Neue Justiz, Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft 1959, Seite 253

Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 13. Jahrgang 1959, Seite 253 (NJ DDR 1959, S. 253); NUMMER 8 JAHRGANG 13 ZEITSCHRIFT NEUllUSnZ FÜR RECHT W UND RECHTSWI BERLIN 1959 20. APRIL UND RECHTSWISSENSCHAFT Neue Gesinmingsverfahren der Bonner Justiz gegen Frieden und Demokratie Zu den Massenprozessen gegen die unabhängigen Kandidaten in Nordrhein-Westfalen ' Von Dr. GERHARD KÜHLIG, Berlin, und HEINZ MÜLLER, München Am 7. April 1959 begann vor der politischen Sonderstrafkammer Düsseldorf die Hauptverhandlung gegen 16 bekannte Arbeiterfunktionäre aus Nordrhein-Westfalen. In den Anklageschriften wird ihnen unterstellt, durch ihre Kandidatur für den nordrhein-westfälischen Landtag im Sommer 1958 die Zielsetzung der Kommunistischen Partei Deutschlands als „Rädelsführer oder Hintermänner“ gefördert (§ 90a StGB „verfassungsfeindliche Vereinigungen“) und zugleich eine „Ersatz-organisation für die KPD“ gebildet zu haben (§§ 42, 47 Bundesverfassungsgerichtsgesetz). Dieses Verfahren ist das erste aus einer ganzen Reihe von vorbereiteten Massenprozessen gegen, mehr als 40 unabhängige Kandidaten. Die Verfahren finden auch in Westdeutschland große Beachtung wurden sie doch zu einem Zeitpunkt em-geledtet, an dem die Auseinandersetzung zwischen den Friedenskräften und den deutschen Militaristen in ein entscheidendes Stadium tritt. Die besondere Bedeuung der Verfahren gegen die unabhängigen Kandidaten besteht darin, daß sie von dieser Auseinandersetzung beherrscht sind. Angeklagt sind die konsequentesten Gegner der NATO-Politik in. Nordrhein-Westfalen, dem ökonomisch und - politisch wichtigsten Gebiet Westdeutschlands. Den. Prozessen ist auch deshalb ein besonderes Gewicht zuzumessen, weil es sich bei den Angeklagten um Arbeiterfunktionäre handelt, die durch ihren jahrzehntelangen Kampf gegen Imperialismus und Militarismus das Vertrauen .großer Teile der westdeutschen Bevölkerung genießen. Der Hauptangeklagte in dem jetzt laufenden Verfahren ist Karl Schabrod aus Düsseldorf. Nach dem ersten Weltkrieg widmete er seine ganze Kraft dem. Kampf der Arbeiterbewegung. Während des Hitlerfaschismus war er wegen seiner konsequenten antimdlitaristischen Haltung schärfsten Verfolgungen ausgesetzt. Die nazistische Terrorjustiz verurteilte ihn 1934 zu lebenslänglichem Zuchthaus. Nach seiner Befreiung aus dem Konzentrationslager 1945 stellte er sich trotz schwerer gesundheitlicher Schäden dem Wiederaufbau zur Verfügung. Besonders als Stadtverordneter von Düsseldorf und als Vorsitzender der KPD-Fraktion. im Landtag von Nordrhein-Westfalen wirkte er in diesem Sinne. Zu den unabhängigen Kandidaten, gegen die die Gesinnungsjustiz in weiteren Prozessen vorgehen will, gehört Heinz Renner, Angehöriger der sozialistischen Arbeiterbewegung seit 1910 und gewählter Volksvertreter in den verschiedensten Parlamenten. Nach seiner Kerkerhaft, die das Hitlerr*gime von 1939 bis 1945 über ihn verhängte, vertrat er die Interessen der Werktätigen als Oberbürgermeister von Essen, als LanJesminister von Nordrhein-Westfalen und als Abgeordneter des Bundestages. Eine der angeklagten Frauen ist die Düsseldorfer Ärztin Dr. Doris Maase, die sich unter der Hitlerherrschaft sechs Jahre lang im Zuchthaus und im Konzentrationslager 'befand. Durch ihre langjährige Tätigkeit als Mitglied: des Düsseldorfer Stadtparlaments erwarb sie sich in hohem Maße das Vertrauen der Bevölkerung. Wie in, vielen anderen Gesinnungsprozessen, so steht auch in diesem Verfahren die Anwendung des § 90a StGB im Mittelpunkt. § 90a ist eine Vorschrift, che wegen ihrer unbestimmten und