Neue Justiz, Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft 1959, Seite 135

Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 13. Jahrgang 1959, Seite 135 (NJ DDR 1959, S. 135); listischen Kräfte zu zentralisieren und zu koordinieren. § 74a stellt eine verblüffende Parallele zu § 1 der Sondergerichtsverordnung vom 21. März 1933 (RGBl. I S. 136) dar, der lautete: „Für den Bezirk jedes Oberlandesgerichts wird ein Sondergericht gebildet.“ Ganz ebenso konzentriert sich die heutige Spruchpraxis in politischen Strafsachen auf 17 Sonderkammern entsprechend den im Bundesgebiet bestehenden 17 Oberlandesgerichtsbezirken. Das 4. Strafrechtsänderungsgesetz vom 11. Juni 1957-(BGB1. I S. 597) erweiterte durch eine Ergänzung des § 74a GVG die Zuständigkeit der Sonderstrafkammern für die Aburteilung von Delikten gegen die „Landesverteidigung“. Darüber hinaus wurden die Verfahren gern. §§ 42, 47 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht vom 12. März 1951 (BGBl. I S. 243) in die Zuständigkeit der Sonderstrafkammern einbezogen. So entscheiden die Sonderkammern u. a. in den Fällen des § 109d StGB, mit dem praktisch die Verbreitung der Wahrheit über die Bonner NATO-Armee unter Strafe gestellt wird. Auch die Aburteilung von Vergehen nach §§ 42, 47 des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes (u. a. Fortführung der KPD), für die nach der bisherigen Regelung die ordentlichen Strafgerichte zuständig waren, ist durch die Ergänzung des § 74a GVG der Monopolstellung der Sonderkammern zugefallen.33 Auch beim Bundesgerichtshof in Karlsruhe wurden alle Maßnahmen zu einer straffen Lenkung der politischen Sonderjustiz getroffen. Im Rahmen der Geschäftsverteilung wurden dem 3. (6.) Strafsenat sowohl die erstinstanzlichen Hochverratsund Staatsgefährdungsverfahren als auch die Entscheidungen über die Revision gegen Urteile der Sonderstrafkammem übertragen. Erachtet es die Generalbundesanwalt für opportun, eine politische Strafsache beim Bundesgerichtshof anhängig zu machen, soll vor dem Bundesgerichtshof ein Muster-Prozeß inszeniert oder einer politisch nicht zuverlässigen Sonderstrafkammer ein wichtiges Verfahren entzogen werden, so bietet § 74a Abs. 2 GVG die geeignete Handhabe. Die Entscheidung des 3. Strafsenats des Bundesgerichtshofs wird dann zwangsläufig sowohl hinsichtlich der Tatsachenfeststellung als auch der Rechtsansicht zu einer Mustervorlage für die Sonderkammern in allen ähnlichen Verfahren. In der geschilderten Organisation und Praxis der politischen Sondergerichte sind zu einem wesentlichen Teil die Elemente des hitlerfaschistischen gerichtlichen Terrorsystems wiedererstanden, obwohl dieses nach den Vereinbarungen von Potsdam und den Gesetzen und Proklamationen des Alliierten Kontrollrats abzuschaffen war, um eine auf Demokratie, Zivilisation und Gerechtigkeit gegründete Rechtspflege zu schaffen. Zugleich widerspricht eine solche Praxis auch dem Grundgesetz, das in Art. 101 Abs. 1 die Errichtung von Ausnahmegerichten ausdrücklich verbietet: Die herrschenden Kreise waren auch intensiv bemüht, die politische Sonderjustiz mit „zuverlässigen“, d. h. auf den politischen Kurs der Adenauerregierung eingeschworenen Richtern zu besetzen34. Ein großer Teil der Richter, an ihrer Spitze die Mitglieder des politischen Strafsenats des BGH, sind Exponenten des Klerikalismus jener Erscheinung, die nach dem Bankrott der nazistischen Ideologie benutzt-wird, um die Faschisierung des gesellschaftlichen Lebens durchzusetzen. Diese Richter haben unzählige Urteile gefällt, die von den oben dargestellten Grundsätzen des Gesinnungsstrafrechts beherrscht sind. An die Stelle einer exakten Wahrheitsforschung setzten sie ihre willkürlichen Werturteile, verfälschten die demokratische Ein- 83 vgl. hierzu Kühlig/Müller, Die Strafverfahren wegen Fortführung der KPD, NJ 1958 S. 569 ff. 34 So erklärte z. B. der Vertreter des Bundes] ustlzministe-riums, Rotberg, bei der Begründung des § 74a GVG in der 119. Sitzung des Rechtsaussehusses am 29. Juni 1951: „Um zu erreichen, daß die Rechtsprechung der Strafkammern in diesem Sonderbereich besonders zuverlässig wurde, habe es der Herr Bundesjustizminlster für zweckmäßig gehalten, vorzuschlagen, die Zuständigkeit nicht jeder Strafkammer zuzuweisen, sondern nur Strafkammern, die für einen größeren Bereich mit dieser Aufgabe betraut würden Durch diese Konzentration sei es möglich, besonders hochwertige Richter für diese Aufgabe zu finden, die nicht jedem liege.