Neue Justiz, Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft 1958, Seite 843

Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 12. Jahrgang 1958, Seite 843 (NJ DDR 1958, S. 843); geklagte S., der in einem Fall u. a. äußerte, „es wäre für ihn (den Rückkehrer von einer Besuchsreise) doch viel besser, wenn er bei seiner Tochter geblieben wäre“. Und in einem anderen Falle fügte er hinzr, daß „jede Stunde in der DDR verlorene Zeit“ sei. Bei der konspirativen handelt es sich um eine raffinierte, heimtückisch getarnte Begehungsweise, die in ihrer Gesellschaftsgefährlichkeit nicht unterschätzt werden darf. Weil von einer scheinbar neutralen Position vorgetragen, wirkt sie für viele verfänglicher. Auch ist ihre Aufdeckung durch die Strafverfolgungsorgane erheblich schwerer als die der direkten Aufforderung. Bezüglich der juristischen Vollendung gilt für diese Begehungsform das bereits Gesagte. Da diese Methode einen gewissen Schutz vor Entlarvung bieten soll, geht mit ihr oft die Ausforschung der politischen Einstellung der zur Verleitung in Aussicht Genommenen einher. Diese Handlung stellt bereits das Unternehmen dar und ist als vollendetes Verbrechen zu beurteilen. Eine weitere Begehungsform ist die Werbung eines Begleiters. Hier sind in der Regel solche Personen Täter, die aus beliebigen Gründen „nicht allein“ abwandem wollen bzw. durch das „Mitbringen“ eines weiteren Bürgers der DDR die Anerkennung als „politischer Flüchtling“ erwirken wollen. Diese Methode eignet sich besonders für die Zuführung der Abwanderer an Agentenorganisationen, ohne daß die Betreffenden davon Kenntnis erhalten. Typisch hierbei ist, daß die einen Begleiter suchenden Täter entweder Zuwanderer, Rückkehrer oder getarnte „Urlauber“ sind17. Schon daraus ist die politische Natur des häufig vorgebrachten Entlastungsarguments „ich wollte nicht allein gehen“ erkennbar. Das Verbrechen ist in diesen Fällen vollendet, wenn mit der Auswahl oder der Erforschung der politischen Einstellung des Opfers begonnen wird. Eine weitere Begehungsform ist die schriftliche Aufforderung zum Verlassen der DDR. Diese Form wird auch von Westdeutschland aus auch anonym angewendet. Die Aufforderung kann in direkter oder indirekter Form erfolgen und sich auch gegen Angehörige der Abwerbekandidaten richten. Auch die Förderung, Unterstützung oder Bestärkung einer bereits bestehenden Neigung zur Abwanderung ist eine Begehüngsform. Diese wird entweder durch ideologische Bestärkung, durch Beseitigung ideologischer Zweifel bzw. anderweitige intellektuelle Förderung eines Abwanderungsgedankens oder durch physische Unterstützung verwirklicht. Eine ideologische Bestärkung liegt dann vor, wenn der Täter noch unent-entschlossene Bürger der DDR, von denen er weiß, daß sie die Absicht hegen, nach Westdeutschland zu gehen, zum Abwandem bewegt. Die physische Unterstützung dagegen besteht darin, daß es Täter übernehmen, die Betreffenden „hinüber“ zu bringen, daß sie Fahrgeld oder andere Mittel zur Verfügung stellen. In diesen Fällen erfolgt das Unternehmen der Verleitung durch Bestärkung oder Unterstützung einer latenten Abwanderungsneigung. Eine Zusage, wie z. B.: „Ich bringe Sie hinüber“ u. ä., hat auf die Gestaltung eines latenten Abwanderungsgedankens entscheidenden Einfluß. Der mit der Abwanderung Sympathisierende, der z. B. nicht weiß, wie er es anstellen soll, illegal die Demarkationslinie zu überschreiten, steht noch immer unentschlossen da. Erst das betreffende Angebot, „ihn hinüberzubringen“, formt endgültig den Entschluß. Mithin nimmt die Hilfe auf die Formung des Abwanderungsentschlusses entscheidenden Einfluß; sie erst löst die Abwanderung aus. Deshalb liegt keine Beihilfe zur Abwanderung vor, weil diese Handlungen ihrem Wesen nach nicht Hilfe eines bereits zur Tat Entschlossenen oder Mitwirkung bei der Tatausführung darstellen, sondern Verleitung noch Schwankender sind. Dagegen liegt Beihilfe zu einer fremden Tat (§ 8 Paßgesetz) vor, wenn jemand aus freundschaftlichen oder anderen Gründen einem Bekannten, der den Entschluß, nach Westdeutschland zu gehen, bereits gefaßt hat und im Begriffe ist, ihn zu verwirklichen, beim Abwandem in irgendeiner Form hilft. 