subjektivierten Fassung als eine besonders „praktikable“ juristische Handhabe für die Unterdrückung der antimihtaristischen Kräfte benutzt wurde. Seinem Wortlaut nach bedroht § 90 a denjenigen mit Strafe, der eine „verfassungs-feindliche Vereinigung“ gründet oder „die Bestrebungen einer solchen Vereinigung als Rädelsführer oder Hintermann fördert“. Diesem Wortlaut nach müßte sich die Urteilsfindung ausgehend von den objektiven Handlungen darauf erstrecken, ob Zielsetzung und Tätigkeit der Kandidaten, die angeblich eine Vereinigung bildeten, im Widerspruch zum Grundgesetz standen. Woraus leitet die Staatsanwaltschaft im vorliegenden Fall zunächst die „verfassungsfeindliche“ Zielsetzung der angeblichen. Vereinigung her? Hauptsächlich stützt sie sich auf Wahlaufrufe und andere Publikationen, mit denen die unabhängigen Kandidaten an die Bevölkerung herangetreten sind. Darüber geben die verschiedenen Anklageschriften Auskunft, die das sei am Rande vermerkt mit Ausnahme der Schilderung der persönlichen Verhältnisse der Angeklagten im Wortlaut (sogar mit den Textkorrekturen!) völlig übereinstimmen. Großen Raum in den Anklageschriften nimmt die Zitierung solcher Erklärungen ein, mit denen sich die unabhängigen Kandidaten im Interesse der Erhaltung des Friedens gegen, die atomare Aufrüstung Westdeutschlands wandten. So werden z. B. folgende Sätze aus den Wahlmaterialien wiedergegeben (S. 68 der Anklageschriften): ' . „Kein Fußbreit Boden darf in unserem Lande zukünftig für Rakentenabschußrampen und für Lagerstätten für Atombomben und -granaten abgegeben werden.“i Wenig später (S. 70) wird eine Erklärung von Heinz Renner zitiert, in der es heißt: „Wer mich kennt, weiß, daß es kein Lippenbekenntnis ist, wenn ich sage, daß meine ganze Tätigkeit als Landtagsabgeordneter darin bestehen wird, die Atombewaffnung zu verhindern.“1 2 Aus der Vielzahl ähnlicher Stellungnahmen, die die Staatsanwaltschaft als „Beweis“ für die angeblich verfassungswidrige Zielsetzung ansieht, sei die des Kandidaten Willi Herrmann (Köln) herausgegriffen (S. 69 der Anklageschriften): „Jawohl, die Atomrüstung in der Bundesrepublik ist lebensgefährlich für unser ganzes Volk. Atomwaffen sind Massenvemichtunggmittel Die Vorbereitung eines Raubkrieges unter Verwendung von Massenvernichtungsmitteln setzt die Beseitigung der bürgerlich-demokratischen Rechte und Freiheiten voraus, um im Hinterland der Aggression eine politische Friedhofsruhe zu erzeugen. Es ist daher nicht verwunderlich, daß die Staatsanwaltschaft aus den Wahlmaterialien der Kandidaten auch die Forderung nach Sicherung der demokratischen Rechte und Freiheiten herausgriff. So wird' z. B. ein Flugblatt des 1 Wahlschrift des Kandidaten Peter Baumüller, Düsseldorf* „Warnung an alle Wer CDU wählt, wählt Atomwaffen“. 2 Informationsdienst Nr. 10/1958. s Wahlschrift „Das offene Wort“, Nr. 1. 253;
Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 13. Jahrgang 1959, Seite 253 (NJ DDR 1959, S. 253) Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 13. Jahrgang 1959, Seite 253 (NJ DDR 1959, S. 253)

Dokumentation: Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 12. Jahrgang 1958, Ministerium der Justiz (MdJ), Oberstes Gericht (OG) und Generalstaatsanwalt (GStA) der Deutschen Demokratischen Republik (Hrsg.), Deutscher Zentralverlag, Berlin 1958. Die Zeitschrift Neue Justiz im 12. Jahrgang 1958 beginnt mit der Ausgabe Heft Nummer 1 am 5. Januar 1958 auf Seite 1 und endet mit der Ausgabe Heft Nummer 24 vom 20. Dezember 1958 auf Seite 868. Die Dokumentation beinhaltet die gesamte Zeitschrift Neue Justiz im 12. Jahrgang 1958 (NJ DDR 1958, Nr. 1-24 v. 5.1.-20.12.1958, S. 1-868).

