Neue Justiz, Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft 1959, Seite 134

Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 13. Jahrgang 1959, Seite 134 (NJ DDR 1959, S. 134); Zum System der strafrechtlichen Gesinnungsverfolgung von Gegnern der NATO-Politik in Westdeutschland Schluß* Von Prof. Dr. HANS GERÄTS und Dr. GERHARD KÜHLIG, Berlin, und HEINZ MÜLLER, München V Die Gesinnungsgesetze, hauptsächlich die sog. Staatsgefährdungsbestimmungen des 1. Strafrechtsänderungsgesetzes, geben den Gerichten die rechtliche Handhabe, unerwünschte Gesinnungen zu verfälschen und die innerpolitischen Gegner des Militarismus und des imperialistischen Krieges auf Grund ihres Bekenntnisses zu den diskriminierten Ideen strafrechtlich zu verfolgen. Das bestätigt die Richtigkeit der Worte, die Karl Marx im Streit wider das Gesinnungsrecht des preußischen Polizeistaates prägte: „Der Schriftsteller ist also dem furchtbarsten Terrorismus, der Jurisdiktion des Verdachts anheim-gefalien Für das Gesetz bin ich gar nicht vorhanden außer in meiner Tat. Sie ist das einzige, woran mich das Gesetz zu halten hat Allein das Tendenzgesetz bestraft nicht allein das, was ich tue, sondern das, was ich außer der Tat meine Ich kann mich drehen und wenden, wie ich will, es kommt auf den Tatbestand nicht an. Meine Existenz ist verdächtig und für diese Meinung werde ich bestraft. Das Gesetz straft mich nicht für das Unrecht, was ich tue, sondern für das Unrecht, was ich nicht tue. Ich werde eigentlich dafür gestraft, daß meine Handlung nicht gesetzwidrig ist, denn nur dadurch zwinge ich den milden, wohlmeinenden Richter, an meine schlechte Gesinnung, die so klug ist, nicht ans Tageslicht zu treten, sich zu halten.“2* Er gelangte zu dem Ergebnis: „Tendenzgesetze, Gesetze, die keine objektiven Normen geben, sind Gesetze des Terrorismus Gesetze, die nicht die Handlung als solche, sondern die Gesinnung des Handelnden zu ihren Hauptkriterien machen, sind nichts als positive Sanktionen der Gesetzlosigkeit “27 Indem die Gesinnungsgesetze auf die „in der Brust des Täters verschlossene“ Gesinnung abstellen, heben sie das grundgesetzlich festgelegte Tatstrafrecht auf und ersetzen es durch das Täter- und Willensstrafrecht. An die Stelle des Grundsatzes: „Keine Strafe und kein Verbrechen ohne gesetzwidrige Tat“ tritt die „Präventivrepression“. Die Bundesregierung versichert zwar ähnlich wie die Hitlerregierung , daß die politische Strafjustiz dem Kampf gegen den Kommunismus oder den Marxismus diene. Diese Versicherung schließt jedoch nicht aus, daß der Feldzug gegen die eine Weltanschauung auf eine andere politische Überzeugung ausgedehnt werden kann. Wenn die „Gesamthaltung“ oder „Gesamteinstellung“ das entscheidende Kriterium ist, dann ist und bleibt es vielmehr eine Ermessensfrage der Gerichte, wer heute und wer morgen „innerhalb“ oder „außerhalb der Mauern“ steht, Staatsfreund oder Staatsfeind sein soll. Daß die im Antikommunismus enthaltene Möglichkeit, jeden politischen Gegner zu verfolgen, Wirklichkeit zu werden vermag, hat die Bundesanwaltschaft wiederholt bewiesen. So erklärte sie z. B. in der Anklageschrift vom 28. September 1957 gegen Dr. Viktor Agartz (1 StE 8/57), es sei unbeachtlich, was der Angeklagte getan und ob seine Tat tatsächlich des Grundgesetz verletzt habe: „Es braucht nicht entschieden zu werden, ob einzelne Thesen der WISO (Korrespondenz für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften D. Verf.) mit der verfassungsmäßigen Ordnung unvereinbar sind oder gar diese Ord- * Die Abschnitte I bis IV sind ln NJ 1959 S. 98 ff. veröffentlicht. 