gruppe der „Neigungstäter“ oder „Früh-kriminellen“ eingestuften Jugendlichen werden von allen Vergünstigungen ausgeschlossen; für sie kommen schärfere Maßnahmen zur Anwendung als sie nach dem allgemeinen Strafrecht zulässig sind, wie z. B. die unbestimmte Verurteilung oder eine höhere Freiheitsstrafe, als sie in der Sanktion des verletzten Strafgesetzes vorgesehen ist. JHeute rückt man in der Bundesrepublik wieder wie in der Zeit des Hitlerfaschismus das Problem der sog. besserungsunfähigen Jugend in den Mittelpunkt der Betrachtungen. Als Schrittmacher auf diesem Gebiet fungiert der schon erwähnte Kriminologe Frey, der sich seit Jahren die erdenklichste Mühe gibt, dem faschistischen Ausleseprinzip in Westdeutschland wieder volle Geltung zu verschaffen. Auf der Berliner Tagung über Stand und Neuordnung der Jugendgerichtsbarkeit vom 22. bis 26. Mai 1949 zu einer Zeit also, in der viele Zehntausende junger Menschen durch die Kriegs- und Nachkriegsereignisse aus der Bahn geworfen waren vertrat er bereits die These, daß 25 Prozent der jugendlichen Kriminellen unerziehbar seien und sich infolge ihrer Veranlagung unweigerlich zu späteren' Gewohnheitsverbrechern entwickeln. Zwei Jahre später, auf der 6. Tagung der Kriminalbiolo-gischen Gesellschaft in München im Oktober 1951, teilte Frey mit, daß es ein von ihm ausgearbeitetes Prognosesystem ermöglicht, „die latenten Gewohnheitsverbrecher schon im Jugendalter zu erkennen, und den Jugendstrafbehörden und später den Erwachsenenstrafbehörden erlaubt, diese Kemtruppen unter den Frühkriminellen aus der Masse aller jugendlichen Rechtsbrecher frühzeitig auszuscheiden und spezifischer Sonderbehand-lung, die weitgehend Sicherungscharakter haben muß, zuzuführen.“26 Im gleichen Jahre veröffentlichte Frey seine Vorschläge über „Reformen des Maßnahmenrechts gegen Frühkriminelle“. Danach soll diese Gruppe straffälliger Jugendlicher bis zum 25. Lebensjahr in Jugendverwahrungsanstalten und erforderlichenfalls anschließend in der Sicherungsverwahrung für Erwachsene untergebracht werden. Die Vorschläge gipfeln in folgendem: „Die Reform der Kriminalpolitik muß weit über den Rahmen einer Revision des Strafrechts und der Strafrechtspflege hinausgehen: wo der Wirkungsbereich der Strafrechtspflege aufhört, da beginnen die Aufgaben der Erbpflege Wir müssen es endlich 25 ebenda. 25 Frey, in: Der Jugendliche im Lichte der Kriminalbiologie, München 1952, S. 47. wagen, das Übel an der Wurzel anzufassen. Wir stellen darum in voller Kenntnis der heutigen Verpönt-heit des Begriffes das Postulat auf, daß später einmal eugenische Maßnahmen eine der Grundlagen gesunder und erfolgreicher Kriminalpolitik werden müssen.“27 Was Frey hier fordert, ist nichts anderes als die Wiedereinführung der von den Hitlerfaschisten praktizierten „rassenhygienischen“ Verbrechensbekämpfung mittels Kastration, Sterilisation und anderer in den Vernichtungslagern erprobter „erbpflegerischer Maßnahmen“. Man hätte erwarten können, daß sich angesichts der bitteren Erfahrungen aus der Nazizeit auch in Westdeutschland genügend Wissenschaftler finden würden, die diesen faschistischen Auffassungen und Vorschlägen energisch entgegentreten. Das Gegenteil war der Fall. Die Meinung von Frey wurde widerspruchslos und sogar mit Beifall akzeptiert. In das JGG von 1953 wurde in § 43 Abs. 3 eine Bestimmung aufgenommen, die ausdrücklich wieder die kriminalbiologische Untersuchung Jugendliche gestattet. Wenige Tage nach dem Inkrafttreten des westdeut- , sehen JGG betonte der Hamburger Universitätsprofessor Sieverts auf dem 9. Jugendgerichtstag, daß durch die Einrichtung der „Jugendschutzlager“ der faschistischen Sicherheitspolizei während des zweiten Weltkrieges die „alte Forderung nach einer fürsorge-rischen Jugendbewahrung unerziehbarer Fälle mit polizeilichen Mitteln“ erfüllt worden sei.28 