17 vgl. dazu auch Die Volkspolizei 1958, Heit 4, S. 13. Das Abhalten von der Rückkehr aus Westdeutschland ist eine weitere Begehungsform der Verleitung. Hierzu kann zum Beispiel eine Besuchsreise auch eine zu diesem Zweck organisierte ausgenutzt werden. Die Verleitung besteht in diesen Fällen darin, daß der Täter den Entschluß zur Rückkehr unterbindet und ihn in einen solchen zum Verbleiben in Westdeutschland verwandelt. Die Verleitung beginnt hier mit der Organisierung der „Besuchsreise“. Wird ein beliebiger Aufenthalt eines Bürgers der DDR in Westdeutschland ausgenutzt, um den Betreffenden zum Verbleiben zu veranlassen18, so wird die Fühlungnahme mit dem Betreffenden zu diesem Zwecke vom Unternehmen erfaßt. Eine weitere nicht unwesentliche selbständige Begehungsform ist auch das Auskundschaften der persönlichen oder familiären Verhältnisse. Eine solche Form haben z. B. die Angeklagten Held, Rudert und Halm angewandt. Bezüglich des Angeklagten Rudert führt das Oberste Gericht dazu aus: „ . daneben war der Angeklagte beauftragt, Informationen über hervorragende Wissenschaftler zu sammeln . Der Angeklagte war sich darüber im klaren, daß diese Informationen dazu dienen sollten, die betreffenden Wissenschaftler abzuwerben. Im Laufe der Zeit lieferte der Angeklagte Informationen über insgesamt 90 Wissenschaftler, darunter 35 Flugzeugspezialisten. Diese Angaben betrafen Personalien, Arbeitsstelle, Angaben über Fachleute, Qualifikation, politische Vergangenheit sowie die Einstellung zur politischen und wirtschaftlichen Entwicklung in der DDR und über charakterliche und moralische Eigenschaften und Schwächen“19 20. Bei dieser Begehungsform sind zwei Gruppen zu unterscheiden: erstens jene Fälle, in denen die Abwerber „arbeitsteilig“ arbeiten, wie im Falle Held/ Rudert, wo die unmittelbare Abwerbung anderen, „weniger wertvollen“ Agenten überlassen wird, und zweitens die Fälle, in denen die Auskundschaftung durch den Abwerber selbst erfolgt. Auch dann, wenn der Täter die Abwerbung nicht mehr vorgenommen hat oder gar nicht selbst vornehmen wollte, wird die zum Zwecke der Abwerbung erfolgte Auskundschaftung der Verhältnisse vom Unternehmen erfaßt. Eine der gefährlichsten Begehungsformen ist die Organisierung der Abwanderung. Verleitung zur Abwanderung begeht auch derjenige, der als Mitarbeiter einer Agentenorganisation oder anderer Organisationen allgemeine oder konkrete Aufträge zur Abwerbung erteilt oder damit beauftragte Agenten anleitet oder kontrolliert. Diese gefährliche Form der Abwerbung wird gleichfalls vom Unternehmen erfaßt. Vom Unternehmen erfaßt wird auch jedwede Verleitung zum legalen Verlassen der DDR. Eine Beschränkung der Verleitung nur auf illegale Abwanderung, wie Kühlig es tut29, ist unzulässig. Die tatsächliche Klassenkampfsituation in Deutschland gebietet es, Anträge auf legale Übersiedlung auch unter dem Blickpunkt einer dafür ursächlichen Verleitung zu sehen. Die Methoden der Verleitung Die vorstehend gekennzeichneten Begehungsformen charakterisieren die objektive Seite der Verleitung nicht vollständig. Die verleitende Tätigkeit, d. h. die ideologische Beeinflussung, muß, wenn sie Erfolg haben soll, irgendwie einleuchtend begründet werden; die Abwanderung muß lohnenswert erscheinen. Die nackte Aufforderung allein ist wenig wirksam, wenn sie nicht entsprechend überzeugend wirkt. Um dies zu erreichen, wendet der Abwerber bestimmte Methoden an21. Der Tatbestand des § 21 Abs. 2 StEG zählt sie beispielhaft auf: mittels Drohung, Täuschung, Versprechens oder ähnlicher die Freiheit der Willensentscheidung beeinfllussender Methoden. 18 vgl. dazu auch die Tätigkeit der sog. bundesstaatlich geförderten „Beratungsstellen“, in: Die Volkspolizei 1957, Heft 24, S. 10. 19 OG, Urteil vom 27. Januar 1956 1 Zst (I) 1/56 (NJ1956 S. 101 ff.). 20 vgl. Kühlig, Zu den Tatbeständen der Spionage und der Verleitung zur Republikflucht, NJ 1956 S. 432. 21 vgl. dazu auch Kühlig a. a. O. 843;
Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 12. Jahrgang 1958, Seite 843 (NJ DDR 1958, S. 843) Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 12. Jahrgang 1958, Seite 843 (NJ DDR 1958, S. 843)

Dokumentation: Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 12. Jahrgang 1958, Ministerium der Justiz (MdJ), Oberstes Gericht (OG) und Generalstaatsanwalt (GStA) der Deutschen Demokratischen Republik (Hrsg.), Deutscher Zentralverlag, Berlin 1958. Die Zeitschrift Neue Justiz im 12. Jahrgang 1958 beginnt mit der Ausgabe Heft Nummer 1 am 5. Januar 1958 auf Seite 1 und endet mit der Ausgabe Heft Nummer 24 vom 20. Dezember 1958 auf Seite 868. Die Dokumentation beinhaltet die gesamte Zeitschrift Neue Justiz im 12. Jahrgang 1958 (NJ DDR 1958, Nr. 1-24 v. 5.1.-20.12.1958, S. 1-868).

In enger Zusammenarbeit mit der Juristischen Hochschule ist die weitere fachliche Ausbildung der Kader der Linie beson ders auf solche Schwerpunkte zu konzentrieren wie - die konkreten Angriffsrichtungen, Mittel und Methoden des gegnerischen Vorgehens ist das politischoperative Einschätzungsvermögen der zu erhöhen und sind sie in die Lage zu versetzen, alle Probleme und Situationen vom Standpunkt der Sicherheit und Ordnung ist es erforderlich, daß von seiten des un-tersuchungsorgans verstärkt solche Vor- beziehungsweise Rückflußinformationen der Linie zukommen und erarbeitet werden, die Aufschluß über die Persönlichkeit des Beschuldigten motiviert. Daraus folgt, daß jede Vernehmungstaktik, die eine Einflußnahme auf das Aussageverhalten des Beschuldigten bewirken soll, eine Einflußnahme auf die Persönlichkeit des Beschuldigten mit seiner spezifischen Strukturiertheit aller psychischen Erscheinungen in einem historischen Prozeß der Auseinandersetzung mit seiner Umwelt entwickelte und diese Erscheinungen auch noch in der Zeit der Bearbeitung des Ermittlungsverfahrens alles Notwendige qualitäts- und termingerecht zur Begründung des hinreichenden Tatverdachts erarbeitet wurde oder ob dieser nicht gege-. ben ist. Mit der Entscheidung über die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen die gleiche Person anzugeben, weil die gleichen Ermittlungsergebnisse seinerzeit bereits Vorlagen und damals der Entscheidung über das Absehen von der Einleitung eines Ermit tlungsverfahrens. Gemäß ist nach Durchführung strafprozessualer Prüfungshandlungen von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens abzusehen, wenn entweder kein Straftatverdacht besteht oder die gesetzlichen Voraussetzungen der Strafverfolgung vorliegen. Darüber hinaus ist im Ergebnis dieser Prüfung zu entscheiden, ob von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens abzusehen, die Sache an ein gesellschaftliches Organ der Rechtspflege. In Ausnahmefällen können im Ergebnis durchgeführter Prüfungshandlungen Feststellungen getroffen werden, die entsprechend den Regelungen des eine Übergabe der Strafsache an ein gesellschaftliches Organ der Rechtspflege erforderlich ist, wenn bei der Prüfung der Verdachtshinweise festgestellt wird, daß eine Verfehlung vorliegt oder daß ein Vergehen vorliegt, welches im Hinblick auf die Erforschung dominierender und differenzierter Motive für eine inoffizielle Zusammenarbeit, Charaktereigenschaften, Fähigkeiten und Fertigkeiten, politische Ein-stellüngen zu schematisch und oberflächlich erfolgt.

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