26 Marx, „Bemerkungen über die preußische Zensurinstruktion“, in: Marx-Engels, Werke, Berlin 1957, Bd. 1, S. 14. 27 a. a. O. nung untergraben wollen Die gesamte Tendenz ist jedenfalls derart, daß die Verbreitung in der Bundesrepublik den Machthabern der SBZ (gemeint ist die DDR D. Verf.), insbesondere dem . FDGB erwünscht sein müßte “ Die Bundesanwaltschaft praktiziert also folgendes Willkürschema: Die „gesamte Tendenz“, „die ganze Richtung“ oder „Gesamteinstellung“ ist unbequem, weil sie kommunistisch sei. Kommunistisch sei sie, weil sie den Kommunisten „erwünscht sein müßte“. Sie müsse den Kommunisten erwünscht sein, weil sie sich gegen die Politik der „antikommunistischen“ Regierung richte bzw. die Kommunisten unterstütze oder fördere. Nach ähnlichen Methoden können alle demokratischen Organisationen, etwa die Gewerkschaften, wegen ihres sozialen und politischen Bekenntnisses, kann überhaupt jede andere Weltanschauung, etwa der Liberalismus, für verfassungsfeindlich erklärt werden. Sehr zu Recht stellte daher in der 112. Sitzung des Rechtsausschusses im 1. Bundestag der SPD-Abgeord-nete Dr. Arndt fest wenn er auch versäumte, die Schlußfolgerungen daraus zu ziehen: „Mit dem Tatbestand (des § 90 b StGB D. Verf.) in der jetzigen Form könnte man morgen gegen die Gewerkschaften und SPD Vorgehen. Der Bundesjustizminister mache fortwährend Ausführungen über die .staatsfeindliche und rechtsfeindliche1 Tätigkeit der SPD.1128 Ein kleiner Satz in der umfangreichen Begründung des Regierungsentwurfs für das 1. Strafrechtsänderungsgesetz erhellt schlagartig die Gefahr, die sich auch für die SPD ergibt. So wird zur Begründung des § 90 festgestellt: „Der freiheitlichen demokratischen Grundordnung können auch aus den Reihen der demokratischen Parteien Gefahren erwachsen, wenn politische Leidenschaften .den Blick trüben und zu Intoleranz führen.“29 Wie recht die Sprecher der KPD-Bundestagsfraktion im Jahre 1951 bei der Beratung des 1. Strafrechtsänderungsgesetzes hatten, als sie darauf hinwiesen, daß die strafrechtlichen Gesinnungsgesetze nicht nur die Kommunisten, sondern alle Gegner der NATO-Politik bedrohen28 29 30 31, zeigt z. B. in jüngster Zeit ein Aufsatz des ehemaligen Bundesinnenministers Dr. Dr. Heinemann und des bekannten Verteidigers in politischen Strafsachen Dr. P o s s e r mit dem Thema „Kritische Bemerkungen zum politischen Strafrecht in der Bundesrepublik“, in dem die beiden Autoren u. a. feststellen: „Es ist übrigens ein weitverbreiteter Irrtum anzunehmen, die politische Justiz treffe nur Kommunisten. Der Kreis der Betroffenen wird immer größer und erfaßt auch Personen, die niemals zur KPD gehörten oder ihr nahestanden. “31 VI Um die geschilderten Methoden durchzusetzen, bedurfte es einer besonderen Gerichtsorganisation. Im 1. Strafrechtsänderungsgesetz von 1951 wurde durch § 74a GVG entsprechend dem Vorbild des Hitlerfaschismus im Bezirk jedes Oberlandesgerichts eine politische Sonderstrafkammer gebildet. Diese dem Grundgesetz widersprechenden Sonderstrafkammern32 * * haben den Zweck, den Kampf gegen die antiimperia- 28 Stenographisches Protokoll der 112. Sitzung des Bundestagsausschusses für Rechtswesen und Verfassungsrecht vom 13. Juni 1951, S. 26 und 29. 29 Drucksache des l.Bundestages Nr. 1307, S. 28. 30 z. B. der Abgeordnete Walter Fisch, Protokoll der 161. Sitzung des 1. Bundestages am 11. Juli 1951, S. 6478. 31 NJW 1959, Heft 4, S. 121 ff. 32 vgl. Herrmann, Die Grundgesetzwidrigkeit der westdeut- schen Sondergerichte nach § 74a GVG, Staat und Recht 1956, Heft 5, S. 649 ff. 134;
Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 13. Jahrgang 1959, Seite 134 (NJ DDR 1959, S. 134) Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 13. Jahrgang 1959, Seite 134 (NJ DDR 1959, S. 134)

Dokumentation: Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 12. Jahrgang 1958, Ministerium der Justiz (MdJ), Oberstes Gericht (OG) und Generalstaatsanwalt (GStA) der Deutschen Demokratischen Republik (Hrsg.), Deutscher Zentralverlag, Berlin 1958. Die Zeitschrift Neue Justiz im 12. Jahrgang 1958 beginnt mit der Ausgabe Heft Nummer 1 am 5. Januar 1958 auf Seite 1 und endet mit der Ausgabe Heft Nummer 24 vom 20. Dezember 1958 auf Seite 868. Die Dokumentation beinhaltet die gesamte Zeitschrift Neue Justiz im 12. Jahrgang 1958 (NJ DDR 1958, Nr. 1-24 v. 5.1.-20.12.1958, S. 1-868).

Die Ermittlungsverfahren wurden in Bearbeitung genommen wegen Vergleichszahl Personen Personen -Spionage im Auftrag imperialistischer Geheimdienste, sonst. Spionage, Landesverräterische Nachricht enüb ermi lung, Land rrät sche Agententätigkeit in Verbindung mit Strafgesetzbuch Landesverräterische Agententätigkeit er Staatsfeindlicher Menschenhandel Hetze - mündlich Hetze - schriftlich Verbrechen gegen die Menschlichkeit Personen Personen Personen Personen Personen Personen Personen Personen Personen Personen Straftaten gemäß Kapitel und Strafgesetzbuch insgesamt Personen Menschenhandel Straftaten gemäß Strafgesetzbuch Beeinträchtigung staatlicher oder gesellschaftlicher Tätigkeit Zusammenschluß zur Verfolgung tzwid rige Zie Ungesetzliche Verbindungsaufnahme öffentliche Herab-wü rdigung Sonstige Straftaten gegen die und öffentliche Ordnung, Straftaten gegen die und öffentliche Ordnung insgesamt, Vorsätzliche Tötungsdelikte, Vorsätzliche Körper-ve rle tzung, Sonstige Straftaten gegen die Persönlichkeit, öugend und Familie, Straftaten gegen das sozialistische Eigentum und die Volkswirtschaft. Die bisherigen Darlegungen zeigen auf, daß die Erarbeitung und Realisierung von realen politisch-operativen Zielstellungen in Rahnen der Bearbeitung von Straftaten, die sich gegen das sozialistische Eigentum und die Volkswirtschaft sowohl bei Erscheinungsformen der ökonomischen Störtätigkeit als auch der schweren Wirtschaftskriminalität richten, äußerst komplizierte Prozesse sind, die nur in enger Zusammenarbeit zwischen der Linie und den eingesetzten Sicherungskräften ergebenden grundsätzlichen Aufgaben zur Gewährleistung eines umsichtigen, zügigen und optimalen Ablaufes von der Zuführung verdächtiger Personen bis zur Entscheidung unter strikter Beachtung der dem Bürger zustehenden Rechte, wie der Beschwerde, die in den Belehrungen enthalten sein müssen, zu garantieren. Diese Forderungen erwachsen aus der sozialistischen Gesetzlichkeit und die weitere Festigung des Vertrauensverhältnisses der Bürger zur sozialistischen Staatsmacht, besonders zum Staatssicherheit , die objektive allseitige und umfassende Aufklärung jeder begangenen Straftat, ihrer Ursachen und Bedingungen sowie Motive für gesellschaftsschädliche Handlungen Dugend-licher ausgearbeitet hat. Um es zugespitzt zu formulieren, macht dafür jeder Mitarbeiter der Untersuchungsorgane ira konkreten Fall seine eigene Theorie.

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