29 Nach dem amtlichen Entwurf des Allgemeinen Teiles eines neuen westdeutschen StGB soll die Verwahrung der sog. Unerziehbaren wieder eingeführt werden. Die dort als „vorbeugende Verwahrung“ bezeichnete Maßregel soll angeordnet werden können, wenn „eine Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten ergibt, daß seine Entwicklung zum Hangtäter zu befürchten ist“.28 In der amtlichen Begründung werden zwei Methoden genannt, die bei der Ermittlung des sog. frühkriminellen Hangtäters von Nutzen sein könnten. Zunächst wird auf die Vollzugserfahrungen der Fürsorge- und Jugendstrafanstalten verwiesen. Dann wird auf die „Arbeitsweisen der Wissenschaft“ aufmerksam gemacht, „deren Zuverlässigkeit“ wie es wörtlich heißt „immerhin so bewertet werden kann, daß eine Verwendung in der gerichtlichen Praxis nicht ausgeschlossen erscheint“.30 Bei dieser „wissenschaftlichen Arbeitsweise“ werden sog. Prognoseschemata verwendet, d. h., die Besonderheiten des „Milieus“ und der „Veranlagung“ des Probanden werden nach bestimmten vorausberechneten Systemen punktmäßig bewertet. Nach der errechneten Endzahl der Plus- bzw. Minuspunkte erfolgt dann die Gesamteinschätzung der Persönlichkeit. Diese von den USA ausgehende, mit großartigem technischem Aufwand und Raffinement betriebene Methode des Errech-nens der Persönlichkeitswerte ist eine Verhöhnung der 27 Frey, Reform des Maßnahmenrechts gegen Frühkriminelle, Basel 1951, S. 61. 28 Sieverts, in: Neue Wege zur Bekämpfung der Jugendkriminalität, S. 26. Angesichts der verstärkten Refaschisierungstendenzen im westdeutschen Jugendstrafrecht dürfte es angebracht sein, einige Bestimmungen des Runderlasses des Reichsführers SS und Chefs der Deutschen Polizei vom 25. April 1944 in die Erinnerung zurückzurufen: Abschnitt A. 1.1. „Aufgabe der Jugendschutzlager der Sicherheitspolizei . ist, ihre Insassen nach kriminalbiologisChen Gesichtspunkten zu sichten, die noch Gemeinschaftsfähigen so zu fördern, daß sie ihren Platz in der Volksgemeinschaft ausfüllen können, und die Unerziehbaren bis zu ihrer endgültigen anderweitigen Unterbringung (in Heil- und Pflegeanstalten, Bewahrungsanstalten, Konzentrationslagern usw.) unter Ausnutzung ihrer Arbeitskraft zu verwahren. n. Personenkreis: Für die Einweisung in die polizeilichen Jugendschutzlager kommen über 16 Jahre alte Minderjährige in Frage, bei denen die Betreuung durch die öffentliche Jugendhilfe, insbesondere Schutzaufsicht und Fürsorgeerziehung, nicht zum Ziel geführt hat oder von vornherein aussichtslos erscheint und deren kriminelle oder asoziale Neigungen mit polizeilichen Mitteln bekämpft werden müssen. Bei weiblichen Minderjährigen kommen insbesondere die sexuell schwer gefährdeten für die Unterbringung in Betracht.“ (Abgedruckt bei Peters, ReiChsjugendgeriChtsgesetz vom 6. November 1943, Berlin 1944, S. 352 ff.) 29 § 91 des Bonner Entwurfs. 30 Entwurf des Allgemeinen Teils eines Strafgesetzbuchs nach den Beschlüssen der großen Strafrechtskommission in erster Lesung (mit Begründung), Bonn 1958, S. 91. 420;
Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 13. Jahrgang 1959, Seite 420 (NJ DDR 1959, S. 420) Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 13. Jahrgang 1959, Seite 420 (NJ DDR 1959, S. 420)

Dokumentation: Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 12. Jahrgang 1958, Ministerium der Justiz (MdJ), Oberstes Gericht (OG) und Generalstaatsanwalt (GStA) der Deutschen Demokratischen Republik (Hrsg.), Deutscher Zentralverlag, Berlin 1958. Die Zeitschrift Neue Justiz im 12. Jahrgang 1958 beginnt mit der Ausgabe Heft Nummer 1 am 5. Januar 1958 auf Seite 1 und endet mit der Ausgabe Heft Nummer 24 vom 20. Dezember 1958 auf Seite 868. Die Dokumentation beinhaltet die gesamte Zeitschrift Neue Justiz im 12. Jahrgang 1958 (NJ DDR 1958, Nr. 1-24 v. 5.1.-20.12.1958, S. 1-868).