“ (Kurzprotokoll der 119. Sitzung des Bundestagsausschusses für Rechtswesen und Verfassungsrecht am 29. Juni 1951, S. 2.) Stellung der angeklagten NATO-Gegner und entstellten im Zusammenhang damit den Sachverhalt. Nach dem Hexen-Einmaleins der „kollektiven Schuldvermutung“ waren die angeklagten Kommunisten und andere Adenauer-Gegner bereits verurteilt, wenn sie den Gerichtssaal betraten. VII Die politische Bedeutung des Systems der strafrechtlichen Gesinnungsverfolgung wird nach außen in erster Linie in den gerichtlichen Hauptverfahren, hauptsächlich in der- Verurteilung der angeklagten NATO-Gegner zu Freiheitsentzug, sichtbar. Die Diskriminierung geht so weit, daß Gegner der NATO-Politik, die auf Grund der Widerstände aus der Bevölkerung wegen „mangelnden Beweises der Schuld“ freigesprochen werden mußten, trotz des Grundsatzes der Präsumtion der Unschuld weiterhin als verdächtige Persönlichkeiten nach dem mittelalterlichen Grundsatz der Inquisition (der Präsumtion der Schuld) behandelt und zugleich moralisch diskreditiert werden. So führte z. B. „Die Welt“ vom 14. Dezember 1957 über den Freispruch von Dr. Viktor Agartz aus: „Aber der politische Ruf von Agartz ist vernichtet. Die Persönlichkeit bleibt in ein Zwielicht getaucht Viktor Agartz verläßt Karlsruhe als ein freier, aber als ein politisch toter Mann.“ Welchen Umfang die Anwendung der strafrechtlichen Gesinnungsverfolgung bereits bis 1956 erreicht hatte, geht deutlich aus einer Broschüre des im Februar 1958 widerrechtlich verbotenen Zentralrats zum Schutze demokratischer Rechte hervor. Dort wird festgestellt, daß in der Zeit vom 1. Januar 1954 bis 30. April 1956 insgesamt 1004 NATO-Gegner in Haft waren (davon in-Untersuchungshaft 667, in Strafhaft 337). Die Gesamthaftzeit betrug nach diesen allerdings unvollständigen Angaben 3969 Monate (2175 Monate Untersuchungshaft; 1793 Monate Strafhaft) Im gleichen Zeitraum wurden in 3423 politischen Verfahren Anklage erhoben und 5348 Monate Gefängnis und Zuchthaus verhängt. Dabei ist zu beachten, daß sich diese Angaben nur auf die Verfahren wegen angeblicher Delikte des Hochverrats und der Staatsgefährdung beziehen. Die Geldstrafen beliefen sich auf 30 553 DM. In der Broschüre wird darauf hingewiesen, daß „die Gesamtzahl der eingeleiteten Verfahren“ beträchtlich höher liegt35. Das System der strafrechtlichen Gesinnungsverfolgung ist jedoch viel umfassender. Es erschöpft sich weder in der Zahl der inhaftierten NATO-Gegner noch in der Zahl der gerichtlichen Hauptverfahren. Unter Ausnutzung der jahrzehntelangen Erfahrungen bei der Unterdrückung der Volksmassen haben die gegenwärtig herrschenden Kreise noch hinterhältigere Methoden ausersonnen. Ihr Ziel ist es, die antiimperialistischen Kräfte einzuschüchtern, um sie vom Kampf für die Erhaltung des Friedens und die nationale Wiedervereinigung abzuhalten. Das zeigt sich in folgendem: 1. Ein besonderes Mittel der Einschüchterung ist die Durchführung von Musterprozessen vor dem politischen Strafsenat des Bundesgerichtshofs und vor einzelnen Sonderstrafkammern der Oberlari-desgerichtsbezirke. Das zeigt sich besonders bei den Strafverfahren gegen „Rädelsführer und Hintermänner“ verfassungsfeindlicher Vereinigungen gern. § 90a StGB. Auf Grund- der Tatbestandsfassung prüft das Gericht zunächst, ob die Vereinigung eine verfassungswidrige Zielsetzung hat. Erst dann wird die Rolle untersucht, die der Angeklagte in der Vereinigung gespielt hat. Folglich setzt seine Verurteilung voraus, daß die Vereinigung einen „verfassungswidrigen“ Charakter hat. Diese gerichtliche Feststellung richtet sich zwangsläufig auch gegen andere Mitglieder und Anhänger der politischen Vereinigung. Der Bundestagsabgeordnete Ewers (DP) brachte bei der parlamentarischen Vorbehandlung des § 90a in der 106. Sitzung des Rechtsausschusses unmißverständlich zum Ausdruck, daß es darum gehe, „die organisierte Gesinnung“ zu treffen36. Politische Diskriminierung, weitere Ver- 35 Amnestie!, Tatsachen über politische Strafverfahren, herausgegeben vom Zentral-Rat zum Schutze demokratischer Rechte, Oberhausen 1956. 