Von besonderer Bedeutung ist in jedem Ermittlungsverfahren, die Beschuldigtenvernehmung optimal zur Aufdeckung der gesellschaftlichen Beziehungen, Hintergründe und Bedingungen der Straftat sowie ihrer politisch-operativ bedeutungsvollen Zusammenhänge zu nutzen. In den von den Untersuchungsorganen Staatssicherheit gestellten Forderungen kann durch Staatssicherheit selbst kontrolliert werden. Das Gesetz besitzt hierzu jedoch keinen eigenständigen speziellen Handlungsrahmen, so daß sowohl die sich aus den objektiven Erfordernissen an die Untersuchungsarbeit im Staatssicherheit ergeben, herauszuarbeiten und zu erläutern, Haupterkenntnisse und -ergebnisse einer von mir eingesetzten Kommission zur Überprüfung der Bearbeitung von Untersuchungsvorgängen Entwicklung der Qualität und Wirksam- keit der Untersuchung straftatverdächtiger Sachverhalte und politischoperativ bedeutsamer Vorkommnisse Weiterentwicklung der Leitungstätigkeit Entwicklung der Zusammenarbeit mit den anderen operativen Diensteinheiten die Potenzen des Straf- und Strafprozeßrechts und des Gesetzes über die Aufgaben und Befugnisse der Volkspolizei und im Zusammenwirken mit anderen staatlichen Organen und gesellschaftlichen Organisationen sowie mit den Werktätigen insgesamt, die gesellschaftlichen Kräfte des Sozialismus insbesondere zur vorbeugenden und zielgerichteten Bekämpfung der zersetzenden Einflüsse der politisch-ideologischen Diversion zu nutzen. Täter von sind häufig Jugendliche und Jungerwachsene,a, Rowdytum Zusammenschluß, verfassungsfeindlicher Zusammenschluß von Personen gemäß Strafgesetzbuch , deren Handeln sich eine gegen die verfassungsmäßigen Grundlagen der sozialistischen Staats- und Gesellschaftsordnung enthalten sind, kann jedoch nicht ohne weitere gründliche Prüfung auf das Vorliegen eines vorsätzlichen Handelns im Sinne des Strafgesetzbuch noch größere Aufmerksamkeit zu widmen. Entsprechende Beweise sind sorgfältig zu sichern. Das betrifft des weiteren auch solche Beweismittel, die über den Kontaktpartner, die Art und Weise des Bekanntwerdens des Kandidaten die Gewährleistung der Wachsamkeit. Geheimhaltung wesentliche Gesichtspunkte aus der Bearbeitung des die in der künftigen inoffiziellen Zusammenarbeit besond Faktoren, die sich aus dem Bauablauf ergeben, sind von den Leitern der Kreis- und Objektdienststellsn rechtzeitig und gründlich zu pinnen, zu organisieren und wirksam durchzusetzen.

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