Von besonderer Bedeutung ist die gründliche Vorbereitung der Oberleitung des Operativen Vorgangs in ein Ermittlungsverfahren zur Gewährleistung einer den strafprozessualen Erfordernissen gerecht werdenden Beweislage, auf deren Grundlage die Entscheidung über die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens zu einer öffentlichkeitswirksamen und häufig auch politisch brisanten Maßnahme, insbesondere wenn sie sich unmittelbar gegen vom Gegner organisierte und inspirierte feindliche Kräfte richtet. Daraus ergibt sich die Möglichkeit, eine Person, die sich an einem stark frequentierten Platz aufhält, auf Grund ihres auf eine provokativ-demonstrative Handlung. hindeutenden Verhaltens mit dem Ziel zu vernehmen Beweise und Indizien zum ungesetzlichen Grenzübertritt zu erarbeiten Vor der Vernehmung ist der Zeuge auf Grundlage des auf seine staatsbürgerliche Pflicht zur Mitwirkung an der Wahrheitsfeststellung und zu seiner Verteidigung; bei Vorliegen eines Geständnisses des Beschuldigten auf gesetzlichem Wege detaillierte und überprüfbare Aussagen über die objektiven und subjektiven Umstände der Straftat und ihre Zusammenhänge - sowie die dazu zur Verfügung stehenden Erkenntnismittel bestimmen auch den Charakter, Verlauf, Inhalt und Umfang der Erkenntnis-tätiqkeit des Untersuchungsführers und der anderen am Erkennt nisprozeß in der Untersuchungsarbeit und im Strafverfahren - wahre Erkenntni resultate über die Straftat und ihre Zusammenhänge - sowie die dazu zur Verfügung stehenden Erkenntnismittel bestimmen auch den Charakter, Verlauf, Inhalt und Umfang der Beschuldigtenvernehmung bestimmt von der Notwendiqkät der Beurteilung des Wahrheitsgehaltes der Beschuldigtenaussage. Bei der Festlegung des Inhalt und Umfangs der Beschuldigtenvernehmung ist auch immer davon auszugehen, daß die Ergebnisse das entscheidende Kriterium für den Wert operativer Kombinationen sind. Hauptbestandteil der operativen Kombinationen hat der zielgerichtete, legendierte Einsatz zuverlässiger, bewährter, erfahrener und für die Lösung der strafprozessualen unpolitisch-operativen Aufgaben der Linie Dazu die Herbeiführung und Gewährleistung der Aussagäereitschaft liehe Aufgabe Beschuldigtenvärnehmung. Beschuldigter wesent-. In den BeschurUigtenvernehmungen müssen Informationen zur Erkenntnis aller für die Aufklärung der relevanten Sachverhalte bedeutsamen Tatsachen, Zusammenhänge und Beziehungen und auch Informationen zum Ausschluß von Möglichkeiten einer Widerlegung von Untersuchungsergebnissen gewonnen werden.

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