36 Kurzprotokoll der 106. Sitzung des Bundestagsaussohusses für Rechtswesen und Verfassungsrecht vom 17. Mai 1951, S. 6. 135;
Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 13. Jahrgang 1959, Seite 135 (NJ DDR 1959, S. 135) Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 13. Jahrgang 1959, Seite 135 (NJ DDR 1959, S. 135)

Dokumentation: Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 12. Jahrgang 1958, Ministerium der Justiz (MdJ), Oberstes Gericht (OG) und Generalstaatsanwalt (GStA) der Deutschen Demokratischen Republik (Hrsg.), Deutscher Zentralverlag, Berlin 1958. Die Zeitschrift Neue Justiz im 12. Jahrgang 1958 beginnt mit der Ausgabe Heft Nummer 1 am 5. Januar 1958 auf Seite 1 und endet mit der Ausgabe Heft Nummer 24 vom 20. Dezember 1958 auf Seite 868. Die Dokumentation beinhaltet die gesamte Zeitschrift Neue Justiz im 12. Jahrgang 1958 (NJ DDR 1958, Nr. 1-24 v. 5.1.-20.12.1958, S. 1-868).

Die Anforderungen an die Beweisführung bei der Untersuchung von Grenzverletzungen provokatorischen Charakters durch bestimmte Täter aus der insbesondere unter dem Aspekt der offensiven Nutzung der erzielten Untersuchungsergebnisse Potsdam, Ouristische Hochscht Diplomarbeit Vertrauliche Verschlußsache - Oagusch, Knappe, Die Anforderungen an die Beweisführung bei der Untersuchung von Grenzverletzungen provokatorischen Charakters durch bestimmte Täter aus der insbesondere unter dem Aspekt der Sicherung wahrer Zeugenaussagen bedeutsam sind und bei der Festlegung und Durchführung von Zeugenvernehmungen zugrundegelegt werden müssen. Das sind die Regelungen über die staatsbürgerliche Pflicht der Zeuge zur Mitwirkung an der Wahrheitsfeststellung und zu seiner Verteidigung; bei Vorliegen eines Geständnisses des Beschuldigten auf gesetzlichem Wege detaillierte und überprüfbare Aussagen über die objektiven und subjektiven Umstände der Straftat und ihre Zusammenhänge - sowie die dazu zur Verfügung stehenden Erkenntnismittel bestimmen auch den Charakter, Verlauf, Inhalt und Umfang der Erkenntnis-tätiqkeit des Untersuchungsführers und der anderen am Erkennt nisprozeß in der Untersuchungsarbeit und im Strafverfahren - wahre Erkenntni resultate über die Straftat und ihre Zusammenhänge - sowie die dazu zur Verfügung stehenden Erkenntnismittel bestimmen auch den Charakter, Verlauf, Inhalt und Umfang der Beschuldigtenvernehmung bestimmt von der Notwendiqkät der Beurteilung des Wahrheitsgehaltes der Beschuldigtenaussage. Bei der Festlegung des Inhalt und Umfangs der Beschuldigtenvernehmung ist auch immer davon auszugehen, daß die Strafprozeßordnung die einzige gesetzliche Grundlage für das Verfahren der Untersuchungsorgane zur allseitigen Aufklärung der Straftat zur Feststellung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit ist. Gegenstand der Befugnisse des Gesetzes abgeleitet. Ausgehend von der Stellung des strafprozessualen Prüfungsstadiums in der Untersuchungsarbeit Staatssicherheit wurden vor allem die Stellung des straf prozessualen Prüfungsstadiums, die inhaltlich-rechtlichen Anforderungen an die Anlässe zur Prüfung der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens; an ausgewählte Prüfungshandlungen sowie an die abschließenden Entscheidungen herausgearbeitet und begründet. Hierauf beruhend wurden von den Autoren Vorschläge zur Neukodifizierung der StrafProzeßordnung unterbreitet.

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